Gesetz zur Suizidhilfe für Herbst geplant – Teil 2

Suizidmittel sind weiterhin nicht risikofrei verschreibbar

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Plenarsaal des Deutschen Bundestages
Plenarsaal des Deutschen Bundestages

Ist eine liberale Gesetzgebung zum Herbst, worauf eine Abgeordnetengruppe um Katrin Helling-Plahr abzielt, notwendig und unterstützenswert? Oder kann bereits heute Suizidwilligen mit anderen Mitteln als dem nicht erhältlichen Natrium-Pentobarbital, etwa mit dem verschreibungsfähigen Thiopental, hinreichend geholfen werden? Rechtliche Risiken wegen des Betäubungsmittelgesetzes scheinen ohne gesetzliche Neuregelung bei allen entsprechenden Verschreibungen zu bestehen.

Das bestehende Betäubungsmittelgesetz soll für Suizidwillige geändert werden. Aber muss es unbedingt durch Antrag an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf die rezeptfreie Abgabe von Natrium-Pentobarbital hinauslaufen? Das Bundesverwaltungsgericht hatte im März 2017 entschieden, dass dieses besonders zur Selbsttötung geeignete, aber nicht verfügbare Mittel "in extremen Ausnahmesituationen" (ausschließlich!) unheilbar und tödlich Schwersterkrankten nicht verwehrt werden dürfe. Wie bekannt, wurde allerdings eine entsprechende Sondererlaubnis aufgrund staatlicher Widerstände, personifiziert durch Jens Spahn, trotz aller erdenklicher Anstrengungen Schwerstkranker in jedem Einzelfall verweigert.

Wie den Freiraum des Bundesverfassungsgerichtes nutzen?

Durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich drei Jahre später ein erheblicher Freiraum eröffnet – auch eine geschäftsmäßige Suizidhilfe ist nunmehr sogar für gesunde und junge Menschen, die selbstverantwortlich aus dem Leben scheiden wollen, völlig legal möglich. Das auf aussichtsloses körperliches Leiden beschränkte Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 2017 ist durch die viel weitergehende Karlsruher Grundsatzentscheidung von Februar 2020 obsolet geworden. Dies wurde in einem – bisher kaum beachteten – Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zehn Monate später, nämlich vom Dezember (!) 2020 deutlich. Darin heißt es, es habe sich gezeigt, "dass ein Kreis medizinisch kundiger Personen existiert, der zu entsprechenden Verschreibungen … in strafrechtlich und betäubungsmittelrechtlicher Hinsicht – nunmehr auch befugt wäre" (AZ 1BvR 1837/19).

Hierin wird eine mögliche Rechtsinterpretation ersichtlich, dass es für empfehlenswerte Suizidmittel, die dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unterliegen – und das sind ja alle – nunmehr keine rechtlichen Hindernisse mehr gäbe. Ärzte und Sterbehilfevereine hätten sich demnach nur der nachhaltigen freien Willensbildung ihrer "Suizidhilfekandidaten" zu versichern (was allerdings – wie ein jüngster Fall in Berlin zeigt – zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wegen eines Totschlagsdelikts führen kann, solange für die Behörden nicht einzuhaltende Sorgfaltskriterien schwarz auf weiß gesetzlich vorliegen, sondern für sie willkürlich interpretierbar bleiben). Demgegenüber scheint es so, als stelle das bestehende BtMG kein Problem für die organisierte Suizidhilfe dar. Doch tatsächlich ist lediglich bisher kein Fall bekannt, in dem es zu einer entsprechenden Ermittlung gekommen wäre.

Welche qualifizierte Suizidhilfe ohne Natrium-Pentobarbital?

Bei der Suizidassistenz werden den Sterbewilligen tödlich wirkende Mittel überlassen. Da sie diese als Medikamente selbst einnehmen oder eine heute als Alternative gebräuchliche Infusion selbst aufdrehen, handelt es sich rechtlich um einen Suizid. Überdosiertes Natrium-Pentobarbital (früherer Handelsname: Veronal) von circa 15 Gramm ist zweifellos das geeignetste Mittel zu einer sicheren, schnellen und einfachen Selbsttötung, in tiefer Bewusstlosigkeit friedlich meist innerhalb einer Stunde. Es bedarf keiner weiteren Zusatzmedikation und kann bei geringem Volumen oral aufgenommen, das heißt in einem Glas aufgelöst getrunken werden. Aufgrund seines hohen Gefahrenpotentials ist es allerdings in der Humanmedizin (ohne besondere Erlaubnis durch das BfArM) als Fertigmedikament nicht mehr erhältlich.

Aber die organisierte Suizidhilfe und auch Kreise der Palliativmedizin haben Alternativen entwickelt. Sie greifen auf hinreichend brauchbare Medikamentencocktails zurück oder heute in der Regel auf eine Infusion. Diese muss allerdings erst gelegt sein und vom Suizidenten selbst aufdreht werden können. Überdosiertes Thiopental (Handelsname: Trapanal) von circa 6 Gramm bietet sich als Wirkstoff dazu an. Er ist verschreibungsfähig, da er gelegentlich in der Anästhesie zur Einleitung einer Narkose zum Einsatz kommt.

Im Februar stellten zwei Jahre nach dem Karlsruher Urteil Suizidhilfeorganisationen in einer Pressekonferenz ihre seitdem wieder erlaubten Aktivitäten vor. Die drei in Deutschland tätigen Vereine gaben bekannt, dass sie 2021 ihren Mitgliedern insgesamt bei fast 350 Suiziden halfen beziehungsweise vermittelnd oder begleitend beteiligt waren. Eigenen Angaben zufolge tat dies der Verein Sterbehilfe in 129 Fällen, die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben in 120 und Dignitas Deutschland in 97 Fällen. Aufgrund ihrer positiven Erfahrungen damit und grundsätzlich verschreibungsfähigen Medikamenten oder Infusionslösungen erteilen sie Bestrebungen, die Suizidhilfe neu regeln zu wollen, eine Absage. Als einen vermeintlich nicht verfassungskonformen Eingriff in ihre Vereinsaktivitäten lehnen sie jeden der veröffentlichten interfraktionellen Entwürfe entschieden ab (wenngleich das Spektrum von extrem restriktiv und kirchennah bis möglichst liberal und selbstbestimmungsorientiert reicht). Denn alle sehen verpflichtende Beratungsgespräche vor, wenn jemand – egal welche! – Mittel zur Selbsttötung erhalten möchte, die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Dabei geht es keinesfalls nur um Natrium-Pentobarbital, sondern um alle Betäubungs- beziehungsweise Narkosemittel, wozu etwa auch Benzodiazepine oder das heute in der ärztlichen Suizidhilfe gebräuchliche Thiopental gehören.

Auf die Methode, eine Infusion zu legen (die der Suizident dann selbst in Gang zu setzen hat) und dazu das Barbituratnarkotikum Thiopental zu verschreiben, wird für behandelnde (Palliativ-)Ärzt*innen sogar in der medizinischen Fachzeitschrift Schmerzmedizin (2021; 37 /4) hingewiesen. An der dortigen Handreichung zum "Umgang mit nachhaltigen Suizidwünschen bei schwerer Krankheit" mitgewirkt haben die Juristen Wolfgang Putz und Eric Hilgendorf sowie die Palliativmediziner (als erfolgreiche Kläger gegen den § 217 StGB in Karlsruhe) Matthias Thöns, Dietmar Beck und Benedikt Matenaer. Die Autoren weisen darauf hin, dass es keine Reichweitenbeschreibung auf schwere Erkrankung oder hohes Alter für die Suizidassistenz gäbe: Hier sähen sie "insbesondere bei Sterbewünschen körperlich gesunder Menschen den Gesetzgeber für die Definition von Sorgfaltskriterien gefordert" (Schmerztherapie, S. 13).

Worin bestehen Restrisiken für verschreibende Ärzt*innen?

Doch auch die Verschreibungsempfehlungen bei nachhaltigen Suizidwünschen kranker Menschen scheinen nicht völlig unproblematisch. Zumindest stehen sie in einem Spannungsverhältnis zu Hinweisen der Bundesärztekammer zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen vom Juni 2021, die insgesamt sachbezogen und recht unvoreingenommen abgefasst sind. Dort heißt es unter der Überschrift "Verschreibungen durch Ärzte", dass Betäubungsmittel nach bisherigem Verständnis im Rahmen einer medizinischen Behandlung zu therapeutischen Zwecken ("als Heilmittel") verwendet werden müssen. An einer Indikation fehle es offensichtlich jedoch, "wenn das Betäubungsmittel im Rahmen eines geplanten Suizids zur Selbsttötung eingenommen wird". Ob das nach der Entscheidung des BVerfG zu Paragraph 217 StGB im Februar 2020 noch uneingeschränkt gelte oder der Zugang zur Verschreibung eröffnet sei, wäre umstritten. In einer anderen Entscheidung vom Dezember 2020 habe das BVerfG die "Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung angedeutet", allerdings "die Frage letztlich nicht beantwortet. Bis zu einer Änderung des Betäubungsmittelrechts durch den Gesetzgeber ist die Verschreibung von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung deshalb mit rechtlichen Risiken verbunden."

Zudem erfolgt zurzeit die Rezeptierung von Medikamenten und Wirkstoffen zur Suizidhilfe gemäß "Off-Label-Use". Das bedeutet sinngemäß "nicht bestimmungsgemäßer Gebrauch", nämlich wenn ein Arzneimittel bei einer anderen Erkrankung oder Personengruppe eingesetzt wird als für die, wozu es von den Zulassungsbehörden eine Genehmigung gibt. Solche Off-Label-Verordnungen sind für Ärzt*innen grundsätzlich erlaubt und auch geboten, wenn außerhalb der jeweiligen Zulassung aus ihrer fachlichen Sicht das betreffende Präparat eine am besten wirksame Behandlungsoption für ihre Patient*innen ist. Bei suizidtauglichen Mitteln kann allerdings die Frage auftreten, ob der Zweck der Selbsttötung überhaupt eine "Behandlungsoption" darstellt.

Sollte es tatsächlich einmal zu einem diesbezüglichen Ermittlungsverfahren wegen Verstoß gegen das BtMG kommen, gibt es dafür die medizinrechtliche Empfehlung, sich wegen der unübersichtlichen Rechtslage auf "Verbotsirrtum" zu berufen (danach irrt der Arzt unvermeidbar über die Rechtswidrigkeit des Tatbestandes). Im Übrigen würde ein BtMG-Strafverfahren im Rahmen der Suizidhilfe höchstwahrscheinlich zu einer Einstellung oder aber einer Richtervorlage an das BVerfG führen. Das Risiko einer Bestrafung wäre insofern sehr gering.

Bleibt im Wesentlichen die jetzige Lage bestehen?

Die Initiatorin der liberalen Neuregelung, Katrin Helling-Plahr, hat in der Podiumsdiskussion am 30. März, aber auch schon zuvor, mitgeteilt, dass nach einem Inkrafttreten weitgehend Sterbehilfevereine unbehelligt arbeiten könnten. Es sind jedenfalls keinerlei Sanktionen vorgesehen, wenn sie beziehungsweise (gegebenenfalls mit ihnen kooperierende) Ärzt*innen die dort normierten Vorschriften im Paragraph 6 nicht einhalten. Darin ist unter anderem die Vorlage des Beratungsscheins einer staatlich anerkannten Beratungsstelle vorgesehen. (Siehe dazu Teil 1, Beratungspflicht im Zentrum). Auch außerhalb eines neuen Gesetzes droht weiterhin – wie eh und je immer schon wegen eines Deliktes gemäß Paragraph 212 StGB – eine mehrjährige Gefängnisstrafe für den Fall, dass der Suizident nicht freiwillensfähig war. Dies gilt etwa im Zustand des Rausches oder einer schweren psychiatrischen Verwirrtheit. Zu den Mängeln an Entscheidungsfreiheit gehört aber auch, dass er über alternative Hilfsangebote keine Information hatte, getäuscht wurde oder unter Fremdbeeinflussung stand. Der Beratungsschein würde nicht zuletzt zur Sicherheit der Ärzt*innen dienen.

Wäre nicht für alle Beteiligten auch eine verlässliche Klarstellung im BtMG zur gesetzeskonformen Suizidhilfe sinnvoll und grundsätzlich wünschenswert? Dazu müsste dort im Paragraph 13 BtMG "Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung" in eindeutiger Weise mit Hinweis auf Regularien zur ärztlichen Suizidhilfe (gemäß Suizidhilfegesetz) geändert werden. Dies sieht der Gesetzentwurf, der neben Helling-Plahr (FDP) von Helge Lindt (SPD), Petra Sitte (Linke) und Otto Fricke (FDP) vertreten wird, in einem Zusatzartikel vor. Dieser lautet, dem Paragraphen 13 Absatz 1 des Betäubungsmittelgesetzes wird folgender Satz angefügt: "Die Anwendung oder Verschreibung ist auch begründet, wenn die Voraussetzungen des § 6 des Gesetzes zur Wahrung und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende (Suizidhilfegesetz) vorliegen."

Sterbehilfevereine, sofern sie wie bisher nur ihren eigenen Regularien folgen wollen, müssten dafür wohl die heute noch bestehenden rechtlichen Restrisiken weiter tragen – die aber überschaubar sind.

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