Ein humanistischer Blick auf 100 Tage Donald Trump

"Das Wachstumspotenzial der säkularen Bewegung war nie größer"

Einhundert Tage ist Donald Trump nun als Präsident im Amt, nicht wenige seiner Ankündigungen haben vor allem das linke und säkulare Amerika aufgeschreckt. Wir sprachen mit dem politischen Direktor und Cheflobbyisten der American Humanist Association Matthew Bulger über die religionspolitischen Pläne der amerikanischen Regierung, über Fake News und die zunehmende Politisierung der amerikanischen Gesellschaft sowie über die Perspektiven von Humanisten und Atheisten in den USA. 

hpd: Herr Bulger, wie stellt sich die Situation von Humanisten und Atheisten in den USA nach 100 Tagen Trump dar? 

Humanisten bemühen sich wie viele andere Minderheiten noch immer, ein Gesamtbild der Regierung von Donald Trump zu bekommen. Viele von uns machen die wissenschaftsfeindlichen Aussagen des Präsidenten sowie einiger Kongressmitglieder Sorgen. Es gibt aber auch große Bedenken hinsichtlich der Aussagen der Administration, die vermuten lassen, dass es mit der religiösen Vielfalt in unserem Land bald vorbei ist.

Bei seiner Amtseinführung hatte Trump gesagt, "egal, ob ein Kind um Großraum von Detroit geboren wird oder auf den windgepeitschten Ebenen von Nebraska, sie blicken auf zum gleichen Nachthimmel, sie haben dieselben Träume im Herzen und sie werden vom gleichen allmächtigen Schöpfer mit dem Hauch des Lebens durchdrungen." Und gut einen Monat später hat er vor dem Kongress kundgetan: "Wir sind ein Volk und teilen ein Schicksal. Wir haben alle dasselbe Blut und salutieren unter derselben Fahne. Und wir sind alle von dem einen Gott gemacht."

Welche Wirkung haben solche Aussagen?

Unabhängig davon, ob die Menschheit tatsächlich von einer Gottheit erschaffen wurde oder nicht; die Tatsache, dass Präsident Trump darauf besteht, die Erzählung des einen Schöpfers zu betonen, beleidigt alle nicht-abrahamitische Religionsgemeinschaften wie Hindus und Buddhisten aber natürlich auch Atheisten, Humanisten und alle anderen, die nicht an einen Gott glauben.

Im Kern vertritt Trump die Ansicht, dass die Vereinigten Staaten, die er repräsentiert und für die seine Regierung arbeitet, für diejenigen geschaffen wurde, die an den jüdisch-christlichen Gott glauben. Das ist nicht nur einfach ein Ausschluss derjenigen Amerikaner, die nicht an einen Gott glauben, sondern bedroht auch die Grundlagen unserer Nation, weil diese Politik dem religiös-weltanschaulichen Pluralismus und dem Prinzip der Trennung von Staat und Kirche entgegensteht. 

Was die Trennung von Staat und Kirche betrifft, haben Präsident Donald Trump und sein religiöser Vize-Präsident Mike Pence in den ersten Wochen ihrer Präsidentschaft bemerkenswerte Maßnahmen ergriffen. Etwa die Ankündigung, das Johnson Amendment aufzulösen, in dem die steuerliche Nichtveranlagung religiösen Organisationen und die daran gebundenen Bedingungen geregelt wird. Denn während es religiösen Organisationen demnach untersagt ist, sich politisch zu engagieren, will Trump das lockern, um Wahlkampfspenden u.a. von religiösen Organisationen und Kirchen zuzulassen. Gibt es darüber jetzt eine Debatte?

Unglücklicherweise ist die Aufhebung des Johnson-Amendment eine Lösung, wenn man denn an der Stelle ein Problem sehen will. Für die Aufhebung sind im Wesentlichen die Lobbyisten, die ohnehin schon in Washington sind und damit ihre Einflussmöglichkeiten sowie die ihrer Organisationen steigern wollen. Die Gemeinden und religiösen Gemeinschaften selbst wollen die bisherige Regelung erhalten. Kürzlich haben erst einhundert religiöse Organisationen einen offenen Brief an den Präsidenten geschrieben, in dem sie ihn auffordern, von dem Vorhaben abzusehen.

Die Unterstützer haben immer wieder falsche oder verfälschende Argumente in die Diskussion eingebracht, so dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Vorhaben und dessen Folgen kaum mehr möglich ist. Beispielsweise haben einige Republikaner behauptet, dass Führungspersönlichkeiten religiöser Organisationen eine Gefängnisstrafe drohe, wenn das Johnson Amendment nicht diesbezüglich geändert würde. Indem man die Debatte mit solchen Übertreibungen führt, ist eine sachliche Auseinandersetzung kaum mehr möglich. Die Diskussion ist hoch emotional und weit weg von den wirklichen Umständen.

Matthew Bulger bei einer AHA-Veranstaltung zum Johnson Amendment
Matthew Bulger bei einer Veranstaltung zum Johnson Amendment der AHA | Foto: AHA

Welche Position nimmt die American Humanist Association in der Debatte ein?

Wir sind starke Unterstützer der Fraktion, die sich für die Beibehaltung des Johnson Amendment einsetzt, weil wir befürchten, dass eine Reform einen starken Einfluss auf die Finanzierung künftiger politischer Kampagnen, auf die Glaubens- und Religionsfreiheit sowie auf die Integrität der religiösen Institutionen und Versammlungsorte hat.

Worin bestehen die wichtigsten Gefahren bei der Abschaffung der bestehenden Regelung?

Das Johnson Amendment aufzuheben hätte gleich mehrere umgehende Folgen. Diese betreffen zum einen Spenden für den Wahlkampf oder politische Abstimmungen. Solche politischen Spenden von Kirchen, die dann möglicherweise an Kandidaten fließen oder für politische Kampagnen ausgegeben werden, könnten dann im Gegensatz zu allen anderen Formen der politischen Spende steuerlich abgesetzt werden. Momentan ist das nicht möglich. 

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Matthew Bulger

Zum anderen geht es um die sogenannte Kanzel-Billigung. Religiöse Vertreter könnten dann in Kirchen und andere Kultstätten politische Kandidaten von der Kanzel aus unterstützen und diese Unterstützung als religiösen Imperativ, also einer religiösen Pflicht für ihre Gemeindemitglieder auslegen. Das würde dann auch nicht ihre Steuerprivilegien bedrohen. 

Und nicht zuletzt geht es um die Frage des Schwarzgeldes. Die Spenden der Kirchen für politische Zwecke wären im Gegensatz zu den meisten anderen Formen des politischen Lobbyings anonym. Die meisten anderen im Johnson Amendment genannten Gruppen müssen in ihrer Steuererklärung Angaben über ihre Aktivitäten machen. Die Kirchen sind von dieser Meldepflicht ausgenommen. Ausgaben zu politischen Zwecken wären also nahezu unmöglich nachzuverfolgen.

Trump provoziert mit seiner Politik gegen Einwanderer und anderen Minderheiten, gegen die etablierten Medien sowie die Gleichberechtigung und Rechte der Frau starke Reaktionen, die zu zahlreichen Protesten in den USA geführt haben. Verspüren Sie so eine Art politisches Erwachen im Land? Engagieren sich die Amerikaner in Reaktion auf Trump wieder stärker in ihrer Gesellschaft?

Amerikaner beteiligen sich zunehmend am politischen Willensbildungsprozess, sowohl zugunsten als auch gegen die aktuelle Regierung. Ob es dabei bleibt, müssen wir abwarten, aber die amerikanische Demokratie wird nur dann gestärkt werden, wenn die Bürger darin bestärkt werden, sich an der politischen Debatte zu beteiligen.

Spüren Sie denn als Organisation etwas von der aktuellen Politisierung der Gesellschaft? Ist jetzt vielleicht sogar die Zeit gekommen, dass sich die säkularen Bewegungen in den USA zusammentun und eine neue Bewegung starten?

Die nicht-religiöse Bewegung in den USA war niemals stärker als sie es gerade ist und hatte auch zu keinem anderen Zeitpunkt so viel Wachstumspotenzial. Wir verzeichnen ein großes Wachstum der offen als nicht-gläubig auftretenden Menschen, ganz egal ob sie sich als Atheisten, Humanisten, Agnostiker oder anders bezeichnen. Jetzt ist die beste Zeit, um eine säkulare Gruppe ins Leben zu rufen oder einer bestehenden beizutreten, will man diese Bewegung und ihre Ideale unterstützen.

Von außen betrachtet sieht es aus, als wären die USA religionspolitisch gespalten. Aber das Pew Research Center hat kürzlich eine Studie veröffentlich, die ein anderes Bild zeichnet. Während weltweit Religion eher zu Krieg führt, stehen die Amerikaner religiösen Gruppen zunehmend offen gegenüber. Können Sie uns das erklären?

Es ist wichtig, hier zwischen offizieller Regierungslinie und der öffentlichen Meinung zu unterscheiden. Während unsere Regierung in verschiedenen Ländern an Kriegen beteiligt ist, die Menschen aus unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften auch unterschiedlich betreffen, erkennen und unterstützen die meisten Amerikaner den Grundgedanken, dass Amerika ein Land ist, in dem viele Glaubenshaltungen, auch die Haltung, nicht zu glauben, nebeneinander bestehen können und dass es dieser Pluralismus ist, der unser Land stark macht.

Die Studie zeigt auch, dass Amerikaner ihre Skepsis gegenüber Nicht-Gläubigen abgebaut haben und ihnen offener gegenüber stehen. Das ist neu. Was hat zu diesem positiven Sinneswandel geführt?

Es haben sich immer mehr Atheisten und Humanisten offen zu ihren Ansichten geäußert. Das hat dazu geführt, dass ihre Haltung nicht mehr nur ein abstraktes Konzept geblieben ist, sondern für ihre Freunde und Familien verständlich wurde. Man konnte schon bei der LGBTI-Bewegung feststellen, dass die Akzeptanz marginalisierter Gruppen dazu tendiert zu wachsen, wenn aus diesen Gruppen einzelne Menschen werden. Weil sich nun also mehr und mehr Menschen als Atheisten oder Humanisten zu erkennen geben, ist ihr Umfeld gezwungen, seine negativen Bilder von Atheisten mit den positiven Gefühlen für die einzelnen Menschen, die sie kennen könnten, in Einklang zu bringen. Diese Individualisierung oder Vermenschlichung der Gemeinschaft der Nicht-Gläubigen hat zu einer wachsenden Akzeptanz dieser Menschen und ihrer Ansichten geführt.

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Amanda Tyler vom Babtistischen Ausschuss, Jennifer Ahear vom Bürgerkommittee für Verantwortung und Ethik und Ron Millar der Freidenkerischen Stiftung für Gleichberechtigung | Foto: AHA

Die religiöse Zusammensetzung des 115. Kongresses ist eindeutig. Die 230 Millionen Christen werden von 485 Abgeordneten vertreten, die 75 Millionen Atheisten und Humanisten einzig und allein von der 40-jährigen demokratischen Abgeordneten Kyrsten Sinema. Können Sie uns das erklären? Sind die Erfolgsaussichten für bekennende Nicht-Gläubige tatsächlich so schlecht?

Die Abgeordnete Sinema bezeichnet sich selbst gar nicht als Nicht-Gläubige. Tatsächlich weigert sie sich oft, sich klar zuzuordnen. Dennoch betrachten wir säkularen Kräfte sie als Teil unserer Gemeinschaft.

Die Diskriminierung von Nicht-Gläubigen im politischen Alltag bleibt aber tatsächlich ein echtes Problem, aber da immer mehr Atheisten und Humanisten in regionale und staatliche Ämter gewählt werden, erwarten wir einen ähnlichen Trend auf nationaler Ebene, sprich im US-Kongress.

Wie ist denn die Situation in den Staaten oder großen Städten? 

Aus persönlicher Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass das Leben für Atheisten, Humanisten und Agnostiker in den ländlichen Gebieten eine Herausforderung bleibt. Ich bin in Texas aufgewachsen, da wurde ich deutlich stärker ausgegrenzt als jetzt, da ich in einer großen Stadt lebe. Es ist aber nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich dies ändern wird, da sich immer mehr Nicht-Gläubige in ihren Familien offen äußern und die atheistische Bewegung immer stärker Teil der Normalität wird.

Unterstützen Sie Kyrsten Sinema bei Ihrer Arbeit? Stehen Sie vielleicht sogar regelmäßig in Kontakt?

Wir arbeiten glücklicherweise mit allen Kongressabgeordneten gut zusammen, unabhängig von ihren politischen Zugehörigkeiten oder religiösen Überzeugungen. Bislang haben wir nicht regelmäßig mit Kyrsten Sinema zusammengearbeitet, aber wir sind nicht abgeneigt, dies zu tun.

Wie in anderen westlichen Gesellschaften erlebt auch die amerikanische Gesellschaft einen medienpolitischen Einschnitt. Die Diskussion um Fake News und alternative Fakten wird direkt im Weißen Haus betrieben. Wie sind sie als Organisation davon betroffen? 

Das kritische Denken steht in Amerika unter Generalverdacht, das konnte man in letzter Zeit in den Fake-News-Debatten beobachten. Der Anti-Intellektualismus im Allgemeinen ist ein weit verbreitetes Problem in den USA seit dem Aufstieg der religiösen Rechten in den 1980er Jahren, weshalb es von entscheidender Bedeutung ist, dass Organisationen wie wir und die einzelnen Humanisten weiterhin mit ihren Freunden, Familien, Kollegen und anderen über das kritische Denken diskutieren. Vor allem, wenn es darum geht, Nachrichtenquellen und andere Formen der Informationsverteilung zu bewerten, ganz unabhängig davon, ob sie religiös sind oder nicht.

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Empfang zu einer Veranstaltung der AHA in Washington | Foto: AHA

Der diesjährige Oscar für den Besten Film ging an Barry Jenkins "Moonlight", das Porträt eines schwarzen, homosexuellen Jungen aus schwierigen Verhältnissen. Viele andere Filme stellen aktuell die Rassismusfrage: Raoul Pecks "I’m not your Negro", Jeff Nichols "Loving" und Denzel Washingtons "Fences" sind nur drei aktuelle Beispiele. Dazu kommt, dass zwei der meist diskutieren Romane im letzten Jahr Hanya Yanagiharas post-moderne, post-sexuelle und post-nationale Geschichte  "Ein wenig Leben" und Marlon James antirassistisches Bob-Marley-Epos "Eine kurze Geschichte von sieben Morden" war. Ist das Interesse an Menschen und Minderheiten, dass sich in diesem kulturellen Trend abzeichnet, eine Reaktion auf Trump oder ein Anzeichen dafür, dass sich die Menschen stärker für das Individuum und das Menschliche interessieren?

Auch die amerikanische Gesellschaft wird immer bunter, entsprechend steigt das Interesse, diese Vielfalt sowie die Probleme, mit denen Minderheiten in den USA konfrontiert sind, zu ergründen. Die Unterhaltungsindustrie hat bislang vor allem die Geschichte des weißen Amerikas erzählt, obwohl unser Land eine lange Geschichte der Vielfalt hat, die bis auf unsere Gründung zurückgeht. Die Wahrnehmung dieser Geschichte hat sich in den letzten Jahren verändert, zum Teil wegen des Aufschreis derjenigen, die von Rassismus betroffen sind und sich damit täglich auseinandersetzen, aber auch weil Hollywood erkannt hat, dass sich die Menschen überzeugende Geschichten von nicht-weißen Protagonisten wünschen – ganz unabhängig von dem wachsenden Bevölkerungsanteil dieser Zielgruppe.

Was denken Sie, wie sieht die religionspolitische Agenda der Trump-Regierung aus – im besten wie im schlimmsten Fall? 

Noch ist die Regierung nicht lange genug im Amt, um hier eine genaue Aussage zu treffen. Aber die tatsächliche Beseitigung des Johnson Amendment wäre zweifellos eine katastrophale Entscheidung, die einzig und allein prominente Vertreter der Evangelikalen in die Regierung spülen würde, die dann an Schlüsselpositionen wie die des Botschafters für internationale Religionsfreiheit gelangen würden.

Im besten Fall würde sich die Verwaltung gegen Gesetze zur Wehr setzen, die darauf ausgelegt sind, die Bürger auf der Grundlage ihrer individuellen religiösen Überzeugung zu spalten. Zugleich könnte man, um ein Zeichen zu setzen, auch eine Gruppe von Regierungsbeamten mit unterschiedlichen religiösen Haltungen ins Leben rufen.

Was macht Ihnen in diesen Tagen Hoffnung? 

Die Unabhängigkeit der Bundesjustiz und ihr kontrollierender Blick auf Regierung und Kongress machen mir Mut und lassen mich glauben, dass die amerikanische Demokratie als Ganzes auch weiterhin überleben wird, auch wenn einige Regierungsbeamte auch weiterhin wichtige Institutionen schwächen, die unsere Demokratie stärken und schützen.

Herr Bulger, vielen Dank für das Gespräch.

Hier geht es zu einem Bericht von Matthew Bulger über eine Veranstaltung der AHA zum Johnson Amendment mit Kongress- und Senatsabgeordneten.