Kolumne UnARTig

Das Kreuz mit der Burka

Seit Dänemark vor zwei Wochen das Verschleierungsverbot einführte, sind auch hierzulande die Stimmen wieder lauter geworden, die ein "Burkaverbot" für Deutschland fordern. Doch ist ein Verschleierungsverbot in der Öffentlichkeit wirklich erstrebenswert?

Um es deutlich vorweg zu sagen: Ich bin keine Freundin von Burkas, Niqabs und sonstigen religiösen Verschleierungen. Übrigens auch nicht von Nonnenhabiten, um das ebenfalls gleich klarzustellen. Sogar gegen religiöse Kopfbedeckungen und Kettchen mit religiösen Abzeichen habe ich etwas, falls sie von Staatsdienern und -dienerinnen in Ausübung ihres Amtes getragen werden. Ebenso überzeugt bin ich jedoch auch, dass das, was ein Staatsdiener in seiner Freizeit trägt, seine Privatsache sein muss.

Aber zurück zur Burka. Ohne jede Frage stellen die diversen islamischen Schleier global betrachtet für die meisten Frauen einen Zwang dar. Frauen in vielen mehrheitlich muslimischen Ländern haben nicht die Freiheit, sich für oder gegen das Tragen des vor Ort jeweils üblichen Schleiers zu entscheiden. Dasselbe gilt für Frauen aus diesen Ländern, die in muslimischen Communitys in der westlichen Welt leben. Wer sich dem Schleier widersetzt, muss mit Sanktionen rechnen. Von Beschimpfungen über den Ausstoß aus Familie und Community, in den Heimatländern auch Gefängnisstrafen oder Schlimmeres.

Natürlich gibt es auch Frauen, die den Schleier selbst gewählt haben. Oder besser: die der Meinung sind, dass sie ihn selbst gewählt haben, da sie die Ge- und Verbote der Religion, mit der sie oft von Kindesbeinen an indoktriniert wurden, komplett verinnerlicht haben. Andere Frauen – insbesondere in der westlichen Welt – wählen den Schleier nicht so sehr aus tiefer religiöser Überzeugung, sondern um sich deutlich als Teil einer Community zu definieren, zu deren Selbstverständnis es gehört, dass sie von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt wird. Was tatsächlich nicht von der Hand zu weisen ist, allerdings nicht einseitig die Schuld der Mehrheitsgesellschaft ist, sondern auch Schuld der Community, die sich teils gewollt, teils ungewollt von dieser Mehrheitsgesellschaft abgrenzt.

Egal ob aufgezwungen oder vermeintlich selbst gewählt, zum Ausdruck bringt der Schleier stets eins: Frauen sind Menschen zweiter Klasse und Sexualobjekte. Sie werden als Eigentum des Mannes betrachtet und haben deshalb ihre sexuellen Reize unter einem tragbaren Gefängnis zu verbergen. In Ländern mit muslimischer Gesetzgebung sind Frauen dem Mann rechtlich vollkommen unterlegen. Ihr Wort gilt in Gerichtsverhandlungen weniger als das eines Mannes, sie brauchen einen männlichen Vormund, erben weniger als Männer und so weiter und so fort.

Nebenbei bemerkt: Dieses Frauenbild und diese rechtliche Stellung der Frau war übrigens auch in Mitteleuropa jahrhundertelang verbreitet und spiegelt sich unter anderem in den bereits erwähnten Nonnenhabiten wider. Anders als bei Mönchen verhüllt der Habit bei Nonnen auch den Kopf bzw. das als offenbar als sexuell höchst erregend geltende Haar. Anders als Mönche werden Nonnen mit Jesus verheiratet, sie werden "Bräute Christi", da es undenkbar ist, dass eine Frau ein Leben unabhängig von einem Mann führt. 

Wird der Schleier – egal ob nun christlich oder muslimisch – freiwillig gewählt, so wird damit nicht nur demonstriert, dass frau gewillt ist, das darin zum Ausdruck kommende Frauenbild zu akzeptieren, sondern überdies, dass Religion im eigenen Leben das bestimmende Element ist, und/oder dass eine bewusste Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft gewünscht ist.

Doch wie will man all dem mit einem Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit entgegenwirken? Religiöse Vernebelung lässt sich nicht durch Verbote kurieren und das Zugehörigkeitsgefühl zur Mehrheitsgesellschaft nicht erzwingen. Was würde ein solches Verbot also bringen? Eine Frau, die von ihrer Community zur Vollverschleierung gezwungen wird, würde in diesem Fall höchstwahrscheinlich gezwungen, das Haus nicht mehr zu verlassen. Wer den Schleier aus religiösen Gründen freiwillig wählt, kann sich nun leicht zum Märtyrer für sich und seine Religion aufspielen, indem er – oder besser sie – trotz Verbots vollverschleiert in der Öffentlichkeit auftritt und dafür Strafen kassiert. Wer den Schleier aus Gründen der Abgrenzung freiwillig wählt, wird in dem Verbot eine weitere Diskriminierung seiner Community sehen und sich deshalb – selbst bei vielleicht zähneknirschend abgelegtem Schleier – weiter von der Mehrheitsgesellschaft distanzieren. Beseitigt wären die Probleme, für die der Schleier steht, also durch ein solches Verbot nicht im Geringsten. Sie wären nur nicht mehr sichtbar und würden im Verborgenen weitergären.

Ganz abgesehen davon stünde ein Burkaverbot rechtlich natürlich auf höchst tönernen Füßen, denn sobald sich ein Gesetz nur gegen die Angehörigen einer bestimmten Religionsgemeinschaft richtet, gerät es selbstverständlich in Konflikt mit dem Gebot der Religionsfreiheit. Aus diesem Grund haben die Gesetzgeber in Dänemark, Österreich und anderen Ländern übrigens auch kein "Burkaverbot", sondern ein "Gesichtsverschleierungsverbot" erlassen, das – im Fall Dänemarks – auch das Tragen von Hüten, Mützen, Schals, Masken, Helmen und künstlichen Bärte umfasst, welche das Gesicht stark verdecken. Will man am Prinzip der Religionsfreiheit festhalten, das ein zentrales Element freiheitlicher Staaten ist, so ist ein Burkaverbot nur über diesen Umweg zu erreichen.

Doch will man so etwas wirklich? Ist es wirklich Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft, Menschen anlasslos das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken in der Öffentlichkeit zu verbieten? In Österreich, wo ein entsprechendes Gesichtsverhüllungsverbot seit dem vergangenen Jahr in Kraft ist, führte dies bereits zu absurden Szenen. Menschen, die als Maskottchen oder Werbefiguren vor Kaufhäusern verkleidet waren, mussten Polizeikontrollen über sich ergehen lassen, ebenso Fahrradfahrer, die bei eisigen Temperaturen den Schal vors Gesicht gezogen hatten. Innerhalb der ersten zwei Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes ging die österreichische Polizei bereits rund 30 Verstößen nach – doch nur vier davon betrafen Burkas. Wer solche Gesetze fordert, damit "der Islam" nicht zu einflussreich wird, führt sich also selbst ad absurdum, indem die unausgesprochene lex burka primär jene Bürger trifft, die er vor dem Islam schützen will. Über das österreichische Vermummungschaos im letzten Winter dürften sich jedenfalls etliche Islamisten kräftig ins Fäustchen gelacht haben.

Wie man es auch dreht und wendet: Mehr Zwang wird nie zu mehr Freiheit führen. Jeder sollte in einer freiheitlichen Gesellschaft das Recht haben, in der Öffentlichkeit so rumzulaufen, wie es ihm/ihr gefällt. Auch wenn ich persönlich bestimmte modische Vorstellungen, religiösen Irrsinn oder politische Geschmacksrichtungen nicht teile, muss es in einer freiheitlichen Gesellschaft jedem erlaubt sein, seinen eigenen Irrsinn auszuleben, sofern er oder sie damit niemandem schadet. Nur indem man diese radikal freiheitliche Linie konsequent verfolgt, hat man auch ein überzeugendes Gegenmodell gegen einen fundamentalistischen Islam in der Hand, der Frauen zur Vollverschleierung zwingt.


Die hpd-Kolumne "UnARTig" verbindet 'unartige' Texte aller Art mit eigens für den jeweiligen Text erstellten Illustrationen des Künstlers Roland Straller.