Auf diversen Plattformen wird seit Tagen heiß diskutiert, wie es mit der Heilpraktikerei weitergehen soll. So auch beim hpd. Allerdings mischen sich in die Debatte auch "Heiler" ein, die – wie ein Kommentator beim hpd – eine "bioenergetische Blutdiagnose" anbieten. Oder unter einem Artikel in der Süddeutschen kommentieren und vergessen, zu erwähnen, dass sie für "nur 499 Euro" (anstatt 750) fünf "Sitzungen Reinkarnationstherapie/Rückführungen in frühere Leben" anbieten.
Manche der Diskutierenden weisen – sicher zu Recht – darauf hin, dass nicht jeder Heilpraktiker automatisch ein fahrlässiger Scharlatan sei. Aber selbst, wenn man diesen Standpunkt vertritt, kann es einem als Patient ja wohl nur lieb sein, wenn Heilpraktiker in Zukunft fundiertere medizinische Kenntnisse nachweisen und z.B. eine physiotherapeutische oder pflegerische Ausbildung absolviert haben müssen. Oder? Dann wäre man als Befürworter von soliden naturheilkundlichen Verfahren auch das Problem los, dass Quacksalber unter dem gleichen "staatlich anerkannten" Label gefährlichen Hokuspokus vermarkten und den Ruf der Heilpraktiker versauen. Also ein Win-Win. Oder doch nicht?
In den Kommentarspalten wird jedoch eifrig und eilfertig beinahe alles verteidigt, was unter dem Etikett "Heilpraktiker" in Deutschland so herumgeistert.
Und überhaupt seien die Pharma-Lobby und die "gekaufte Wissenschaft" das viel größere Problem.
Ja, auch im evidenzbasierten Gesundheitssystem gibt es Fehler, kapitalistisch motivierte Beeinflussung von Ärzten und Ärztinnen, Kurpfuscherei, zu wenig Zeit für Gespräche mit Patienten, Ökonomisierungsdruck für Krankenhäuser und Kliniken etc. pp.
Man kann gern konstruktiv debattieren, wie man diese Auswüchse behebt. Man kann auch gern drüber nachdenken, wie klug es ist, jeden Sektor der Grundversorgung zu privatisieren, so dass überhaupt erst der Druck aufkommt, dass mit Operationen Gewinn gemacht werden muss und Ärzte Prämien bekommen, wenn sie diese oder jene Therapie / Operation / Anwendung möglichst häufig durchführen oder verschreiben. Man darf auch gern bei der Wahl im September jene Parteien abwatschen, die solche Entwicklungen begünstigen.
Aber das ist doch alles kein vernünftiger Grund, sich von mehrheitlich nicht hinreichend ausgebildeten Personen mehrheitlich unwirksame, schein-wirksame oder kontraproduktive "Behandlungen" andrehen zu lassen! Das Unseriöse wird doch nicht seriöser dadurch, dass die seriöse Medizin teils von unseriösen Mechanismen unterwandert wird.
Anders gesagt: Nur weil meine Mathelehrerin auch mal Wissenslücken hatte oder Fehler an der Tafel machte, oder didaktisch nicht so geschickt war, bin ich doch nicht auf die Idee gekommen, dass ich mich künftig lieber vom Hausmeister unterrichten lassen sollte! Klar, gibt es auch Hausmeister, die gut in Mathe sind. Und mit vier Operatoren im Zahlenbereich bis 1.000 kommen sicher die meisten gut klar. Aber spätestens bei fortgeschrittener Stochastik und Kurvendiskussion ist es plausibel, davon auszugehen, dass ein studierter Mathematiker weniger Stuss erzählt.
Problem nur: Wenn ich selber null Ahnung von höherer Mathematik habe, kann mir ein geschickter und geschäftstüchtiger Hausmeister sehr viel Geld für "Mathe-Nachhilfe" abluchsen, eh ich begreife, dass der auch nur zweimal halbherzig ins Tafelwerk geschielt hat und sich den Rest der Begriffe und Formeln aus den Fingern gesaugt oder von der YouTube-Akademie abgeschaut hat. Nie war das Wissensgefälle zwischen Laien und Fachpersonen größer als heute – und nie haben Laien diese Kluft so sehr unterschätzt (bzw. sich selbst überschätzt). Wenn ich dann durch's Mathe-Abi falle, wird der Hausmeister aber (zu Recht) jede Verantwortung abstreiten.
Und genau so machen es auch die Heilpraktiker, die qua Gesetz verpflichtet sind, ihre Patienten zu informieren, dass sie einen Besuch bei einem echten Arzt nicht ersetzen können/dürfen. Gleichzeitig suggerieren sie fleißig, dass die "Schulmedizin" nicht vertrauenswürdig sei.
Dass mit "alternativen Heilmethoden", Homöopathika und sonstiger Esoterik jährlich Milliarden verdient werden, wird von den kapitalismuskritischen Gegnern der "Schulmedizin" auch gern unterschlagen.
Und damit kommen wir zur Pointe von so viel trockenem Text:
In dieser munteren, verqueren Debatte in der allzu oft Bauchgefühl und Ignoranz zur Basis von Meinungen gemacht werden;
in dieser schrägen Stimmung in einem der Länder mit der höchsten Lebenserwartung und einem der - bei allen vorgenannten Defiziten - verlässlichsten Gesundheitssysteme aller Zeiten;
in dieser absurden Situation kommentiert also ein Heilpraktiker unter einem Facebook-Post der Süddeutsche Zeitung und will seinen Berufsstand gegen vermeintliche Verunglimpfungen verteidigen. Er schreibt da sinngemäß: HeilpraktikerInnen würden doch mehrheitlich solide, gut erforschte Methoden zur Anwendung bringen und die ganze Kritik sei doch von geldgeilen Ärzteverbänden orchestriert, die Angst vor der Konkurrenz hätten. Dafür gab es Dutzende Likes und Herzchen! Was für ein aufrechter, systemkritischer Geist!
Einen Klick auf das Profil des Kommentatoren zu tun, war Vielen dann wohl zu viel Aufwand. Denn dann zeigt sich, dass hier ausgerechnet ein Reinkarnationstherapeut(!) erklärt, dass die Heilpraktiker zu Unrecht in der Kritik stehen. Oder – wie beim hpd – ein Dr. phil. Jörg Berchem, der im Hauptberuf u.a. "Mentaltraining" und "bioenergetische Blutdiagnose" anbietet und seinen Kommentar mit den Worten "Heilpraktiker und freiberuflicher Leiter des Fortbildungsprogramms beim Berufs- und Fachverband Freie Heilpraktiker e.V." abschließt.
18 Kommentare
Kommentare
P.F. am Permanenter Link
Prima, prima! Ein guter Kommentar - ganz einfach argumentiert - aber umso treffender! Hoffentlich tut sich was auf der gesetzlichen Ebene.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schöne Pointe, Falko!
Würde mich nicht wundern, wenn auch hier wieder geballt die Esoterik aufschlüge.
Nele Abels am Permanenter Link
Berchem ist der Selbstdarstellung nach ein Ethnologe. Wieder so ein Honk, der am schlechten Ruf der Geisteswissenschaften als inhaltsfreien Laberfächern beteiligt ist... :(
Joseph Kuhn am Permanenter Link
In der Tat eine seltsame Parodoxie, wenn die schreiende Unvernunft vorgibt, die Stimme der Vernunft zu sein.
Paul am Permanenter Link
Was ich mich immer frage, wenn die Verteidiger des Glaubens auftreten, ist es eigentlich nur dümmliche Gläubigkeit oder trägt dies schon psychopatische Züge, von Menschen, denen Ihre Mitmenschen so vollkommen egal sin
Körrie Kantner am Permanenter Link
Ich möchte als Mathelehrer (wenn auch fachfremd) eine Lanze für unseren Hausmeister brechen. Ansonsten: Klasse Kommentar.
Hans Klein am Permanenter Link
Köstlich! Aber dass der Esoteriker dann sogar auf seiner Seite den Rabatt falsch ausrechnet, passt zum gewählten Vergleich:
Sommerangebot, gültig bis 31.08.2017: 5 Sitzungen für 500,00 € statt 750,00 € = 30 % Rabatt!
Merke: Hausmeister können schon den Mathelehrer ersetzen, Esoteriker nicht :-)
Chr. Nentwig am Permanenter Link
Ein Superkommentar. Hübsch, dass einigen Scharlatanen, die sich in Foren breitmachen, mal ihre Maske heruntergerissen wird.
Christian Witzel am Permanenter Link
Gebt dem Memorandum mehr Unterstützung.
Auf http://www.muensteraner-kreis.de/unterstuetzer.html steht wie es geht. Eine Email reicht. Je länger die Liste, desto....
Manfred H. am Permanenter Link
Besser geht es nicht, Herr Pietsch!!
Vielen Dank für diesen Kommentar, der wirklich alles, was es zu diesem Thema zu sagen gibt, auf den Punkt bringt!
Holger Tallowitz am Permanenter Link
Sehr guter Kommentar. Die Heilpraktikerzunft ist nur so aufgeregt, weil sie nicht wirklich logische Argumente vorbringen kann.
Letztlich geht es auch hierbei um die Hoheit von Vernunft und Verstand gegenüber Glauben und Unwissen.
Dr. Jörg Berchem am Permanenter Link
Herzlichen Dank für den Verfasser des Kommentars für die kostenlose Werbung!
Der Korrektheit halber hätten Sie erwähnen können, dass die Grundlagen dazu Ärzte wie Aschoff, Voll, Morell und Clark geschaffen haben und vor allem der internatonal beachtete Quantenphysiker Professor Dr. rer. nat. Fritz. A. Popp.
Dass Sie meine nutruwissenschaftlich akademischen Titel unterschlagen und mich als "Heiler" statt Heilpraktiker bezeichnen, sei Ihnen verziehen.
Ach ja: ein Hinweis auf meine Webseite, wie beim Kollegen wäre noch nett. Dann ersparen sich Ihre Leser das "googeln".
Ich grüße Sie mit besten Wünschen für Ihre Gesundheit!
Joseph Kuhn am Permanenter Link
Damit sich die Leser, wie von Dr. Jörg Berchem vorgeschlagen, das googeln ersparen:
Dieter Aschoff:
https://www.psiram.com/de/index.php/Elektromagnetischer_Bluttest_nach_Aschoff
Franz Morell:
https://www.psiram.com/de/index.php/Franz_Morell
Weniger Science, mehr Scientologe.
Reinhard Voll:
https://www.psiram.com/de/index.php/Reinhold_Voll
Hulda Clark:
https://www.psiram.com/de/index.php?title=Hulda_Clark
Auch Scientology-nah.
Fritz A. Popp:
https://www.psiram.com/de/index.php/Fritz-Albert_Popp
Ich glaube nicht, dass "internatonal beachtete Quantenphysiker" ihn beachten.
pelacani am Permanenter Link
@Dr. phil Berchem
Ihre Referenzliste liest sich wie ein Who‘s Who aus unserem Wiki.
Aschoff:
https://www.psiram.com/de/index.php/Elektromagnetischer_Bluttest_nach_Aschoff
Voll:
https://www.psiram.com/de/index.php/Elektroakupunktur_nach_Voll
Wir bemühen uns ja im allgemeinen, nicht die Personen, sondern die Methoden darzustellen, aber manchmal kommt man nicht umhin.
Clark: Hulda Clark?
https://www.psiram.com/de/index.php/Hulda_Clark
Morell:
https://www.psiram.com/de/index.php/Franz_Morell
Popp:
https://www.psiram.com/de/index.php/Fritz-Albert_Popp
Wenn man das so liest, dann fragt man sich in der Tat, was wohl mit Nutruwissenschaft gemeint sein könnte.
Mit freundlichem Gruß,
pelacani
Hans Klein am Permanenter Link
Was sind denn Nutruwissenschaften?
Veronika am Permanenter Link
beim Lesen der obigen Kommentare nehme ich vor allem eines wahr:
Verallgemeinerungen
Mir drängt sich der Gedanke auf, dass es hier um Persönliches geht und die Sache darüber in Vergessenheit gerät.
Ich wünschte mir, dass wir uns folgende Frage bei der sachlichen Erörterung des Themas stellen:
Leisten nicht die meisten Psychotherapeuten - studiert oder Heilpraktiker - Dienst am Menschen? Gibt es nicht hier wie dort schwarze Schafe? Hat nicht DAS recht, was HILFT?
In diesem Sinne wünsche mir mehr sachliche Argumente.
Mir persönlich haben beide Seiten geholfen. Und ich fühle mündig und autonom genug, zwischen beiden Alternativen wählen zu können.
Wenn ich mit offenen Augen durch die Welt laufe, sehe ich viele Patienten von morgen. Sehr viele. Zu viele.
Was ist denn das gemeinsame Ziel von Psychotherapeuten?
Wenn dieses erreicht werden soll, ist dann nicht Kooperation gefragt statt Missgunst und Skepsis? Sind Missgunst und Skepsis gegenüber anders Denkenden nicht eher eigene, noch ungelösten Aufgaben, die auf den vermeindlichen "Widersacher" (Trennung!) projeziert werden?
In diesem Sinne vermisse ich bei den Kommentaren Selbstreflektion.
Dr. Jörg Berchem am Permanenter Link
Acht Antworten:
http://freieheilpraktiker.com/cms_uploads/8%20Antworten%20FH.pdf
Michael Baar am Permanenter Link
Guten Tag Herr Pietsch,
kennen wir uns? Ich denke nicht, denn sonst hätten Sie bestimmt MIT mir statt über mich geredet.
Ich habe ein paar rhetorische Fragen:
Wo bleibt die journalistische Sorgfalt, wenn Sie mich als „Heiler“ bezeichnen, der ich nicht bin und das auch nirgends kommuniziere? Oder wenn Sie mir Zitate unterschieben, die ich nicht tätigte?
Warum sollte ich „vergessen“ zu erwähnen, welche Leistungen ich anbiete, wenn das in einem Kommentar bei der SZ überhaupt nicht das Thema ist?
Warum werden Sie Ihrem eigenen Anspruch, „konstruktiv zu debattieren“, nicht gerecht, sondern polemisieren tendenziös einseitig?
Wie kommt es, dass Sie unterstellen, dass Heilpraktiker „fleißig suggerieren, dass die "Schulmedizin" nicht vertrauenswürdig sei“? Halten Sie Pauschalisierungen für ein würdiges Mittel?
Warum schreiben Sie über ein Thema, wenn Sie in Ihrer Argumentation stets die Diskussionsebenen vermischen. Ihnen geht es doch gar nicht um die Diskussion, die vom „Münsteraner Expertenkreis“ ausgelöst wurde. Sie stellen bestimmte Methoden in Frage. Sie prangern – zu Recht – die wenig hilfreichen Kommentare von Heilpraktikern an. Sie stellen nicht nur Methoden in Frage, sondern belächeln allein aufgrund der Bezeichnung einer Methode den Anbieter (da Ihnen ja scheinbar der Begriff „Behandler“ nicht passt). Schließlich nutzen Sie das Wort Scharlatan. Ich empfehle die Recherche der Definition dieses Terminus.
Sie urteilen Methoden pauschal ab aufgrund ihrer durch Ihre Vorstellungen davon implizierten Bewertungen und versuchen, sie lächerlich zu machen. Ich unterstelle: Ohne sich jemals inhaltlich damit auseinandergesetzt zu haben, geschweige denn mit einem Anbieter.
Sie zitieren „sinngemäß“ und müssen „ausgerechnet einen Reinkarnationstherapeuten“ als Beispiel anführen, ohne auf die meine differenziertere Stellungnahme bei Facebook einzugehen, soweit das im Rahmen von Facebook-Posts überhaupt möglich ist.
Sie unterschlagen meine Befürwortung einer Reformation der Zulassung zum Heilpraktiker.
Sie unterstellen mir, ich spräche über „geldgeile Ärzteverbände“, was ist definitiv nicht der Fall ist.
Herr Pietsch, ich lade Sie herzlich dazu ein, mit mir persönlich Kontakt aufzunehmen. Nur mal so am Rande: Ich habe seit über 20 Jahren mit Patienten zu tun, als Masseur, als Arzthelfer, als Heilpraktiker für Psychotherapie. Mein Schwerpunkt liegt auf Menschen mit geistig-seelischen-psychischen Themen. Ich arbeite sehr gern und sehr gut mit der „Schulmedizin“ zusammen. Sie können also davon ausgehen, dass ich keine einseitige Weltanschauung habe, sondern den Menschen aufgeklärt, transparent, empathisch, pragmatisch und zugewandt begegne. Das wird mir sicher auch mit Ihnen gelingen ;-). Ich würde mich über einen Austausch freuen.
Ach, und noch was: In meiner Praxis ist die Reinkarnationstherapie am ehesten etwas für Menschen, die nicht daran glauben, dass es Wiedergeburt gibt. Sie ist ein großartiges Hilfsmittel, um aktuell Unbewusstes bewusst werden zu lassen und damit im Heute einen Leidensdruck zu lindern. Dass es Reinkarnationstherapeuten gibt, die eine Lösung heutiger Probleme in früheren Leben versprechen, ist aus meiner Sicht wenig hilfreich und schadet dem Ansehen. Falls Sie sich wirklich informieren wollen, schauen Sie doch mal bei den Grundlagen dazu bei Wikipedia unter "Katathym Imaginative Psychotherapie", und hier unter „Anerkennung in Deutschland und Österreich“.
Michael Baar