Interview mit Dr. med. Natalie Grams

Von der Homöopathin zur aktiven Homöopathie-Kritikerin

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Dr. med. Natalie Grams
Dr. med. Natalie Grams

Natalie Grams war überzeugte homöopathische Ärztin und leitet heute das Informationsnetzwerk Homöopathie, das über die Irrlehren der sog. "Alternativmedizin" aufklärt. Der hpd sprach am Rande der Skepkon mit der Autorin, die ursprünglich ein Buch schreiben wollte, das endlich alle Kritiker und Zweifler von der Homöopathie überzeugen sollte. Doch es kam anders.

hpd: Wie kam es dazu, dass Sie sich vom "Saulus zum Paulus" wandelten?

Dr. Natalie Grams: Das kam nicht ganz freiwillig und nicht von heute auf morgen. Ich hatte es als Homöopathin konsequent vermieden, mich wirklich und in der Tiefe mit der Kritik an der Homöopathie auseinanderzusetzen. Erst durch das Buch "Die Homöopathie-Lüge" wurde ich dazu förmlich genötigt. Von da an brach mein bis dahin sicher geglaubtes Weltbild zunehmen in sich zusammen.

Das stimmt optimistisch; bedeutet es doch, dass aufklärende Bücher etwas bewirken.

In diesem Fall auf jeden Fall! Und das hoffe ich bei meinem Buch auch immer noch, musste aber leider die Erfahrung machen, dass Homöopathen es genauso ablehnen, wie ich früher andere kritische Bücher und Texte abgelehnt habe. Und das, obwohl ich es in der Hoffnung geschrieben hatte, dass auch andere Homöopathen vielleicht bisher nur nicht wussten, was mit der Homöopathie nicht stimmt, und es genauso heraus finden wollten, wie ich es getan habe. Es ist sehr kollegial geschrieben und ich wollte ernsthaft versuchen einen Konsens zu finden, auf dessen Basis wir im 21. Jahrhundert neu über die Homöopathie nachdenken können. Aber da habe ich mich schwer getäuscht.

Cover

Man sagt ja: "Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche". Gilt das auch für Sie? Sind Sie deshalb besonders engagiert gegen die Homöopathie, weil Sie genau wissen, wie auf deren Seite argumentiert wird?

Es gab keinen "Masterplan" nach dem Motto "Von der Homöopathin zur aktiven Homöopathie-Kritikerin". Das ist einfach so gekommen, nachdem mein Buch solche Wellen ausgelöst hat. Und auch, weil mich letztlich die bösartigen und ablehnenden Reaktionen der Homöopathen motiviert haben, hier wenn schon nicht für meinen Ex-Berufsstand, dann doch für die vielen, bei genau diesen Personen Hilfe suchenden Patienten, Aufklärung anzubieten. Insofern bin ich ein schlimmer Elch, ja.

Ich gehe davon aus, dass eine bessere naturwissenschaftliche Ausbildung vor Verschwörungstheorien bewahrt. Stimmen Sie dem zu?

Ich kann das so nicht bestätigen, denn ich war immer an Naturwissenschaften interessiert, in Chemie habe ich sogar Leistungskurs gehabt und das beste Chemie-Abitur meines Jahrgangs in Bayern abgelegt. Auch in meiner Familie gibt es Naturwissenschaftler. Fern war mir das also nie – und es hat mich doch nicht vor dem Glauben an die Homöopathie bewahrt, weil Glauben und Wissen eben doch zwei verschiedene Dinge sind.

"Mir kam die Homöopathie immer wie so eine Art 'Parallelwissen' vor."

Mir kam die Homöopathie immer wie so eine Art "Parallelwissen" vor, dass genauso erlaubt und berechtigt ist wie das naturwissenschaftliche Wissen. Es war schwer einzusehen, wie sehr ich mich da getäuscht habe.

Umso wichtiger finde ich aus heutiger Perspektive, dass Naturwissenschaften in Schule und Universität nicht nur theoretisch-abstraktes "Schulwissen" bleiben, sondern dass auch verstanden wird, welche Bedeutung sie tatsächlich haben. Was z. B. Naturgesetze bedeuten und dass man sie nicht umgehen kann mit dem Glauben.

Das bedeutet ja nichts anderes als "Doppeldenk"…

Ja, ich habe lange doppelt gedacht, oder auf zwei verschiedene Weisen. Ich habe erst durch ein Buch von Kahneman verstanden, das sich mit "schnellem und langsamen Denken" beschäftigt, dass ich der Homöopathie mit meinem schnellen intuitiven Denken, vielleicht "Bauchgefühlsdenken", angehangen habe, während ich sonst schon in der Lage zu rational-analytischem, also langsamen, Denken war. Ich habe die kognitive Dissonanz vermieden, indem ich die Homöopathie erst sehr spät auch rational hinterfragt habe

Praktizieren Sie wieder als Ärztin?

Nein, derzeit nicht mehr. Ich brauchte für meine Tätigkeit als reine homöopathische Privatärztin keinen Facharzt. Nach der Aufgabe meiner Praxis konnte ich deshalb aber nicht weiter als Ärztin arbeiten; ich hätte einen Facharzt weitermachen müssen. Das war mit meiner Lebenssituation und auch den zunehmenden Aufgaben für das Informationsnetzwerk Homöopathie nicht vereinbar.

Seit Januar arbeite ich als Kommunikationsmanagerin für die GWUP und den DKB. Aber wer weiß, vielleicht mache ich meinen Facharzt, wenn die Kinder größer sind – ich war immer sehr gerne Ärztin.

Das Gespräch führte Frank Nicolai für den hpd.