Staatliche Richtline fordert Anti-Abtreibungstag an bayerischen Schulen

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Abtreibungsgegner beim "Marsch für das Leben" in Berlin 2018
"Marsch für das Leben" 2018

In einer "Richtlinie für die Familien- und Sexualerziehung" schreibt die bayerische Landesregierung den Schulen einen jährlichen "Aktionstag für das Leben" vor. Dem hpd erklärte das Kultusministerium, dass damit bei den Kindern die Verantwortung vor dem ungeborenen Leben geweckt werden solle. Den Vorwurf, eine staatliche Anti-Abtreibungskampagne zu betreiben, weist das Ministerium zurück.

In Bayern sorgte vor einigen Monaten eine Anfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Jan Schiffers für Aufsehen – nicht weil er selbst etwas Skandalöses von sich gab, sondern wegen dem, was er mit einer einfachen Anfrage an die Landesregierung ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Schiffers fragte, an wie vielen weiterführenden Schulen ein "Aktionstag für das Leben" durchgeführt worden sei und ob es auch Schulen gebe, die in den vergangenen fünf Jahren keinen Aktionstag durchgeführt hätten. Der SPD-Landtagsabgeordnete Florian von Brunn verschaffte mit folgendem Tweet der Richtline schließlich bundesweite Prominenz: "Markus Söder und sein Kultusminister wollen Schulen verpflichten, einen jährlichen Anti-Abtreibungstag abzuhalten. Ist das im Jahr 2021 wirklich der Ernst dieser Staatsregierung?! Ich bin entsetzt über so eine reaktionäre Idee." Dies brachte den im Kultusvertrag festgelegten "Aktionstag für das Leben" dann auch medial ans Licht (unter anderem in der taz).

Tweet des SPD-Landtagsabgeordneten Florian von Brunn
Screenshot: Twitter

Tatsächlich existiert die Richtline im Kultusministerium bereits seit 2016 und entstammt noch der Feder Horst Seehofers und seines damaligen Kultusministers, dem erzkonservativen Theologen Ludwig Spaenle (beide CSU). Damals konnte sich die Richtlinie auf Druck von Aktivisten vom "Marsch für das Leben" und der "Demo für Alle" in die Schulrichtlinien einschleichen, ohne dass es zu dieser Zeit viel Aufsehen erregte. Der AfD kommt ein solcher Aktionstag selbstverständlich sehr gelegen, da bei ihnen auch personell Verbindungen zu erzkonservativen christlichen Strömungen vorhanden sind: Die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch etwa setzt sich regelmäßig für die "Demo für Alle" ein und zeigte sich an der Spitze des "Marschs für das Leben", deren Ziel es unter anderem ist, Abtreibungen zu verbieten.

Auf die Anfrage des hpd hin wurde der Vorwurf, es handle sich bei dem "Tag für das Leben" um einen "Anti-Abtreibungstag" vom bayerischen Kultusministerium zurückgewiesen. Das Ministerium argumentiert in dem Antwortschreiben an die Redaktion mit dem im Grundgesetz festgeschriebenen Schutz des menschlichen Lebens und behauptet, dass auch ungeborenem menschlichen Leben bereits Menschenwürde zukomme. Das Ministerium hofft, damit an Schulen die "Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Kind zu wecken und den Willen zum Schutz des ungeborenen Lebens bei den Schülerinnen und Schülern zu stärken". Dies lässt auf einen klaren Willen zur Beeinflussung staatlicherseits schließen, der nach Möglichkeit Abtreibungen zu verhindern versucht. Auch dass die Schulen "staatlich anerkannte oder kirchliche Beratungsstellen für Schwangerschaftsfragen" konsultieren sollen, lässt tief blicken. So können Schulen an dem Aktionstag zwar auch ausgewogene Beratungsstellen hinzuziehen, haben jedoch ebenfalls die Möglichkeit, religiöse Vereinigungen und deren äußerst parteiische Sicht an staatlichen Bildungseinrichtungen zu Wort kommen zu lassen. Auch hier vermisst man eine klare Trennung von Staat und religiösen Institutionen.

Plastikembryo
Solche Plastikembryonen werden gerne von Selbstbestimmungsgegner*innen verteilt.
(Foto: © Gisa Bodenstein)

Die Anfrage des AfD-Abgeordneten ergab, dass der Landesregierung keine Informationen vorlägen, wie oft und in welchem Maß der "Tag für das Leben" wirklich an Schulen umgesetzt worden ist. Es sind nur eine Hand voll Schulen bekannt, an denen ein solcher Aktionstag tatsächlich stattgefunden haben soll. Dort wo das geschah, soll multiperspektivisch an das Thema Abtreibung herangegangen worden sein. Das Kultusministerium teilte dem hpd ebenfalls mit, dass der Aktionstag in Eigenverantwortung jeder einzelnen Schule stattzufinden habe und in der Regel unter der Leitung der jeweiligen Verantwortlichen für Familie und Sexualerziehung stehe. Dies lässt die Richtlinie glücklicherweise sehr zahnlos erscheinen und gibt Grund zu der Annahme, dass sie in ihrer derzeitigen Form lediglich auf dem Papier existiert.

Doch genau dies stellt bereits ein rechtlich bedenkliches Problem dar: In einem weltanschaulich neutralen Staat setzt sich eine Landesregierung in der Bildungspolitik für die Position einer bestimmten religiösen Weltsicht ein – damit bezieht die bayerische Landesregierung klar Stellung gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau und versucht bereits auf Heranwachsende Einfluss zu nehmen in der schwierigen Entscheidung, die mit einer Abtreibung ohnehin einhergeht.

Doctors for Choice Germany, ein Netzwerk von Medizinstudierenden, Menschen aus medizinischen Berufen und Jurist*innen, das sich für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität, Fortpflanzung und Familienplanung sowie Gleichberechtigung in der Gesellschaft einsetzt, hält in einer Stellungnahme fest:

"Schüler*innen haben das Recht auf eine politisch unabhängige, wertfreie und umfangreiche Sexualaufklärung. Informationen über (ungewollte) Schwangerschaft und einen sicheren Schwangerschaftsabbruch in den Schulen sollen laut UN-Frauenrechtskonvention in normativer Hinsicht neutral, evidenzbasiert und wissenschaftlich korrekt sein. Neutralität und Wertfreiheit sind jedoch in den Richtlinien nicht zu erkennen, im Gegenteil, ein solcher 'Aktionstag für das Leben' leistet der Tabuisierung des Schwangerschaftsabbruchs und der Stigmatisierung ungewollt Schwangerer Vorschub."

Die Vereinigung fordert das bayerische Kultusministerium auf, "den jährlichen 'Aktionstag für das Leben' aus den Richtlinien zu entfernen und stattdessen einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität und Fortpflanzung durch gendergerechte, wertfreie und medizinisch fundierte Sexualaufklärung zu fördern".

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