2023 feiert Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben sein 25-jähriges Bestehen. Zum Beginn des Jubiläumsjahrs wirft der Verein einen Blick zurück auf die Tätigkeiten 2022 und einen Ausblick auf die Planungen für das aktuelle Jahr. In der Schweiz setzte der Verein einen Schwerpunkt bei der Sicherung des Zugangs von Bewohnerinnen und Bewohnern von öffentlichen Heimen zur Suizidhilfe. Im operativen Bereich blieben die umfassende Beratung von Informations- und Hilfesuchenden und die Suizidversuchsprävention Kern der Tätigkeit von Dignitas. Auch im laufenden Jahr setzt der Verein seine politische Arbeit für eine verbesserte Rechtslage zugunsten des (Menschen-)Rechts auf Selbstbestimmung über das eigene Lebensende im In- und Ausland fort.
Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben ist ein gemeinnützig tätiger Verein. Er stärkt Menschen darin, ihr Leben bezüglich Gesundheit und Lebensende selbstbestimmt zu gestalten und insbesondere über Art und Zeitpunkt ihres Lebensendes selbst zu entscheiden. Dies ist insbesondere für Länder von Bedeutung, in welchen bislang diese Freiheit fehlt. Im ergebnisoffenen Beratungsgespräch zu Suizidversuchsprävention, Patientenverfügung, Palliativmedizin und Freitodbegleitung bietet Dignitas seinen Mitgliedern, Angehörigen und weiteren Interessierten die dafür benötigten Entscheidungsgrundlagen. Das Dignitas-Team umfasst 34 Teilzeit-Mitarbeitende in der Beratung, Begleitung, Mitgliederadministration, im Rechnungswesen, in Recht, Politik und Kommunikation und in der Vereinsleitung. Der Verein wird durch externe, unabhängige Fachpersonen aus Medizin, Recht, Informatik und Treuhand unterstützt.
2022: Engagement für verbesserte Rechtslage nicht nur im Ausland
Dignitas führte auch 2022 sein juristisches und politisches Engagement weiter. Dieses dient der internationalen Durchsetzung des vom Schweizerischen Bundesgericht 2006 und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2011 anerkannten Menschenrechts, über Art und Zeitpunkt seines Lebensendes selbst zu entscheiden.
Ein besonderes Augenmerk des Vereins lag 2022 auf der Schweiz, wo in verschiedenen Kantonen der Zugang von Suizidhilfeorganisationen zu Alters- und Pflegeheimen diskutiert wird. Bisher entscheiden meistens die Heimleitungen darüber – eine Ablehnung ist allerdings ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Bewohnerinnen und Bewohner. Es darf nicht sein, dass jemand das Heim, also seinen letzten Wohnort, verlassen muss, um dieses Recht in Anspruch nehmen zu können; erst recht nicht, wenn dieses Heim durch staatliche Gelder mitfinanziert wird.
Nachdem die juristische Arbeit der beiden Dignitas-Vereine in der Schweiz und in Deutschland am 26. Februar 2020 zur Nichtigerklärung des Verbots der professionellen Suizidhilfe durch das deutsche Bundesverfassungsgericht führte, und in Österreich der Verfassungsgerichtshof im Urteil vom 11. Dezember 2020 zu einem von Dignitas in Auftrag gegebenen Gerichtsverfahren das Blanko-Verbot der Suizidhilfe als verfassungswidrig erklärte, hat der Verein 2021 und 2022 beim höchsten französischen Verwaltungsgericht, dem Conseil d’État, zwei Verfahren gegen das Suizidhilfeverbot in Frankreich eingeleitet. Ende 2022 entschied dieser in beiden Fällen, der Argumentation von Dignitas nicht zu folgen. Zwar wird in Frankreich derzeit die Legalisierung einer Form von Sterbehilfe breit diskutiert, doch wann ein Gesetzesentwurf vorliegt, ob dieser die Wahlfreiheit über das eigene Lebensende tatsächlich gewährleistet und ob er eine Mehrheit im Parlament finden wird, ist alles andere als sicher. Dignitas prüft nun weitere rechtliche Schritte.
Im Rahmen seiner politischen Arbeit beteiligte sich Dignitas im Jahr 2022 beratend und unterstützend an einer Reihe von Debatten zur Regelung von Selbstbestimmung über das eigene Lebensende, unter anderem in Frankreich, im Vereinigten Königreich und in Polen.
Die juristisch-politische Arbeit des Vereins (Gerichtsentscheide, Berichte, Stellungnahmen, etc.) ist auf www.dignitas.ch dokumentiert.
Suizidversuchsprävention im Zentrum der Beratungstätigkeit
Die Suizidversuchsprävention ist Kern der umfassenden Beratungstätigkeit von Dignitas: Nur wenn ein Mensch in seinem Wunsch, sein Leiden und Leben aus was für Gründen auch immer selbst zu beenden, ernst genommen wird, und ihm in einem ergebnisoffenen Gespräch mögliche Optionen und ein realer Notausgang aufgezeigt werden, kann verhindert werden, dass der Druck durch Aussichtslosigkeit und Verzweiflung steigt und er auf riskante Weise einen einsamen Suizid versucht.
Auch 2022 wandten sich täglich dutzende von Menschen aus dem In- und Ausland telefonisch oder schriftlich an den Verein. Rund ein Drittel der telefonischen Anfragen erfolgen durch Nicht-Mitglieder; diese erhalten eine kostenlose Erstberatung. Oft fehlen Hilfesuchenden die für eine Entscheidung notwendigen Informationen zu verschiedenen Optionen und Wegen zur Verbesserung ihrer Lebensqualität. Im ergebnisoffenen Beratungsgespräch zu Suizidversuchsprävention, Patientenverfügung, Palliativmedizin und Freitodbegleitung bietet Dignitas seinen Mitgliedern, Angehörigen und weiteren Interessierten die dafür benötigten Entscheidungsgrundlagen. Die Suizidhilfe ist nur ein Thema unter anderen.
Wer Mitglied wird, tut dies in der Regel nicht, weil er sterben möchte
Der Verein Dignitas finanziert seine Tätigkeit zu einem großen Teil durch Mitgliederbeiträge. Per Ende 2022 lag die Zahl der Vereinsmitglieder von Dignitas bei 11.856 .
Wer Mitglied wird, tut dies in der Regel nicht, weil er sterben möchte, sondern weil er die breitgefächerte Tätigkeit des Vereins unterstützen und die Sicherheit einer Wahl haben will. Auch 2022 nahm nur ein kleiner Anteil der Dignitas-Mitglieder – weniger als 3 Prozent – eine Freitodbegleitung in Anspruch: 206 Personen. In den letzten Jahren nahmen stets weniger als 50 Prozent aller Mitglieder, deren Gesuch um Freitodbegleitung vollständig und durch einen von Dignitas unabhängigen Schweizer Arzt gutgeheißen worden war, die Freitodbegleitung effektiv in Anspruch.
Die Beratung sowie die Vorbereitung und Durchführung von Freitodbegleitungen, insbesondere für Personen aus dem Ausland, sind sehr aufwändig. Die damit verbundenen Kosten können von den Mitgliedern nicht immer selbst getragen werden. Manchmal ist gar der jährliche Mitgliederbeitrag von CHF 80 eine Hürde. Dignitas steht jedoch allen Personen unabhängig von ihrer finanziellen Lage offen und ermöglicht in solchen Fällen statutengemäß eine Reduktion von Beitragszahlungen oder auch deren vollständigen Erlass. Im Jahr 2022 gewährte Dignitas solche Erlasse im Umfang von CHF 111.804.
Die Möglichkeit, professionelle Suizidhilfe zu beanspruchen, entspricht in den meisten modernen Ländern dem Wunsch einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. Obschon in einer wachsenden Anzahl von Ländern Suizidhilfe und/oder direkte aktive Sterbehilfe legalisiert wird, berücksichtigen Gesetze, Rechtsprechung und die Praxis von Gesundheitseinrichtungen die Wahlfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Lebensende vielerorts nur unzureichend. Mit seiner Informations-, Aufklärungs- und Beratungsarbeit für Politik, Verwaltung, private Institutionen und Öffentlichkeit trägt Dignitas dazu bei, diesen Missstand zu beheben.
Das umfassende Know-how von Dignitas zu Suizidversuchsprävention, Sicherung der Lebensqualität und Selbstbestimmung bezüglich des eigenen Lebensendes wird international geschätzt und genutzt. Nebst der täglichen umfassenden und ergebnisoffenen Beratung von Hilfesuchenden stellt der Verein Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben seine Erfahrung aus bald 25 Jahren internationaler Tätigkeit interessierten Kreisen im In- und Ausland in Form von Referaten, Präsentationen, Panelgesprächen, Empfang von Fachpersonen und Delegationen aus dem In- und Ausland etc. zur Verfügung.
Auch die Unterstützung von Fachartikeln, Reportagen und Dokumentarfilmen gehören zu diesem Engagement sowie die Beantwortung von unzähligen Anfragen von Schülern, Studierenden, Doktoranden, Forschenden, Medienschaffenden und weiteren interessierten Personen.
Ausblick 2023
Lebensqualität bis zuletzt, Selbstbestimmung und echte Wahlfreiheit, verbunden mit Eigenverantwortung und Vorsorge, sind Werte, die nicht selbstverständlich gegeben sind. Auch wenn in den letzten Jahren in einer Reihe von Ländern der assistierte Suizid und/oder die direkte aktive Sterbehilfe in einem bestimmten Rahmen möglich geworden sind oder dies bald der Fall sein wird: In zahlreichen Ländern nutzen religiös gebundene Moralisten, selbsternannte Experten und angebliche Lebensschützer jede Gelegenheit, den Bürgerinnen und Bürgern Menschenrechte, Patientenautonomie und Selbstbestimmung abzusprechen und die Macht der Kirche, der Medizin und der Politik über Fragen von Leben und Tod zu untermauern.
Der Verein Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben feiert 2023 sein 25-jähriges Bestehen. Er hat in zahlreichen Ländern dazu beigetragen, das Recht des Menschen auf Wahlfreiheit und Selbstbestimmung über das eigene Lebensende durchzusetzen. Niemand soll die Reise in die Schweiz antreten müssen, um von diesem Recht Gebrauch zu machen; diesem Ziel bleibt der Verein weiterhin verpflichtet. Aus freiheitlicher Sicht ist es wichtig, nur dort zu regulieren, wo es für eine sichere Ausübung eines Rechts tatsächlich notwendig ist, und dafür zu sorgen, dass Gesetze nicht just jenes Recht einschränken, das zu gewähren sie vorgeben. Auch in der Schweiz, wo Suizidhilfe seit bald 40 Jahren gefestigte Praxis ist, geht es immer wieder darum, diese Freiheit zu wahren und die Voraussetzungen zu schaffen, dass jeder Mensch über sein Lebensende selbst bestimmen und dazu professionelle Beratung, Unterstützung und Begleitung in Anspruch nehmen kann, wenn dies seinem Wunsch entspricht.