BERLIN. (hpd) Kaan Göktas lebt in Istanbul, ist Journalist und hat sich in den letzten Jahren vertieft mit der religiös begründeten Genitalverstümmelung von Jungen ("Beschneidung") befasst. Bereits im Jahr 2013 ist in der Türkei sein Buch "Oldu da Bitti Masallah" erschienen, mit dem er dazu ermutigen möchte, auf die Beschneidung Minderjähriger in einem islamischen Land zu verzichten. Der hpd sprach mit dem Autoren.
hpd: Herr Göktas, Sie nahmen am 8. und 9. Mai 2015 auch an der Internationalen Konferenz zu genitaler Selbstbestimmung in Frankfurt teil. In der Diskussion unter dem Titel “Myths and Multiple Standards – Mythen und unterschiedliche Maßstäbe” sprachen Sie über Genitalverstümmelung in islamischen Ländern. Warum nahmen Sie an dieser Konferenz teil und welche Erwartungen hatten Sie?
Kaan Göktas: Im Februar 2015 hat ein deutscher Radiosender mit mir ein Interview durchgeführt (Anm.: dieses Interview wurde auf Deutschlandradio Kultur, BR aktuell und Bayern 2 gesendet und ist auch bei youtube zu hören.) Die Veranstalter der Konferenz hörten mein Interview und haben mich eingeladen, was mich auch gefreut hat.
Es gibt zwei Dinge die falsch sind: 1. Beschneidung ist etwas Islamisches und der Islam fordert die Beschneidung, 2. Die Menschen in der Türkei lassen sich beschneiden, weil sie Muslime sind. Das ist beides falsch und muss korrigiert werden
Sie leben und arbeiten in der Türkei. Wie sieht es in der Türkei mit der Beschneidung Minderjähriger aus? Wie hoch ist der Anteil der beschnittenen Jungen?
In der Türkei sind – abgesehen von ca. 50.000 Christen – so gut wie alle Männer beschnitten. Das bedeutet, es gibt 35 Millionen betroffene Männer in der Türkei. Nicht nur sunnitische und schiitische Muslime, sondern auch 13 Millionen Aleviten sind beschnitten. Wegen des gesellschaftlichen Drucks geht man davon aus, dass manche Minderheiten, wie z.B. Jesiden, ihre Kinder ebenfalls beschneiden lassen. Die Beschneidung ist meistens eine große Veranstaltung. Die Kinder sind ca. 5–7 Jahre alt und werden mit Straßenumzügen gefeiert.
Gibt es bei der Beschneidung von Jungen medizinische Standards, die eingehalten werden müssen? Wenn ja, welche?
Dass die Beschneidung unbedingt in einem Krankenhaus stattfinden muss, ist in der Türkei eine sehr neue Entwicklung. Früher gab es Beschneider, die ihren Beruf gewerblich ausübten. Diese sind zu den Familien gegangen und haben dort Beschneidungen zu Hause und unter unhygienischen Verhältnissen ohne Betäubung praktiziert.
Welche Folgen haben die Beschneidungen bei den betroffenen Jungen?
In der Türkei ist besonders das Alter der beschnittenen Jungen in Verbindung mit der besonderen Betonung der Männlichkeit und des Penis problematisch (man sagt: “jetzt bist du endlich ein Mann, Du wirst den Mädchen gefallen”), vor allem in Bezug auf die damit in Verbindung stehenden gesellschaftlichen sexuellen Normen.
Die Kinder werden noch bevor sie ihre sexuelle Identität entwickeln, darauf getrimmt, dass der Penis und Männlichkeit etwas ganz besonderes seien. Wie Sie vermutlich wissen, ist die Quote von Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigungen in der Türkei sehr hoch. Ganz zu schweigen vom medizinischen und psychologischen Schaden durch Beschneidungen, über den ich in meinem Buch ebenfalls berichte.
Sie haben 2013 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Oldu da Bitti Masallah"? Was sind die wichtigsten Aussagen dieses Buches?
Das Buch hat drei Hauptaussagen:
- Man darf ohne die Einverständnis eines Kindes seinen Körper und seine Unversehrtheit nicht verletzen.
- Beschneidung ist medizinisch gesehen nicht notwendig oder gesund.
- Beschneidung gibt es im Islam nicht. Der Prophet Mohammed und die ersten Muslime waren auch nicht beschnitten.
Gibt es in der Türkei eine Debatte, ob Jungenbeschneidungen besser unterbleiben sollten? Wer führt eine solche Debatte und hat sie schon Folgen?
Nach Erscheinen meines Buches haben mich manche Eltern angesprochen und mir mitgeteilt, dass sie mein Buch gelesen haben und sich entschieden haben, ihren Sohn nicht mehr beschneiden zu lassen. In manchen Foren im Internet hat man darüber gesprochen. Aber die Resonanz ist sehr begrenzt. 99 Prozent der Bevölkerung glauben immer noch, dass Beschneidung gesund sei.
Ist die Jungenbeschneidung religiös oder traditionell motiviert? Oder macht eine solche Unterscheidung gar keinen Sinn? Wie wird das Festhalten an dieser Praxis begründet?
Beschneidung hat mit dem Islam nichts zu tun. Es gibt keinen Eintrag über Beschneidungen im Koran. Ganz im Gegenteil, im Koran steht: “Gott hat den Menschen vollkommen erschaffen und er darf nicht verändert werden.”
Mohammed war nicht beschnitten. Die ersten Gläubigen waren nicht beschnitten. Deren Nachkommen waren nicht beschnitten.
Man glaubt in der Türkei, dass Beschneidung islamisch wäre. In Wirklichkeit ist sie aber eher traditionell begründet. Man glaubt einfach, dass sie gesund sei. Sogar atheistische Eltern lassen ihre Kinder beschneiden, weil sie denken, dass das gesund sei.
Eine Frage noch dazu: wie sieht es generell mit den Rechten von Kindern in der Türkei aus? In Deutschland ist jetzt seit fast 15 Jahren beispielsweise das Schlagen von Kindern und die Ausübung von psychischer Gewalt verboten.
Auch in der türkischen Gesetzgebung ist es verboten, die Kinder zu schlagen und Gewalt ausüben. Aber wenn es um Beschneidung geht, sieht die Praxis anders aus. Wenn ein Kind vor Gericht zieht, weil es Gewalt durch seine Beschneidung erlebt hat, müssten die Eltern und der Arzt wegen Körperverletzung belangt werden.
Sie werden zitiert, dass hinter dem Festhalten an der Beschneidungstradition enorme wirtschaftliche Interessen steckten. Was bedeutet das konkret?
In der Türkei werden Beschneidungen in den privaten Kliniken gegen Bezahlung durchgeführt. Dazu noch die Feierlichkeiten mit allem was dazu gehört: neu gekaufte Klamotten, Geschenke, Mietkosten usw. Das ist ein großer Markt.
Sie wollten mit Ihrem Buch Eltern ermutigen, von Jungenbeschneidungen abzusehen und einen anderen Weg zu gehen. Schlagen Sie lediglich einen völligen Verzicht auf Beschneidungen vor oder empfehlen sie – etwa aus religiösen Gründen – sog. symbolische Beschneidungen? Solche Ansätze existieren beispielsweise im Reformjudentum.
Solange die Menschen volljährig sind können sie mit ihrem Geschlechtsteil machen was sie wollen. Die Gründe dafür können vielfältig sein: religiöse, ästhetische oder andere Gründe. Aber Beschneidung des Kindes ist Gewalt und eine schwere Körperverletzung.
Treffen Sie in der Türkei (die in Westeuropa als ein sich immer stärker islamisierendes Land (Stichworte: Erdogan und AKP) gesehen wird) mit Ihren Aussagen auf Zustimmung? Oder überwiegt Ablehnung?
Die religiöse Front bezichtigt mich, ein Missionar und Spion des Westens zu sein. Als würde ich die Menschen von der Religion abwerben.
Sind Sie wegen Ihrer Äußerungen und wegen Ihres Buches Repressionen von staatlicher Seite oder von Islamisten ausgesetzt?
Fast jeden Tag bekomme ich Bedrohungen, Beschimpfungen und Beleidigungen. Ich habe mich daran gewöhnt.
Herr Göktas, in Deutschland finden religiös begründete Jungenbeschneidungen seitens Muslimen und Juden statt. Immer wieder wurde Kinderrechtlern, die für eine Abschaffung der religiös begründeten Beschneidung an Minderjährigen eintreten, vorgehalten, antisemitisch zu sein. Wegen der deutschen Vergangenheit, wegen des Holocausts, dürften solche Forderungen in Deutschland nicht erhoben werden. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Was hat denn das mit Antisemitismus zu tun? Egal welche Religion mit Gewalt die Geschlechtsorgane des Kindes beschneiden will – man sollte das nicht zulassen.
Es gibt einen Unterschied zwischen der Diskriminierung einer Religion und ihrer Anhänger und der Ablehnung einer falschen Religionsausübung. So wie ich im Islam gegen die Beschneidung bin, bin ich auch gegen die Steinigung, Todesstrafen und Hand abschneiden, wenn man klaut. Das heißt aber nicht, dass ich islamfeindlich bin.
Herr Göktas, vielen Dank für dieses Gespräch.
Die Fragen stellte Walter Otte für den hpd.
21 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ein wichtiges und gutes Gespräch, dem ich inhaltlich in seiner Konsequenz voll zustimme.
Es gibt allerdings einige kleine Anmerkungen zu machen, da Herr Göktas einen Punkt etwas vereinfacht sieht: Die "Beschneidung" ist nicht im Koran vorgeschrieben. Ja! Doch das hält kaum einen Moslem davon ab, seinen Jungen im Namen des Islams zu beschneiden. Warum?
Mohamed wurde nicht beschnitten (weil dies in seinem Kulturkreis unüblich war, so, wie die Juden mit der Knabenbeschneidung in einem Kulturkreis [Mesopotamien] begannen, der ebenfalls nicht beschnitt), aber es gibt die Legende, wonach Mohamed bereits beschnitten auf die Welt gekommen sei. Und da ein guter Moslem seinem perfekten Vorbild nacheifern muss, werden auch Knaben beschnitten. Mit "gesund" hatte dies ursprünglich nichts zu tun.
"Gesund" ist die Ausrede, die Geschäftemacher (auch ohne religiösen Hintergrund z.B. in den USA) gerne benutzen, damit die Kundschaft nicht ausbleibt.
Beschneidung im Islam hat zumindest mit der Vorbildfunktion des Propheten zu tun, weshalb z.B. im Jemen auch achtjährige Mädchen geheiratet werden dürfen. Und Mohamed hat nun wahrhaftig etwas mit dem Islam zu tun, denn er gilt als dessen Stifter.
Weiterhin muss ich fragen, was überhaupt eine "religiöse Begründung" ist. Ist Schächten religiös begründet? Oder Kopftuchtragen? Oder die Steinigung; das Verbot, am Sabbat Holz zu sammeln?
Es gibt einen Berg aus Vorschriften, die nicht mit einem spirituellen Glauben an eine höhere Macht zu tun haben, sondern ganz unmittelbar in den Alltag und das Leben - auch die Körperlichkeit - der Gläubigen einwirken. Selbst in das Leben Ungläubiger, da diese zum Abschlachten freigegeben sind. Religiös begründet!
Faktisch zeigen sich Religionen als ein Sammelbecken verschiedenster Vorschriften, die eine tribalistisch-patriarchale Lebensweise zugunsten des Paschas absichern sollen (göttlich legitimiert). Dazu gehört auch die Sexualkontrolle der männlichen (und im Falle der FGM auch der weiblichen) Untertanen, denn dass die Beschneidung die Sexualität behindert, war den Menschen zu allen Zeiten klar (siehe hierzu z.B. Moses Maimonides).
Da also die Sexualkontrolle zentrales Element aller gesellschaftsprägenden Monotheismen ist, stellt sich die Frage, ob Beschneidung nicht doch religiös begründet ist. Nicht im Sinne einer Spiritualität, aber das ist sie genauso wenig wie Schächten, Kopftuchtragen und all die anderen teils grotesken Verhaltensregeln im Alltag.
Für mich gehört die Beschneidung also zum juristisch-politischen Islam, da hierüber Druck auf die Bevölkerung aufgebaut werden kann (wer nicht beschnitten ist, gehört nicht dazu, wird ausgegrenzt, ausgemerzt).
Dass man Beschneidung mittlerweile für "gesund" hält, könnte ein erster Schritt zur Überwindung dieses patriarchalen Brauchs sein. Zwar sehen viele dieses Gebot noch als religiös an, doch offenbar reicht dies nicht mehr als interne Begründung, weshalb die Beschneidung heute auf eine höhere - vermeintlich sichere - Argumentationsschiene gesetzt wird: die Medizin!
Somit könnte die religiöse Bedeutung (Mohamed als Vorbild) an Bedeutung verlieren, so dass irgendwann "nur" noch gegen den Irrsinn, die Beschneidung sei "gesund" angekämpft werden müsste. Das macht es in der Tat leichter und hier bin ich ganz bei Herrn Göktas, dass nun die Beschneidung kulturell aus der Gesellschaft herausgelöst werden könnte, ohne den Islam selbst zu tangieren.
Die Frage wird jedoch sein: Wie stellen sich Religionsministerien oder Islamverbände gegen diese Entwicklung? Sähen sie hierin nicht den Anfang vom Ende des gesellschaftskontrollierenden Politislams - und damit ein Ende ihrer eigenen Macht?
David am Permanenter Link
bei der Überschrift fällt mir spontan ein, was ich sooft höre und lese.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
In der Tat, ich habe kürzlich im gleichen Zusammenhang woanders die Frage gepostet, was denn überhaupt etwas mit dem Islem (Christentum, Judentum...) zu tun hat und wenn nicht, ob es diese Religionsgemeinschaften über
Nur hat in der Tat die Beschneidung nichts mit dem Islam zu tun. Der Koran erwähnt sie mit keinem Wort, der Interviewte weist auch zu Recht auf Sure 95 Vers 4 hin, wonach Allah erklärt, er habe den Menschen vollkommen erschaffen.
Bemerkenswert ist zudem, dass Abraham, als Ibrahim eine wichtige Leitfigur des Korans, im Judentum sozusagen Stammvater der Beschneidung nach Gottes Gebot ist. In keinem Korankontext wird dieser Aspekt im Zusammenhang mit Ibrahim überhaupt erwähnt.
Fazit: Religion ist eh menschengemacht, aber was die Menschen dann noch dazugemacht haben, ist nicht mehr menschenmöglich.
Das gilt für die anderen Monotheismen natürlich genauso (z.B. Erfindung der Kindertaufe in der katholischen Kirche).
Widerspruch über Widerspruch, Unsinn über Unsinn.
Hüseyin Akdag am Permanenter Link
Hat der Herr Göktas nichts anderes zu tun, als sich mit Sachen zu beschäftigen, was schon tausende von Jahren praktiziert wird. Wie sieht Herr Göktas, dass mit Piercing, Branding und Tattoos?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Akdak,
"Hat der Herr Göktas nichts anderes zu tun, als sich mit Sachen zu beschäftigen, was schon tausende von Jahren praktiziert wird."
Das sollte man hin und wieder tun. Nicht alles, was unsere Vorfahren taten, entspricht heutigen Rechtsvorstellungen.
"Wie sieht Herr Göktas, dass mit Piercing, Branding und Tattoos?
Sollen die Kinder etwa erst erwachsen werden und sich dann entscheiden dürfen."
Genau das! Ab 18 Jahren darf jeder seinen Körper umgestalten, wie er/sie will.
"Sowohl bei den Juden u. bei den Muslimen werden die Beschneidungen tausende von Jahren praktiziert."
Damals hat man auch Menschenopfer praktiziert. Wollen sie das heute noch leben?
"Der Amt für Religionsangelegenheiten (zu türk. Diyanet) hat diesbezüglich eine Presseerklärung verfasst: "..Seit Jahrhunderten kennt die Welt die Tradition der Beschneidung bei Jungen. [...] Keiner der abermillionen Menschen, unzähligen Gesellschaften und Rechtssysteme hat diese Tradition bis heute als “Körperverletzung” bewertet. [...] Aus Sicht des Islam und der Identität der Muslime betrachtet ist die Beschneidung der Jungen ein religiöses Gebot - gesellschaftlich akzeptiert und Teil der Tradition....""
Jeder Operation ist Körperverletzung. Ist die OP medizinisch indiziert, dann gibt der Patient seine Einwilligung zu dieser Körperverletzung. Dass die Diyanet dies nicht weiß, spricht nicht gerade für dieses Amt.
"Ob Herr Göktas glauben möchte oder nicht, auch in der USA werden die Jungen beschnitten: "...Dass in den USA seit vielen Jahren neugeborene Jungen jenseits der jüdischen und muslimischen Gemeinden fast routinemäßig beschnitten wurden, hat weniger religiöse Gründe, sondern steht in der Tradition des einstigen Mutterlandes Großbritannien. Dort wurde im 19. Jahrhundert die Beschneidung vor allem zur Prävention der Onanie eingeführt und war das im wahrsten Sinne einschneidenste Symbol der Sexualitätsfeindlichkeit der viktorianischen Epoche....""
Die Sexualfeindlichkeit ist auch bei vielen religiösen Geboten oder Traditionen das wichtigste Motiv. In den USA hat John Harvey Kellogg den größten Einfluss bei der Einführung der männlichen Genitalverstümmelung gehabt. Doch dieser Trend ist glücklicherweise rückläufig. Denn inzwischen hat sich herumgesprochen, dass mit den Babyvorhäuten eine großes Geschäft gemacht wird (Kosmetikindustrie) und die späteren Männer dadurch mehr Schaden als Nutzen davontragen.
Im übrigen steht die Behinderung der Masturbation gegen das heute in modernen Staaten garantierte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Und genau damit tun sich Religionsgemeinschaft erfahrungsgemäß schwer. Töchter dürfen sich selten den Sexualpartner aussuchen, den sie selbst gerne hätten. Noch immer gibt es den Jungfrauenwahn in religiösen Gruppierungen.
"Zur guter letzt, ich bezeichne den Eingriff von Herrn Göktas so "Ein trauriger Rückschritt von der Freiheit" was kommt als nächstes??? Kein Piercing, Branding oder Tattoos???"
Falsch! Jeder darf gerne alles mit seinem Körper machen. Aber erst, nachdem er/sie 18 Jahre alt ist und freiwillig, ohne Druck von außen, ohne Repressionen von Familie oder Gemeinde. Was ist denn daran so schwer zu verstehen?
Klarsicht am Permanenter Link
Was Dr. Eugen Drewermann (1) und Nietzsche (2) zur Beibehaltung von Tradition schreiben !
1. „Es ist in der Natur nicht anders als in der Kultur: auch in ihr kann das Ordnungsprinzip der Tradition eine unerhörte Sicherheit schaffen, indem es den Spielraum immer neuer Entscheidungen von vornherein einengt und rasche Veränderungen unmöglich macht; dann aber ist es gerade der «Erfolg» dieses Prinzips, der zur Gefahr werden kann: man beginnt Einrichtungen, die früher einmal praktisch sinnvoll waren, für unveränderlich, ja, für gottgegeben zu erklären; aus ehemaligen Bedingungen des Überlebens werden jetzt Zielsetzungen des Lebens; die Zukunft wird der Vergangenheit geopfert; immer mehr Freiheit geht zugunsten der Norm des Tradierten verloren; an sich längst sinnlos gewordene Einrichtungen und Verhaltensgewohnheiten erhalten eine symbolische Bedeutung, die ihnen eine groteske Unentbehrlichkeit zuspricht; […] Die mittelalterlich anmutende Denkweise, Organisationsform und Handlungsgewohnheit der römischen Kirche kann hier als ein ebenso fruchtbares wie furchtbares Beispiel dafür dienen, wie das Prinzip der Tradierung zunächst stabile Festigkeit, dann aber, nach Überschreiten eines gewissen Zenits, nur noch hohle Festlichkeit zu bieten vermag.“ (Buch von Dr. Eugen Drewermann „ ...und es geschah so“, S. 121 u. 122).
2. „Die Sitte repräsentiert die Erfahrung früherer Menschen über das vermeintlich Nützliche und Schädliche - aber das Gefühl für die Sitte (Sittlichkeit) bezieht sich nicht auf jene Erfahrungen als solche, sondern auf das Alter, die Heiligkeit, die Indiskutabilität der Sitte. Und damit wirkt dieses Gefühl dem entgegen, daß man neue Erfahrungen macht und die Sitten korrigiert: d. h., die Sittlichkeit wirkt der Entstehung neuer und besserer Sitten entgegen: sie verdummt.“ (Nietzsche, Morgenröte, Aphorismus 19).
Gruß von
Klarsicht
Arnold am Permanenter Link
Hüseyin Akdag:
"Keiner der abermillionen Menschen, unzähligen Gesellschaften und Rechtssysteme hat diese Tradition bis heute als “Körperverletzung” bewertet."
https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_(Medizin):
"Eine Operation erfüllt nach der geltenden Rechtslage in Deutschland den Straftatbestand der Körperverletzung."
Das war schon der größte Fehler in der Ausführung. Außerdem sind Tattoos erst mit 18 erlaubt, bzw. nur mit Einverständnis der Eltern schon mit 16. Was anderes ist das Ohrlochstechen, was auch eine Körperverletzung beinhaltet, so wie jeder Operation nach chirurgischen Verfahren, selbst wenn dabei nichts weggeschnitten wird sondern nur ein Einschnitt vorgenommen wird, weshalb man auch vor einer Operation erstmal mit einer Unterschrift sein Einverständnis gibt. Das Ohrlochstechen wird auch bei Kindern sogar unter 3 Jahren bzw. einige Monate nach der Geburt schon vollzogen.
Hüseyin Akdag:
"Hat der Herr Göktas nichts anderes zu tun, als sich mit Sachen zu beschäftigen, was schon tausende von Jahren praktiziert wird."
Ob er nichts anderes zu tun hätte oder nicht ist doch egal. Ist doch gut, dass er sich damit Beschäftigt, so wie zuvor schon andere sich mit der tausende von Jahren praktizierten Sklaverei beschäftigt haben und diese mehr oder weniger abgeschafft haben. Bis auf die Ausnahmen wie in Saudi Arabien:
https://de.europenews.dk/2014-Sklaverei-in-Katar-und-Saudi-Arabien-79596.html
... noch so ein negatives Ding von der selben Quelle.
Kay Krause am Permanenter Link
Schade, Herr Akdag, Sie haben offensichtlich den Kern der Aussagen von Herrn Göktas nicht verstanden! Es geht nicht um Beschneiden oder nicht Beschneiden.
Es geht einzig darum, wer was mit wem und wann macht!
Sie sind offensichtlich ein erwachsener Mann, Herr Akdag. Bitte beschneiden Sie sich, wo auch immer und so oft Sie mögen. Behängen Sie Ihren (von Allah geschaffenen?) schönen menschlichen Körper mit Tattoos und lassen Sie sich quadratmeterweise die Haut einritzen, aber verschonen Sie Ihre und unsere Kinder mit diesen Zwangsmaßnahmen! Das ist für mich der Kern von Herrn Göktas Aussage! Und damit Sie nicht sagen können, ich würde die Welt nur mit einem Auge sehen: Ja, ich bin auch gegen die christliche Zwangstaufe von Säuglingen! Ich bin für eine freiheitliche, weltoffene Erziehung von Kindern, da nur diese Kinder im Erwachsenenleben in der Lage sein werden, zu entscheiden, wie sie leben wollen.
David am Permanenter Link
"Hat der Herr Göktas nichts anderes zu tun, als sich mit Sachen zu beschäftigen, was schon tausende von Jahren praktiziert wird."
Verwerfen Sie die Kritik an der Sklaverei mit dem gleichen Argument?
"Wie sieht Herr Göktas, dass mit Piercing, Branding und Tattoos? Sollen die Kinder etwa erst erwachsen werden und sich dann entscheiden dürfen."
Ja, wäre das so schlimm, die Entscheidung einem jeden Volljährigen selbst zu ūberlassen?
"Wenn man es genau nimmt, sind ja Piercings, Branding und Tattoos auch eine Verunstaltung des eigenen Körpers."
Genau. Deswegen können Eltern ihrem 5 jährigen Kind auch nicht fröhlich ein branding verpassen.
"Sowohl bei den Juden u. bei den Muslimen werden die Beschneidungen tausende von Jahren praktiziert."
Siehe oben. Ein unsinniges Argument.
"Der Amt für Religionsangelegenheiten (zu türk. Diyanet) hat diesbezüglich eine Presseerklärung verfasst: "..."
Ja, sehr traurig, dass die Diyanet diese unsinnige Argumentation auch noch befeuert.
"Dem Islam ist die körperliche Unversehrtheit des Menschen ein hohes Anliegen."
Warum wird dann unter Berufung auf den Islam das Genital verletzt? Warum gibt es im Islam Körperstrafen?
"Aus Sicht des Islam und der Identität der Muslime betrachtet ist die Beschneidung der Jungen ein religiöses Gebot - gesellschaftlich akzeptiert und Teil der Tradition....".
Was soll "religiöses Gebot" und "Tradition" fūr ein Argument sein im Zusammenhang mit Körperverletzung?
"Ob Herr Göktas glauben möchte oder nicht, auch in der USA werden die Jungen beschnitten: "..."
Stimmt. Der Beschneidungswahn hat auch in den Staaten eine gewisse Tradition. Wollen Sie die Amis etwa als Vorbild anfūhren? Und warum denken Sie wieder, dass Traditionen nicht falsch sein können?
" Dort wurde im 19. Jahrhundert die Beschneidung vor allem zur Prävention der Onanie eingeführt und war das im wahrsten Sinne einschneidenste Symbol der Sexualitätsfeindlichkeit der viktorianischen Epoche...."
Stimmt. Aber was wollen Sie damit sagen? Dass im Islam bzw. der islam. begrūndeten Tradition die Beschneidung nicht auf Sexualfeindlichkeit zurūckzufūhren ist?
"Zur guter letzt, ich bezeichne den Eingriff von Herrn Göktas so "Ein trauriger Rückschritt von der Freiheit" was kommt als nächstes??? Kein Piercing, Branding oder Tattoos???"
Es verwundert mich, dass Sie anscheinend nicht wissen (wollen), dass man in unserer Gesellschaft auch kein Recht hat, seinem 5 Jährigen Kind ein branding oder tatoo aufzudrūcken. Das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand, meinen Sie nicht?
Ernst Deimel am Permanenter Link
Dazu gehört wohl auch die weibliche Genitalverstümmelung. Tradition ist für sich noch nichts Gutes.
Roland Fakler am Permanenter Link
Tradition rechtfertigt keine Handlung. Tradition ist es Mädchen zu beschneiden und Tiere zu schächten. Das gehört schon längst abgeschafft. Tradition war es auch mal Menschen zu opfern und Sklaven zu halten.
Steffen Wasmund am Permanenter Link
Hüseyin Akdag: "Hat der Herr Göktas nichts anderes zu tun..."
Das wollen wir doch nicht hoffen.
Hüseyin Akdag: "... als sich mit Sachen zu beschäftigen, was schon tausende von Jahren praktiziert wird."
Auch die Judenverfolgung wird seit tausenden von Jahren "praktiziert", sollten wir uns mit der nicht beschäftigen oder war es richtig, sich 1933 nicht damit zu beschäftigen, weil es sie schon lange gab?
Hüseyin Akdag: "Wie sieht Herr Göktas, dass mit Piercing, Branding und Tattoos? Sollen die Kinder etwa erst erwachsen werden und sich dann entscheiden dürfen."
Mir ist nicht bekannt, dass Eltern Babys Körperpiercings, Brandzeichen oder Tätowierungen beibringen dürfen. Ebenso weinig einem 10-jährigen Kind. Die Beschneidung ist eine Teilamputation des Genitals, mit lebenslangen Auswirkungen für das Sexualleben und geht damit in seinen Folgen weit über die vorgenannten Körperverletzungen hinaus, weshalb die Einwilligungsfähigkeit abzuwarten ist, die wegen der Schwere nur bei 18 Jahren liegen kann.
Hüseyin Akdag: "Keiner der abermillionen Menschen, unzähligen Gesellschaften und Rechtssysteme hat diese Tradition bis heute als “Körperverletzung” bewertet."
Matthias Franz und Necla Kelek zeigen auf, welche ursächliche Funktion der Genitalverstümmelung bei der Festschreibung patriarchalischer Macht- und Gewaltkultur zukommt, insbesondere, wie sie im Islam entstehen. (http://www.focus.de/magazin/archiv/politik-und-gesellschaft-gewalt-gegen-frauen-hat-mit-gewalt-gegen-jungen-zu-tun_id_5262514.html) Die Neubewertung ist also dringend notwendig.
Hüseyin Akdag: "Dem Islam ist die körperliche Unversehrtheit des Menschen ein hohes Anliegen."
Was die Körperteilamputation durch die Beschneidung selbst bei unschuldigen Kindern und die Körperteilamputationsstrafen des Islams sowie das islamische Selbstmordattentat eindrucksvoll widerlegen.
Hüseyin Akdag: "Ob Herr Göktas glauben möchte oder nicht, auch in der USA werden die Jungen beschnitten"
Sehr richtig. Und darüber hinaus ist die Beschneidung in den USA ein Akt der Vorhauternte für die Rohstoffbelieferung der Pharma- und Kosmetikindustrie. Dort wird Menschen (Kindern!) gegen ihren Willen, ohne jede Betäubung in industriellem Maßstab Menschenhaut zur industriellen Verwertung entnommen. Menschenrechtlich hat das wesentliche Gemeinsamkeiten (was keine Gleichsetzung bedeutet) mit der Körperteilverwertung in den Vernichtungslagern im Dritten Reich. Dort wird also ein Akt der schwersten Menschenrechtsverletzung als völlig normal betrachtet. Und nun können Sie sich ja mal als Muslim fragen, warum eine solche Gesellschaft, die keinerlei Probleme damit hat, dies seinen eigenen Kindern anzutun, es selbstverständlich auch für richtig halten können muss, andere Länder unter irgendwelchen Vorwänden zu überfallen, um irgendwelche Interessen durchzusetzen. Da beschneidet der Amerikaner eben einfach Ihre Rechte. Dasselbe Prinzip.
Also lieber Herr Hüseyin Akdag, lassen sie uns die Körperverletzungshandlungen auch in Ihrem eigenen Interesse neu bewerten, damit die Welt auch für Sie ein besserer Ort wird.
Hüseyin Akdag am Permanenter Link
Wie schon gesagt, ich kann es schwer nachvollziehen warum Herr Göktas sich jetzt mit der Beschneidung negativ auseinandersetzt.
Petra Pausch am Permanenter Link
Lieber Hüseyin Akdag,
Ich empfehle Ihnen, sich tatsächlich mit der Problematik der Beschneidung auseinanderzusetzen und nicht einfach nur nachzureden, was man Ihnen erzählt hat.
"Man sollte nicht ausser acht lassen, dass beim Vorhaut eines männlichen Gliedes, sich immer Resturin aufhält. Diese führt öfters zur Infektion des Gliedes."
Das ist zum Beispiel falsch! Man(n) kann sich waschen! Und im Übrigen schützt das Smegma den Penis und macht ihn beim Sex gleitfähig.
Diese Erfahrung kann Ihnen nicht bekannt sein. Das macht aber nichts, denn das kann man sich anlesen. Zum Beispiel hier: http://pro-kinderrechte.de/
Denkakustiker am Permanenter Link
Liebe Petra Pausch,
Kleiner Tipp: Es ist ein ausschließlich männliches Problem der Gattung Mensch und hat mit Hygiene weit aus weniger zu tun, als allgemein durch vorgeschobene Religion, Kultureigenheiten oder gar durch Wissenschaft propagiert wird. Es ist nur ausgesprochen unmännlich darüber offen zu debattieren.
Petra Pausch am Permanenter Link
Sagen Sie... sind Sie in der Lage, Gelesenes zu verstehen? Vermutlich nicht; denn sonst würden Sie nicht versuchen, mich hier verbal anzugreifen.
Ich habe auch die - auch von hpd unterstützte - Kampagne GEGEN die Beschneidung verwiesen. Sie jedoch belehren mich - zumal mit einer Fehlinformation. Denn es gibt sehr wohl Männer, die auf ihre Probleme, die durch die Beschneidung entstanden sind, hinweisen. Suchen Sie doch hier beim hpd mal nach dem Namen Ali Utlu...
Denkakustiker am Permanenter Link
Ich spreche von Kausalitäten (Ursachen der Vergangenheit) und sie von Folgeerscheinungen der Gegenwart !
Deshalb fühlen sie sich auch zu Unrecht unverstanden und angegriffen.
Das Übel bei den Wurzeln packen !
Und das ist bei den Kausalitäten des genitalen Beschneidens eine Kunst für sich.
Petra Pausch am Permanenter Link
..."Ich spreche von Kausalitäten"...
Nein, sie schwurbeln herum und haben nicht eine meiner Fragen beantwortet. Ich denke, eine Diskussion mit Ihnen ist nicht möglich. Gute Nacht nach Magdeburg.
Reis am Permanenter Link
Hüseyin Akdag: "Noch etwas, wenn Ihr weder noch Muslime oder Juden seid, dann habt Ihr ja das Problem mit der Beschneidung nicht."
Was ist mit den Kindern, die zwangsbeschnitten werden, weil ihre Eltern Muslime oder Juden sind? Die hatten keine wahl und müssen ein Leben lang damit leben. Das können auch Kinder sein die garkeine Juden oder Muslime sein wollen und dann hat die Religion trotzdem eine Wunde in ihrem Körper hinterlassen. Such mal nach Ali Utulu, der ist heute kein Muslim, wurde aber wegen seine muslimischen Eltern als Kind zwangsbeschnitten und leidet deswegen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Dann haben wir ja alle ein gelöstes Problem und jede ist zufrieden."
Falsch! Die zwangsbeschnittenen Kinder sind unzufrieden. Verstehen Sie das eigentlich wirklich nicht, dass es hier nicht um die Rechte Erwachsener, sondern um die von Kindern geht?
Steffen Wasmund am Permanenter Link
Hüseyin Akdag: "Noch etwas, wenn Ihr weder noch Muslime oder Juden seid, dann habt Ihr ja das Problem mit der Beschneidung nicht."
Das ist falsch. § 1631d Abs. 1 BGB erlaubt es allen Eltern unabhängig von der Weltanschauung, ihre Kinder beschneiden zu lassen. Die Beschneidungserlaubnis betrifft also alle männlichen Kinder. Und wie kommen Sie darauf, dass das Wissen von einer systematischen Menschenrechtsverletzung, die dazu auch noch im eigenen Land stattfindet, auf dessen Politik man in einer Demokratie Einfluss nehmen kann und soll, die in diesem Land lebenden Menschen nicht betrifft? Wie ist das bei Ihnen als Muslim? Wenn Muslime Kenntnis von einem systematischen Verbrechen haben, schauen sie dann einfach weg, weil es sie nicht selbst betrifft? Ist das Inhalt Ihrer Religion? Das kann ich mir kaum vorstellen.
Zu den allgemeinen Auswirkungen der Verrohung der Menschheit hatte ich ja schon etwas gesagt. Auch das betrifft uns alle.