Kriegspredigten von 1933 bis 1945

Auf in den Tod!

Auch die Kirchenleitungen haben zur geistigen, moralischen und religiösen Aufrüstung des deutschen Volkes ernorm beigetragen, denn sie waren in beiden Weltkriegen eng mit der Politik verbunden. Der katholische Bischof Michael von Faulhaber (Speyer) sprach 1915 von einem heiligen und gerechten Krieg, den die Deutschen gegen die atheistische Republik in Frankreich und gegen die moralische "Hure Babylon" (Paris) führen müssten. Im Jahr 1917 lehnten die deutschen und die französischen Bischöfe die Friedensinitiative des Papstes Benedikt XV. in Rom ab.28

In die Entstehung der NS-Partei ist von den Anfängen an viel nationalistisches und traditionalistisches Denken eingeflossen, das auch von den Theologen und Bischöfen verbreitet wurde. Nur so wird verständlich, warum diese Partei von einer Mehrheit des Volkes begeistert mitgetragen wurde, in der 96 Prozent einer der beiden Kirchen angehörten. Die NS-Partei war also keineswegs "gottlos", wie nach dem Krieg von den Kirchenführern oft behauptet wurde. Ihre Anhänger waren "gottgläubig" oder kirchengläubig, nur eine Minderheit war atheistisch. SS-Mitglieder durften sich nicht öffentlich als Atheisten darstellen, denn sie kämpften ja gegen den gottlosen Bolschewismus. Die bayerischen Bischöfe hatten wohl ab 1931 die Katholiken vor der Mitarbeit in der NS-Partei gewarnt, weil sie dort kirchenfeindliche Ziele erkannten. Doch die Vertreter der Zentrumspartei unterstützten 1933 das Ermächtigungsgesetz im Reichstag. Und im Juli 1933 schlossen die höchsten Kirchenvertreter in Rom das Reichskonkordat mit der NS-Regierung. Die Bischöfe und Kleriker sollten sich fortan aller politischen Stellungnahmen und Tätigkeiten enthalten. Deswegen protestierten die Bischöfe nicht gegen die Nürnberger Rassengesetze und gegen die Reichsprogromnacht, auch nicht gegen die Deportationen der Juden. Und sie trugen den Krieg bis zum tragischen Ende voll mit.29

Im August 1943 hatten die katholischen Bischöfe einen "Dekalog-Hirtenbrief" verfasst, der die Tötung von Menschen wegen ihrer Rassenzugehörigkeit kritisierte. Doch dieser Hirtenbrief konnte nicht viel bewirken. Auf Grund der Kritik an der Tötung "unwerten Lebens" durch den Bischof von Münster, August Graf von Galen, wurde das Euthanasieprogramm zwar reduziert, aber keineswegs beendet. Der große Abgesang auf das alte Herrschaftschristentum aber fand am 1. Mai 1945 statt. Da feierte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Adolf Bertram im Dom zu Breslau das Requiem für den "im Kampf gegen den Feind gefallenen Führer und Reichskanzler Adolf Hitler". Zu dieser Zeit war Breslau bereits von der Roten Armee eingeschlossen, fünf Tage später wurde die Stadt erobert.30

Auch die protestantische Kirchenleitung hatte mit der NS-Regierung 1933 einen Kirchenvertrag geschlossen, sie trug damit die Politik dieser Regierung bis 1945 voll mit. Einige Bischöfe hatten versucht, kritische Eingaben an den Führer und Reichskanzler zu machen, diese blieben ohne Erfolg. Die Landeskirchen von Sachsen, Mecklenburg, Thüringen und Anhalt hatten die getauften Juden als Nichtarier aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen. Vor allem die "Deutschen Christen" unterstützten die NS-Politik mit starker Überzeugung, für eine kritische Distanz zur Politik trat nur die "Bekennende Kirche" ein. Doch 1945 traten die meisten protestantischen Bischöfe von ihren Ämtern zurück, während alle katholischen Bischöfe in ihren Ämtern verblieben.31

Die Vertreter der protestantischen Kirchen veröffentlichten im Oktober 1945 in Stuttgart ein Schuldbekenntnis der protestantischen Kirchen an der Katastrophe des Krieges und der Judenvernichtung. Die katholischen Bischöfe lehnten in einer Erklärung vom August 1945 eine Gesamtschuld des deutschen Volkes ab, es gäbe nur die persönliche Schuld einzelner Personen, die in ihrem Gewissen irregeleitet wurden. Sie protestierten auch gegen die politische Umerziehung (reeducation) und die Entnazifizierung der Deutschen durch die Besatzungsmächte.

Die NS-Theologen blieben mit großer Mehrheit nach 1945 auf ihren Lehrstühlen an den Universitäten, von ihnen kam kaum ein Schuldbekenntnis oder ein Umdenken in der Theologie. Sie blieben bei ihren alten Grundlehren, die sie nun mit verdeckten Argumenten an die Schüler weitergaben. Erst in den frühen 1960er Jahren, als jüngere Theologen an die Universitäten kamen, gab es eine zaghafte geistige Umorientierung der Theologie. Sie wurde durch die Studentenbewegung und durch die Orientierung an einer neomarxistischen Philosophie beschleunigt. Die Denkformen der rationalen Aufklärung, der Demokratie und der allgemeinen Menschenrechte, des Kritischen Rationalismus und der Pragmatischen Philosophie wurden erst spät in der deutschen Theologie rezipiert.32

Fazit

Die geistige, moralische und religiöse Aufrüstung durch die Theologen und Kirchenleitungen war in den beiden Weltkriegen und in der NS-Ideologie viel stärker als bisher angenommen. Schon im Herbst 1914 schrieben protestantische und katholische Theologen in ihren Aufrufen zum großen Krieg, für die Soldaten sei jetzt das Tötungsverbot (5. Gebot) aufgehoben, für sie gelte jetzt eine Moral im höheren Licht. Ja, über Fragen der Moral dürfe im Krieg gar nicht diskutiert werden, den Soldaten sei alles erlaubt, was ihrer Truppe einen Vorteil bringe (N. Machiavelli). Diese Außerkraftsetzung der bisherigen Moral enthält bereits das Grundkonzept der späteren NS-Partei. Die Gründer dieser Partei hörten die Lehren der Theologen und Philosophen während des ganzen 1. Weltkrieges von den Feldpredigern und Offizieren. Beide Kirchen haben den Zusammenbruch der Moral in beiden Kriegen voll mitgetragen, ihre Lehre vom gerechten und heiligen Krieg hat praktisch alle Mittel des Kampfes erlaubt und legalisiert. Damit verteilt sich die Frage der Verantwortung für die Katastrophen der beiden Weltkriege auf viel mehr Schultern und Köpfe als bisher gedacht. Sie betrifft im Besonderen die geistigen, religiösen und moralischen Eliten der Gesellschaft im späten Kaiserreich. Vor allem ist der Anteil der Religion an dieser geistigen Aufrüstung viel stärker als die meisten Historiker und Theologen bisher gedacht hatten.

Der Artikel erschien zuerst in "Aufklärung in Kritik" 1/16, der Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie.


  1. H. Münkler, Der große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918. Berlin 1913, S. 222-234. ↩︎
  2. H. Münkler, Der große Krieg, S. 243-266. ↩︎
  3. E. Troeltsch, Nach Erklärung der Mobilmachung. Heidelberg 1914, S. 7-10. ↩︎
  4. E. Troeltsch, Deutscher Glaube und Deutsche Sittlichkeit in unserem großen Kriege. Berlin 1914, S. 11-22. ↩︎
  5. E. Troeltsch, Deutscher Glaube und Deutsche Sittlichkeit, S. 23-28. K. Flasch, Die geistige Mobilmachung. Berlin 2000, S. 148-170. ↩︎
  6. A. von Harnack, Aus der Friedens- und Kriegsarbeit. Gießen 1916, S. 149-154. ↩︎
  7. J. Mausbach, "Vom gerechten Krieg und seinen Wirkungen". In: Hochland 12 (1914) , S. 5-12. ↩︎
  8. J. Mausbach, Vom gerechten Krieg und seinen Wirkungen, S. 4-12. A. Grabner-Haider, Hitlers Theologie des Todes. Kevelaer, S. 114-125. ↩︎
  9. A. Grabner-Haider/P. Strasser, Hitlers mythische Religion. Wien 2007, S. 145-170. A. Hitler, Mein Kampf. München 1925, S. 630-639. A. Hitler, Ausgewählte Reden des Führers. München 1939, S. 29-42. ↩︎
  10. 10 A. Grabner-Haider/P. Strasser, Hitlers mythische Religion, S. 145-169. ↩︎
  11. A. Grabner-Haider/P. Strasser, Hitlers mythische Religion, S. 177-190. ↩︎
  12. A. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. München 1930. A. Hitler, Mein Kampf. München 1925, S. 635-650. ↩︎
  13. M. Schmaus, Begegnungen zwischen katholischem Christentum und nationalsozialistischer Weltanschauung. Münster 1933, S. 5-10. ↩︎
  14. M. Schmaus, Begegnungen, S. 10-21. ↩︎
  15. J. Lortz, Katholische Zugänge zum Nationalsozialismus. Frankfurt 1933, S. 12-28. ↩︎
  16. 16 K. Adam, „Deutsches Volkstum und lutherisches Christentum“. In: Theologische Quartalschrift. Tübingen 1933, S. 40-63. ↩︎
  17. A. Hudal, Die Grundlagen des Nationalsozialismus. Wien/Leipzig 1937, S. 9-20; 28-42 ↩︎
  18. A. Hudal, Die Grundlagen des Nationalsozialismus, S. 240-253. ↩︎
  19. A. Hudal, Römische Tagebücher. Lebensbeichte eines alten Bischofs. Graz/Stuttgart 1976, S. 21ff. ↩︎
  20. G. Kittel, Die Judenfrage. Berlin 1933, S. 66-82. ↩︎
  21. G. Kittel, Die Judenfrage, S. 86-99. R.P. Ericksen, Theologen unter Hitler. München 12986, S. 100-112. ↩︎
  22. P. Althaus, Die deutsche Stunde der Kirche. Göttingen 1933, S. 67-82. Ders., Theologie des Volkes. Göttingen 1937, S. 104-123. ↩︎
  23. R.P. Ericksen, Theologen unter Hitler, S. 122-139. ↩︎
  24. E. Hirsch, Das Wesen des Christentums. Göttingen 1939, S. 45-62. R.P. Ericksen, Theologen unter Hitler, S. 213-233. ↩︎
  25. E. Hirsch, Das Wesen des Christentums, S. 14-28. ↩︎
  26. E. Hirsch, Das Wesen des Christentums 30-48.

    R.P. Ericksen, Theologen unter Hitler, S. 120-134.

  27. A. Grabner-Haider, Hitlers Theologie des Todes, S. 103-120. A. Grabner-Haider/P. Strasser, Hitlers mythische Religion, S. 177-192. ↩︎
  28. F.W. Graf, Der heilige Zeitgeist. Tübingen 2011, S. 483-509. ↩︎
  29. E. Gatz, Die katholische Kirche in Deutschland, S. 95-105. ↩︎
  30. R.P. Ericksen, Theologen unter Hitler, S. 22-34. ↩︎
  31. M. Greschat, Protestantismus in Europa. München 2009, S. 67-83. E. Gatz, Die katholische Kirche in Deutschland, S. 104-119. ↩︎
  32. A. Grabner-Haider/P. Strasser, Hitlers mythische Religion, S. 11-25. ↩︎