Islamophobie-Vorwurf als Machtkalkül
Der Vorwurf der Islamophobie ist eine gut durchdachte Strategie, um nicht nur den Islam im westlichen Kontext unangreifbar zu machen, sondern auch die Macht der konservativen Dachverbände zu stärken. Dort weiß man genau, dass dadurch die Einheit der identitätsstiftenden muslimischen Religion in der Diaspora befördert und intensiviert wird. Allerdings führt solch ein Verhalten zu nichts anderem als der moralischen Erpressbarkeit der Mehrheitsgesellschaft. Die Wortführer der Dachverbände bevorzugen einerseits die meisterhaft stilisierte Pflege der Opferrolle, andererseits setzen sie in der Öffentlichkeit Akzente auf den Ton des Überlegenen, der zu fordern und nicht so sehr zu geben hat. Und sie haben damit Erfolg. Politik sollte darauf bedacht sein, nicht die Stimmen der muslimischen Wähler wichtiger als den aufgeklärten und modernen Islam zu nehmen. Politiker müssen den Mut haben, die Politik der konservativen Dachverbände öffentlich zu kritisieren zum Wohle der Freiheit in dieser Gesellschaft.
Politische Korrektheit verhindert Aussprechen unangenehmer Wahrheiten
Eine Gefahr, die ich sehe, ist, dass durch die dominierende Kultur der an sich löblichen politischen Korrektheit ein mutiges Ergreifen des kritischen Wortes und das Aussprechen unangenehmer Wahrheiten vermieden werden, um sich nicht den Zorn und die Wut der muslimischen Minderheitsgesellschaft auf sich zu ziehen. Als sehr groß nehme ich die Sorge wahr, der “Islamfeindlichkeit” verdächtigt zu werden. Hilflosigkeit und Überforderung auf Seiten politischer Entscheidungsträger, sowie die Unwissenheit der deutschen Mehrheitsgesellschaft, werden es aber den Dachverbänden ermöglichen, einen konservativen Islam zu etablieren, - einem Islam, der mit einer säkularen und pluralistischen Staatsordnung und den damit verbundenen Werten nicht vereinbar ist.
Politik darf nicht schweigen
Politik darf nicht schweigen – so wie es auch die beiden großen Kirchen nicht tun sollten. Dialogpartner für sie im interreligiösen Dialog dürfen aber auf keinen Fall die erzkonservativen muslimischen Dachverbände alleine sein. Es ist für mich als Muslim würdevoll zu sehen, wie sehr das Christentum um Dialog bemüht ist. Aber das Problem ist, dass sie mit den konservativen Dachverbänden dabei ein Gegenüber haben, deren Wortführer sich als Inhaber der absoluten Wahrheit betrachten. Wiederbelebung des christlichen Traditionsabbruchs durch Islam?
Der Präsident des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, Kurienkardinal Jean-Louis Tauran, dankte neulich den Muslimen dafür, dass sie “Gott zurück in die öffentliche Sphäre Europas” gebracht hätten. Von einzelnen christlichen Würdenträgern hörte ich, dass sie mit Neid auf volle Moscheen beim Freitagsgebet blicken, während ihre eigenen Gotteshäuser weitgehend leer blieben. Da schleicht sich bei mir der Verdacht ein, als erhoffe man sich mit der Zusammenarbeit mit den konservativen Dachverbänden eine Wiederbelebung des Glaubens an sich. So, als ob Gott in Europa ohne den Islam verloren wäre! Wie wenn es in Abgrenzung zum Islam zu einer Rückbesinnung auf die christliche Tradition des Westens kommen könnte. Aber von einer Kooperation mit dem konservativen Islam rate ich den Kirchen dringend ab. Der Traditionsabbruch im Christentum kann nicht durch die Spritze Islam wiederbelebt werden.
Anbiederung an den Islam ist keine gute Strategie und die Zusammenarbeit mit konservativen muslimischen Dachverbänden ist höchst tragisch und könnte fatale Folgen haben. Denn hierdurch wird kein liberaler und moderner, sondern ein konservativer Islam gefördert. Solch ein unzeitgemäßes Verständnis des Islams kann den Kirchen zu keinem geistigen und spirituellen Antrieb verhelfen, sondern führt zu einer gefährlichen Konkurrenz, die mit der Zeit zum Verhängnis wird.
Die Wortführer des Islams beherrschen kunstvoll das rhetorische Spiel. Einerseits verkaufen sie ihn politisch ambitioniert nach außen als “Religion des Friedens”, und andererseits predigen sie ihn heimlich in den Gemeinden nach innen als “gottesrechtliche Gesellschaftsordnung”. Angesichts dessen kann man nur nachdenklich und tief besorgt sein.
Nur ein moderner humanistischer Islam ist mit säkularer Gesellschaft vereinbar
Zur Redlichkeit und zum Mut von Politik und Kirche gehört die Einsicht, dass durch die Zusammenarbeit mit muslimischen Dachverbänden ein Riesenfehler begangen wird. Die politische Ideologie der konservativen muslimischen Dachverbände und die Gefährlichkeit ihres religiösen Diskurses darf nicht unter den Tisch gekehrt werden. Sowohl Politik, als auch Kirche, sollte zwischen einem modernen und humanistischen, Islam auf der einen, und einem orthodoxen und archaischen Islam auf der anderen Seite, unterscheiden. Nur ein moderner und humanistischer Islam ist mit den säkularen Gesetzen des demokratischen Rechtsstaates und den Menschenrechten vereinbar. Der nicht-reformierte Islam der Dachverbände passt in keine freiheitliche und pluralistische Gesellschaft.
Verhindert die deutsche Politik eine Weiterentwicklung des Islam?
Durch eine Allianz zwischen Politik, Kirche und islamischen Dachverbänden würde der Islam auch in seiner pluralistischen Form im Westen weiterhin blind einer modernen Renaissance und einer kritikfähigen Aufklärung hinterherhinken. Ein konstruktiver Beitrag des modernen humanistischen Islam als Weg zur Selbstentdeckung bzw. Selbstdefinition einer religiösen und sinnstiftenden Identität der Menschen, liegt nicht im Interesse der orthodoxen Dachverbände. Sie sind noch meilenweit davon entfernt, einen aufgeklärten, humanistischen Islam zu etablieren, der ihnen eine den Kirchen vergleichbare Rolle in der deutschen Gesellschaft ermöglichen würde.
Die kritikfähige Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen und historischen Islamidentität bildet hingegen eine Voraussetzung für einen toleranten Umgang und ein Zusammenleben der Muslime mit der nicht-muslimischen Mehrheit in einem interkulturellen Klima; es geht also um ein lebendiges, alltagsorientiertes und dialogisches Lernen durch die Begegnung des Ich mit dem Anderen. Zunächst muss die Freiheit des Individuums als höchstes Gut auch im Islam verankert werden. Auch Meinungsverschiedenheit und -freiheit müssen pointiert akzentuiert werden. Gewiss sind aber die reaktionär und islamkonservativ geprägten Dachverbände tatsächlich nicht die richtigen Ansprechpartner für Staat und Kirche.
Redaktioneller Hinweis: Die Zwischenüberschriften im Text stammen von der hpd-Redaktion
Der Autor, Dr. Abdel-Hakim Ourghi, ist Islamwissenschaftler und anerkannter Koran-Experte. Er leitet den Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg i. Br.
Weitere Analysen vom Autor:
Gespräch über Islam und Terror / Herder-Korrespondenz
Die Islamkritik muss zum Islam gehören / Generalanzeiger Bonn
12 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ja, in dem Kommentar von Prof. Dr. Ourghi steht viel Wahres. Vor allem die fatale Rolle der konservativen Islamverbände und ihre Strategie hat er treffend charakterisiert.
Nur - und jetzt kommt wieder mein "nur" - konnte mir bis heute niemand erklären, was denn ein Islam ohne politische Macht sein soll. Sinnstiftend? Natürlich kann der Glaube an einen "Gott" ein Leben mit Sinn erfüllen. Zumindest, wenn man dafür bezahlt wird. Ansonsten hat jedes Leben genau den Sinn, dem man ihm selbst verleiht.
Das Christentum geht daran zugrunde - und dieser Prozess ist unaufhaltsam -, weil es eben in den meisten Industrienationen keine staatstragende Funktion mehr hat. Die Glaubensinhalte haben sich als leer herausgestellt, weshalb sich Kirchen mehr und mehr zu Insolvenzverwaltern ihrer Bauten und Strukturen wandeln. Ja, selbst Gläubige wenden sich mehr und mehr von der Amtskirche ab, weil sie lieber ihre Privatversion von "Gott" oder Jesus leben wollen.
Dieses Schicksal droht natürlich auch den Islamverbänden und sie haben den Niedergang der christlichen Kirchen als abschreckendes Beispiel vor Augen. Eine humanistische Religion an sich ist ein Paradoxon, weil sich Religionen durch ihre Hinwendung zu "Gott" auszeichnen und nicht durch ihr zentrales Interesse am Menschen.
Da, wo christliche Kirchen Letzteres beherzigen, verlieren sie zunehmend ihre Mitglieder, weil Menschendienst - im Gegensatz zu Gottesdienst - von jedem, auch von Atheisten oder echten Humanisten, geleistet werden kann.
Ich teile also die politischen Konsequenzen, die Prof. Ourghi fordert, voll und ganz. Seine Warnung ist richtig. Ich bleibe nur skeptisch, woraus der dann übrig bleibende "Glaube", der angeblich humanistisch sein soll, bestehen soll.
Vor allem: Kann ein humanistischer, toleranter, pluralistischer Islam mit dem einzigen Koran, den die Welt bis heute kennt, überhaupt realisiert werden? Kenner der Materie, wie Hamed Abdel-Samad, sagen dazu ganz klar Nein! Dem schließe ich mich an.
johann zirkowitsch am Permanenter Link
Das entspricht vollkommen der österreichischen Situation.
David am Permanenter Link
Eine Stimme der Vernunft. Herzlich Willkommen. Ich wūnschte, man wūrde mehr von Herrn Ourghi hören/lesen.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Eine Lösungsmöglichkeit, die ich bevorzuge, ist die Rücknahme der Privilegien der christlichen Großkirchen wie Körperschaftsstatus, Mitgliedsbeitragsinkasso durch Arbeitgeber / Finanzamt und Recht zur Indoktrination a
Walter Otte am Permanenter Link
Stimme Ihrer "Lösungsmöglichkeit" vollständig zu, aber dafür brauchen wir politische Mehrheiten, für die wir eintreten sollten.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"ein moderner und humanistischer Islam" - aha?
Wie sieht der aus? Was bleibt dann von 'dem' Islam übrig?
Ich bleibe dabei - Religion ist Privatsache.
hans schulze am Permanenter Link
Herr Trutnau, Sie sind vermutlich kein Muslim. Also überlassen Sie doch Ihre Wahrsagung / Befürchtung, was vom Islam übrig bleiben könnte, einfach den Muslimen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"... überlassen Sie doch Ihre Wahrsagung / Befürchtung, was vom Islam übrig bleiben könnte, einfach den Muslimen."
Ihre Position wäre nachvollziehbar, wenn der Islam für alle Muslime bereits Privatsache wäre - privat auf das Individuum bezogen.
Ihre Position wäre gerade noch nachvollziehbar, wenn Muslime ausschließlich in islamischen Ländern wohnen würden.
Doch beides ist nicht der Fall. Der Islam wird nicht als Privatsache behandelt, sondern höchst öffentlich. So wirkt er außerhalb der islamischen Gemeinden und innerhalb der Gemeinden. Nach außen ist eine große Bandbreite des Verhaltens der westlichen Gesellschaft gegenüber zu beobachten. Von westlich angepasst bis muslimisch (also rechtgläubig im Sinne des Islams, basierend auf dem Koran und evtl. der Sunna)
Nach innen gibt es Einwirkungen islamisch Gläubiger auf Dritte, z.B. auf Familienangehörige: Bekleidungs- und Speisekontrolle für Kinder (auch volljährige), genitale Verstümmelung für Knaben (seltener auch Mädchen), Verhaltenskontrolle für alle Familienmitglieder, die die grundgesetzliche Selbstbestimmung des Menschen, evtl. sogar seine Würde verletzen. Auch dies gibt es in unterschiedlich intensiven Formen, jedoch würde ich einen Familienvater, der seine Jungs nicht beschneiden und seine Töchter ohne Kopftuch und lange Mäntel herumlaufen lässt, der nicht den Umgang jugendlicher Kinder auf eine bestimmte Ethnie und Religionszugehörigkeit begrenzt, der seiner Frau als gleichberechtig wahrnimmt, nicht unbedingt als strenggläubigen Moslem bezeichnen.
So, wie viele Christen inzwischen auch nicht mehr viel darauf geben, wenn der Papst ihnen rät, die eigenen Kinder würdevoll zu schlagen oder keine Kondome zu benutzen. Diese an die Moderne angepassten Muslime - sicher die Mehrheit - brauchen keine Reform des Islams, die brauchen gar keinen mehr (höchstens als Lippenbekenntnis, um nicht anzuecken).
Eine Reform bräuchten ausgerechnet die, die definitiv keine Reform wollen. Und solange diese Gläubigen in negativer Weise auf Dritte in unserem Land einwirken (ich würde dies sogar auf Menschen im Ausland beziehen - alles andere ist für mich unterlassene Hilfeleistung), sind wir verpflichtet, im Rahmen unserer Möglichkeiten, die der Rechtsstaat definiert, hier auf Reformen zu drängen.
Menschen, die in ideologischen Systemen feststecken, haben oft genug nicht genügend Abstand zur Materie, um zu erkennen, was notwendig ist. Und wenn dann unsere amtierende Politik die konservativen Islam-Verbände hofiert und stark macht, wird das falsche Signal an die muslimischen Gemeinden gesendet. So wird es jedenfalls nie eine Reform geben und gerade die Menschen innerhalb der Gemeinden leiden unter dieser archaisch-patriarchalen Lebensweise. Eine Flucht ist wegen drohender Ausgrenzung praktisch ausgeschlossen, unter Umständen sogar lebensgefährlich. Wie gesagt: Ich meine nicht die liberalen und angepassten "Muslime".
Es geht also nicht um Intelligenz, es geht um Hilfestellung von außen. Aber wir können gerne Prof. Khorchide tatenlos beim Scheitern seines "humanistischen Islams" zusehen, so wie Sven Kalischs Versuch vorher scheiterte. Wenn das irgendwie weiterhilft...
Hans Trutnau am Permanenter Link
Werter hans schulze, welche Wahrsagung denn?
Ich habe neben meiner Ansicht über die Privatsache, ausgehend von einer Aussage des Artikels, nur Fragen gestellt.
valtental am Permanenter Link
Wenn Herr Ourghi vor den Konservativen warnt (wobei man nur zustimmen kann), kämpft er sicher auch um seine staatlich alimentierte Existenz am Lehrstuhl in Freiburg.
Die Befürworter von islamischen Lehrstühlen an dt. Unis stecken in einer verfassungsrechtlichen Zwickmühle: Ohne anerkannte Religionsgemeinschaft sind die bisher eingerichteten Stellen streng gesehen illegal und werden vorerst nur über Hilfsgremien scheinlegitimert (s. NRW). Allerdings kann man so noch bestimmen, wer dort auf Staatskosten zu Gottes ewigen Ratschlüssen "forschen" darf. Zur Beendigung dieser eigentlich verfassungswidrigen Praxis brauchte man islam. Religionsgemeinschaften, bei denen der Staat aber dann genauso keinen Einfluss mehr auf die Besetzung hätte, wie bei den Theologielehrstühlen der Christen.
Eigentlich beantwortet die Wissenschaft diese Frage grundsätzlich: Wer die Existenz seines Forschungsgegenstandes auf Dauer nicht nachweisen kann, hat an Universitäten nichts zu suchen, und betreibt Pseudoforschung. Alles Religiöse jenseits von vergleichender Religionswissenschaft sollte daher vom Staat auch nicht mehr bezahlt werden.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Bemerkenswert ist, dass sich mehr und mehr insbesondere »Insider« zu Wort melden, Menschen, die aus intimer Kenntnis des Islam berichten und von den Ländern, in denen der Islam zeigt, was ein Gottesstaat nach den Norm
Abdel-Hakim Ourghi hat Recht, die Kirchen schließen um des Selbsterhalts willen Bündnisse mit dem Islam, zuvörderst mit den erzkonservativen Verbänden. Sie hoffen auf diese Weise, die angeblich lebenswichtige Rolle von Glauben und Religion wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen zu heben und die Phalanx gegen die verhassten Säkularen, Atheisten und Humanisten zu stärken. Und unsere regierenden Politiker wollen diese unheilig Allianz offenbar bewusst, sind sie doch in ihrer Mehrheit der verlängerte Arm der Kirchen und haben kräftig mitgewirkt an der Etablierung der »Kirchenrepublik Deutschland«.
Ulrich Hundertmark am Permanenter Link
Die "konservativ- islamische Parallelgesellschaft ist doch -zumindest in den Großstädten- schon seit mindestens 15 Jahren Fakt. Aber was ja nicht sein darf -kann nicht sein! ...