Seit zehn Monaten sitzen Ingrid-Matthäus-Maier, Juristin und Politikerin, ehemals stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, und ihr Stellvertreter Rainer Ponitka, Geschäftsführer des Internationalen Bunds der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), für drei säkulare Organisationen: den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD), IBKA und die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) im Rundfunkrat des WDR.
Ein guter Anlass, über ihre bisherigen Erfahrungen zu berichten, was die beiden am vergangenen Freitag beim "Humanistischen Forum Köln" taten, das monatlich von der gbsKöln organisiert wird.
Man erinnert sich noch lebhaft an das lange Klagen von uns Säkularen darüber, dass, obwohl sich ja bekanntlich die Mengenverhältnisse in der Bevölkerung längst verschoben hatten, der konfessionsfreie Anteil unangemessen lang in keinem der Rundfunk- und Fernsehräte vertreten war. Und folgerichtig ist einem auch noch die große Freude vom Juli 2016, die der Bestellung von Ingrid Matthäus-Maier und ihrem Stellvertreter in den Rundfunkrat des WDR folgte, präsent.
Wer sich aber davon versprochen hatte, dass dieses Ereignis auch einen konkreten Effekt auf das Programm bedeuten würde, wurde während des Vortrags von Matthäus-Maier nach und nach auf den harten Boden der Tatsachen gebracht: die Rundfunk- Fernseh- und Hörfunkräte sind leider nicht für die Programmgestaltung zuständig. Als Aufsichtsorgane können sie lediglich eine Art begleitende Kontrolle ausüben. Mitglieder können eine Beratung darüber beantragen, ob eine bereits ausgestrahlte Sendung gegen die Programmgrundsätze des WDR-Gesetzes verstoßen hat.
Und auch in Bezug auf einen zu wünschenden, zumindest geringen, Ausgleich für die nicht weniger als dreißig Verkündigungstermine im WDR pro Woche, die nach wie vor den Kirchen zugestandenen werden, ändert diese Neubesetzung nichts, da die Verkündigungstermine gesetzlich begründet sind - sogar gleich in zwei Gesetzen: Im WDR-Gesetz (§8) und im Landesmediengesetz (§36) sowie zusätzlich im Rundfunkstaatsvertrag (§42).
Daher gab es für unsere beiden Vertreter diesbezüglich direkt eine unmissverständliche Absage: "Die Verkündigungstermine stehen im Gesetz, wendet euch da bitte an die Politik..."
Da tröstet es uns Säkulare auch wenig, dass der Rundfunkrat den Intendanten wählt und z.B. beschließt, ob die Verträge von Talkshow-Moderatoren verlängert werden - auf die gesendeten Inhalte hat dies recht wenig Einfluss, zumal Frau Matthäus-Maier bzw. ihr Stellvertreter mit lediglich einer Stimme von ca. sechzig, natürlich kein sehr großes Gewicht haben.
Was aber bleibt, ist natürlich das politische Signal, das von dieser Besetzung ausging: ein allererster Schritt. Fast zeitgleich trat auch der bundesweit einzige weitere Vertreter einer säkularen Vereinigung seinen Sitz in einem Rundfunkrat an: ein Vertreter der Humanistischen Union (HU) beim "Radio Bremen".
Beim Hessischen Rundfunk gab es indes dieses Jahr ebenfalls eine Erweiterung: ein Vertreter der DITIB, Erdogans immens erfolgreiche Behörde für Desintegration, die geschätzt höchstens ein Siebtel der Muslime in Deutschland vertritt, also ca. 0,7% der Bevölkerung, nahm dort Platz - die über 36% Konfessionsfreien spielen hier hingegen weiterhin keine Rolle.
Auch im ZDF-Fernsehrat sitzt seit Juli ein Vertreter "der Muslime" und auch hier bleiben die Säkularen außen vor: Bei einer kürzlich erfolgten diesbezüglichen Anfrage von Matthäus-Maier bei der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die zudem die Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrates und daher für die Besetzung der Fernsehrats zuständig ist, erhielt sie die Antwort: " Wir sind ein christliches Land - und das bleibt auch so..."
Aber, Politik ist eine langwierige Sache der kleinen Schritte. Gedulden wir uns also...
Menschlich wurden unsere beiden säkularen Vertreter von allen im Rundfunkrat jedoch sehr freundlich aufgenommen. Ihre Beiträge werden geschätzt und sie sind der Meinung, dass es ihnen beim WDR sicher viel besser ergangen wäre, als Rolf Schwanitz, einem Beiratsmitglied des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw). Er hatte kürzlich beim MDR eine Programmbeschwerde dazu eingereicht, dass in einer Sendung zum Luther-Jahr Ungläubige diffamiert worden waren und hatte daraufhin nur eine schnöde Abfuhr erhalten (der hpd berichtete); nach seiner erneuten Beschwerde erhielt er dann jedoch immerhin die Information, dass der Fall im Rundfunkrat durchaus kontrovers gesehen worden war.
Über Jörg Schönenborn, den Fernsehdirektor des WDR, haben Matthäus-Maier und Ponitka Kontakt zu drei WDR-Redakteuren für Religions-Themen erhalten und waren überrascht, wie aufgeschlossen diese sind und wie kritisch sie auch über die Kirchen zu berichten pflegen. Von ihnen kam sogar das Angebot, sich doch mit ihren Themen an sie zu wenden, gerne würden sie diese ins Programm mit aufnehmen. Sie zeigten sich zudem erstaunt, dass man dem "Bund für Geistesfreiheit" (BfG) vor vielen Jahren seinen einzigen Sendeplatz gestrichen hatte und bedauerten dies.
Auf politischer Seite, dem eingangs erteilten Ratschlag folgend, streben Ponitka und Matthäus-Maier nun ein Gespräch bei Christian Lindner an. Immerhin hatte die FDP, bei aller Befürwortung der Verflechtung von Staat und Kirche, in einzelnen kleinen Aspekten doch tatsächlich etwas Liberalität gezeigt: sich für die Abschaffung des "Gotteslästerungs-Paragrafen" §166 StGB ausgesprochen und auch das "Sterbehilfe-Verhinderungsgesetz" in der jetzigen Form kritisiert. Daher kann man vielleicht hoffen, in der FDP, sollte sie eine der Regierungsparteien werden, für Verkündigungstermine säkularer Gruppen einen Fürsprecher zu finden.
In der inzwischen alltäglichen Praxis stehen für unsere beiden säkularen Rundfunkrat-Vertreter jedoch sogar mehr die Sorge um den WDR als Teil der von mehreren Seiten heftig angegriffenen ARD, ihr "Überleben", im Vordergrund.
Matthäus-Maier wurde zur stellvertretenden Vorsitzenden des Haushaltsausschusses gewählt (der in der säkularen Szene durch sein Buch "Kirchenhasser-Brevier" bekannt gewordene Journalist Ulli Schauen hatte ihr zu diesem geraten, denn steuern könne man ehesten über das Geld).
Hier bekommt sie natürlich hautnah mit, dass der Kostendruck auf den WDR immens ist, ca. eine Million Bürger weigert sich, die Rundfunkgebühr zu zahlen, mittlerweile mussten rund 500 Stellen abgebaut werden, die AfD hetzt gegen die Rundfunkgebühren und 60% der jungen Leute sehen sich die Nachrichten nur noch online an, so dass sich die ARD nun in der Defensive ggü. den Angriffen von Zeitungsverlegern befindet.
Es stellt also eine enorme Leistung dar, den nötigen Sprung in die Online-Welt zu schaffen und damit das Fortbestehen der öffentlich-rechtlichen Medien, also auch den Fortbestand eines Hauptanteils des Qualitäts-Journalismus in Deutschland, zu gewährleisten...
Und zum Schluss noch eine Bitte an die Leser des hpd:
Natürlich können Ingrid Matthäus-Maier und Rainer Ponitka nicht den ganzen Tag fernsehen und Radio hören. Daher sind sie beim Auffinden von WDR-Sendeinhalten, wo Religion einseitig positiv dargestellt wird bzw. Religionsfreie einseitig negativ dargestellt werden, auf die Mithilfe vieler angewiesen, so dass sie ihren potenziellen Einfluss im Rundfunkrat auch geltend machen können. Ihre Beschwerden würden im Rundfunkrat wohl sehr intensiv und kritisch diskutiert werden, wie die beiden schon miterlebt haben, etwa zuletzt der arte-Dokumentation über Antisemitismus "Auserwählt und ausgegrenzt - der Hass auf Juden in Europa", diese hatte ja besonders hohe Wellen geschlagen.
Hinweise können an folgende E-Mail-Adresse von Ingrid Matthäus-Maier gesendet werden: kampaleitung@gerdia.de
9 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Natürlich muss zunächst die Politik die Weichen stellen, um den Programmanteil Säkularer zu steigern. Sendeanstalten sind - auch die ör Anstalten - zunächst Firmen, die wirtschaftlich arbeiten müssen.
Doch bis jetzt denken sie, wie Malu Dreyer, wir seien ein christliches Land - ein christlich-judenfeindliches Abendland, wie ich nach dem Studium des Christentums hinzufügen möchte. Wie peinlich die Szenen, wie neulich wieder bei Anne Will, als sich Joachim Herrmann (CSU) und Gesinde Schwan (SPD) gegenseitig versicherten, der Kirche eng verbunden zu sein. Wie peinlich ein Markus Lanz, der bei jeder Gelegenheit seinen Geisterglauben herausstellt.
Da die Sender aus wirtschaftlichen Gründen die Mehrheit widerspiegeln müssen - auch wenn dies de facto gar nicht die Mehrheit ist -, wird dieses religionsfreundliche/unkritische Programm gemacht. Auch in der heuteshow ist es verdächtig ruhig geworden, wenn es um die alten Männer in Frauenkleidern und lustigen Hüten geht. Ob da Frau Dreyer interveniert hat...?
Wir müssen dem klaren Faktum ins Auge sehen, dass wir in einer Kirchenrepublik (Carsten Frerk) leben und dass die Kirchen uns Säkularen fast 2.000 Jahre Marketingerfahrung voraushaben. Die Verfilzung ist derart vollkommen, dass viele es inzwischen als normal ansehen, dass Wahnvorstellungen in der Öffentlichkeit hofiert werden.
Ich selbst habe als Filmproduzent meine Erfahrungen mit dem ZDF und seinen (theologisch studierten) Redakteuren gemacht. Manchmal hatte ich das beklemmende Gefühl, sie haben Angst, "Gott" selbst würde einen Asteroiden auf Mainz schleudern, wenn man die bösen Atheisten aus dem Getto ließe...
annen anne Nerede am Permanenter Link
streben Ponitka und Matthäus-Maier nun ein Gespräch bei Christian Lindner an.
Christ-Off am Permanenter Link
Die Situation und die Beachtung der Konfessionslosen innerhalb des SWR RP wird sich von der des WDR nicht (wesentlich) unterscheiden.
David am Permanenter Link
Viele kleine Schritte und plötzlich ist man am ziel
Kay Krause am Permanenter Link
Grundsätzlich ist jede (kostenlos!) in den Medien verbreitete Kirchen-Reklamesendung eine Provokation gegenüber mittlerweile fast 40% der bundesdeutschen Bevölkerung, die sich von diesem Glaubensjoch befreit haben.
Und - sehr geehrte Frau Dreyer - Ihr unglückseliger Spruch "wir sind ein christliches Land - und das bleibt auch so!" ist zwar ein typisch parteipolitischer solcher, entbehrt allerdings jeglicher sachlichen Grundlage. Nein, ganz im Gegenteil: Deutschland ist ein SEKULARER STAAT. Deutschland ist KEIN Religionsstaat, Deutschland hat KEINE Staatsreligion! Hier herrscht Religigionsfreiheit, und dieser Begriff beinhaltet nicht, dass ich mir von den angebotenen Religionen eine aussuchen darf, sondern dass ich mein Leben auch ohne die Hilfe der vielen Phantasiegötter und deren geldgieriegem Bodenpersonal einrichten darf. Hier herrscht bei Ihnen offensichtlich eine Bildungslücke, es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie so ein Mensch wie Sie Ministerpräsidentin eines Bundelandes werden kann. Welcher Kreterien bedarf es, um auf diesem Stuhl sitzen zu dürfen? Hat da auch die Kirche nachgeholfen?
R.Auster am Permanenter Link
Der interessante Bericht über die Säkuläre Vertretung im WDR-Rundfunkrat offenbart,
Dies wird deutlich, wenn die Autorin überrascht ist, dass „die Rundfunk- Fernseh- und Hörfunkräte …. leider nicht für die Programmgestaltung zuständig“ sind. Auch Thomas Heinrichs mutmaßte in einem Beitrag für den hpd im vergangenen Jahr: „Der Rundfunkrat … kann einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Programmgestaltung nehmen“. Dem ist natürlich nicht so, denn davor steht glücklicherweise immer noch Art. 5 des Grundgesetzes - „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“
Natürlich ist die Präsenz von säkulären Verbänden in den Rundfunkräten wichtig. Nur, inwieweit diese Präsenz gewährleistet wird, darüber entscheiden die Staatsverträge.
Dort sind auch die besonderen Senderechte für die Religionsgemeinschaften geregelt.
Adressaten für die Wünsche nach Gleichbehandlung der säkulären Verbände sind also in erster Linie die Parteien, nicht die Rundfunkanstalten.
Und hier beginnt das eigentliche Problem. Denn die Staatsverträge werden nach wie vor hinter den verschlossenen Türen der Staatskanzleien gemacht. Die Parlamente sind weitgehend ausgeschlossen und dürfen später nur zustimmen oder ablehnen. Das heißt im Klartext, nur einige, wenige Parteien, nur die in Regierungsverantwortung, haben exklusiven Zugriff auf die Gestaltung der Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Hier muss sich etwas ändern, denn Medienpolitik gehört meiner Auffassung nach auch in die Parlamente. Keine gute Idee, werden jetzt Kritiker einwerfen, denn dort ist inzwischen die AfD präsent, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekanntermaßen ganz abschaffen möchte.
Dennoch – wer Bürger für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewinnen will, der muss Medienpolitik zu dem machen, was sie ist – zu einer öffentlichen Angelegenheit. Was einschließt, dass immer mehr Bürgern bekannt ist, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk funktioniert, welche Möglichkeiten sie haben, sich mit Anregungen und Kritik an die Rundfunkanstalten zu wenden und das bekannt ist, wofür die gesellschaftlichen Gremien dort zuständig sind und was sie tun. Stichwort Transparenz.
Es ist ein Erfolg, dass Säkuläre Verbände in den Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beginnen präsent zu sein. Und natürlich hat auch eine nachlaufende Programmkontrolle ihren Wert. Wichtig ist es, dabei zu sein und sich in Diskussionen einzubringen. Zu glauben, Journalisten vorschreiben zu können, was sie zu tun und zu lassen haben, von diesem Gedanken sollte man sich schnellstens verabschieden. Gerade Säkuläre sollten die Werte der offenen Gesellschaft hoch halten. Und dazu gehört unbedingt die Pressefreiheit.
Ilse Ermmen am Permanenter Link
Danke, sehr guter Beitrag! Liebe Leute, schreibt an die Parteien! Scheint zu funktionieren, die antworten nämlich, weil sie gewählt werden wollen.
Nicht lockerlassen.....
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Kirchen(christen) sind intolerant bis zum "geht-nicht-mehr-weiter": die BRD ist ein "christliches Land", in Medien, TV etc.
Ilse Ermmen am Permanenter Link
Das ist natürlich ein begrüssenswerter Fortschritt, aber Frau Matthäus-Meier und ihr Kollege sind ziemlich allein auf weiter Flur, weder das ZDF noch die anderen Rundfunkräte der BRD haben säkulare Vertretungen.