Interview

Säkulare sind sichtbarer geworden

Unsere Redakteurin Evelin Frerk stellte acht Fragen an Helmut Fink, der am 4. März 2017 als Vorsitzender des Koordinationsrates Säkularer Organisationen (KORSO) im Amt bestätigt wurde. Das Treffen fand nach der ordentlichen Ratsversammlung in Berlin statt.

hpd: Ist der KORSO in der Öffentlichkeit und bei den Säkularen selbst angekommen und wie ist dabei das eine mit dem anderen verwoben?

Das sind mehrere Fragen auf einmal.

Zunächst: Der KORSO ist der Versuch, Funktionäre unterschiedlicher säkularer Verbände im Gespräch zu halten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Verbände gegenseitig nachvollziehbar zu machen und auf dieser Grundlage mehr öffentliche Sichtbarkeit zu entwickeln.

In der Wahrnehmung dieser Ziele denke ich schon, dass der KORSO bei den organisierten Säkularen "angekommen" ist – wobei vielen naturgemäß der eigene Verband oder die eigene Gruppe näher ist als das oft ferne gemeinsame Dach des KORSO.

"In der Öffentlichkeit ist der KORSO allerdings noch nicht so richtig angekommen."

In der Öffentlichkeit ist der KORSO allerdings noch nicht so richtig angekommen. Hier stehen wir noch am Anfang. Aber die Vorarbeiten der vergangenen Jahre waren nötig. Ich darf daran erinnern, dass der KORSO bei meiner ersten Wahl zum Vorsitzenden Ende 2012 noch nicht einmal die Gemeinnützigkeit und folglich auch keine Mitgliedsbeiträge, also keinerlei Mittel hatte. Dieses Problem ist seit 2013 gelöst. 2014 in Kassel und 2016 in Klingberg hatten wir dann wichtige Strategieklausuren mit Vertretern aus der ganzen Bandbreite des säkularen Spektrums. Dabei sind die unterschiedlichen Erwartungen an den KORSO sehr deutlich geworden. Vieles konnten wir zum Glück unterdessen klären, so dass jetzt endlich ein neuer Aufbruch möglich ist.

Zur Verwobenheit der beiden Aspekte ist zu bedenken: Nicht nur der KORSO, sondern auch die meisten seiner Mitgliedsverbände sind in der breiten Öffentlichkeit ziemlich unbekannt, obwohl sie ja zum Teil viel länger bestehen. Es gehört zu den Aufgaben des KORSO, das langfristig zu ändern und so den Verbänden einen Zusatznutzen zu bringen. Aber man muss hier realistisch bleiben: Die Verbände werden weiterhin ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit betreiben, und der KORSO kann unterstützen, vernetzen und als zusätzlicher Ansprechpartner für Medien und Politik auftreten. Daran arbeiten wir.

Sind alle Mitgliedsorganisationen seit Gründung des KORSO dabeigeblieben?

Vor etlichen Jahren, schon vor meiner Zeit als Vorsitzender, sind die Humanistische Akademie Deutschland und die Humanismus Stiftung Berlin ausgetreten, wohl weil man sich die Mitgliedsbeiträge nicht leisten wollte. Seither sind alle dabeigeblieben.

Das ist ja auch vernünftig, und ich denke, in den letzten Jahren haben die Verbände gemerkt, dass sie im KORSO fair behandelt werden.

Aber nicht nur das: Wir konnten auf der jüngsten Ratsversammlung ein neues Mitglied aufnehmen! Der Bund für Geistesfreiheit Bayern K.d.ö.R. (BfG) ist jetzt KORSO-Mitglied. Das ist möglich geworden, nachdem der BfG aus dem Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW) ausgetreten war. Ich freue mich, dass damit nun die mitgliederstärkste säkulare Vereinigung in Bayern unmittelbar im KORSO vertreten ist.

Werden die Ämter im KORSO paritätisch besetzt oder werden Persönlichkeiten gewählt? Wer ist berechtigt zu wählen oder gewählt zu werden?

Nach Satzung kann jede Person gewählt werden, die vorgeschlagen wird. Aber am Ende werden alle Beteiligten schon darauf achten, dass kein Verband im Vorstand völlig überrepräsentiert ist.

Der Proporzgedanke ist in solchen Gremien latent immer vorhanden. Ich bin diesmal nicht vom HVD vorgeschlagen worden, sondern als unabhängiger Kandidat angetreten – das muss kein Nachteil sein.

Wahlberechtigt sind die Delegierten der Mitgliedsverbände, das sind für bundesweite Verbände bis zu drei, für Stiftungen bis zu zwei und für regionale Organisationen einer. Diesmal waren 16 Stimmen auf der Sitzung vertreten. Auch einige Gäste ohne Stimmrecht waren da.

Gab es auf der Ratsversammlung Ideen, den KORSO stärker in die Öffentlichkeit zu rücken?

An solchen Ideen herrscht kein Mangel. Oft gibt es weit gespannte Erwartungen, was der KORSO alles leisten soll. Sich einen Vorschlag auszudenken ist leichter, als die zu seiner Umsetzung erforderlichen Ressourcen bereitzustellen... aber es stimmt schon: Es kommt jetzt darauf an, über die Phase der rein internen Verständigung hinauszuwachsen.

Erste Schritte dazu sind getan: Der KORSO ist in den sozialen Medien präsent. Wir haben eine neue Homepage, auf der die regionalen Untergliederungen der Verbände über eine Deutschlandkarte aufgefunden werden können. Wir haben eine Übersichtsbroschüre, die über Mitgliedsverbände und Ziele des KORSO informiert. Wir hatten zu Jahresbeginn eine Pressekonferenz in Berlin, im Haus der Bundespressekonferenz.

Im aktuellen Haushalt ist ein neuer Minijob eingeplant, um säkulare Themen schneller aufbereiten und sich dann als KORSO öffentlich äußern zu können, und auch um Kontakte in die Politik vorzubereiten. Die Ratsversammlung hat dem zugestimmt.

Die Idee, die Gemeinsamkeiten der Verbände festzustellen wird schon seit vielen Jahren verfolgt. Wie ist der Stand der Diskussion? Wo liegen die Gemeinsamkeiten?

Ja, das ist wahr: Seit der "Sichtungskommission", die der KORSO-Gründung vorausging, wird die Programmatik der Säkularen immer wieder abgeglichen.

Helmut Kramer aus Hamburg hat schon vor einigen Jahren eine "Synopse" der Grundsatzprogramme erstellt. Und der KORSO hat dann auf meinen Vorschlag hin 2013/14 die Verbände zu 80 möglichen säkularen Forderungen befragt, ob sie sie mittragen würden.

Auf der Klausur in Kassel 2014 war da noch viel Verständigungsbedarf spürbar. Auf der Klingberger Klausur im Sommer 2016 wurde dann klar, dass es genügend programmatische Schnittmengen gibt, um den KORSO nach außen sprachfähig zu machen. Denn wir können und wollen nur solche Positionen vertreten, die von allen Mitgliedern mitgetragen werden.

Zu den Themenfeldern mit weitreichenden Gemeinsamkeiten gehören die Ablösung der historischen Staatsleistungen, die rechtliche Gleichstellung von religiösen und nichtreligiösen Organisationen, die Beendigung des staatlichen Kirchensteuereinzugs, die Streichung von Gottesbezügen in Präambeln, Landesverfassungen und Schulgesetzen, die Beendigung religiöser Diskriminierung am Arbeitsplatz, die säkulare Präsenz in Medien- und Ethikbeiräten, der ganze Bereich der Autonomie am Lebensende und selbstverständlich die weltanschauliche Neutralität staatlicher Institutionen.

"In den meisten anderen Lebensbereichen ist 'kein Nein' noch lange kein 'Ja'."

Besonders spannend finde ich die Frage, ob der Staat nicht bei Erreichen der Religionsmündigkeit eine aktive Willensbekundung zur Zugehörigkeit einer Kirche oder Weltanschauung einholen bzw. entgegennehmen sollte. Das hat mit Selbstbestimmung zu tun. In den meisten anderen Lebensbereichen ist "kein Nein" noch lange kein "Ja" – aus gutem Grund.

In welchen Punkten traten wesentliche Unterschiede auf?

Beim Umgang mit Körperschaftsrechten gehen die Verbände sehr verschiedene Wege, ebenso bei der Frage von Staatsverträgen. Beim Tragen religiös-weltanschaulicher Symbole oder Kleidungsstücke gehen die Grenzen teilweise quer durch die einzelnen Organisationen.

Die Bewertung des Religionsunterrichts ist sehr verschieden, zumal für die eigene Weltanschauung ja ebenfalls ein Unterricht angeboten werden kann. Das setzt sich fort in der Frage der Lehrerausbildung an Hochschulen. Auch bei staatlich finanzierter Seelsorge bzw. weltanschaulich ausgerichteter Beratung herrscht keine Einigkeit. Die Gleichstellung humanistischer Seelsorge kann angestrebt werden in Krankenhäusern, Haftanstalten, bei der Polizei oder auch bei der Bundeswehr. Da gehen die Meinungen weit auseinander.

Stellen wir uns ein Auto vor. Wo sieht sich der KORSO, wo wären die Verbände und wer könnte funktionstechnisch zur Beschleunigung beitragen?

Eine lustige Frage... ich sehe den KORSO vor einer Ampel stehen, die von gelb auf grün springt. Nun müsste er eigentlich losfahren, der Gang ist schon eingelegt (und zwar der Vorwärtsgang), Benzin ist genügend im Tank und das Auto hat noch zwei Jahre TÜV. Eigentlich kann gar nichts schiefgehen. Aber die Beifahrer sind sehr unruhig und diskutieren lebhaft über das Ziel der Reise, über den Weg dorthin und auch über die Reisegeschwindigkeit. Einer will nach links, ein anderer nach rechts abbiegen, und beiden geht es zu langsam. Einer ist enttäuscht, dass das Auto kein Flugzeug ist. Ein anderer wäre lieber zu Fuß gegangen. Und einem wird schlecht, sobald sich das Auto bewegt – weil er nicht selber am Steuer sitzt. Zur Beschleunigung trägt bei, die Kupplung langsam kommen zu lassen, so dass der Motor nicht stottert oder gar abgewürgt wird. Dummerweise hat das Auto nämlich kein Automatikgetriebe... naja, die Antwort ist nicht ganz ernst gemeint. Nur ein bisschen.

Zum Schluss eine Frage aus der Praxis: Mit "Gottlos glücklich – die atheistische Buskampagne" legt ein großer Deutscher Schulbuchverlag in diesen Tagen eine Lehrneinheit für mittlere Schulformen vor. Im Vorspann heißt es, "etwa ein Drittel der Menschen in Deutschland gehören keiner religiösen Gemeinschaft an. .... Auch wenn diese sicher nicht alle Atheisten sind - , ist dieses eine recht große, stille Masse." Stellt das die gängige Ansicht dar, ist sie dem KORSO gegenwärtig und wenn, wie ist sie zu ändern?

Alle Funktionäre der Verbände würden gern mehr öffentliches Gehör finden und mehr Einfluss bekommen, das ist doch klar. Beim KORSO ist das nicht anders. Und überall ist die Versuchung groß, sich auf die 28 Millionen konfessionsfreien Bürger zu berufen, deren Interessen man ja irgendwie stellvertretend mit vertritt. Nur muss man dabei bedenken, dass wir ja für die Selbstbestimmung der Individuen eintreten, und wenn die "Masse" in diesen Fragen "still" ist, dann braucht man schon gute Gründe, um in ihrem Namen zu sprechen.

An etlichen Stellen ist der Reformbedarf im Verhältnis von Staat und Weltanschauung sicherlich in der Bevölkerung mehrheitsfähig. Anscheinend ist aber der Leidensdruck der meisten Menschen nicht groß genug, dass man dazu einem säkularen Verband beitritt – oder gar aktiv wird. Da hilft wohl nur die Kombination aus öffentlicher Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit, politischer Netzwerk- und Lobbyarbeit sowie Bündelung der säkularen Interessen dort, wo das ohne gegenseitige Behinderung und ohne gegenseitiges Misstrauen möglich ist. Hierzu kann der KORSO ein Katalysator sein.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Evelin Frerk für den hpd.