In der Woche des Reformationstags widmete sich am Donnerstag die jüngste Ausgabe des NEO MAGAZIN ROYALE dem Reformationsjubiläum. Jan Böhmermann lieferte eine herrliche Persiflage auf die Jubelfeiern zu 500 Jahren Reformation – mit Luther-Zitaten aus dem Giftschrank der Geschichte. Passend dazu war der "Gottlos glücklich" Autor Philipp Möller zu Gast in der Sendung des bekennenden Atheisten.
Ob dem ZDF Fernsehrat die Sendung des NEO MAGAZIN ROYALE vom 2. November 2017 gefallen hat, darf bezweifelt werden. Als Aufhänger für Gags ist die Kirchennähe des Senders und damit verbundene Befürchtungen nach Zensur allemal gut. Doch wer den Gastgeber Jan Böhmermann kennt, weiß dass ihm kein Eisen zu heiß erscheint. Selbst wenn er dadurch eine Staatskrise auslöst, wie mit seinem Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Erdogan im letzen Jahr. Vor drei Jahren zelebrierte Böhmermann in seiner Sendung sein Coming Out als Atheist. In seiner Talkshow "Schulz & Böhmermann" präzisierte er jedoch, er sei "technisch gesehen" Agnostiker und nur aus Show-Gründen Atheist. Wobei er die selbe Begründung mitliefert, wie einst die Buskampagne für ihren sperrigen Einschub: "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott." So durften alle gespannt sein, was Jan Böhmermann zum Reformationsjubiläum präsentieren sollte. Der Hashtag der Sendung #LaferLichterLuther, unter dem die Zuschauer im Netz diskutieren sollten, ließ auf einen Leckerbissen hoffen.
Die Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden. Böhmermann brillierte mit einer Parodie des zwei Tage zuvor am Reformationstag im ZDF ausgestrahlten Pop-Oratoriums "LUTHER - Das Projekt der 1000 Stimmen". Die Sendung wurde als musikalisches Highlight zum Reformationsjubiläum angekündigt. 4.000 Sängerinnen und Sänger bilden einen riesigen Chor in der Berliner Mercedes-Benz Arena. Der Reformationsbotschafter und Pate des Gesangs-Projekts, Eckart von Hirschhausen, moderierte die Sendung und kommentierte die Darbietungen. In dessen Rolle schlüpfte nun Jan Böhmermann. Während der Chor immer wieder die Buchstaben L-U-T-H-E-R singt, tritt Böhmermanns altbekannter Sidekick William Cohn als Luther ins Bild und gibt Zitate zum Besten, die von kirchlicher Seite lieber ungehört blieben, könnten sie doch den unkritischen Blick auf den Reformator trüben. Unterbrochen werden die Zitate durch Überleitungen Böhmermanns in der Rolle des unkritischen christlich weichgespühlten Kommentators.
Dem regelmäßigen Leser des hpd ist die dunkle Seite Luthers bekannt. Dem Fernsehpublikum dürfte dies jedoch in der dargeboten Intensität und Schärfe neu sein. Insofern bricht der Beitrag das Kartell des Schweigens über die Schattenseite des Reformators. Dabei handelt es sich bei den Zitaten nicht einmal um die schlimmsten Aussprüche des "Hasspredigers". Aber wahrscheinlich um die griffbereitesten, sind sie doch allesamt in dem Blog-Artikel "Dr. Luthers Hassapotheke" zu finden, der sich wiederum auf das Buch von Günter Scholz bezieht: "'Habe ich nicht genug Tumult ausgelöst?' – Martin Luther in Selbstzeugnissen". Folgende Luther Zitate wurden vorgetragen:
"Gott schuf den Mann mit breiter Brust und schmalen Hüften, damit großzügig Platz für die Weisheit sei. Die Kloake für die Ausscheidungen aber machte er klein. Bei der Frau ist das gerade umgekehrt. Deshalb haben die Frauen viel Ausscheidungen, aber wenig Weisheit."
"Die Bauern sind heutzutage vollkommene Schweine. Sie sind es nicht wert, Kinder zu haben, sondern nur Säue."
"An ihrer Vertreibung und Verfolgung sind die Juden selber schuld."
"Darum wisse du, lieber Christ, dass du nächst dem Teufel keinen bittereren, giftigeren, heftigeren Feind hast als einen rechten Juden. Kein blutdürstigeres und rachgierigeres Volk hat die Sonne je beschienen."
"Der Türke ist der letzte und ärgste Zorn des Teufels."
"Die Spanier sind völlig zügellos, sie übertreffen die Italiener und Franzosen mit ihrer Bosheit. Es kann sie keine Nation leiden."
"Der Mensch ist aus Kot."
Passend zum Thema begrüßte Jan Böhmermann den Bestseller Autor Philipp Möller als Talk-Gast im Studio. Möller war 2012 bereits Gast in Böhmermanns damaliger Talk-Sendung "Roche & Böhmermann". Durch zahlreiche Fernsehauftritte gestählt, absolvierte Philipp Möller auch seinen Besuch im NEO MAGAZIN ROYALE mit Bravur. Mit seinem aktuellem Buch "Gottlos glücklich – Warum wir ohne Religion besser dran wären" veröffentlichte der bekannte kirchenkritische Aktivist sein erstes Werk, das sich ausdrücklich mit Religion und Kirche auseinander setzt.
Jan Böhmermann dient sich während des Gesprächs als hilfreicher Stichwortgeber an und lässt Philipp Möller ausreichend Raum. Diesen nutzt Möller souverän mit pointierten Formulierungen. Die Frage nach dem ersten atheistischen Feiertag gibt Philipp Möller Gelegenheit die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) und dessen Vorschlag eines Evolutionstages statt Christi Himmelfahrt, vorzustellen. Leider wirkten die Erklärungsversuche für die Ziele der Stiftung etwas sperrig und bemüht. Dies kann aber keinesfalls Philipp Möller angelastet werden, sondern ist vielmehr dem transportierten Inhalt geschuldet. Hier kann selbst der geübte Medienprofi Möller nicht in gewohnter Weise punkten. Insgesamt bleibt das Gespräch wohltuend entspannt. Nicht zuletzt weil Böhmermann die richtigen Fragen stellt und zwischendurch immer wieder für Auflockerung sorgt, damit das Gespräch für die Zuschauer nicht zu missionierend und verkrampft wirkt. Böhmermann beweist, dass auch kirchenkritische Botschaften unterhaltsam sein können.
Wiederholungen der Sendung:
Samstag, 04.11, 00:25 Uhr im ZDF
Montag, 06.11, 03:00 Uhr auf ZDFneo
Donnerstag, 09.11, 22:15 Uhr auf ZDFneo
Freitag, 10.11, 01:20 Uhr auf ZDFneo
Und jederzeit in der ZDF Mediathek.
6 Kommentare
Kommentare
annen anne Nerede am Permanenter Link
Eilmeldung: Die meisten in der ARD zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten werden Sendungen der Katholischen Kirche sowie der Evangelischen Kirchen ab dem 9.
„Sie hören nun eine Sendung der Katholischen Kirche. Laut Rundfunkstaatsvertrag ist der WDR dazu verpflichtet, diese Sendung auszustrahlen. Für den Inhalt der Sendung ist ausschließlich die Katholische Kirche zuständig.“
Und nach der Sendung: “ Sie hörten eine Sendung der Katholischen Kirche. Laut Rundfunkstaatsvertrag ist der WDR dazu verpflichtet, diese Sendung auszustrahlen. Für den Inhalt der Sendung ist ausschließlich die Katholische Kirche zuständig.Die Kosten für diese Sendung werden von den Gebührenzahlern getragen.“
Der Bayerische Rundfunk hat sich von diesem Vorgehen distanziert.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Herrlich! Danke Jan B.! Einer der wenigen, die gegen die klerikale
Eva am Permanenter Link
So langsam reicht es mir. Es geht mir so auf den Senkel, dass der hpd und die Giordano Bruno Stiftung immer ihre schwarz-weiß-Brille aufziehen, sobald es um Religion geht.
Mich würde mal interessieren, warum hpd und gbs der Meinung sind, Humanismus und Kirche/Religion passen so überhaupt gar nicht zusammen. Erasmus von Rotterdam zum Beispiel hat es ja auch geschafft, beides zu verbinden. Ich will hier gar nicht sagen, dass die Kirche irgendwie besser ist als andere. Es geht mir nur darum, dass man doch respektvoll zusammenleben sollte, dass es in einer pluralistischen Gesellschaft nicht angebracht ist, ohne Ende aufeinander einzudreschen - vor allem, wenn man die Tatsachen verdreht. Die gbs stellt es gerne so hin als hätte sie die Exklusivität gepachtet, Luther zu kritisieren. Das stimmt nicht. Das tut die Kirche auch. Amen und ab!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"So langsam reicht es mir. Es geht mir so auf den Senkel, dass der hpd und die Giordano Bruno Stiftung immer ihre schwarz-weiß-Brille aufziehen, sobald es um Religion geht."
Und mir geht es auf den Senkel, dass Gläubige (die sie ja gerne bleiben mögen) immer alle Gräuel des Kirchenpersonals marginalisieren müssen.
"Benutzen Sie Google und schauen Sie doch einfach mal, wie die Kirche während der Reformationsfeiern mit Luther umgegangen ist. Sein Judenhass zum Beispiel wurde in der Öffentlichkeit aufgearbeitet und es wurde Stellung dazu bezogen. Die Kirche distanziert sich von ihrem Reformator."
Deswegen wurde er ja auch zehn Jahre lang für 250 Mio. Euro gefeiert. Schon klar! Fakt ist: Nichts wurde in der ÖFFENTLICHKEIT aufgearbeitet. Bei Infoveranstaltungen und Vorträgen erfahren wir immer wieder, dass (zuletzt am 26.11.2017 in Berlin) die Normalbürger kaum etwas von den Hasspredigten und volksverhetzenden Büchern Luthers wissen. Ja, ich habe erlebt, dass evangelische Christen schlicht leugnen, dass er solche furchtbaren Bücher geschrieben hatte und unterstellen uns - der gbs - wir hätten uns das bloß ausgedacht.
Und was heißt hier "Stellung beziehen"? Zu Antisemiten kann man im Land des Holocaust (und hoffentlich auch überall sonst) nur aus eine einzige Weise Stellung beziehen: Eindeutig ächten und keinen öffentlichen Raum bieten!
"Christina Aus der Au, Präsidentin des Kirchentags während des Reformationsjubiläums, hat sogar im Interview gesagt, Luther wäre heute mit seinen rassistischen Aussagen nicht als Redner auf dem Kirchentag eingeladen worden."
Aber Kritik an ihm (wie "Der nackte Luther") wird mit fadenscheinigen Argumenten verhindert? Das nenne ich konsequent!
"Mich würde mal interessieren, warum hpd und gbs der Meinung sind, Humanismus und Kirche/Religion passen so überhaupt gar nicht zusammen."
Ich kann hier nur für mich sprechen: Religion basiert auf der Vorstellung, es gäbe einen Geist im Weltraum, "Gott" genannt. Dieser habe das Universum für die Menschen und die Menschen als seine Diener geschaffen. Damit ist Religion auf diesen "Gott" hin ausgerichtet (z.B. "Gottesdienst", "Dein Reich komme, dein Wille geschehe" etc.).
Der Humanismus hingegen ist auf den Menschen und sogar auf die Welt als solche ausgerichtet. Der Humanismus kennt Ethik, während Religion Moral kennt - die wiederum auf "Gott" hin ausgerichtet ist. Religion wird ja nicht deswegen humanistischer, weil sie sich heute weniger auf "Gott" bezieht.
"Erasmus von Rotterdam zum Beispiel hat es ja auch geschafft, beides zu verbinden."
Als Kompromiss ja, wobei Erasmus kaum den evolutionären Humanismus kennen konnte. Aber was sollte die Verbindung des einen Konzeptes, das die Existenz eines Weltraumgeistes zwingend vorschreibt, mit dem anderen Konzept, das dies als unnötig erachtet? Da sind für mich die aktuellen Koalitionsverhandlungen einfacher zu managen.
"Ich will hier gar nicht sagen, dass die Kirche irgendwie besser ist als andere. Es geht mir nur darum, dass man doch respektvoll zusammenleben sollte, dass es in einer pluralistischen Gesellschaft nicht angebracht ist, ohne Ende aufeinander einzudreschen - vor allem, wenn man die Tatsachen verdreht."
Wer drischt denn auf Religion ein? Ich meine außer Andersreligiösen. Oder haben Sie Angst, nachdem jahrhundertelang Ungläubige von der Kirche verfolgt und abgeschlachtet wurden, dass nun eine "Christenverfolgung" einsetzt? Nicht mit mir, nicht mit der gbs. Und wer hier Tatsachen verdreht, müsste noch klargestellt werden.
"Die gbs stellt es gerne so hin als hätte sie die Exklusivität gepachtet, Luther zu kritisieren. Das stimmt nicht. Das tut die Kirche auch. Amen und ab!"
Wenn ich in der Position der Kirche wäre und (wie Sie meinen, dass es die Kirche tut) Luther kritisiere, dann hätte ich die "Lutherdekade" und das "Luther-Jahr" verhindert, auch wenn die Mitgliederzahlen den Bach runtergehen und Luther eine beliebte Gallionsfigur ist. Das hätte mir mein Anstand geboten. Doch wenn's ums Geschäft geht, kennt die Kirche offenbar keinen Anstand. Das war aber schon immer so...
Dieter Bauer am Permanenter Link
@ Bernd Kammermeier, 8.11.2017 11:00:
Besser könnte eine Antwort auf den Eva-Kommentar nicht gegeben werden. Hoffentlich versteht EVA das Geschriebene, denn auch meine Hoffnung stirbt zuletzt.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Liebe Eva,
Menschen muss man Respekt entgegenbringen, selbst solchen, die an diesen Unfug glauben, aber Religionen oder vielleicht sogar noch die Kirchen? Ich bitte Sie, diese Konstrukte bzw. Organisationen leben davon, dass die Menschheit dumm bleibt und sie klammern sich speziell in unserem Land an Macht und Einfluss, der ihnen aufgrund der schwindenden Mitgliederzahlen längst nicht mehr zusteht.
PS: Falls sie das Gefühl haben, die gbs hätte bezüglich ihrer Lutherkritik eine gewisse Exklusivität, dann mag das daran liegen, dass andere gesellschaftlich relevante Gruppierungen wie Gewerkschaften, Parteien oder das Rote Kreuz sich einfach nicht getraut haben, ihre Stimme zu erheben und Herrn Luther als das zu benennen, was er war: Ein Hassprediger, den zu feiern das ethische Selbstverständnis eines jeden anständigen Menschen aus tiefstem Herzen ablehnen sollte.