MÜNSTER. (exc) Deutschland sollte nach Einschätzung des renommierten Religionsphilosophen Prof. Dr. Hermann Lübbe gegenüber Religionen wie dem Islam, die durch Zuwanderung neu ins Land kommen, nicht als "Religionsaufklärer" auftreten.
"Im deutschen religionspolitischen Ordnungsmodell des Konsenses herrscht die Auffassung, Muslime sollten aus den Hinterhofmoscheen herausgeführt und an staatliche Aufklärungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten gebracht werden. Erst dann, so denkt man, werden sie zu Bürgern unseres Landes", sagte der Philosoph von der Universität Zürich am Dienstagabend am Exzellenzcluster "Religion und Politik" in Münster.
Während ein Land wie die USA eine starke Koexistenz von durchaus unvereinbaren Religionen und Konfessionen ermögliche und erlaube, suche Deutschland vergeblich ein "Maximum an Konsens" zwischen den Religionen. Der Vortrag trug den Titel "'Amerika, du hast es besser!' – Religionspolitische Aufklärung im Vergleich".
"Das religionspolitische System der USA hat seit den Anfängen die große Fähigkeit, eine in Europa nirgends gekannte Fülle verschiedener Religionen aufzunehmen", führte der Wissenschaftler aus. Aus dem Freiheitswillen der Amerikaner ergebe sich "eine maximale Zulassung von unvereinbaren religiösen Optionen und Konfessionen".
Im Unterschied zur kooperativen Ausgestaltung zwischen Staat und Kirche in Deutschland halte sich der Staat in den USA daran, sich nicht in die religiösen Angelegenheiten seiner Bürger einzumischen. Der Unterschied der US-amerikanischen Religionspolitik zur deutschen könne damit nicht größer sein, hob der Religionsphilosoph hervor. Die US-amerikanische Religionsfreiheit lasse sich als eine Ordnung der "Koexistenz des Unvereinbaren" beschreiben.
Der Wissenschaftler führte aus, dass die US-amerikanische Religionspolitik zu Unrecht häufig mit der französischen gleichgesetzt werde. Das amerikanische System der Trennung von Staat und Kirche könne nicht mit dem französischen Laizismus vergleichen werden. "Laizismus drängt das religiöse Lebens ins Private und macht es öffentlich unsichtbar. Genau davon kann in den USA keine Rede sein." Vielmehr sei die amerikanische Öffentlichkeit religiös geprägt und auch das politische Leben von Religion mitbestimmt.
Als Beispiel für die verbreitete "Zivilreligion" nannte Prof. Lübbe die Tatsache, dass bislang jeder neu gewählte Präsident für den Amtseid seine Hand auf die Bibel gelegt habe. "Das ist kein Staatsritus, sondern zeigt die vorherrschende Meinung, dass sich dieses Amt ohne Gottes Hilfe schlecht ausführen lässt." Einem muslimischen Präsidenten würde nach den Worten des Philosophen vermutlich der Koran gereicht.
Der Philosoph gab in seinem Vortrag in der öffentlichen Ringvorlesung "Religionspolitik heute" des Exzellenzclusters und des Centrums für Religion und Moderne (CRM) der WWU zunächst einen historischen Überblick über die religionspolitische Aufklärung Europas und zog danach Vergleiche zwischen unterschiedlichen religionspolitischen Ordnungsmodellen der USA und Deutschlands. Er zog zudem Vergleiche zu Frankreich.
Hermann Lübbe ist emeritierter Professor für Philosophie und Politische Theorie an der Universität Zürich. Zu seinen Arbeitsgebieten zählen Religion in Modernisierungsprozessen sowie Expertenwissen und Gemeinwissen. Von 1975 bis 1978 war der Wissenschaftler Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie. Von 1966 bis1970 war er darüber hinaus Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen, zuletzt beim Ministerpräsidenten des Landes. Er ist Mitglied der Wissenschaftsakademien zu Berlin, Mainz und Düsseldorf sowie der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste zu Salzburg, Mitglied des internationalen Autorenverbandes P.E.N. 1996 erhielt er das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.
Pressemitteilung des Exzellenzclusters.
18 Kommentare
Kommentare
Norbert Issler am Permanenter Link
Und worauf legt ein Atheist, Antitheist, Skeptiker oder Anarchist seine Hand wenn er gewählt wird?
Dieter Bauer am Permanenter Link
Hoffentlich nicht auf manipulierte "Heilige Bücher" oder "Heilige Schriften" irgend welcher substanzlosen und realitätsfernen "Nebellehren".
Petra Pausch am Permanenter Link
In Deutschland: Grundgesetz. Oder auf die UN-Menschenrechtserklärung.
Aber eigentlich braucht es das überhaupt nicht. Es geht auch ohne dieses Handauflegen ganz gut ;-)
Markus Schiele am Permanenter Link
"Deutschland sollte [...] gegenüber Religionen wie dem Islam, die durch Zuwanderung neu ins Land kommen, nicht als "Religionsaufklärer" auftreten."
Das sehe ich anders: Kritikwürdiges muss immer kritisiert werden, ohne falsch verstandene Rücksichtnahme oder Political Correctness.
"Der Wissenschaftler führte aus, dass die US-amerikanische Religionspolitik zu Unrecht häufig mit der französischen gleichgesetzt werde. Das amerikanische System der Trennung von Staat und Kirche könne nicht mit dem französischen Laizismus vergleichen werden. 'Laizismus drängt das religiöse Lebens ins Private und macht es öffentlich unsichtbar. Genau davon kann in den USA keine Rede sein.' Vielmehr sei die amerikanische Öffentlichkeit religiös geprägt und auch das politische Leben von Religion mitbestimmt."
Genau dies ist doch das Problem! Auch wenn sich die Aussage "Amerika, du hast es besser!" weiter ober im Text wohl auf den Vergleich mit Deutschland bezieht, empfinde ich sie im Zusammenhang mit Frankreich als geradezu absurd.
David am Permanenter Link
"Deutschland sollte nach Einschätzung des renommierten Religionsphilosophen Prof. Dr.
Nur ein Wort: Doch! Und zwar weil es verdammt gute Gründe dafür gibt - grade auch dann, wenn der Anteil der Muslime nicht bei mickrigen 0,6% liegt wie in den USA.
Thomas Reichert am Permanenter Link
Meine Meinung! Radikale Aufklärung, damit dieser Religionsquatsch endlich aufhört. Unser Christentum ist doch nichts anderes als ein jüdischer Mithraskult.
P.S. Mein Kommentar gestern war wohl zu hart und wurde wahrscheinlich deswegen zensiert.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Na, dann sind wenigstens die USA vor islamisch oder christlich motiviertem Terror geschützt. Und Trump würde ein weiser Präsident. Gott sei Dank!
Werner Haas am Permanenter Link
Die maximale Zulassung von Unvereinbarem bedeutet die Zulassung von Unsinn und die Tolerierung von nicht Tolerierbarem. Diese Philosophie des Konsenses um jeden Preis ist intellektuelle Fahnenflucht.
little Louis am Permanenter Link
Zu:
".... intellektuelle Fahnenflucht......"
Man sollte die intellektuelle und vor allem die finanzielle Oberschicht in USA nicht für dämlich halten. Die "....Zulassung von Unsinn....." (Zitat) fördert und stabilisiert die Gewöhnung an das irrationale Denken bei der breiten Mittel -und Unterschicht. Und diese Gewöhnung an den Irrationalismus erleichtert die ( nicht nur mediale ) politische Steuerung dieser Gruppen.
Man kann so leichter Gesetze/Maßnahmen, die offensichtlich gegen die objektiven (wirtschaftlichen) Interessen von Bevölkerungsgruppen gerichtet sind, diesen vermittels theologieähnlich vernebelter Rhetorik so "verkaufen", als seien sie ein wahrer Segen für sie.
In der Politik passiert selten etwas zufällig und die meisten "Strukturen" wurden interessengeleitet geplant. Sonst wäre es keine Politik. Denn diese ist eben nicht "gottgegeben" und nur selten "naturgegeben".
Andreas Leber am Permanenter Link
Frankreich drängt Religion ins Private ab... und genau dort gehört sie auch hin.
angelika richter am Permanenter Link
Ich kann auch nicht erkennen, was an der französischen Strategie falsch sein soll. Nur, weil etwas "nur" im Privaten statt findet, ist es doch noch lange nicht bedeutungslos!
Letztgenannte Transfer und Solidarsystenme brauchen allerdings einen starken ethischen Minimalkonsens in der Gesellschaft.
Noncredist am Permanenter Link
>> Deutschland sollte (...) nicht als "Religionsaufklärer" auftreten. <<
"Deutschland" sollte ÜBERHAUPT NICHTS in dieser Richtung machen. Das Land an sich ist an der Intensität der Göttergläubigkeit ÜBERHAUPT NICHT interessiert. "Deutschland" schickt keine Polizisten los, wenn Religiöse sonntags nicht pünktlich in der Kirche auftauchen. Sie werden nur losgeschickt, wenn nicht chrtistliche Menschen sich zu Ostern einen Kinofilm ansehen möchten ;)
Darüber aufzuklären sollte wohl kein Problem sein. Wir sollten eigentlich in einer Gesellschaft der Aufgeklärten leben. Einer Gesellschaft, bei der christliche Hohepriester ihre Erziehungsspezialisten genauso in staatliche Schulen beschäftigen, wie muslimische, taoistische und unreligiöse "Religionslehrer". Was? In unserer gleichberechtigten Gesellschaft besitzen wir diesen Minimalkonsens NICHT? Aus "historischen" Gründen dürfen Geisteranbeter der christlichen Religion den kleinsten und schwächsten Mitgliedern jegliches Märchen "interpretieren"? Und im schulischen Politikunterricht wird Parteiunterricht, beispielsweise "christlich-demokratischer Politikunterricht", aufgrund der Aufklärung und freien Erziehung NICHT ausgeübt? Na also.
Die Erziehung in diesem Lande hat einfach "aufklärerisch" zu sein. Kein einseitiger vorgekauter Brei aus gewissen Geisteranbetervereinen. Man will *wissen*, mit was man da konfrontiert wird. Hat man genug *gelernt*, kann man im Sinne der Freiheit sich für eine, mehrere oder keine dieser "Fertigreligionen" entscheiden. Man hat sogar die Freiheit, entgegen der "erlernten Geschichte über den einzig wahren Erlöser der Menscheit" sich eine eigene gebastelte Ideologie auszudenken. Dafür gibt es zwar keine gesetzlichen Feiertage, aber persönlichen Frieden.
Und weshalb streben wir dies nicht an?
>> dass bislang jeder neu gewählte Präsident für den Amtseid seine Hand auf die Bibel gelegt habe. "Das ist kein Staatsritus, sondern zeigt die vorherrschende Meinung, dass sich dieses Amt ohne Gottes Hilfe schlecht ausführen lässt." Einem muslimischen Präsidenten würde nach den Worten des Philosophen vermutlich der Koran gereicht. <<
Der Staat, inklusive dem Amtes, sendet das Signal aus, dass dieses Amt ohne die MORALKONTROLLIERENDE Instanz, z.Bsp. ein Gott, eine Göttin, ein Allah, ein Jinn, ein Satan, ein Nudelmonster oder eines der zahlreichen anderen ausgedachten übernatürlichen Kontrolleuren der menschlichen Handlungen, UNFÄHIG zur Handlung sei. Ohne ein solches Moralwesen, kann der "morallose Mensch" nicht agieren. Danke für dieses Signal! Man spielt den Geisteranbetern und Sündenverkäufern die besten Karten direkt in ihre schmierigen Hände. Und man ist sogar noch stolz darauf und verteidigt diese fremdgesteuerte Moralorientierung auch noch! Denn welcher Mensch ausserhalb der geistlichen Kaste besitzt "das Wissen" über die "von oben kommende" Moral?
Es erinnert mich sehr an den Gottesbezug in der Präambel unserer Verfassung, wobei "der Gott" ja "nur" ein Symbol darstellen soll, dass der Mensch NICHT perfekt und allwissend ist, sondern stets nach besserem strebt. Und dieses Streben hat eine Richtung ... zu Gott (wie Gott/als Gott/...). Früher hat dieses Gotteswesen den Menschen bei seinem Turmbau zum Gottesstreben hin gewaltig in den Hintern getreten. Und heute soll es "für alle sichtbar" festgeschrieben werden, weil eine Präambel "an sonst" nicht wirkt?
Wo sind wir bloß gelandet!? Was ist aus dem Menschen geworden, der aus Fehlern gelernt hat? Der sich dazu entschlossen hat, keinem singulären Machtapparat mehr zu vertrauen und stattdessen den mühsameren Weg der gemeinsamen Staatslenkung eingeschlagen hat? Wollen wir nicht mehr diskuttieren? Wollen wir uns nicht mehr mit Argumenten und Meinungen auseinander setzen? Sollen wir nun wieder zurück zur "gottgelenkten" Richtung begeben?
Dank dieser "gottgegebenen" Richtung in staatlichen Konstrukten ist es klar verständlich, wenn "ungläubige" Politiker schlicht für UNFÄHIG für das Amt gehalten werden. Wer diese anscheinend offensichtliche Richtung, welche aus der überlieferten Gottesgeschichte (Bibel, Koran, ...) herausgelesen werden kann, nicht erkennt und in die selbe religiös-motivierte Richtung läuft, gehört einfach NICHT in ein staatslenkendes Amt.
Wann man Theologen gleich den Blankoscheck für Politikämter ausstellt, ist nur eine Frage der Zeit ;)
>> Laizismus drängt das religiöse Lebens ins Private und macht es öffentlich unsichtbar. Genau davon kann in den USA keine Rede sein. <<
Die Geschichte der Menschheit zeigt, dass das religiöse Leben moralisch kein deut besser oder schlechter ist als das "fanfiction Leben" von Star Trek Anhängern oder das "organisierte spießer Leben" von Schrebergärtenbesitzern. Sie alle üben in ihren Freiheiten Handlungen aus, die die einen mögen und die anderen nicht mögen. Solange man nicht in der Freiheit des anderen rumpfuscht, ist ja alles in Ordnung. Solange Trekkies nicht die Schrebergärten unerlaubt besetzen, oder religiöse Menschen die Freiheit von anderen Menschen beschränken, dürfte alles OK sein. Doch in der Religion bezieht man sich auf ein (niemals bewiesenes!) übernatürliche Moralelement, welches ABSOLUT sei. Daran sollten sich ALLE orientieren. Es IST da. Es ist das ABSOLUTE, was "nur wir" offenbart bekommen haben. Andere, die sich genauso auf "göttliche Moralgeber" beziehen - welche theoretisch ebenfalls ABSOLUT sind - haben in UNSERER politischen Staatslenkung NICHTS zu suchen. Wie man an den jetzigen Demonstrationen erkennen mag, möchte der christliche Wutbürger NICHT erleben, wie muslimische Religionsströmungen ihr ABSOLUTE Ideal über Kopftücher, Scharia & Co. AUCH DEN CHRISTEN festschreiben möchten. Geht es um die eigene Freiheit, ist schnell schluss mit Glaubenslustig.
Lasst den Menschen die Freiheit ... solange man nicht die Freiheit des anderen dabei einschränkt. Und wieviel Freiheit der eizelne Mensch hat, bestimmen wir Menschen nunmal unter uns. Wir haben Hilfsmittel und Rechte erdacht, weil wir mit den vorherigen Methoden - die jeweils gar NOCH RELIGIÖSER waren - nicht zufrieden geworden sind.
Stattdessen sollte man "gottbezogen" auf ein religiöses Buch schwören?
Dieses Denken ist in einer pluralistisch-offenen Demokratie schlicht NICHT ERLAUBT. Man personifiziert das zu anstrebende Ziel, addiert noch den abergläubischen Lokalcolorit hinzu und lässt die Politiker auf dieses Wesen schwören? Warum sollte dieses aufgeblasene Konstrukt aus heisser Luft und menschlichen Sehnsüchten zu etwas führen? Die Geschichte zeigt, wozu die Anhänger solcher Ideologien fähig waren.
Darüber sind wir längst hinaus! Man sollte aus den Fehlern lernen und sie NICHT wiederholen. Herr Prof. Dr. Lübbes Weg würde IMHO exakt in die falsche Richtung verlaufen.
Kurz gesagt: Muslimen sollte man die hiesigen Gesetze und freiheitlich-demokratische Werte beibringen. Das ist insofern mühselig, weil die hinzugekommenen Muslime den historisch-kritischen Kontext aufgrund ihrer eigenen lokalbezogenen Erziehung nicht auf den ersten Blick verstehen und nachvollziehen, aber es sollte die Mühe wert sein. Auch Muslime werden es lieber vorziehen, sich privat (= laizistisch!) religiös auszutoben, ohne polizeiliche Gewalt zu befürchten. Viele Muslime hatten hierzu im eigenem Land keine Chance und mussten flüchten. Ich wünsche, dass sie aus unserer Geschichte lernen und das erlernte in ihren Ländern eines Tages praktizieren. Wäre zu schön :)
Neben der Erziehung und Aufklärung, sollte man ihnen genauso die Freiheit lassen Moscheen zu bauen und Feste zu feiern, wie Christen es machen dürfen. Natürlich sollte man Christen auch mal darauf hinweisen, dass sie es sich gefälligst selbst zu finanzieren haben. Aber dies versteht sich von selbst und unsere Politiker arbeiten sicherlich *hüstl* hart *hüst* daran ;)
Max am Permanenter Link
Der absolute Laizismus in Frankreich hat erst den Boden für die Terroranschläge und Radikalisierung gewidmet.
Noncredist am Permanenter Link
>> Der absolute Laizismus in Frankreich hat erst den Boden für die Terroranschläge und Radikalisierung gewidmet.
Ein "Dialog" findet nicht statt, weil keine Übereinstimmung in der Religion erfolgt. Man kann es bekanntlich keiner religiösen Strömung recht machen. Eine Partei wird stets den Kürzeren ziehen. Das wäre bei menschlichen Wünschen kein Problem, aber "göttliche Wünsche" sind nunmal nicht verhandelbar. Wie will man den Willen Gottes übergehen? Schließlich hat es ein GOTT gesagt. Solch ein Wesen ist doch stets PERFEKT. Zumindest für MICH und MEINER Lebensart. Mein Nachbar glaubt an zwei Göttinnen, und die haben ihm nunmal andere Wünsche und Sehnsüchte mitgeteilt, welche sich nicht mit meinen Geboten decken, sie sogar entgegen stehen. Wie soll ich mit ihm umgehen? Gesellschaftlich-sozial, nach "öffentlichen" Richtlinien? Oder doch nach den überlieferten Verhaltensregeln übernatürlicher Moralentitäten? Was würde einer pluralistischen Gesellschaft mehr helfen? Der bewussten Ignorierung etwaiger überlieferter Werte, die bei einer Nichtbeachtung gar mit ewigen Qualen einhergehen? Oder doch das Verfrachten solcher Moralgeschichten in die Privatssphäre und gemeinsames Aushandeln sozialer Verhaltensregeln ohne einen Bezug zu subjektiv empfundenen "besseren" Gottheiten?
Da sollte man eher von Mensch zu Mensch agieren. Und dies ist im Laizismus kaum ein Problem. Wenn keine absolute Größen vorgegeben sind, da werden Kompromisse möglich. Und unsere freiheitlich-pluralistische Gesellschaft ist nunmal notwendigerweise auf Kompromisse angewiesen.
Die Radikalisierung verdankt man hingegen der "absoluten Position" einer göttlichen Überlieferung. Kein Mensch darf sich anmaßen, eine VON GOTT kommende Verhaltensregel zu übergehen. Das ist, da "von Oben kommend" unverrückbar. Und bekanntlich lassen sich religiöse Gesellschaften in ihrem Verständnis kaum von anderen religiösen Gesellschaften belehren. Schon untereinander ist kein einfacher Konsens in Sicht. Wie will man dann einer inkonsistenten religiöse Masse ALLES Recht machen, auf das der staatslenkende Dialog fruchtbar für alle Bürger sein wird? Es wird so schlicht und einfach nicht funktionieren.
>> Die Anzahl der "Anschläge" sind in Deutschland viel geringer, weil es eben einen Austausch zwischen Staat und Religion gibt, und so der Radikaliserung ein Riegel vorgeschoben wird. <<
Die Anschläge sind geringer, weil die Handlungen Deutschlands in den "Terrorländern" nicht gerade zahlreich sind. Frankreich zählt, wie Großbritanien und Amerika, zu den "aktiven" Ländern die auch tatkräftig angreifen. Wenn die "kleinen Leute" sich nicht mit Panzer und Bomber wehren können, so setzen sie auf Angst und "bringen den Schmerz in die Länder, die es auslösen". Es muss die Angst herrschen, dass der "ausgelöste Schmerz" auch im eigenem Land spürbar wird.
Es ist nicht gerade der Dialog, der die Anschläge bei uns "verhindert", sondern der Mangel an tatsächlichen Angriffen durch unsere Politik. Deutschland als "Ziel" ist nicht im Fokus der Attentäter. Das Trittbrettfahrer, aus Gründen z.Bsp. der Solidarität, auch hier was böses anstellen können, ist leider Teil der Freiheit, die wir in diesem Land den Bürgern gewähren. Irgendwo kann immer irgendwer sich Teile besorgen und "aktiv" werden, auch wenn es der sozialen Gesetzgebung diametral entgegen steht. Wer mit Jungrauen und Paradiese gelockt wird, dem kann man nicht mehr so leicht mit der Ratio zurückholen. Der hat "höhere Ziele". Laizismus hat hierbei keinerlei Wirkung, genausowenig wie die "etablierten Religionen". Schließlich werden in den Augen der Attentäter "die wahren Worte" stets "von den falschen Leuten, die das ganze Leid verursachen" interpretiert. Dieser simple Mechanismus hat sich leider oft genug gezeigt und wird weder durch mehr noch weniger Dialog zwischen Religionen und Staatswesen vermindert. Wer auch immer versuchen möchte, DAS EINZIG RICHTIGE UND WAHRE zu lehren, wird schlichtweg scheitern. Entweder ZWINGT man den Menschen zu EINER religiösen Deutung, und dies spricht eindeutig NICHT für die Religionsfreiheit, oder man muss eben damit rechnen, dass Menschen aus "ungewollten und ungelehrten Motiven" heraus sich Radikalisieren. Das ist Teil unserer Freiheit, und nicht des Laizismus.
Entweder gibt es NUR EINE religiöse Deutung (im Koran, im Christentum, ...), dann kann man sie auch problemlos im Dialog mit der Öffentlichkeit offenlegen. Oder eben nicht. Wenn nicht, und das ist nunmal die Normalität, werden "öffentliche Dialoge" stets(!) nur eine(!) von unzähligen(!) Möglichkeiten hervorheben. Man würde nichts anderes als Werbung für die eine(!) Möglichkeit machen. Ein Staat hat jedoch nicht die Funktion oder Absicht, eine(!) Religion vorzuziehen und die andere(!) zu unterdrücken. Wenn selbst Religionen sich nicht einig sind, dann soll der Staat sie keineswegs zu "einer einzigen Religion" zwingen. Hier hat der Staat gesellschaftliche Verhaltensnormen festzuschreiben, an die sich Religionen genauso zu halten haben wie Vereine, Unternehmen und weitere Gesellschaften. Diese Verhaltensnormen lassen sich öffentlich und gänzlich ohne Bezug zu "höheren Moralgebern" aushandeln.
>> Zumal es in Frankreich durch den absolutistischen Laizismus Ersatzreligionen herausgebildet haben: Nationalismus, Sprachchauvinismus und -unterdrückung, Kolonialträumereien. <<
Ich bezweifle, dass Ersatzreligionen sich aus dem Laizismus herausgebildet haben. Nationalismus, davon können wir ebenfalls ein Lied singen ... oder eine Demo veranstalten ... ist kein Resultat eines Laizismus. Wie will man den kausalen Zusammenhang herstellen?
Die Sprache ist eine sich ständig verändernde Einheit, und die Geschichte Frankreichs ist nunmal stark mit der Sprache verbunden, die sogar mal einen sehr großen Anteil in Deutschland inne hatte. Ganz ähnlich auch aktuell mit England, wo die englische Sprache nicht minder gepflegt wird. Denn hier ist der letzte Punkt, der Kolonialismus, das ausschlaggebende Element. Um die Kontrolle der vielen Bezirke zu eröglichen, wurde auf eine eindeutige Sprachform wert gelegt - im Gegensatz zur Förderung und Ausbildung möglichst vieler minder verständlichere Dialekte. Dies war für die Bürokratie förderlicher. Und dies spiegelt sich in der Kultur wieder.
little Louis am Permanenter Link
Ich halte die von Noncredist aufgeführten Argumente für einen konsequenten Laizismus nun schon seit fast 40 Jahren für einigermaßen konsistent und überzeugend.
Es scheint also mächtige gesellschaftliche "Kräfte" zu geben, denen es gelingt, die Sachlage immer wieder zu vernebeln, sodass sie dem Durchschnittsbürger als irrelevant oder gar irgentwie "verdächtig" erscheint und er deshalb lieber "die Finger davon" lässt.
Weshalb es also in unseren Gefielden nach all der Zeit immer noch keine (relevanten ! ) politischen Strömungen gibt, die sich vorbehaltslos für einen konsequenten Laizismus einsetzen, sollte humanistisch/atheistisch/agnostisch bewegten Menschen und ihren Organisationen eine tiefgehende Analyse und deren großflächige Publikation und Diskussion wert sein.
Ich fürchte einem Großteil dieser/unserer Klientel scheint es seit längerer Zeit zu genügen, es sich in ihrer liebgewordenen "Subkultur "gemütlich zu machen. Die Zufriedenheit mit der selbst erreichten eigene Erkenntnislage mag zwar individuell zufriedenstellen, ändert aber an der gesellschaftlichen Marginalstellung von humanistischen Atheisten /Agnostikern nichts.
Selbst (oder gerade ?) ein hoher SPD- Minister hat vor einiger Zeit im öffentlichen Interview durchblicken lassen, er halte zwar von Kirchen/Religion nicht allzuviel, halte aber "Religion" als politisches "Schmiermittel" (er meinte wohl zur Steuerung der breiten Masse mittels Moralvorgaben) für unverzicht bar.
Dies ist durch Populismus getarnter Elitarismus und sollte Menschen, die offene Gesellschaften bevorzugen eigentlich äußerst verdächtig sein.
Ich hoffe nicht, dass ein allzugroßer teil der säkularen Ssene ähnliche Auffasungen vertritt. Dieser Verdacht ist keineswegs weit hergeholt. Bekanntlich vertraten einige Hohepriester der Aufklärung mit Voltaire desssen Meinung, der Atheismus sei allenfalls für die Bildungselite geeignet, aber für das gemeine Volk nichts Gutes, sondern eine naturwissenschaftlich wie moralisch schlechte Weltanschaung. Er befürchtete den sittlichen Verfall der breiten Massen, wenn diese KEINEN Gott anerkennen der die Tugend befiehlt.
Eben diese Auffassungen scheinen heute selbst in (vorgeblich) linken Kreisen weit verbreitet zu sein und insgeheim akzeptiert zu werden.
Persönlich halte ich einen Humanismus ohne radikale Kritik von vor allem ökonomischen Machtverhältnissen für wenig überzeugend bzw. für inkonsistent.
Die allzuweite Verbreitung radikaler Ideologiekritik könnte mächtigen privilegierten Kreisen auch deshalb verdächtig sein, da eine solche sich dann ja nicht nur auf theologische "Spagetthimonster" beschränken lässt, sonder zum Beispielauch ebenso fest eingebrannte ökonomische Lehrgebäude als "Herrschaftsideologien" "entlarven" könnte.
Die auffällige Kritikabstinenz eines Teils der sonst so rational - kritischen Atheistenszene in ökonomisch- sozialkritischer Richtung lässt mich dies befürchten.
David am Permanenter Link
Den Laizismus indirekt fūr die Terroranschläge verantwortlich zu machen, ist schon ziemlich unverschämt.
England zb ist nicht laizischtisch. Im Gegenteil. Und dennoch blūht hier der radikale Islam wie in Frankreich. Offensichtlich hängt das Problem mit der kolonialbedingten Einwanderungsgeschichte dieser Länder zusammen, die der unangenehmsten Islamvariante, dem orthodoxen sunnitischen Islam, in kritischer Menge Tūr und Tor geöffnet hat.
Davon abgesehen: Wem das laizistische Staatsmodel Frankreichs nicht gefällt, wird dort nicht zum Bleiben gezwungen.
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Na, Sie scheinen sich ja bestens mit den französischen Verhältnissen auszukennen. Eigenartig, dass ich, der seit bald 40 Jahren in Frankreich lebt, von solchen Verhältnissen nichts mitbekommen habe.
little Louis am Permanenter Link
Nachtrag zu meinem post zum 13. Juni:
Siehe auch das heutige "Kalenderblatt" hier zu Jean Meslier. Ein feature dazu vom 06.03.2015 von "SWR 2 WISSEN" ist noch (online) beim SWR als podcast oder als Manuskript erhältlich.