Staatsleistungen an die Kirchen bis 2019 ablösen

Standpunkte der Parteien im Deutschen Bundestag zur Ablösung der Staatsleistungen mit ifw-Kommentar

CDU/CSU: "Einer bundesweiten Regelung, Staatsleistungen abzulösen, stehen die vollkommen unterschiedlichen Gegebenheiten in den Bundesländern entgegen. Innerhalb der bestehenden Spielräume wurden in einigen Bundesländern aber bereits einzelne Staatsleistungen einvernehmlich mit den Kirchen abgelöst. Gelegentlich aufkommende Forderungen, bereits erbrachte Zahlungen als ausreichende "Tilgung" und damit als Ablösung zu betrachten, gehen in die Irre. Die bisher erbrachten Leistungen sind zum Beispiel als Entschädigungen für entstandene Nutzungsmöglichkeiten enteigneten Eigentums zu verstehen. Sie können daher nicht als Ablösesumme aufgefasst werden."

ifw-Kommentar:

Zu Satz 1: In Kenntnis der "unterschiedlichen Gegebenheiten" in den Ländern hat bereits vor knapp 100 Jahren die Verfassung von 1919 das Reich (und damit auch den Bund als dessen Rechtsnachfolger) auf die Regelung der Grundsätze beschränkt, aber dazu auch verpflichtet.

Zu Satz 2: Bisher wurden nur einige Baulasten von relativ geringer finanzieller Bedeutung abgelöst, zumal kommunale Baulasten, deren Charakter als Staatsleistungen bei historischer Auslegung zumindest zweifelhaft ist, da die Kommunen nach der Weimarer Staatsrechtslehre nicht als Träger unmittelbarer oder mittelbarer Staatsverwaltung galten. Bei den Staatsleistungen im Kernbereich wurde bisher nichts abgelöst.

Zu Satz 3 und 5: Die Forderung, gezahlte Staatsleistungen als Tilgung anzusehen, bezieht sich darauf, dass die Zahlungen der Länder über einen Zeitraum von nahezu 100 Jahren weit über die Verpflichtung aus dem Jahre 1919 zur übergangsweisen Sicherung der kirchlichen finanziellen Situation hinausgehen und dem Ablöseauftrag des Art. 140 GG/138 Abs. 1 WRV mit Sicherheit widersprechen.

Zu Satz 4: Für die Deutung der gezahlten Staatsleistungen als "Entschädigung für entstandene Nutzungsmöglichkeiten" – gemeint ist wohl: "für entgangene Nutzungsmöglichkeiten" – fehlt jeder Nachweis. Nach dem Verfassungswortlaut müsste es sich um Leistungen zur Bedienung von alten Rechtsverpflichtungen handeln. Für die behaupteten staatlichen Rechtsverpflichtungen waren und sind die Beteiligten aber nachweispflichtig; daran jedoch fehlt es.

Haushaltsrechtlich nicht vertretbar ist es zudem, wenn der Staat jedes Jahr Millionenbeträge ausgibt, ohne zu wissen, ob er hierzu rechtlich verpflichtet ist.

Damit ist diese rechtliche Begründung der Parteiposition brüchig, zeichnet ein Zerrbild der heutigen Rechtswirklichkeit und ignoriert geradeheraus einen Verfassungsauftrag in unserem Rechtsstaat. Es wäre eine Grundgesetzänderung erforderlich, um diese Parteiposition beizubehalten. Oder diese Parteiposition bedarf der Anpassung, um grundgesetzkonform zu sein.

SPD: "Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen zu den grundgesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen für die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen. Dennoch bedürfen die zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Kirchen vertraglich und rechtsgültig vereinbarten Staatsleistungen in einzelnen Bereichen durchaus einer Prüfung. SPD-Expertinnen und Experten aus Bundestagsfraktion und Partei sind daher schon geraume Zeit in entsprechenden Fachgesprächen mit Kirchenvertreterinnen und -vertretern sowie der Wissenschaft zu diesen Themen. Dies ist ein langwieriger Diskussionsprozess, der Bund, Länder und Kommunen einbezieht und einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens erfordert."

ifw-Kommentar:

Diese vage Antwort wirft Fragen zu Ziel, Prozess, Finanzierung und Frist auf. Sie macht vor allem Klarstellungen darüber erforderlich, was bisher unternommen worden ist.

Zu Satz 1 und 2: Wenn die SPD eine Prüfung der "rechtsgültig vereinbarten Staatsleistungen" für geboten hält, stellt sich die Frage, warum sie sich einer solchen Prüfung im Bundestag bisher widersetzt hat. Wenn sich also die bisherige Position der SPD in dieser Frage offenbar verändert hat, so gibt es nun eine Stimmenmehrheit im Bundestag wie auch in den meisten Landtagen für einen Prüfauftrag.

Zu Satz 3 und 4: Von den behaupteten Fachgesprächen von Vertretern der Partei und/oder der Bundestagsfraktion ist bisher nichts Substantielles öffentlich oder auch nur parteiöffentlich bekannt geworden. Auch ist nicht bekannt, wer wen beauftragt hat, solche Gespräche zu führen, mit welchen Kirchenvertretern oder Wissenschaftlern solche Gespräche geführt wurden und welchen Stand diese Gespräche gegebenenfalls erreicht haben. Das wäre aber schon im Blick auf den von der SPD für notwendig gehaltenen breiten Konsens erforderlich. Der zitierte "langwierige Diskussionsprozess" wirkt mit Blick darauf, dass seit der Erteilung des Verfassungsauftrags knapp 99 Jahre und seit Inkrafttreten des Grundgesetzes nahezu 70 Jahre vergangen sind, als kuriose und schlechte Ausrede.

AfD: Bei KORSO Deutschland erfolgte keine Antwort auf den Wahlprüfstein. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 heißt es: "Die Bezahlung von Kirchenrepräsentanten wie Bischöfen etc. aus allgemeinen Steuermitteln ist abzuschaffen".

ifw-Kommentar:

Sollte die AfD mit dieser Forderung meinen, dass aus allgemeinen Steuermitteln auch die Zahlung von Staatsleistungen an die Kirchen abgeschafft werden soll, so ist diese Forderung berechtigt.

Die direkten Staatsleistungen sind zwar nur ein kleiner, ziemlich untergeordneter Teilbereich des Gesamtkomplexes der Kirchenfinanzierung. Davon machen jedoch Gehälter, Gehaltszuschüsse und Pensionen für Seelsorgegeistliche, Bischöfe, Generalvikare, Bischofssekretäre etc. einen großen Teil aus (siehe: https://weltanschauungsrecht.de/Staatsleistungen), auch wenn die Bezahlung heutzutage organisatorisch-buchhalterisch verlagert ist. In den Bundesländern sind alle Staatsleistungen mit Anpassungsklauseln an die staatliche Beamtenbesoldung versehen – steigt die Beamtenbesoldung, steigen die Staatsleistungen. Das verweist darauf, dass es sich weiterhin (indirekt) um die staatliche Besoldung von Kirchenbeamten handelt.

FDP: "Den grundgesetzlichen Auftrag zur Ablösung der Staatsleistungen nehmen wir ernst und verlieren ihn bei allen verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten nicht aus den Augen. Dabei sind wir der Überzeugung, dass die Ablösung nur im Konsens mit den Religionsgemeinschaften gelingen kann."

ifw-Kommentar:

Die FDP war in den Jahren 1972 bis 1974 mit ihren Forderungen zur Beendigung der Staatsleistungen schon sehr viel konkreter. Seitdem hat sie aber nichts Greifbares zur Realisierung unternommen. Es ist nicht bekannt, dass und wie sie sich um den jetzt von ihr für erforderlich gehaltenen "Konsens mit den Religionsgemeinschaften" bemüht, geschweige denn die Ablösung einleitet. Siehe hierzu den Kommentar zur SPD.

Weiterführend ist, was der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP und heutige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki 2016 in seinem Beitrag "Den Verfassungsauftrag endlich erfüllen" formulierte: "Gleichwohl wäre es – gerade im Sinne der Steuerzahler – sachgerecht, wenn sich die betroffenen Länder mit dem Bund auf eine solche Regelung einigen könnten. Dann könnte dieses Kapitel endlich geschlossen werden."

DIE LINKE: "DIE LINKE tritt für die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen und damit für die Einlösung des Verfassungsauftrages von 1919 ein. 2015 haben wir mit einem entsprechenden Antrag im Bundestag keine Mehrheit gefunden (Deutscher Bundestag Drucksache 18/4842 Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 vom 6.5.2015)."

ifw-Kommentar:

Das ist richtig. Die LINKE ist bisher die einzige Partei, die sich nachweislich für die Verwirklichung des Verfassungsauftrags zur Ablösung der Staatsleistungen einsetzt. Auch wenn sie in Thüringen, dem Bundesland, in dem sie den Regierungschef stellt, hierzu bislang mit keiner Initiative bekannt geworden ist. Im Jahr 2012 hat die Linke einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen in den Bundestrag eingebracht (Drs. 17/8791); dieser wurde im Juni 2013 von allen anderen Fraktionen des Bundestages abgelehnt. Ein weiterer Vorstoß der LINKEN vom 6. Mai 2015, wenigstens beim Bundesfinanzministerium eine Kommission zur Evaluierung der Staatsleistungen einzurichten (Drs. 18/4842), wurde im März 2017 bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abgelehnt. Die Positionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD haben sich inzwischen geändert.

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: "Wir wollen den seit 1919 nicht umgesetzten Verfassungsauftrag endlich entschlossen umsetzen. Dazu fordern wir, dass durch die Bundesregierung unverzüglich eine Expertenkommission eingesetzt wird, die eine Gesamtübersicht über die Staatsleistungen anfertigt und Vorschläge für eine entsprechende Ablösungs-Gesetzgebung unterbreitet. Außerdem fordern wir den Bund und die Länder auf, in konkrete Gespräche einzutreten. Parallel dazu sollte ein Dialog mit der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland begonnen werden, um möglichst zügig die erstrebten Ablösungen der Staatsleistungen umsetzen zu können. Zusätzlich und unabhängig davon wollen wir auf Vertrag beruhende Ablösungen vorantreiben und die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür schaffen. Hier sind die Länder zuständig."

ifw-Kommentar: 

Genau das könnte säkulare Rechtspolitik sein. Allerdings sind bislang weder auf Bundes- noch auf Länderebene parlamentarische Initiativen von Bündnis 90/Die Grünen zur Umsetzung dieser Position bekannt geworden. Nicht einmal dem Vorschlag einer Evaluierungskommission zum Thema Ablösung der Staatsleistungen (siehe bei der Partei DIE LINKE) haben die Grünen zugestimmt, oder einen vergleichbaren Vorschlag eingebracht. Eine solche Expertenkommission müsste nach einer umfassenden Bestandsaufnahme zudem berücksichtigen, dass sich die religionssoziologische Situation grundlegend verändert hat und dieser Wandel auch normative Auswirkungen auf etwaige staatliche Verpflichtungen haben kann. Ein ergänzender Hinweis: Neben dem Dialog mit der Bischofskonferenz und dem Rat der EKD auf Bundesebene sind vor allem Gespräche der Landesregierungen mit den Landeskirchen und Diözesen anzustreben, zu denen die Landesparlamente ihre Regierungen auffordern sollten. Derzeit sind die Grünen in sieben Ländern an der Regierung beteiligt und in 14 Landesparlamenten vertreten, sodass sowohl der Weg über den Bundesrat zur Verabschiedung eines Grundsätzegesetzes offensteht, als auch der von der Bundesregierung ebenfalls als gangbar betrachtete Weg über Ablösegesetze der Bundesländer auch ohne ein Rahmengesetz des Bundes.


Anmerkung:

Die Parteien sind in der Reihenfolge ihrer Fraktionsgröße im Deutschen Bundestag genannt. Die vorgenannten Standpunkte stammen aus den Antworten der Parteien auf die Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2017 vom KORSO – Koordinierungsrat säkularer Organisationen und im Fall der AfD aus dem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017, Kapitel Steuern und Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, S. 50.

Das ifw hat Aussagen aus den Antworten der Parteien ausgewählt. Die Kriterien lagen bei der Auswahl der Zitate auf der Kernaussage zur Position in Bezug auf die Ablösung der Staatsleistungen und der rechtlichen Begründung.

Erstveröffentlichung: Institut für Weltanschauungsrecht