Kommentar

Religionskundlicher Unterricht sollte Pflichtfach werden

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MARBURG. (hpd) Der Jahrhunderte alte Kampf von Sunniten gegen Schiiten; die Bestrebungen, über heutige Menschen mittels eines mittelalterlichen Gesetzbuches, genannt Scharia, zu herrschen; die terroristische Bewegung namens “Islamischer Staat” und die Vielfalt weiterer islamischer Terror-Organisationen; und nicht zuletzt die zunehmende Empfänglichkeit für islamische terroristische Botschaften selbst bei Muslimen, die in westlichen Staaten aufgewachsen sind – all dies ist nicht denkbar ohne den Koran. Ist dazu aber nicht längst alles gesagt worden? Das Folgende ist ein Versuch, sich möglichst knapp aus einer humanistischer Perspektive mit der islamischen Religion zu befassen. Als Konsequenz wird eine einzige Forderung erhoben, nämlich nach religionskundlichem Schulunterricht.

Sag: Ihr Ungläubigen!
Ich verehre nicht, was ihr verehrt
und ihr verehrt nicht, was ich verehre.
Und ich verehre nicht, was ihr (bisher immer) verehrt habt,
und ihr verehrt nicht, was ich verehre.
Ihr habt eure Religion, und ich die meine.

(Sure 109; Übersetzung R. Paret)

Angesichts der aktuellen politischen, emotional z.T. sehr aufgeladenen Situation möchte ich vorausschicken: Es ist für mich unabweisbar, dass zur Lösung der unterschiedlichsten Probleme in unserer Gesellschaft alle Kräfte beizutragen haben. Dies erfordert Solidarität über weltanschauliche Grenzen hinweg. Weltanschauungen bzw. Religionen liefern per se für viele der anstehenden Fragen noch keine Lösungsansätze, und daher kommt es oft gar nicht auf sie an. Somit ist auch ein Zusammenwirken von Humanisten und Muslimen möglich, ja wünschenswert. Dessen ungeachtet erscheint es mir legitim, sich qua Humanist kritisch mit dem heutigen Islam auseinanderzusetzen – und natürlich auch umgekehrt, also qua Muslim mit dem zeitgenössischen Humanismus.

Der Koran war wahrscheinlich von Anfang an in vielem diffus und widersprüchlich. Dies begünstigte die Entwicklung von umfangreichen Zusatztexten, vor allem den “Hadithen”, für deren Zusammenstellung manchmal auch der Begriff Sunna (“überlieferte Norm”) verwendet wird. In diesen meist von Mohammed oder den frühen Kalifen berichtenden Texten wird den Gläubigen alles Mögliche verboten, geboten oder verheißen. Nicht zuletzt die sog. Scharia fußt hierauf. Hier findet sich auch die Aufforderung, denjenigen den Kopf abzuschlagen, die vom Islam wieder abgefallen sind (wovon sich z.B. der Zentralrat der Muslime distanziert hat, während es Hinrichtungen aus diesem Grunde in verschiedenen islamischen Ländern noch immer gibt.

Das Grundgesetz als Maßstab

In wie weit heutzutage eine Religion - genauer: ihr geistiger Gehalt - in den pluralistischen Rahmen unserer Gesellschaft passt, läßt sich durchaus anhand der Vorgaben des Grundgesetzes prüfen, also vor allem der Grundrechte-Artikel 3,4 und 7. Wünscht man, dass diese in unserem Lande konsequent geachtet werden, so kann man aus ihnen gewisse Ansprüche an alle in Deutschland vertretenen Religionen ableiten. Ich schlage hiermit mehrere Forderungen quasi als Prüfsteine vor, nämlich:

Jede Religion

  1. soll sich nur als eine mögliche sehen; alle anderen Religionen sollten – auch wenn sie noch so “primitiv” sind – als grundsätzlich gleichberechtig anerkannt werden.
  2. soll daher – im Sinne echter Toleranz - auf Mission verzichten und sich darauf beschränken, Gutes zu tun und darüber zu reden.
  3. soll darauf verzichten, Männer über Frauen zu stellen oder Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren.

Zusätzlich halte ich es für berechtigt, im Hinblick auf moderne intellektuelle bzw. moralische Standards in unserem Lande zwei weitere Wünsche an eine Religion zu formulieren: Sie soll

  1. sich von kreationistischen Welterklärungsversuchen verabschieden, wenn sie es noch nicht getan hat.
  2. es zulassen, dass Menschen sich ihre eigenen Vorstellungen von Liebe und Tod machen- also den vielleicht intimsten Aspekten unserer Existenz - und selber entscheiden, wie sie mit Sexualität und Sterben (auch mit der Möglichkeit des vorzeitigen Sterbens) umgehen.

Man muss nicht bei all diesen Punkten ins Detail gehen, um sofort zu festzustellen, dass der Islam in seiner weitgehend konservativen Ausprägung sich mit wichtigen rechtlichen und geistigen Gegebenheiten unserer Gesellschaft nur schwer anfreunden kann. Toleranz passt noch heute zum Islam so schlecht wie früher zum Christentum. Beide waren in der Vergangenheit dank ihres grandiosen Anspruchs, die alleinige Wahrheit zu besitzen, weltweit wohl die schlimmsten Religions-Vernichter (und Reue darüber kann man bisher nicht erwarten). Weniger offensichtlich ist bislang, dass im Islam kreationistische Vorstellungen weit verbreitet (wahrscheinlich sogar auf dem Vormarsch) sind.

Die weltanschauliche Position, die im Grundgesetz zum Ausdruck kommt, ist nicht zuletzt das Ergebnis einer langwierigen, noch nicht abgeschlossenen gesellschaftlichen Emanzipation von christlichen Herrschafts- und Belehrungs-Ansprüchen. Parallel zu dieser historischen Entwicklung gab es bei den kirchlichen Lehren einige Fortentwicklungen. Man könnte somit generell Religionen auch danach beurteilen, ob sie “noch sehr ursprünglich” sind oder sich “fortentwickelt” haben. Im Kern geht es dabei um das Abstreifen von Behauptungen und Forderungen, die dem gesunden Menschenverstand oder wissenschaftlichen Erkenntnissen zuwiderlaufen. Insofern sind z.B. die Hauptrichtungen des Protestantismus weiter fortgeschritten als die römisch-katholische Kirche, die z.B. noch Regeln für Teufelsaustreibungen vorschreibt. Hoffnung auf einen europäischen Islam dank vernunftgeleiteter Fortentwicklung der Koraninterpretation?

Den vorherrschenden Richtungen des Islam kann man noch gar keine rationalen Fortentwicklungen bescheinigen, denn sie klammern sich noch immer an die Vorstellung, der Koran sei komplett “geoffenbart” worden und seine Aussagen gälten daher wörtlich.

Das Erscheinungsbild des Islams ist vielfältig

Der Koran ist in vielem kaum zu verstehen und, wie schon gesagt, oft widersprüchlich. Manche Partien sind geradezu kryptisch. Wer bisher noch keine der insgesamt 114 Suren gelesen hat, dem empfehle ich, mit den letzten - also den kürzesten - zu beginnen. Hier findet sich auch die eingangs als Motto zitierte Sure, die so klingt, als werde zu religiöser Toleranz aufgefordert. Das ist jedoch nicht ganz richtig; man erkennt dies daran, dass es in der Eröffnung der Sure “Ungläubige” und eben nicht “Andersgläubige” heißt; zudem wird z.B. in Sure 3, Vers 5 ein ganz anderer Ton angeschlagen.

Natürlich muss man im Blick behalten, dass religiöse Schriften nicht nur Forderungen, Behauptungen, Erzählungen etc. beinhalten, sondern über das Mittel poetischer Sprache auch das Empfinden ansprechen. Das Lesen und Rezitieren von Suren (vor allem in arabischer Sprache) und ein sich Darin-Versenken begünstigt offenbar eine Form der Frömmigkeit, welche die Gottes-Vorstellung aus allem Menschlichen und Irdischen konsequent heraushält. Auch das macht der Koran möglich.

Durch die medialen Berichte erleben wir derzeit den Islam jedoch weitgehend als erschreckendes Phänomen. Um sich aber über islamisch geprägte Gesellschaften ein differenziertes Bild machen zu können, müsste man sich eigentlich mit Beispielen aus der ganzen Welt befassen. So gibt es im Inselstaat Indonesien nur eine generelle Religionspflicht, d.h. der Islam, obwohl stärkste Religion, ist nicht Staatsreligion (die Scharia gilt übrigens nur in der Provinz Aceh).

Hoffnung auf einen europäischen Islam dank vernunftgeleiteter Fortentwicklung der Koraninterpretation?

Heute ist zuweilen von einem “europäischen Islam” die Rede. Ob es je dazu kommen wird, darf man bezweifeln; aber wie sich eine dazu passende Verkündigung vielleicht anhören würde, läßt sich den kleinen Sendungen, die der Deutschlandfunk jeden Freitag Morgen ausstrahlt, entnehmen. 2015 waren es ca. 30, wobei bislang nur Autoritäten aus Europa sowie USA und Kanada zu Wort kamen.

In Deutschland wurde 2007 mit dem Jahrhundertprojekt einer umfassenden wissenschaftlichen Erforschung des Korans und seiner historischen Voraussetzungen begonnen. In diesem von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften betriebenen sog. “Corpus Coranicum” werden auch “kursorische” Kommentare angeboten (bislang allerdings erst für gut 40 der sog. Frühmekkanischen Suren), die gänzlich frei von Glaubensvorgaben sind. Sie beeindrucken den Laien vor allem durch das gedrängte historisch-philologische Fachwissen. Ein geduldiger Leser bekommt hier jedenfalls eine gewisse Vorstellung von dem, was mit dem jeweiligen Text gemeint sein dürfte.

Ein europäischer Islam hätte sich ggf. wohl an den Ergebnissen des Corpus coranicum zu orientieren. Seine Aufgabe wäre es aber auch, diverse Aussagen des Korans als überholt oder letztlich inakzeptabel zu kennzeichnen. Auf den 100 Hochglanz-Seiten einer Sonderausgabe des “Philosophie-Magazins” (wie z.B. von christlicher Seite kritisiert wurde, erfährt man nur wenig dazu), während ein Publizist aus Ägypten, der so etwas bereits versucht, mit Ermordung bedroht wird.

Weltanschaulicher Diskurs zwischen Humanisten und Muslimen?

Auch Humanisten könnte es interessieren, welches Menschenbild und welche Gottesvorstellung im Islam (z.B. in seiner Frühzeit, als es noch wenig Aufsplitterung gab) enthalten ist. Sachbücher gehen eher in die Breite als in die Tiefe (Empfehlung: Lutz Berger, Islamische Theologie, UTB 2010), zumal es so viele Varianten und Gegensätze gibt. Es ist daher schwierig, sich sozusagen zur religiösen Idee des Islam zu positionieren (die oft erwähnten fünf Säulen des Islam sind lediglich Vorschriften). Sicherlich ist mit den sattsam bekannten Drohungen, Sünder und Ungläubige kämen beim jüngsten Gericht in die “Hölle”, noch nicht alles Wesentliche über den Islam gesagt – genau so wenig wie über das Christentum.

Folglich wird man sich in Gesprächen mit MuslimInnen bei Religionsfragen weitgehend zurückhalten. Man könnte sie aber gegebenenfalls fragen, wieso sie denn gerade der einen und nicht einer anderen Variante des Islam anhängen; und man darf auf Behauptungen, dieses oder jenes stehe doch im Koran (oder auch umgekehrt: das stehe so doch gar nicht im Koran), erwidern, dies sei für Nicht-Muslime egal. Als Humanist kann man m.E. sich guten Gewissens damit begnügen, Vorbehalte gegen Religionen einfach nur dadurch anzudeuten, dass man auf ihre Pluralität verweist (warum sollte nur eine von ihnen “die richtige” sein….). Hinweise auf die eingangs aufgelisteten “Prüfsteine” kann man sich in der Regel wohl sparen, weil sie vermutlich zu nichts führen.

Letztlich bedeutet dies wohl, auf einen weltanschaulichen Diskurs mit MuslimInnen zu verzichten. Damit entzieht man sich ggf. auch dem Dilemma, qua Humanist auf die Frage zu antworten, ob man denn selber an etwas glaube (siehe Anlage: “Unglaube genügt”), ob das einem Halt vermittele und zu einer Ordnung im eigenen Leben verhelfe. Eine humanistische Position dazu lässt sich kaum mit wenigen Sätzen vermitteln und mit Verweisen auf historische Errungenschaften wie die Menschenrechte oder die Evolutionstheorie ist es wohl nicht getan.

Religionskundlicher Unterricht – eine alte Forderung mit neuer Aktualität

Wir müssen uns anstrengen, die jetzt zu uns strömenden, überwiegend muslimischen Flüchtlinge gut aufzunehmen. Soweit wir können, sollten wir zuerst einmal dazu beitragen, dass sie über die erlebte existenzielle Bedrohtheit einigermassen hinwegkommen. Sie sollen Geborgenheit in unserer pluralistischen Gesellschaft finden, doch hierzu ist die Bereitschaft nötig, unsere Gesetze als oberste Instanz zu akzeptieren. Daher muss man MigrantInnen auch rechtzeitig auf einige Bestimmungen des Strafgesetzbuches hinweisen, die ihnen manches untersagen, was in ihrem Herkunftsland erlaubt ist.

“Gut aufnehmen” heißt insbesondere, zu verhindern, dass wir in Deutschland immer mehr islamische Parallelgesellschaften wie in Grossbritannien oder Frankreich bekommen (was sehr schwierig sein wird). Der politische Wille, wenigstens bei den Jugendlichen anzusetzen, ist nicht konsequent vorhanden, denn sonst würde sich die Politik längst mit der Forderung beschäftigen, Religionskunde (eigentlich: Weltanschauungskunde) als Pflichtfach an allen Schulen vorzuschreiben. Gerade hierdurch könnte man den Heranwachsenden vermitteln, dass man in unserem Staate es aushalten kann - und auch muss- , mit Menschen unterschiedlichster Weltanschauung tolerant zusammenzuleben. Anlass dazu gäbe eigentlich schon eine erstaunlich wenig verbreitete, vielen unwillkommene Einsicht: Für die meisten Menschen hängt ihre Religionszugehörigkeit nur davon ab, wo sie geboren sind.

Die Einführung von Religionskunde als Pflichtfach wird leider durch Abs. 3 von Artikel 7 des Grundgesetzes faktisch unmöglich gemacht (erschwerend kommt hinzu, dass Bildungsfragen ja weitgehend Ländersache sind). Diesen abzuschaffen bzw. zu ändern, dürfte in naher Zukunft nicht gelingen, weil die kirchlichen Interessengruppen - die dadurch ja Macht abgeben müssten – derzeit noch zuviel Einfluss besitzen. Dennoch könnte für einen kämpferischen Humanismus die Einführung dieses Schulfaches ein wichtiges, einigendes Ziel sein. Doch um hierfür in der breiten Öffentlichkeit und bei politischen Parteien Anhänger rekrutieren zu können, müssten wohl die Leitgedanken eines organisierten Humanismus noch klarer und öffentlich stärker präsent werden.

Kirchliche Kreise wünschen hingegen bekenntnisorientierten Islamunterricht und genieren sich nicht, zu behaupten, der bekenntnisorientierte Religionsunterricht sei “… notwendig, um die Schule zum interreligiösen (!) Lernort zu machen, an dem SchülerInnen sowohl die eigene als auch die Religionen ihrer MitschülerInnen kennen lernen. Nur so kann Schule die Aufgabe erfüllen, SchülerInnen auf ein friedliches Zusammenleben in einer multireligiösen Gesellschaft vorzubereiten.” Diese Position ist natürlich für Humanisten gänzlich inakzeptabel.

Der Ruf, islamische Religion an öffentlichen Schulen als Unterrichtsfach (in NRW heißt das offiziell “Islamkunde”) zu etablieren, wird gemeinhin damit begründet, es sei allemal besser, die muslimischen Jugendlichen lernten unter kontrollierbaren Bedingungen etwas über ihre Religion (Videos zu pro und contra sind reichlich im Internet zu finden), als sie „irgendwelchen Predigern in Hinterhöfen“ zu überlassen. Das Argument ist jedoch nicht ganz überzeugend, denn islamische Religion ist ja keine Pflichtfach. Somit könnten gerade fundamentalistisch orientierte Eltern es vorziehen, ihre Kinder durch Prediger ihrer Wahl (nicht wenige davon vom Ausland bestellt), zum „richtigen“ Islam erziehen zu lassen. Dieses Argument gälte auch, wenn jemand die Einführung des Unterrichtsfaches Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde (kurz: LER) nach dem Muster der in Brandenburg seit 2001 geltenden Regelung vorschlagen würde, denn konfessioneller Religionsunterricht und LER sind hier Wahlpflichtfächer (man muss zwischen beidem wählen).

Noch ein Wort zur Religionskunde. Sie vermittelt wichtige Einsichten in die Kulturgeschichte der Menschheit. Es wäre fair, dabei heute den sog. ethnischen Religionen etwas mehr und den sog. Weltreligionen etwas weniger Stellenwert zuzuerkennen. Es gibt noch immer einige außereuropäische Gebiete mit weitgehend ursprünglichen ethnischen Religionen (bekanntestes Beispiel ist vielleicht das Australien der Aborigines). Wo die betreffenden Stämme um ihre Existenz kämpfen müssen, geht es immer auch um das Bewahren ihrer kulturellen, mit Religion eng verbundenen Identität. Irgendwann kommen auf solche ursprüngliche Religionen allerdings Anpassungsprozesse zu, die durch die Berührung dieser Völker mit der westlich-modernen Zivilisation unausweichlich geworden sind. Man wird ihnen dabei kaum helfen können – jedenfalls nicht, indem man ihnen Christentum oder Islam als "bessere" Religion andient.