Vergangene Woche legte die Regierungskoalition einen Vorschlag zur Änderung von § 219a StGB vor, dem sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen. Der Vorschlag sorgte für massive Kritik. Gestern fanden in mehreren deutschen Städten Kundgebungen gegen die geplante Änderung statt.
"Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" – so lautet der Titel des in den vergangenen Monaten viel diskutierten Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs. Knackpunkt des Streits um den Paragrafen ist, dass er nicht nur die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, wie sein Titel suggeriert, sondern de facto vollständig das öffentliche Verbreiten von Informationen über Abtreibungen, sofern damit ein Vermögensvorteil verbunden ist. Da Ärztinnen und Ärzte üblicherweise für ihre medizinischen Leistungen bezahlt werden, führt der Paragraf dazu, dass sich Ärztinnen und Ärzte strafbar machen, wenn sie beispielsweise auf ihren Webseiten Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügungen stellen und dort bekannt machen, dass sie Abtreibungen durchführen.
Nachdem der Paragraf aus der Zeit des Nationalsozialismus jahrzehntelang kaum Anwendung fand, kam es in den vergangenen Jahren vermehrt zu Anzeigen nach § 219a StGB durch fundamentalistische AbtreibungsgegnerInnen. Nach der Verurteilung der Gießener Frauenärztin Kristina Hänel im vergangenen Jahr waren sich schnell die meisten Parteien im Bundestag einig, dass der Paragraf in seiner aktuellen Form abgeschafft werden muss. Eine parlamentarische Mehrheit war vorhanden – doch dann knickte die SPD ein. Zum Erhalt des Koalitionsfriedens mit der CDU/CSU-Fraktion, welche sich von Anfang an gegen eine Abschaffung von § 219a StGB ausgesprochen hatte. In der vergangenen Woche legte die Regierungskoalition nun eine sogenannte "Kompromisslösung" für die Reform des Paragrafen vor. Ein Kompromiss, der keiner ist.
"Bei genauerem Hinsehen erweist sich der als Kompromiss ausgegebene Vorschlag als Null-Nummer", erklärten Kristina Hänel und andere betroffene Ärztinnen in einer gemeinsamen Presseerklärung. "Der § 219a bleibt komplett bestehen incl. seiner Strafandrohung von zwei Jahren Gefängnis. Die restlichen Vorschläge, die die Situation verbessern sollen, sind flankierende Maßnahmen, die bereits jetzt möglich sind. (…) Wir sind empört, dass aus politischem Machtkalkül und aus Angst vor Rechts Frauenrechte so verraten und wir Ärztinnen weiterhin kriminalisiert werden. Informationsrechte sind Menschheitsrechte. Das gilt auch für Frauen."
Um gegen die geplante "Null-Nummer"-Reform und für die Abschaffung von § 219a Stellung zu beziehen, organisierten SelbstbestimmungsbefürworterInnen am gestrigen Mittwoch in verschiedenen deutschen Städten Kundgebungen, unter anderem in Berlin, Münster, Gießen, Karlsruhe und Leipzig. Da eine zufriedenstellende politische Lösung hinsichtlich § 219a StGB angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse derzeit nicht in Sicht ist, bleibt nur die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht, das sich wahrscheinlich demnächst mit dem Fall Hänel und damit auch § 219a wird beschäftigen müssen.
7 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Da bin ich schon mal gespannt auf das BVerfG; bzgl. einer Streichung des Paragrafen allerdings nicht allzu großer Hoffnung.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
unsere Gesetzgebenden Politiker haben noch immer nicht begriffen was Selbstbestimmung ist, geschweige denn die Menschenrechte gesetzlich verankert zu realisieren.
Amtsinhaber seit Jahrtausenden. Eine Änderung der Zustände können wir nur gemeinsam
und hartnäckig erreichen. Also bleibt am Ball.
G.B.
A.S. am Permanenter Link
Viel zu viele BürgerInnen lassen sich von frommen PolitikerInnen für dumm verkaufen. Fromme Menschen stehen unter psychologischer Kleriker-Knute.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Was hindert die Menschen daran sich von dieser Knute zu befreien und sie den Klerikern um die Ohren zu hauen.
A.S. am Permanenter Link
@ Gerhard Baierlein und andere Leser:
Es ist der deutsche Staat, der nur auf dem Papier unabhängig von der Kirche ist.
Es ist der deutsche Staat, der Religionsunterricht erteilen lässt und die Religionslehrer (und deren Ausbildung) bezahlt.
Es ist der deutsche Staat, der in seinen öffentlich-rechtlichen Medien den Kirchen kostenlos Sendezeiten für Hunderte von Sendungen jährlich zur Verfügung stellt.
Es ist der deutsche Staat, der willig für die Kirchen die Mitgliedsbeiträge eintreibt und sich für seine Dienstleistung mit einem nicht kostendeckenden Entgelt begnügt (Quelle:Carsten Frerk, "Violettbuch Kirchenfinanzen").
Es ist der deutsche Staat, der andauernd Zuschüsse für ein jedes Kirchenanliegen gewährt.
Es ist der deutsche Staat, der neue Staatskirchenverträge mit für die Kirchen äußerst lukrativen Konditionen schließt.
WV am Permanenter Link
Informationsverbot durch §219a? Schwangere in Deutschland können nicht herausfinden, wo sie den Abbruch machen können, wenn Ärzte das nicht auf ihrer Homepage schreiben dürfen?
15 Abbruchkliniken gibt es in ganz Österreich, was wohl auch das Märchen vom "Es gibt kaum noch Möglichkeiten für Frauen in Deutschland eine Schwangerschaft abzubrechen" ebenfalls als Märchen entlarvt. Gut: die eine oder andere Frau an den Rändern Deutschland muss vielleicht 120 km weit fahren. Das könnte zumutbar sein, denke ich.
Schwangere können sich nicht informieren, wenn es Ärzten nicht erlaubt ist, Werbung für die eigene Praxis auf ihrer Homepage zu machen? Das ist doch wirklich Unsinn. Faszinierend nur, dass alle Medien das verbreiten und damit das ganze Land das glaubt.
Viel wichtiger als die Abschaffung des §219a wäre es, dass es den sog. Lebensschützern untersagt werden sollte, sich innerhalb einer Bannmeile von ca. 200-300m um eine Abbruchklinik mit großen Plakaten von zerstückelten Feten aufzuhalten oder schwangere Frauen beim Betreten einer solchen "zur Umkehr" aufzufordern. Oder Ärzte, die Abbrüche durchführen, ungestraft als "Mörder", "Tötungsspezialisten mit einer Tötungskapazität von 5000 Kindern" öffentlich auf Webseiten zu verunglimpfen und zu beleidigen. Das ist der eigentliche Skandal.
Michael am Permanenter Link
Hallo WV!
Ein viel größerer Skandal ist in diesem Zusammenhang jedoch das Verhalten von Politik und Staatsanwaltschaft in einer anderen Angelegenheit. Ich meine die Aussagen des katholischen Oberhetzers und Hasspredigers, genannt "Papst Franziskus": Ungestraft darf dieser schreckliche Mensch Ärzte, die einen legalen Schwangerschaftsabbruch durchführen, als "Auftragsmörder" und Frauen, die einen Abbruch durchführen lassen, als Anstifterinnen zu einem Mord beschimpfen. Damit ist der Tatbestand der Volksverhetzung, der Falschbeschuldigung und der üblen Nachrede erfüllt. Warum wird durch die dafür zuständigen Organe in Deutschland kein Strafverfahren gegen diesen Herrn eingeleitet? Die Kirchenlobby und deren Erfüllungsgehilfen in Politik und Medien wissen dies natürlich zu verhindern. Manche sind vor dem Gesetz eben "gleicher"! Damit machen sich die dafür zuständigen Behörden der "Strafvereitlung im Amt" schuldig!
Dies scheint aber in der Bananen-Kirchen-Republik Deutschland kaum jemanden zu interessieren.