Eine kritische Betrachtung zum ideengeschichtlichen Hintergrund

Die AfD-Berufung auf das "Volk"

Der Historiker Michael Wildt geht in "Volk, Volksgemeinschaft, AfD" auf die ideengeschichtliche Entwicklung der beiden erstgenannten Begriffe ein, um danach die Berufung der AfD auf das "Volk" zu untersuchen. Erst nach zwei Dritteln kommt der Autor zum eigentlichen Thema, wobei er auf die AfD-Orientierung auf ethnische Homogenität kritisch hinweist.

Mit dem Satz "Wir sind das Volk" meine die "Alternative für Deutschland" (AfD) und andere populistische Parteien, so formulierte der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller: "Wir – und nur wir – repräsentieren das Volk". Die Bedeutung der Berufung auf "das Volk" in populistischen Diskursen hat bislang in der kritischen Forschung zum Thema noch nicht genaueres Interesse gefunden. Dies hat wohl den Historiker Michael Wildt, der auf die Geschichte des Nationalsozialismus spezialisiert ist, zu seiner Auseinandersetzung mit dem Thema in seinem schlicht "Volk, Volksgemeinschaft, AfD" betitelten Buch motiviert. Als persönlicher Motivationsschub dazu dürfte noch die Berufung auf ihn durch den AfD-Landesvorsitzenden von Sachsen-Anhalt André Poggenburg geführt haben, welcher damit aber eine instrumentalisierende Fehldeutung des Gesagten hinlegte. Wildt macht darauf aufschlussreich aufmerksam (vgl. S. 115f.), bleibt aber ansonsten der distanzierte und kühle Historiker – sowohl in Form wie in Inhalt seiner Erörterung des Themas.

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Das Buch ist entsprechend des Titels in drei große Kapitel aufgeteilt: Zunächst geht es um die Auffassung von "Volk" in der politischen Ideengeschichte. Dazu geht der Autor bis ins antike Griechenland zurück. Er behandelt danach die Auffassungen zu Souveränität und Volk – und nimmt dabei eine kritische Auseinandersetzung mit Rousseau vor, habe dieser doch den Mythos von der Einheit des Volkes begründet. Danach geht es um die Auffassung von "Volk" in modernen Demokratien, wobei die USA mit ihrem "We the People" großes Interesse finden. Dem folgend behandelt der Autor den "Volksgemeinschaftsbegriff", der eine exklusive und inklusive, also eine ausgrenzende und einschließende Dimension habe. Es wird daran erinnert, dass auch in der Weimarer Republik sozialdemokratische Kreise um Hermann Heller von "Volksgemeinschaft" positiv sprachen, damit aber etwas ganz anderes meinten als die Nationalsozilisten. Die Unterschiede werden von Wildt klar herausgearbeitet. Gleiches gilt gegenüber dem in Schweden kursierenden "Volksheim"-Verständnis.

Erst danach nimmt der Autor die AfD und ihr Volksverständnis in den Blick, wobei die ausführliche ideengeschichtliche Vorarbeit als Bezugsrahmen für die Interpretation genutzt wird. Er betont dabei zunächst die antipluralistische Komponente, welche von einer auch politischen Einheit des Volkes ausgeht. Insbesondere der Geist des Staatsrechtlers Carl Schmitt schwinge hier mit. Dann betont der Historiker, dass die ethnische Homogenität ein Ideal der AfD sei. Denn es gehe ihr hier um eine Ausgrenzung der ethnisch Nicht-Deutschen. In diesen Kontexten müssten auch die von Frauke Petry wie von Poggenburg vorgebrachten Bezüge auf das "Völkische" oder die "Volksgemeinschaft" verstanden werden. "Meiner Beobachtung nach", so der Autor, "geht es Petry und Poggenburg nicht darum, den Nationalsozialismus zu rechtfertigen, sondern vielmehr um seine Entsorgung" (S. 118). Die AfD beabsichtige eine Manipulation und Verfälschung dieser Begriffe, die nicht einfach so vom Nationalsozialismus getrennt werden könnten.

Der Autor füllt zunächst 90 Seiten, bevor er zu seinem eigenen Thema kommt. Dabei erinnert Wildt an die Auffassungen vom Volk in der politischen Ideengeschichte. Mitunter wirkt er hier zu beschreibend und weniger systematisierend. Gleichwohl erinnert Wildt dabei an auch heute noch wichtige Traditionen. Die Begriffsgeschichte von "Volksgemeinschaft" wird differenziert und kenntnisreich vorgetragen. Der danach erfolgende Blick auf die AfD macht den Kontext deutlich. Der Historiker kann überzeugend darlegen, dass die Einstellungen führender AfD-Politiker bewusst oder unbewusst in einer demokratietheoretisch überaus bedenklichen Tradition stehen. Gegenüber der Religionsfreiheit der Muslime hält er die Parteipositionen nicht nur für problematisch, sondern für verfassungswidrig (vgl. S. 120). Dies hätte sicherlich noch ausführlicher begründet werden müssen, was aber nicht die Aufgabe eines Historikers sein muss. Das kleine Buch gibt aber viele kritische Anregungen, sich mit dem demokratischen "Volks"-Begriff neu zu beschäftigen.

Michael Wildt, Volk, Volksgemeinschaft, AfD, Hamburg 2017 (Hamburger Edition), 157 S., ISBN 978-3-86854-309-4, 12,00 Euro (eBook 7,99 Euro)