Kommentar

Flüchtlinge im christlichen Abendland?

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Bootsflüchtlinge im Mittelmeer
Bootsflüchtlinge im Mittelmeer bei Lampedusa

STEISSLINGEN. (hpd) Wie die Menschenrechtsorganisation "Save the Children" informierte, ertranken am Wochenende wahrscheinlich um die 400 Menschen vor der libyschen Küste. Das ist eine der schlimmsten Katastrophen auf dem Mittelmeer.

An Bord ihres in Seenot geratenen Bootes waren 550 Personen - unter ihnen viele Kinder und Jugendliche -, von denen nur 150 von der italienischen Küstenwache gerettet werden konnten. Damit ist die Zahl der allein seit Jahresbeginn an den Außengrenzen des so genannten christlichen Abendlandes gestorbenen Menschen auf mindestens 900 gestiegen. Das bedeutet gegenüber 2014 eine Vervielfachung. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß ohnedies niemand. Wir wissen nur: Das christliche Abendland verfügt über die gefährlichste Grenze der Welt. Sie bringt hundertfaches Leid, hundertfachen Tod.

Doch eben dieses Abendland, das so gerne in Predigten wie in einschlägigen Sonntagsreden von Politikern beschworen wird, leugnet schlichtweg seine Mitverantwortung. Es schottet stolz sich ab, duckt sich weg und schiebt das Problem zurück an die Ärmsten und Schwächsten, an die Menschen in den Booten. Der bundesdeutsche Regierungssprecher, einer für viele, nennt das Thema vorsorglich "komplex". Die Länder, aus denen die Flüchtlinge aufbrechen, müssten die Schlepperkriminalität besser bekämpfen. Und den Heimatländern sollte geholfen werden, damit die Menschen eine Perspektive zum Bleiben haben. Ob diese Vorschläge akut bedrohtes Leben retten?

Tatsächlich hat das sich als christlich feiernde Abendland den vor Kriegen fliehenden Menschen nahezu alle rechtmäßigen Möglichkeiten verschlossen, hier Schutz zu finden. So müssen die Vielen versuchen, illegal in die EU zu gelangen. Es wird geschätzt, dass noch etwa eine Million Menschen auf die Flucht hoffen.

Der Schutz dieser Menschen müsste höchste Priorität haben. Sollte die EU also nicht mehr Kapazitäten als bisher aufbieten, um die Suche nach Flüchtlingen auszuweiten? Was demgegenüber geschehen ist: Italien hat seine Hilfsmission Mare Nostrum 2014 eingestellt, nachdem die übrigen EU-Staaten sich geweigert hatten, Mitverantwortung zu übernehmen. Die Hilfe war ihnen offensichtlich schlicht zu teuer. Stattdessen wurde eine Operation Triton ausgelöst, die eher der Abwehr als der Rettung der vielen bei uns Hilfe Suchenden dient. Scharfmacher unter den europäischen Innenministern, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière, sahen die Seenotrettung ohnehin nicht als humanitäre Pflicht der EU, sondern als Bedrohung für die Sicherheit der Außengrenzen. So die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.

Und die Kirche? Läge Rom am Kongo, wäre es vielleicht anders. Nun liegt der Vatikan aber im Abendland. Und die praktische Solidarität seiner Kirche? Eine unterlassene Hilfeleistung, nichts sonst? Nach ihr wird im bundesdeutschen Diskurs so gut wie nicht gefragt. Auch das sollte sich schnell ändern.

Also frage ich einmal in diese Richtung: Von wie vielen Pfarrhäusern haben Sie gehört, die Flüchtlinge aufgenommen haben? In wie vielen bischöflichen Residenzen sind Ihres Wissens Flüchtlinge untergekommen? Hatte Tebartz-van Elst etwa nur für sich selbst gebaut? Wie viele Unterkünfte hat die katholische Kirche, Deutschlands größte nichtstaatliche Grundbesitzerin, denn bisher für Flüchtlinge bereit gestellt?

Sollen wir erneut lernen müssen, dass Predigten und Taten auseinander klaffen? Wo bleibt die tatsächliche Solidarität der Kirche? Mitten im christlichen Abendland, das, glaubt man den Predigern, die Nächstenliebe geradezu erfunden haben will? Es ist Zeit, etwas zu tun!