Gesetz zur Suizidhilfe für Herbst geplant – Teil 1

Beratungspflicht im Zentrum

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Wie sinnvoll ist die Etablierung von bundesweiten kostenfreien Beratungsstellen zur Suizidhilfe und welche Aufgabe sollen sie haben? Am 30. März diskutierten Expert*innen darüber auf Einladung von Bundestagsabgeordneten vor dem Hintergrund, dass eine Gesetzesverabschiedung für den Herbst avisiert ist.

Im Februar wurde der "Berliner Appell für humane Suizidhilfe in Deutschland" in einer Pressekonferenz vorgestellt. Die Initiatoren bestehen neben der Giordano-Bruno-Stiftung aus den drei hierzulande tätigen Suizidhilfeorganisationen (der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, Dignitas Deutschland und dem Verein Sterbehilfe). Ihre erste Forderung darin lautet: "Kein neuer § 217! Einem Menschen bei der Wahrnehmung eines Grundrechts zu helfen, kann nicht strafbar sein." Sie formulieren als Punkt zwei: "Keine Pflichtberatung!" Stattdessen soll es nur Beratungsangebote geben, da sich Menschen sonst als bevormundet empfänden und rechtfertigungspflichtig seien – entgegen dem Karlsruher Urteil vom 26. Februar 2020. Keiner der bisher veröffentlichten interfraktionellen Gesetzentwürfe sei diesbezüglich verfassungskonform.

Tatsächlich sehen alle verpflichtende Beratungsgespräche vor, wenn Suizidwillige entsprechend taugliche Mittel ärztlich verschrieben erhalten wollen. Allerdings bestehen erhebliche grundsätzliche Unterschiede zwischen den Zielsetzungen der Abgeordneten, deren Vorschläge jetzt veröffentlicht vorliegen.

Wer will einen neuen Paragraph 217 StGB?

Als restriktivster Vorstoß gilt der von den Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirstin Kappert-Gonther (Grüne) und anderen "zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und Sicherung der Selbstbestimmung". Deren Vorhaben beruht auf einem neuen Straftatbestand 217, der nur leicht abgewandelt identisch ist mit demjenigen, den das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt hatte. Die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes, Hilfe zum Freitod in Anspruch zu nehmen, wird darin jetzt lediglich unter sehr strengen Voraussetzungen straflos gestellt: Die suizidwillige Person müsste sich vor einer Pflichtberatung in einer staatlichen Stelle zunächst im Abstand von mindestens drei Monaten – was rein praktisch bei entsprechenden Terminvergabeproblemen schwer möglich sein dürfte – zwei psychiatrischen beziehungsweise psychotherapeutischen Untersuchungen durch entsprechende Fachärzt*innen unterziehen. Bei diesen und nachweislich bei ihren Berufsvereinigungen herrscht die überkommene Einstellung vor, dass Suizidabsichten zu 90 Prozent eine pathologische Charakterisierung aufweisen, welche die Patientenautonomie ausschließen würde.

Auf der Unterstützerliste dieses restriktiven Gesetzentwurfs, der durchaus gute Aussichten auf Verabschiedung hat, befinden sich derzeit die drei Bundesminister*innen Hubertus Heil (SPD), Bettina Stark-Watzinger (FDP) und Claudia Roth (Grüne).

Wie ist der liberalste Gesetzentwurf zu bewerten?

Der Gegenentwurf mit liberaler Ausrichtung nennt sich schlicht "Zur Regelung der Suizidhilfe". Er gibt als überfälliges Ziel vor, einen klaren Rechtsrahmen zu schaffen. Entsprechend heißt es dort in Paragraph 1: "Jeder, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben beenden möchte, hat das Recht, hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen" und in Paragraph 2: "Jeder darf einem anderen, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben beenden möchte, Hilfe leisten und ihn bis zum Eintritt des Todes begleiten."

Einem Suizid soll jedoch immer ein ergebnisoffenes Gespräch vorausgehen müssen, in der alle Alternativen wie beispielsweise eine mögliche palliativmedizinische Versorgung oder andere Hilfsangebote zur Sprache kommen. Dafür ist die Schaffung eines aus öffentlichen Mitteln finanzierten, aber nicht staatlichen Netzes von kostenlos zugänglichen Beratungsstellen vorgesehen. Deren Gesprächsangebote sollen nicht nur in diesen Einrichtungen, sondern auch aufsuchend in häuslicher Umgebung stattfinden können. Nach dem Gespräch würde Suizidwilligen ein Beratungsschein zur Vorlage an einen Arzt ausgehändigt, der dann (bis auf dringende Ausnahmefälle) frühestens zehn Tage danach Mittel zur Selbsttötung verschreiben dürfte. Damit diese Abgabe ohne jegliches ärztliches Restrisiko erfolgen kann, soll das Betäubungsmittelgesetz durch einen Satz im Paragraphen 13 ergänzt werden.

Vertreter*innen dieser möglichst liberalen und einfachen Regelung sind die Bundestagsabgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP), Helge Lindh (SPD – nach einer personellen Neuaufstellung in dieser Legislatur anstatt von Karl Lauterbach), Petra Sitte (Linke), Otto Fricke (FDP) und andere. Die genannten vier veranstalteten zur Erläuterung ihres Vorhabens am 30. März eine digitale Podiumsdiskussion unter Moderation des Journalisten Tim Szent-Ivanyi, Vorstandsmitglied der Bundespressekonferenz.

Es nahmen neben den genannten Initiator*innen und weiteren Bundestagsabgeordneten folgende eingeladene Expert*innen teil:

  • Dr. Helmut Frister, Ethikratsmitglied, Professor der Rechtswissenschaften
  • Dr. Christoph Knauer, Vorsitzender des Ausschusses Strafprozessrecht der Bundesrechtsanwaltskammer und Prozessvertreter von Klägern gegen den Paragraphen 217 StGB
  • Dipl.-Psych. Gita Neumann, Referentin für Medizinethik und Patientenautonomie im Humanistischen Verband Deutschlands
  • Dr. Jan Schildmann, Internist und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin (Halle-Wittenberg)

Im Tagesspiegel-"Background Gesundheit" (vom 31.3.) wird von der Veranstaltung berichtet, dass laut Petra Sitte schon bald eine Orientierungsdebatte im Bundestag geführt werden und eine erste Lesung sowie Anhörung im Gesundheitsausschuss noch vor der Sommerpause stattfinden könnte. Im Herbst wäre dann die zweite und dritte Lesung zur Verabschiedung vorstellbar. Sitte machte deutlich, es gehe ihr vor allem darum, dass so bald wie möglich bedürftige Suizidwillige endlich Betäubungsmittel wie Natrium-Pentobarbital erhalten können.

Bezüglich der Terminplanung kündigte Prof. Frister vom Deutschen Ethikrat an, dass dieser auch bis dahin eine Stellungnahme zur gesetzlichen Regelung erarbeitet haben wird. Verraten dürfe und wolle er dazu nichts, allenfalls so viel: "Die Frage, wann jemand entscheidungsfähig ist, wird ein Schwerpunkt der Stellungnahme sein." Schließlich sei Voraussetzung dafür, einem Menschen bei der Selbsttötung zu helfen, dass sein Entschluss dazu freiverantwortlich und ohne äußere Einflussnahme oder mangelhafte Informiertheit erfolgt sei. Allein um dies zu gewährleisten, sei zur Erlangung von Suizidhilfe auch eine Beratungsverpflichtung zulässig – deren staatliche Anordnung zur bloßen Durchsetzung eines Persönlichkeitsrechtes ansonsten nicht verfassungskonform wäre.

Knauer, der sich in Karlsruhe für die Streichung des Paragraphen 217 eingesetzt hatte, attestierte dem Entwurf der Gruppe, bislang am nächsten "bei den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zum assistierten Suizid zu liegen." Die regulierte Hilfe zur Selbsttötung könnte auch zum Zurückdrängen von "Brutalsuiziden", zum Beispiel auf Eisenbahngleisen, beitragen. Eine vorauszugehende Beratung diene vor allem den zur Suizidhilfe bereiten Ärzten und sei eine doppelte Absicherung: wenn ein Arzt einen Patienten nicht für fähig halte, alle Alternativen abzuwägen, werde er die tödlichen Medikamente nicht verschreiben.

Wie aber kann von behandelnden Ärzten verlässlich geprüft werden, ob eine Person selbstbestimmungs- beziehungsweise nachhaltig entscheidungsfähig dazu ist, tot sein zu wollen? "Im medizinischen Alltag stellt sich das alles andere als trivial dar", gab Jan Schildmann aus Sicht der Ärzteschaft zu bedenken und meldete Forschungsbedarf an. "Es gibt bislang keine praktikablen Instrumente, die objektivieren können", beklagt er. Dem widersprach Gita Neumann und stellte vielmehr die bereits bestehenden "Standards" etwa in Skalen zur Depressionsdiagnostik in Frage. "Da werden hochbetagten, lebenssatten oder schwer pflegebedürftigen Menschen sofort diese Stempel aufgedrückt, wenn sie sich ein baldiges Lebensende wünschen. Selbstverständlich drücken diese auf Fragekatalogen nach ihrem Befinden keine großartige Lebensfreude mehr aus." Es werde ständig wiederholt, dass nahezu 90 Prozent aller Suizidwilligen psychisch so krank seien in einem Sinne, dass ihnen fälschlicherweise die Entscheidungsfähigkeit abgesprochen wird.

Sowohl Neumann als auch Schildmann und Frister plädierten für ergebnisoffene Beratungsmöglichkeiten für Menschen mit Selbsttötungsabsichten oder auch nur -gedanken. Wie deren Ansatz dann allerdings auszusehen hat, ob etwa nur "informativ" (und dabei verpflichtend) oder auch "deliberativ" (d. h. beratschlagend, auf freiwilliger Basis auch Bedenken einbeziehend) müsse sich zeigen, meinte Schildmann. Es bedürfe endlich Gesprächsangeboten, in denen Suizidhilfe und -prävention als Einheit und nicht länger als quasi weltanschaulicher Gegensatz verstanden werden, regte Neumann aus humanistischer Sicht an.

Soll es keine Sanktionsmöglichkeiten geben?

Bemerkenswerterweise enthält der Gesetzentwurf "zur Regelung der Suizidhilfe" bei Nichtbeachtung, das heißt auch ohne Beratungsbescheinigung, für die verschreibenden Ärzt*innen keinerlei Sanktionierung. Dieser liberale Entwurf von Helling-Plahr und anderen verzichtet nicht nur auf jegliche strafrechtliche Bestimmung, sondern auch auf Ordnungswidrigkeiten, wie sie von Renate Künast und Katja Keul in einem weiteren Gegenentwurf zu einer neuen Strafrechtsregelung vorgesehen sind. Dieser Ansatz der beiden Abgeordneten von den Grünen ist hochkomplex: Gemäß Künast/Keul hätte in Zukunft jeder, der bei Verschreibung oder Verwahrung eines suizidtauglichen Betäubungsmittels nicht ihre strikt vorgegebenen Normierungen und Differenzierungen eingehalten hat, "mit einer Geldbuße bis zu hunderttausend Euro" (siehe dort § 8) zu rechnen. Zudem meinen Künast/Keul zumindest bei Missbräuchen auch nicht auf das Strafrecht verzichten zu können.

Zur Frage der Sterbehilfeorganisationen, deren sogenannte geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung bekanntlich auf streng eingehaltenen Sorgfaltskriterien beruht, gibt es weiteren Klärungsbedarf. Dazu hatte Helling-Plahr allerdings bereits im Vorfeld darauf hingewiesen, dass das liberale Gesetzesvorhaben deren Arbeit nicht beeinträchtigen würde.

(Wird Anfang der nächsten Woche fortgesetzt.)

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