Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children's Fund, UNICEF) unterstützt weiterhin die Beschneidung von Jungen und Männern. Ein langjähriger Spender hat sich deshalb bei UNICEF beschwert und eine erstaunlich naive Antwort erhalten.
Klaus R. spendet seit Jahren relativ hohe Summen an UNICEF. Vor einiger Zeit erfuhr er, dass das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen das Geld unter anderem auch dafür verwendet, in afrikanischen Staaten die Beschneidung von Jungen und Männern zu finanzieren. Daraufhin schrieb Klaus R. an UNICEF und erhielt von Frau Kathinka Telesio, die für die Spenderkommunikation im Bereich "Kommunikation und Kinderrechte" zuständig ist, eine Mail.
Abwiegelnd heißt es da "UNICEF tritt nicht generell für die Beschneidung von Jungen ein. Die WHO/UN Aids-Richtlinien beziehen sich nur auf Länder mit einer verbreiteten Aids-Epidemie, d.h. in denen die HIV-Infektionsrate hoch ist, wo bisher nur wenige Männer beschnitten sind und die Zahl der Menschen mit einem hohen HIV-Infektionsrisiko hoch ist." Allerdings ist nicht erst seit gestern bekannt, dass die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO in diesem speziellen Fall falsch sind, weil sie von fehlerhaften Prämissen ausgehen.
Zwar scheint es korrekt zu sein, dass die Beschneidung einen geringen Schutz vor HIV-Infektionen bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr bieten könnte. Allerdings gibt es hierzu noch keine auswertbaren Studien. Erfahrungsberichte genügen der WHO normalerweise nicht, lassen sie doch keine echte Unterscheidung zwischen Korrelation und Kausalität zu.
Auf der FAQ der Webseite pro-kinderrechte heißt es deshalb auch: "Wirklichen Schutz bietet jedoch nur das Kondom! Da beschnittene Männer Kondome wegen des erlittenen Sensibilitätsverlustes seltener verwenden, ist es kein Wunder, dass sie in 10 von 18 afrikanischen Ländern häufiger HIV-Träger sind als Männer mit intakter Vorhaut (siehe hierzu den USAID-Bericht von 2009)." Das bedeutet, dass in diesem Falle die WHO – und mit ihr UNICEF – Ursache und Wirkung verwechselt!
Das scheint UNICEF sogar bewußt zu sein. Denn in der Mail, die Klaus R. bekam, wird gesagt, dass "im Kampf gegen HIV/Aids … vor allem Aufklärung und die richtigen Medikamente der Schlüssel" sind. "Als präventive Maßnahme klärt UNICEF Kinder und ihre Familien vor Ort in persönlichen Gesprächen oder größeren Medienkampagnen über die Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus, z.B. durch ungeschützten Geschlechtsverkehr, auf. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass die Jugendlichen das Wissen miteinander teilen, um so noch mehr Menschen erreichen zu können. Daher bildet UNICEF auch (jugendliche) Betreuer vor Ort aus, die die Aufklärungsarbeit unterstützen. Zudem werden Kondome und Informationen über die Nutzung des Verhütungsmittels bereitgestellt." Soweit, so gut, so richtig.
Es bleibt aber trotzdem die Frage, weshalb sich dann in der ausführlichen Antwort-Mail der Satz findet: "In Ländern mit einer verbreiteten Aids-Epidemie ist auch die Jungenbeschneidung Teil der Aids-Prävention." Die Jungenbescheidung ist eben keine Aids-Präventation! Sondern – und hier wird wieder aus der o. g. FAQ zitiert – verstärkt "die Gefahr, dass Jungen während der Beschneidung mit HIV infiziert werden. Ohnehin darf das Infektionsrisiko bei der Beschneidung nicht unterschätzt werden."
Man kann Frau Telesio und der UNICEF nur wärmstes an Herz legen, sich über die Folgen der Vorhautamputation ausführlich und objektiv zu informieren. Zum Beispiel auf der Webseite pro-kinderrechte.de. Denn selbst in der "Verteidigungsmail" muss UNICEF eingestehen, dass eine solche unnötige Operation psychische Schäden an den Jungen und Männern hinterläßt: "UNICEF ist es nicht nur wichtig, den Eingriff nur unter physisch unbedenklichen Voraussetzungen durchzuführen, sondern auch, die Kinder psychologisch zu unterstützen." (UNICEF weist in der Mail weiter darauf hin, dass sie "ausschließlich Beschneidungen, die von ausgebildetem Personal in klinischer Umgebung durchgeführt werden" unterstützt. Alles andere wäre nicht nur Grund, die Spenden an UNICEF einzustellen, sondern eine Straftat.)
Gegen die Beschneidung als Aids-Prävention richtete sich unter anderem auch der Protest von Prince Hillary Maloba vom V.M.M.C.-Experience-Project und von Owino Kenneny von INTACT KENYA aus Kenia. Die beiden Aktivisten haben beim Welttag der genitalen Selbstbestimmung am 7. Mai 2017 auf einer Pressekonferenz im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin von den Kinder- und Menschenrechtsverletzungen in diesem Zusammenhang berichtet. (Video) Ganz so unumstritten, wie Frau Telesio es für die UNICEF an Klaus R. schrieb, ist die vermeintliche Aids-Prävention doch nicht.
Klaus R. jedenfalls wird seine Spende zukünftig an die "Ärzte ohne Grenzen" geben.
8 Kommentare
Kommentare
Rerun am Permanenter Link
Ärzte ohne Grenzen beteiligt sich meines Wissens nach auch an der Verstümmelungskampagne.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Man kann Frau Telesio und der UNICEF nur wärmstes an Herz legen, sich über die Folgen der Vorhautamputation ausführlich und objektiv zu informieren."
Nicht nur diesen. Politiker und Entscheider weltweit sollten sich damit so befassen, dass sie die Folgen der Vorhautamputation abschätzen können - und dann geeignete Maßnahmen ergreifen, um das künftig zu verhindern...
David See am Permanenter Link
wenn selbst Organisationen, die vorgeben Kinder zu schützen und das tun wollen einen an der Waffel haben. das ist irgendwie komisch.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Jungenbeschneidung Teil der Aids-Prävention" - unfassbar.
Tim Feuchter am Permanenter Link
Jeder, der beschnitten ist weiß, dass die Benutzung eines Kondoms ab einem bestimmten Abhärtungsgrad unmöglich ist. Das verschlimmert somit die Infektionsrate von Geschlechtskrankheiten.
Mario am Permanenter Link
"Klaus R. jedenfalls wird seine Spende zukünftig an die "Ärzte ohne Grenzen" geben."
Und damit ist er erfreulich konsequent. Bleibt nur zu hoffen, dass Rerun falsch liegt und sich ÄoG nicht an solchen Verstümmelungen beteiligt.
Fiete am Permanenter Link
Es ist erstaunlich, daß UNICEF die simpelsten Gruppendynamiken nicht verstehen will.
Wie kann man daran zweifeln, daß eine "Aufklärung", die behauptet, daß Verstümmelung vor Infektionen schützt ( was an sich schon ein fatalistisches Glaubensbekenntnis beinhaltet ), dazu führt, daß viele Menschen sich verstümmeln lassen, um so vermeintlich das Risiko zu senken. Und, daß diese Leute in ihrer Leichtgläubigkeit weitere "anstecken", die dann ebenfalls leichtsinnig werden und somit die tatsächliche Infektionsgefahr - und damit auch die reale Infektionsrate - signifikant erhöhen.
Zumal davon auszugehen ist, daß erstens eine einzige, vorzeitig abgebrochene, Studie die zu eigentlich gar keinem ernstzunehmenden Ergebnis kommt, wohl kaum als wissenschaftliche Erkenntnis gewertet werden kann, während es zweitens eine allgemeine Binse ist, daß Wasser und Seife, sowie Kondome, einen ganz realen, deutlich messbaren, massiven Schutz vor Infektionen aller Art bieten.
Kay am Permanenter Link
Hallo,
das Thema ist ganz sicher komplex. Und die Sichtweisen der WHO sind nicht immer auf den ersten Blick nachvollziehbar.
Wir sollten uns hier mit UNICEF und WHO als Organisationen beschäftigen und einzelne Personen davor bewahren, an den Pranger gestellt zu werden. Diesen persönlichen Eindruck habe ich leider hier.
UNICEF und WHO sind in vielen Dingen eine große Hilfe in der Welt und sollten andererseits auch kritisch hinterfragt werden. Meiner Meinung nach gibt es für die Komplexität, die uns heute umgibt und in der wir Handeln, kaum noch Raum für eine Bewertung nach Richtig und Falsch.
Gut, dass wir diese Dialoge führen. Jedoch bitte ich um Respekt vor einzelnen Personen.
Kay