Anzeige nach 219a für die Teilnahme an einem Interview

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Vertreterinnen der "Medical Students for Choice" auf einer Demo gegen Paragraph 219a in Berlin
"Medical Students for Choice"

Alicia Baier, Vorsitzende von Doctors for Choice Germany, wurde dieses Jahr wegen "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" angezeigt. Hier spricht sie über ihre persönlichen Erfahrungen mit der Anzeige und warum Paragraph 219a StGB so problematisch ist.

Im Januar 2021 wurde mir postalisch eine Anzeige der Staatsanwaltschaft (StA) Augsburg zugesandt: Es gäbe ein Ermittlungsverfahren gegen mich wegen "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft", sprich eine Strafanzeige nach Paragraph 219a StGB. Wie ich im Verlauf erfuhr, bezog sich die Anzeige auf meine Teilnahme als Interviewpartnerin in diesem Interview. Es war vom Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie in Auftrag gegeben worden. Ich spreche darin unter anderem über die Methoden des Schwangerschaftsabbruchs. Die Anzeige wurde an die StA Berlin weitergegeben, da ich hier wohnhaft bin. Einige Monate lang wusste ich nicht, ob die StA Berlin Anklage erheben würde oder nicht, was sehr unangenehm war. Letztendlich wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt: Es gab keinen ausreichenden Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Klage.

Diesmal habe ich noch einmal Glück gehabt – aber was bedeutet diese Bedrohung für mich und andere Ärzt*innen und Aktivist*innen? Wie frei können wir in der Öffentlichkeit noch sprechen, ohne eine Anzeige befürchten zu müssen? Welche Berufsgruppen könnte der Paragraph noch bedrohen? Am Ende auch Journalist*innen?

Dass es eine Anzeige nach Paragraph 219a StGB nun auch für allgemein gehaltene Aussagen zum Schwangerschaftsabbruch in Interviews gibt, ist auf jeden Fall ein Novum – so waren bisher hauptsächlich Praxisinhaber*innen angezeigt worden, die auf ihrer Webseite über den Schwangerschaftsabbruch informierten. Dies stellt eine neue Eskalationsstufe in der Einschüchterung von Menschen dar, die sich im Bereich reproduktiver Rechte engagieren.

Beunruhigend ist zudem, dass sich der Kreis der Männer, die Ärzt*innen nach Paragraph 219a StGB anzeigen, zu erweitern scheint: In den letzten Jahren gingen die Anzeigen üblicherweise von einem der beiden Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen aus Weinheim oder Yannic Hendricks aus Kleve aus. Im Fall meiner Interview-Anzeige war es jedoch ein Fotograf aus Augsburg, der sich bereits seit einigen Jahren öffentlich gegen die Rechte schwangerer Menschen einsetzt: Andreas Düren. 2019 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Alicia Düren den (als gemeinnützig anerkannten!) fundamentalistischen Verein sundaysforlife. Als dessen Vorstandsvorsitzender kann er sich seitdem noch wirkungsvoller gegen die Rechte schwangerer Menschen einsetzen. Vor kurzem wurde zudem der Gynäkologe Detlef Merchel von einem 30-jährigen Abtreibungsgegner aus Frankfurt am Main angezeigt und zu einer Geldstrafe von 3.000 Euro verurteilt. Mehr Informationen zu diesem Fall gibt es hier.

Erschreckend und kaum zu glauben ist übrigens auch, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg, die meine Anzeige veranlasste, schon mehrfach wegen dubioser Vorgänge, Nepotismus und nicht-objektiver Anzeigen und Verfahren in die öffentliche Kritik geraten ist. Sie scheint sich in ihren Ermittlungen von den Interessen der CSU leiten zu lassen. Nachlesen kann man das hier.

All diese Entwicklungen zeigen, dass feministische und menschenrechtliche Aktivitäten für die Gesundheit von schwangeren Menschen vermehrt unter Beschuss stehen. Menschen, die im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs professionell, sachbezogen und in Einklang mit Empfehlungen unter anderem der Weltgesundheitsorganisation arbeiten, benötigen in Deutschland dringend mehr Schutz vor Angriffen aus dem rechten beziehungsweise christlich-fundamentalistischen Lager!

Der Paragraph 219a StGB, insbesondere in seiner reformierten Form seit 2019, bietet hingegen genau diesen Angriffen eine ideale Plattform. Die Mehrheit der Bevölkerung und auch die Mehrheit der Parteien ist mittlerweile für eine Abschaffung des Paragraphen. Expert*innen verschiedener Fachbereiche haben in den letzten Jahren mit klaren und überzeugenden Argumenten für die Streichung von Paragraph 219a plädiert. Selbst internationale Menschenrechts- und Gesundheitsorganisationen fordern Deutschland zur Abschaffung auf. Als junge Ärztin bin ich fassungslos, dass wir trotz alldem immer noch mit diesem hoffnungslos veralteten und menschenrechtsfeindlichen Paragraphen leben müssen.

Übernahme von der Website von Doctors for Choice Germany e. V. mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

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