Fakes statt Fakten

Das wird man doch noch mal lügen dürfen

"Frau gewinnt in der Lotterie, kotet auf den Schreibtisch ihres Chefs und wird festgenommen!" 1.765.146 Menschen haben diese Nachricht auf Facebook gelikt, geteilt oder kommentiert. Allerdings: Das ist reine Erfindung! Zugegeben, nicht ganz unlustig, aber trotzdem erstunken und vor allen Dingen erlogen. Neudeutsch heißen solche Falschmeldungen "Fake News". Nicht selten verbergen sich hinter vielen Lügenstorys demokratiegefährdende Absichten.

Vor dem Jahr 2016 war der Begriff "Fake News" in Deutschland weitestgehend unbekannt. Seitdem aber jener orangefarbene Präsidentendarsteller im Weißen Haus hockt, der die Wahrheit entwertet und lieber twittert statt regiert, ist der Terminus zur Kampfvokabel geworden. Er wird in die Welt gebrüllt, aufgeladen, zurückgeschleudert und umgedeutet. Dass im politischen Tagesgeschäft nicht immer die Faktizität an erster Stelle steht, überrascht kaum. Doch seit Donald Trump und seine Getreuen ungeniert lügen, hat die Falschrede eine gesellschaftszersetzende Dimension angenommen.

Unvergessen bleibt das Interview mit Kellyanne Conway in der Sendung Meet the Press. Die Beraterin Trumps erklärte dreist, die nachgewiesenen Unwahrheiten, die das Team Trump verbreite, wären keine Lügen, sondern "Alternative Fakten". Und natürlich seien die Medien an allem Schuld. Hier zeigt sich eine stetig wiederkehrende Taktik der Populisten: Fake News – das sind immer die anderen.

Und dabei sind die zwei Wörtchen "Fake News" gar nicht leicht zu definieren. Gibt es doch zu wenig wissenschaftliche Untersuchungen, die die tatsächliche Strahlkraft von Fake News verifizieren. Ein paar Erkenntnisse sind aber mittlerweile veröffentlicht worden. So haben Forscher am Massachusetts Institute of Technology in einer groß angelegten Studie herausgefunden, dass sich Falschmeldungen im Netz rascher verbreiten als genuine Nachrichten und mit einer siebzigprozentigen Wahrscheinlichkeit eher geteilt werden. Ein Grund dafür ist die Schnellebigkeit, nach dem Motto: "Wenn du die News nicht bringst, bringt sie ein anderer." Derjenige gewinnt, der am lautesten schreit.

Und so rufen die meisten Fake News gezielt Gefühle hervor, wie Angst oder Empörung. Die Wissenschaftler sprechen in dem Zusammenhang übrigens von "False News" und nicht von "Fake News". Auch wenn in diesem Artikel weiterhin der gängige Begriff "Fake News" verwendet wird, so soll die Unterscheidung zwischen "falsch" und "gefälscht" stets mitgedacht werden.

Social Bots, also Roboter, die eigenständig posten und liken, spielen bei der Verbreitung nur eine untergeordnete Rolle, wiesen die MIT-Forscher nach. Denn sie streuen richtige wie falsche Nachrichten in gleichem Maße. Neben den Bots sind zudem Trolle unterwegs. Bei ihnen handelt es sich tatsächlich um echte Menschen, die Diskussionen sprengen und hetzen. Manchmal gegen Bezahlung. Politische Falschnachrichten bilden die Hauptkategorie gefolgt von Wirtschaft, Terrorismus und Ernährung. Naturkatastrophen scheinen weniger interessant.

Und dennoch beantwortet die Studie nicht die Frage nach dem Sinn alternativer Fakten. Geht es nur um Klicks? Und wer verbreitet die Fakes?

Russland und AfD

Das Webmagazin Motherboard von Vice untersuchte 2017 die Facebookauftritte deutschsprachiger Online-Nachrichtenmedien mit großer Reichweite und kam zu dem Ergebnis, dass die von Russland finanzierten Internetseiten RT Deutsch und Sputnik News die größten Vervielfältiger von Fake News seien. Ebenso das Burda Joint Venture Huffington Post Deutschland. Allerdings wurden insgesamt nur acht Medien gecheckt.

Die Stiftung Neue Verantwortung durchleuchtete zehn weitere Falschmeldungen und fand in ihrer Studie "Fakten statt Fakes" heraus, dass auch die Deutsche Presseagentur dpa sowie etablierte Medienvertreter Unwahrheiten verbreitet haben. Im Sommer 2017 hieß es in der dpa, eine Horde von tausend Jugendlichen, hauptsächlich Migranten, hätte auf einem Volksfest im baden-württembergischen Schorndorf randaliert. Die Nachricht stammte ursprünglich von der Polizei Aalen, die sich in ihrer Pressemitteilung missverständlich ausgedrückt hatte und somit einen Zusammenhang zwischen Straftaten und Migranten herstellte. Nicht nur die Welt, die Stuttgarter Zeitung und der SWR griffen die Meldung auf, sondern auch die rechtspopulistische Wochenzeitung Junge Freiheit. Sie titelte sofort vom "Einwanderermob", und die AfD machte daraus eine "islamische Grapschparty". Die dpa korrigierte ihre Berichterstattung zwar, allerdings zu spät. Da war die Fehlinformation schon im Netz.

Apropos AfD: Die Stiftung ermittelte zudem, dass bei sieben der zehn Falschmeldungen die AfD an der Verbreitung beteiligt war. Vorneweg Parteivorsitzender Jörg Meuthen. Und auch Erika Steinbach (bisher noch kein offizielles Mitglied der AfD) mischte ordentlich mit. Sie teilte alle untersuchten Fake News.

Jeder kann Propagandaminister sein

Rechtspopulisten und Antidemokraten gelten als die umtriebigsten Urheber und Verbreiter von Fake News. Im Internet haben sich ganze Seilschaften verbündet und kopieren und verlinken sich gegenseitig. Die Methoden der Lügenbarone sind stets die Gleichen: der offene, objektive und faktenbasierte Dialog wird vermieden. Stattdessen betreiben die Hetzer Bauernfängerei, setzen Unrichtigkeiten in die Welt, schüren Antimuslimismus und beleidigen jeden, der widerspricht. Was nicht passt, wird passend gemacht. Diese Schein-Medien sind die wahre "Lügenpresse". Sie sind eine Gefahr für unsere Demokratie. Und die sozialen Netzwerke fungieren als Brandbeschleuniger.

"Heute kann jeder auf Facebook sein eigener Propagandaminister sein", sagt der Astrophysiker und Moderator Harald Lesch in seiner Sendung Terra X. Die Zuspitzung "Das wird man doch noch mal lügen dürfen" stammt von ihm und sie trifft den Nagel auf dem Kopf; denn Fake News sind zumeist absichtlich gestreute Falschmeldungen. Die Betonung liegt auf "absichtlich", denn sie dienen nicht selten dem Zweck, Misstrauen zu säen. Sie sollen Menschen ein Feindbild liefern, das sie zusammenschweißt. Sei es der jüdische Brunnenvergifter, der kopfabschneidende Muslim oder die staatlich gelenkten System-Medien, die uns angeblich belügen. Und plötzlich werden Journalisten zu Volksfeinden und Demokraten zu Linksextremisten. Das Ziel ist Wut. Und Wut führt zur Spaltung. Und Spaltung führt zum Umbruch. Und Umbruch führt zur Autokratie.

Zudem polieren Fake News in repressiven Staaten das Image des regierenden Despoten auf. Da wird geschönt und frisiert, Erfolge werden ausgeschlachtet oder gleich erfunden. Wer Gegenteiliges behauptet, lügt und wird weggesperrt. Und wer mit Lügen arbeitet und gleichzeitig der Gegenseite Lügen unterstellt, der trägt dazu bei, dass sich die Wahrheit verschiebt oder gar verschwimmt. Das Ergebnis ist eine verunsicherte Gesellschaft.

Allerdings kommt man mit einer rigiden Unterteilung in wahr und unwahr trotzdem nicht allzu weit. Denn zuweilen stimmt der Kern einer Meldung, aber die Nachricht wird verkürzt, übertrieben oder verzerrt dargestellt (ein beliebtes Mittel der BILD Zeitung). Gefühle und Gerüchte werden als Tatsachen verkauft. Kaum jemand achtet dabei auf die Quelle, nur das Foto, die Schlagzeile zählen. Hinzukommt, dass das Internet paradoxerweise häufig als ehrlich empfunden wird. Besonders von Menschen, die von Politik und den etablierten Medien enttäuscht sind – aus welchen Gründen auch immer.

Flunkerpharao und Lügenbarone

Tatsächlich sind Fake News älter als das Internet. Es gab sie sogar schon vor dem Buchdruck. 1274 v. Chr. behauptete Pharao Ramses II., er hätte die Schlacht um die Stadt Kadesch gegen die Hethiter gewonnen. Hat er aber nicht. Gleichwohl ist der vermeintliche Sieg auf Tempelwände geritzt und auf Papyri niedergeschrieben. Mag sein, dass dies die älteste dokumentierte Falschmeldung der Welt ist.

Um 800 wurde eine Urkunde gefakt, die als Konstantinische Schenkung in die Geschichte einging und die die Päpste nutzten, um territoriale Ansprüche geltend zu machen. Im 15. Jahrhundert flog die Fälschung auf.

1789 fabelten die französischen Revolutionäre von der "Grande Peur" – der großen Angst. Angeblich plante die Aristokratie nach dem Sturm auf die Bastille eine Verschwörung gegen die Bevölkerung. Die Revolutionäre streuten Gerüchte, dass Räuber und Intriganten Rache üben würden. Die Folge waren bewaffnete Bauernaufstände.

Die Nationalsozialisten schürten durch ihre Propaganda Rassismus, Antisemitismus, Hass und verherrlichten das kriegerische Heldentum. Joseph Goebbels fälschte Zahlen zu Bombardements und log, sobald er den Mund aufmachte.

Und auch in unserer Zeit wird kräftig gekohlt (eine Anspielung auf Helmut Kohls "blühende Landschaften" ist rein zufällig.) Man denke nur an die angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak, die den Einmarsch der Amerikaner rechtfertigen sollten.

Die Kirche als Fake Factory

"Fake News entsprechen den Erwartungen des Zuhörers, deshalb werden sie geglaubt.", erklärt der Politologe Carsten Frerk, der das "Violettbuch Kirchenfinanzen" geschrieben hat und Leiter der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) ist. Wichtig sei die Überprüfung von Behauptungen, betont Frerk. Am Beispiel der hiesigen Kirchenaustritte erläutert er die Methodik einer evidenzbasierten Untersuchung: "Um verifizierbare Messwerte zu erhalten, ist Recherche nötig, man braucht amtliche Statistiken, kirchliche Statistiken, demoskopische Daten, Quellen und Sekundärliteratur. Ein einzelner Text reicht nicht, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen."

Der Kirche unterstellt er indes perfektes Marketing. "Von ihr kann jeder lernen", lacht er und ergänzt: "Verbreitet sie doch bis heute ungehindert Fake News – und das auf Staatskosten."

Am Beispiel des Christentums lässt sich gut beobachten, wie Fake News, Glaube und Verschwörungsschrott ineinander übergehen, sich vermischen und über Jahrhunderte hinweg Unfrieden stiften. So erzählt die Kirche nicht nur Märchengeschichten von abgeschlachteten Gottessöhnen, sondern rotzte auch eine der größten Lügen des letzten Jahrtausends von der Kanzel: Zahllose Menschen mussten deswegen ihr Leben lassen – weil sie als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannten.

Eine Blase ist eine Blase ist eine Blase

Doch wie kann man den Fake News nun entgegenwirken? Wie erkennt man "Bullshit"?

Ist man ehrlich, so muss man sich zwangsläufig die Frage stellen, ob man nicht selbst in seiner Filterblase gefangen bleibt. Sprechen Kirchenkritiker nicht nur zu Kirchenkritikern? Rechte zu Rechten? Gläubige zu Gläubigen? Ist nicht jeder von uns zuweilen voreingenommen? Was kann ein einzelnes Individuum nun faktisch wissen?

Fest steht, bevor man etwas auf Facebook teilt oder likt, sollte man sich die Quelle genau anschauen. Und abwarten. Denn oft versandet eine Falschmeldung, wenn sich niemand darum schert.

Auf Gesellschaftsebene gibt es mehr zu tun: So muss unbedingt die Medienkompetenz der Jugendlichen entwickelt werden. Dafür sind Investitionen ins Bildungswesen notwendig. Kritisches Denken sollte als Fach auf dem Lehrplan stehen. Die Unterscheidung zwischen Fakten, Hypothesen und Meinungen müsste fester Bestandteil des Unterrichts sein. Fakten sind nachweisbare, wahre und anerkannte Sachverhalte. Meinungen sind persönliche Urteile und eine Hypothese – also eine Annahme – braucht stets die Gegenhypothese. So funktioniert wissenschaftliches Arbeiten. Zudem ist es unabdingbar, allzeit zu quantifizieren, sprich, ein Argument muss auf Daten und Fakten basieren.

Diese Regeln gelten auch für die Presse. Etablierte Medien dürfen sich nicht dem Veröffentlichungsdruck unterwerfen. Sie müssen ihrer Pflicht nachkommen; und die lautet Recherche.

Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter sollten außerdem endlich ihre ethische und soziale Verantwortung wahrnehmen. Algorithmen brauchen dringend eine Überarbeitung.

Forscher, Schriftsteller, Journalisten, Historiker, Politiker dürfen nicht müde werden, immer wieder nachzuhaken, zu entlarven und aufzuklären.

Und am Ende gilt ja noch jene Redewendung, die Kant zum Leitspruch der Aufklärung machte: Sapere aude – habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!