Interview

Der Staat darf Menschen nicht in den "harten Suizid" treiben

Der Rechtsanwalt Prof. Robert Roßbruch vertritt schwerkranke Menschen, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolglos einen Antrag auf Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital (NaP) gestellt haben. Der hpd sprach mit dem Anwalt.

hpd: Sie vertreten als Rechtsanwalt schwerkranke Patienten, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital (NaP) gestellt haben. Wie viele Betroffene vertreten Sie? Ist es auch unter Ihren Mandanten schon zu einer – von Ihnen in einem Interview so bezeichneten – "biologischen Erledigung" gekommen?

RA Prof. Robert Roßbruch: Ich vertrete derzeit fünf Antragsteller/innen. Ursprünglich waren es sieben, zwei Antragstellerinnen sind jedoch in den vergangenen Monaten gestorben. Bei allen von mir vertretenen Antragstellern/innen hatte ich mir deren Krankengeschichte genau angesehen, um vorab zu prüfen, ob eine schwere, unheilbare Krankheit vorliegt, die nach den Voraussetzungen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2017 einen Antrag auf Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung rechtfertigt. In den Fällen der von mir vertretenen Antragsteller/innen konnte dies bejaht werden. Den jeweiligen Anträgen wurden die entsprechenden Krankenunterlagen beigefügt, aus denen die Schwere der Erkrankung und deren Unheilbarkeit hervorgehen.

Der von mir verwendete Begriff einer "biologischen Erledigung" war selbstverständlich ironisch gemeint und bezog sich auf die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) gegenüber dem BfArM vorgegebene Direktive auf die Anträge nicht bzw. nur formal zu reagieren, also eine systematische Verzögerungsstrategie zu verfolgen, die natürlich bei den schwersterkrankten Antragsteller/innen dazu führt, dass viele das Antragsverfahren nicht überleben. Dies wird durch die Tatsache belegt, dass von den derzeit 108 Antragstellern/innen bereits mindestens 20 Antragsteller/innen verstorben sind. Das Verhalten des Bundesgesundheitsministers und des Präsidenten des BfArM kann angesichts der schwersterkrankten Antragsteller/innen daher nur als inhuman und zynisch bezeichnet werden.

RA Prof. Robert Roßbruch, Foto: © Oliver Kirpal/DGHS
RA Prof. Robert Roßbruch, Foto: © Oliver Kirpal/DGHS

Was denken Sie, sind die Gründe für das BfArM und den Bundesgesundheitsminister, sich so ignorant über das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom März 2017 hinwegzusetzen, welches entschied, dass für Schwerstkranke der Kauf von Natrium-Pentobarbital (NaP) in "extremen Notlagen" möglich sein muss.

Die immer wieder vom BMG und konservativen Bundestagsabgeordneten kolportierte Argumentation, der Staat dürfe sich nicht zum Helfershelfer eines Suizid machen, dies geht ja auch aus dem in Rede stehenden Schreiben des BMG an das BfArM vom 29.06.2018 hervor, ist nicht nur polemisch, sondern schlichtweg falsch. Denn es geht bei der hier in Rede stehenden Problematik nicht um die Unterstützung eines Suizidwilligen durch den Staat, sondern darum, dass der Staat nicht verhindern darf, dass in extremen Ausnahmefällen, also bei einer schweren und unheilbaren Krankheit ein zum Freitod bereiter Mensch ganz legal ein letal wirkendes Mittel erwerben können soll, um einen humanen Suizid begehen zu können. Man kann dem Bundesgesundheitsminister Spahn nur wünschen, dass er selbst in eine Situation kommt, in der er sich wünscht, diese Anweisung nicht gegeben zu haben.

Es kann nicht sein, dass in einer liberalen, pluralistischen und säkularen Gesellschaft ein aus sehr nachvollziehbaren Gründen zum Freitod bereiter Mensch einen sog. harten Suizid begehen muss, also sich vor einen Zug werfen, von einer Brücke stürzen, sich erhängen, ertränken oder erschießen muss, nur weil ihm der Bundesgesetzgeber mithin die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag aus ideologisch respektive religiös motivierten Gründen die Möglichkeit eines humanen Freitods untersagt.

Dies ist nicht nur zutiefst inhuman, sondern auch unchristlich. Mit anderen Worten: Der Staat darf nicht durch gesetzliche Regelungen verhindern, dass ein zum Suizid entschlossener schwer erkrankter und/oder schwer leidender Mensch sich ganz legal ein letal wirkendes Mittel besorgen kann, um sich in einer humanen Art und Weise suizidieren zu können. Aufgabe des Staates ist es lediglich durch eine entsprechende gesetzliche Regelung dafür Sorge zu tragen, dass ein möglicher Missbrauch unterbunden wird. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Staates einen selbstbestimmten und freiverantwortlichen humanen Suizid zu erschweren oder gar zu verhindern. Dies sind Handlungsweisen, die zu einem autoritären und/oder religiös verfassten Staat passen, nicht jedoch zu einem liberalen und freiheitlichen Rechtsstaat.

In einem Kommentar zu einem Artikel im hpd berichten Sie, dass Sie bereits gegen das zuständige Verwaltungsgericht in Köln eine Untätigkeitsklage eingereicht haben. Können Sie uns etwas zum Stand der Dinge sagen?

Die beiden Untätigkeitsklagen gegen das BfArM wurden von mir bereits im Oktober und November 2017 beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Bisher hat sich dort sehr wenig getan. Aufgrund der bisherigen Verfahrensdauer und -behandlung bestand daher für die Klägerin/für den Kläger Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren vor der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln nicht in angemessener Dauer betrieben und abgeschlossen wird. Aus diesem Grund habe ich Mitte März 2018 die lange Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG gerügt. Einige meiner anwaltlichen Kollegen haben bereits die nicht ganz unberechtigte Vermutung geäußert, dass auch die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln die geänderte Rechtsprechung, die durch das Urteil des BVerwG vom 02.03.2017 eingeleitet worden ist, auszubremsen versucht.

Wie bewerten Sie das jüngste Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) an das BfArM und gibt es Ihrer Meinung nach Aussichten dafür, dass das BMG und das BfArM ihre Verweigerungshaltung aufgeben? Es hat ja im Moment den Anschein, dass weder die öffentliche Meinung noch das Gerichtsurteil eines Obersten Gerichts für den Minister bindend zu sein scheinen.

Die mit Schreiben vom 29.06.2018 von Staatssekretär Stroppe an den Präsidenten des BfArM ergangene Aufforderung, die Anträge pauschal, also ohne Einzelfallprüfung, negativ zu bescheiden ist eindeutig rechtswidrig, da mit diesem Schreiben das Gesundheitsministerium das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2017 ganz offensichtlich ignoriert. Gemäß § 121 Verwaltungsgerichtsordnung ist jedoch die Exekutive einschließlich des hier zuständigen Gesundheitsministeriums an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden. Dies bedeutet konkret, dass das BfArM mit der gebotenen Sorgfalt und ohne schuldhaftes Herauszögern jeden Einzelfall zu prüfen und zeitnah zu bescheiden hat.

Hinsichtlich des zweiten Teils ihrer Frage bin ich der Auffassung, dass weder das Bundesgesundheitsministerium noch das BfArM die bisherige Verweigerungshaltung auf Dauer durchhalten können. Dies wird schon aufgrund der anhängigen Untätigkeitsklagen nicht möglich sein. Allerdings wird wohl alles darauf hinauslaufen, dass alle Anträge entsprechend der Direktive des BMG seitens des BfArM abgelehnt werden. Damit ist aber endlich der Verwaltungsgerichtsweg eröffnet.

Ich persönlich sehe derzeit in der Rechtsprechung sowieso größere Chancen für die Antragsteller/innen mit ihren Anträgen zu obsiegen. Die Zeit, und das ist die eigentliche Crux an den vorliegenden Antragsverfahren, ist jedoch nicht auf Seiten der Antragsteller/innen. Denn einerseits müssen sie schwerstkrank sein, um nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2017 die Voraussetzungen für die Erlaubnis zum Erwerb eines letal wirkenden Betäubungsmittels zu erhalten. Zum anderen ist die Lebensdauer dieser schwerstkranken Menschen naturgemäß nur noch sehr begrenzt, so dass sie die über Jahre dauernden Gerichtsverfahren durch die Instanzen in aller Regel nicht überleben werden. Ein Teufelskreis, der unserer Politikerkaste sehr wohl bewusst ist und ganz offensichtlich in ihren strategischen Spielchen eine nicht geringe Rolle spielt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 02.03.2017 – um dies noch einmal in Erinnerung zu rufen – u. a. festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen umfasst, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.

Ferner, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung ausnahmsweise zulässig ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet. Diese verfassungskonforme Entscheidung konterkariert den derzeitigen Aufwind, der ideologisch verblendeten Lebensschützer und deren willfährigen Bundestagsabgeordneten, der seinen zumindest vorläufigen Höhepunkt in der Verabschiedung des § 217 Strafgesetzbuch (StGB) gefunden hat.

Dass gerade die immer auf Recht und Ordnung insistierenden konservativen Politiker fast unisono der Auffassung sind, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ignorieren zu können, zeigt nicht nur das mehr als zweifelhafte Demokratie- und Verfassungsverständnis dieser Kaste, sondern demonstriert einmal wieder in eindrucksvollerweise, dass diesen Herrschaften Recht und Gesetz dann völlig gleichgültig ist, wenn es ihren politischen und/oder ökonomischen Interessen zuwiderläuft. Denn natürlich profitieren Krankenhäuser, stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen sowie Hospize in konfessioneller oder privater Trägerschaft an schwerstkranken Menschen, deren letzte Lebensmonate im Hinblick auf die Gesundheitskosten nachweislich die kostenintensivsten und damit auch entsprechend gewinnträchtig, zumindest jedoch nicht unlukrativ sind. Das ganze ethische Gerede der selbsternannten Lebensschützer, die nicht selten mit diesen Gesundheitseinrichtungen und deren Protagonisten verwoben sind, entlarvt sich insofern von selbst.

Welche Entscheidung erwarten Sie vom Bundesverfassungsgericht in Sachen Verfassungsbeschwerden gegen das Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" (§ 217 StGB)? Stimmen Sie meiner Vermutung zu, dass Spahn und das BfArM hier ein Urteil abwarten und die Sache bis dahin aussitzen wollen?

Grundsätzlich stehen dem Bundesverfassungsgericht vier Optionen offen: Es kann den § 217 StGB für verfassungsgemäß oder für verfassungswidrig erklären. Es kann dem Gesetzgeber aufgeben binnen einer angemessenen Frist den § 217 StGB verfassungskonform "nachzubessern" oder es kann die Tatbestandsmerkmale "Geschäftsmäßigkeit", des "Verschaffens", "Gewährens" oder "Vermittelns" so auslegen, dass sie zu einer Verfassungsmäßigkeit des § 217 StGB führen. Meines Erachtens scheidet jedoch gerade die letzte Option aufgrund der strukturellen Mängel des § 217 StGB, insbesondere der Unbestimmtheit dieser Vorschrift aus.

Zur zweiten Frage ist festzustellen, dass es, wie Sie richtig sagen, beim § 217 StGB um das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung geht, also um die Bestrafung von Helfern, die dies wiederholt tun, während es bei den Anträgen auf Erlaubnis zum Erwerb eines letal wirkenden Betäubungsmittels offenkundig um die humane Option eines nicht assistierten und damit ganz legalen Suizids geht.

Aus rein rechtsdogmatischer Sicht sind dies zwei völlig unterschiedlich geregelte Sachverhalte, so dass es keinen rechtlich nachvollziehbaren Grund gibt, dass das BMG und das BfArM die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten muss.

Die beim Bundesverfassungsgericht anstehende Entscheidung zur Verfassungsgemäßheit des § 217 StGB hat also zunächst einmal mit der betäubungsmittelrechtlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und des daraus resultierenden Handeln des BMG und des BfArM nichts zu tun. Insofern stimme ich ihrer Vermutung nicht zu, dass die vom BMG angeordnete Verzögerungsstrategie des BfArM mit der noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begründet werden kann und wird.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schon aus rechtspolitischen Gründen nicht unberücksichtigt lassen wird. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidungsbegründung auf bestimmte Aspekte der Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts eingehen wird.

Abschließend möchte ich anmerken, dass es in einem liberalen und freiheitlichen Rechtsstaat jederzeit möglich sein muss, einem Leben, dem aller Sinn, alle Freude, alle Schönheit und Würde abhandengekommen ist, mittels professioneller Hilfe ein selbstbestimmtes und humanes Ende zu ermöglichen, ohne dass der professionelle Helfer befürchten muss, sich aufgrund seiner Hilfe strafbar zu machen.

Das Interview führte Frank Nicolai für den hpd.

RA Prof. Robert Roßbruch ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS)