Kolumne: Sitte & Anstand

Ist Kindesmisshandlung okay? Ein Staatsanwalt argumentiert mit der Bibel

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Der Oldenburger Fall hat einige Beachtung gefunden. In einem Prozess wegen Kindesmisshandlung erschien der Angeklagte ohne Verteidigung vor Gericht. Dafür nahm ihn dann der Staatsanwalt in Schutz. Er berief sich dabei auf kein deutsches Gesetzbuch, sondern auf eine Sprüchesammlung eines bronzezeitlichen Gotteskultes. Schon in der Bibel, so der Staatsanwalt, heiße es, wer seine Kinder liebe, der züchtige sie, und auch der Experte in Kindererziehungsfragen, Papst Franziskus, habe bekanntlich das Schlagen von Kindern zur Normalität erklärt.

Wie genau es nun dazu gekommen ist, dass ein relativ kleiner Prozess an einem Provinzgericht bundesweite Aufmerksamkeit erfuhr, wissen wir nicht genau. Die Richterin jedenfalls sei "erstaunt und fassungslos" gewesen, hat ein Sprecher des Oldenburger Landgerichts mitgeteilt, und die Staatsanwaltschaft vergaß nicht, eine Distanzierung vom Kollegen nachzuschieben.

Deren argumentativen Kern muss man mal auf sich wirken lassen. Die Staatsanwaltschaft wird zitiert mit den Worten: "Die Staatsanwaltschaft Oldenburg bedauert die überaus missverständliche, unangebrachte und nicht zeitgemäße Wortwahl ihres Anklagevertreters."

Je nun.

Missverständlich? Missverständlich ist an dem Zitat, wie es uns seit Polter-Luthers Übersetzung auf Deutsch dargeboten wird, relativ wenig, und so hat es auch eine üble Wirkungsgeschichte entfaltet: Schläge seien nicht nur entschuldbar, sondern notwendig, sie seien ein wesentliches Instrument im Umgang mit Kindern. Es gehört schon einiges an theologischer (oder juristischer) Feinwäsche dazu, an dieser klaren Setzung vorbeizukommen.

Unangebracht? Hmnein. Njet. No! Unangebracht ist es nicht, Schläge gegen Kinder okay zu finden. Es ist schlicht falsch. Es ist abstoßend. Es verstößt gegen die Überzeugungen, auf denen unsere Gesellschaft mitsamt ihrer Strafgesetze gründet, und auch in der Oldenburger Staatsanwaltschaft sollten diese bekannt sein: Gewalt gegen Kinder gehört verurteilt. "Unangebracht" ist ein tückisches Label: Es verurteilt nicht den Gedanken an sich, sondern unterstellt, er werde nur in einem falschen Zusammenhang geäußert.

So wie ich auf der Dinnerparty nicht meine Partnerin plötzlich hörbar mit intimen Koseworten bedenke. So wie ich nicht morgens auf dem Weg zum Job in der S-Bahn anfange, laut Hertha-Lieder zu singen. So wie ich nicht über das Erbe der Großtante spekuliere, wenn die Großtante dabei ist. Unangebracht? Ja, gibt es denn einen Kontext, in dem die Gewaltbejahung des Staatsanwalts angebracht wäre, etwa bei ihm im Kinderzimmer?

Und drittens: Nicht zeitgemäß? Das ist eine Schein-Verurteilung, die sich von Inhalten losgelöst hat und nur noch auf Ideen-Moden bezieht. Dabei müsste Gewalt gegen Kinder, so würde man als aufgeklärter Mensch meinen, doch aus Respekt vor der Unverletzlichkeit der Person zu verurteilen sein, und zwar nicht nur heute, sondern auch vorgestern und immerdar? Sonst können wir ein friedliches Zusammenleben als Ideal auch knicken, dann können wir unseren Rechtsstaat aufgeben, können uns in unsere Höhle verkriechen und zuschauen, wie sich draußen auf der Straße die Leute alle totschlagen. "Nicht zeitgemäß" als Argument? Das klingt schon fast wie eine Drohung. Als wären unsere Werte eben nur eine zeitgenössische Marotte. Zeiten kommen und gehen, Moden des Denkens und Empfindens tauchen auf und verschwinden wieder. Zeitgemäß?

Kinder zu schlagen ist nicht menschgemäß, das wird Ihnen, liebe Oldenburger Staatsanwaltschaft, jedes Kind gerne bestätigen.

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