Kommentar

Moscheesteuer? – Nein danke!

Gestern sprach sich die Berliner Rechtsanwältin und Imamin Seyran Ateş in der Onlineausgabe der Welt für die Einführung einer Moscheesteuer aus. Politiker der Regierungskoalition und Opposition sprangen ihr bei und unterstützten diese Idee. Eine schlechte Idee, findet die stellvertretende hpd-Chefredakteurin Daniela Wakonigg, da durch eine Moscheesteuer religiöse Privilegien zementiert statt abgeschafft würden und säkulare Muslime oder Ex-Muslime noch stärker gefährdet wären als bisher.

Seyran Ateş, Rechtsanwältin sowie Gründerin und Imamin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, ist eine Frau, die viele kluge Ansichten hat. Ihre Forderung nach einer Moscheesteuer, die ihrer Meinung nach analog zur Kirchensteuer erhoben werden sollte, ist hingegen alles andere als klug.

Ateş begründete ihre Forderung gestern in der Welt mit dem Hinweis, dass die Gemeinden ihre Finanzierung durch eine Moscheesteuer verstärkt selbst organisieren könnten. Heute äußert sie sich auf ihrer Facebookseite noch deutlicher: "So kann man den schädlichen Einfluss von ausländischen Regierungen auf die muslimischen Gemeinden Deutschlands verringern".

Beispielbild
Screenshot der Facebookseite von Seyran Ates, Stand: 27.12.2018, 9:40 Uhr.

Nun ist es kein Geheimnis, dass insbesondere von der DITIB, also der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V., betriebene Moscheen unter starkem finanziellen und damit auch politischen Einfluss der türkischen Regierung stehen. Ihre Imame werden aus der Türkei importiert und vom Konsulat bezahlt. Auch andere Moscheegemeinden werden finanziell aus dem Ausland gefördert und stehen unter entsprechendem Einfluss. Doch: Was sollte eine Moscheesteuer daran ändern? Sie würde lediglich ein weiteres finanzielles Zubrot darstellen. Einen Anreiz, die über Jahrzehnte gewachsenen Kontakte ins Ausland abzubrechen oder die durch die ausländische Einflussnahme über Jahrzehnte geprägten Ansichten zu ändern, vermag ich darin nicht zu erkennen. Wenn es wirklich darum geht, den Geldstrom und mit ihm die Einflussnahme des Auslands auf Moscheegemeinden in Deutschland zu unterbinden, wäre es dann nicht wesentlich naheliegender, ein Gesetz zu schaffen, das diese Auslandsfinanzierung verbietet? Ein Gesetz, wie es in Österreich bereits seit 2015 gilt.

Eine Moscheesteuer, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht das brächte, weswegen sie aktuell von Ateş und den ihr beispringenden Politikern gefordert wird, würde jedoch einige negative Aspekte mit sich bringen. Geradezu gefährlich könnte sie werden für Muslime, die mit ihrem Glauben kaum noch etwas oder vielleicht gar nichts mehr verbindet und die deshalb nicht Mitglied einer Moscheegemeinde sind. Bisher war es ihre Privatangelegenheit, wie sie es mit dem Glauben oder Nicht-Glauben hielten. Doch sobald die Moscheesteuer vom Lohn abgezogen wird, ist im Lohnbüro für jedermann zu sehen, ob jemand "ein guter Muslim" ist oder gar ein Ungläubiger. In einem Betrieb mit gläubigem muslimischen Chef würden sich so vielleicht auch Ex-Muslime oder Muslime, die mit ihrem Glauben nicht mehr viel anfangen können, dazu genötigt fühlen oder gar dazu gedrängt werden, offizielles Mitglied einer Moscheegemeinde zu werden. Aus diesem Grund ist es für mich nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet Seyran Ateş eine Moscheesteuer fordert. Sie, die liberale Muslimin, erhält regelmäßig Drohungen von strenggläubigen Muslimen und muss zeitweise von der Polizei geschützt werden. Sie kennt viele Ex-Muslime, denen es ähnlich oder noch schlimmer geht, und sollte genau deshalb eigentlich wissen, dass die Geheimhaltung der eigenen Art der Gläubigkeit oder Nicht-Gläubigkeit in einem muslimischen Umfeld im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig sein kann.

Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum mich die Forderung von Seyran Ateş verwirrt. Erst im November hat sie die Initiative säkularer Islam mitgegründet. Man möchte meinen, dass jemand, der zu den Mitgründerinnen einer solchen Initiative gehört, sich über die Bedeutung des Worts "säkular" im Klaren ist. Auf die Gefahr hin zu spoilern: Es hat etwas mit der Trennung von staatlicher und kirchlicher Sphäre zu tun. Nun gibt es jedoch kaum etwas, bei dem in Deutschland die Verflechtung beider Sphären deutlicher wird als bei der durch staatliche Institutionen im Auftrag der Religionsgemeinschaften eingezogenen Kirchensteuer. Ein Verfahren, über das selbst wesentlich religiösere Staaten als Deutschland den Kopf schütteln und das uns im alljährlichen Gedankenfreiheitsbericht (Freedom of Thought Report) der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union (IHEU) regelmäßig massive Minuspunkte einbringt. Denn zur wirklichen Religionsfreiheit gehört es eben, dass ich meine Religion oder Nicht-Religion auch gegenüber dem Staat verschweigen kann. Das ist in Deutschland aufgrund der Kirchensteuer nicht möglich. Staat und Arbeitgeber erfahren so immer, was ich glaube oder nicht glaube.

Säkulare Verbände fordern deshalb schon lange die Abschaffung der Kirchensteuer. Da der Anteil der Mitglieder der zum Einzug von Kirchensteuer berechtigten Kirchenverbände stetig schrumpft und nach Schätzungen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) bereits in den Jahren 2022/2023 weniger als 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland Mitglied der katholischen und evangelischen Kirche sein werden, ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis sie sich damit durchsetzen werden.

Und genau hier dürfte der entscheidende Knackpunkt liegen, warum das Thema "Moscheesteuer" ausgerechnet bei der bürgerlich-konservativen Welt, sowie Politikern der CDU/CSU und religiösen Vertretern anderer Parteien auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Das alles hat nichts mit dem Versuch zu tun, ausländische Einflüsse auf deutsche Moscheen zu verhindern, denn das ginge, wie gesagt, mit einem entsprechenden Finanzierungsverbot nach österreichischem Vorbild wesentlich einfacher und zielgerichter. In Wahrheit geht es darum, das Privileg der Kirchensteuer so lange wie möglich zu erhalten, indem man es auf weitere Religionsgemeinschaften ausweitet – jetzt, wo absehbar ist, dass Protestanten und Katholiken demnächst weniger als 50 Prozent der Bevölkerung stellen werden. Dass sich Seyran Ateş als Mitgründerin der Initiative säkularer Islam vor diesen klerikal-politischen Karren spannen lässt, ist mehr als traurig.


Update 27.12.2018, 13:43 Uhr:

Mehrere Medien berichten inzwischen, Seyran Ateş sei in ihrem Interview mit der Welt missverstanden worden. Ateş selbst erklärte im heutigen ARD-Morgenmagazin:

"Es ist keine gute Idee, die aktuellen (Islam-)Verbände zu Körperschaften öffentlichen Rechts zu erklären und eine Kirchensteuer-ähnliche Moschee-Steuer einzuführen".

18 Minuten nach Ende des Morgenmagazins schrieb sie jedoch auf ihrer Facebook-Seite:

"Die Einführung einer 'Moschee-Steuer' analog zur Kirchensteuer ist in Deutschland längst überfällig. So kann man den schädlichen Einfluss von ausländischen Regierungen auf die muslimischen Gemeinden Deutschlands verringern – diese würden dann aus der Kasse der Mitglieder finanziert werden."

Update 28.12.2018, 18:16 Uhr:

Seyran Ateş hat ihren hier dokumentierten Facebook-Eintrag gelöscht. Auf ihrer Facebookseite findet sich nun folgende Erklärung:

"Erläuterung zur aktuellen Diskussion um die "Moscheesteuer"

Analog heißt nicht identisch.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Ich wurde gestern an dieser Stelle bezüglich der Einführung einer "Moscheesteuer" missverstanden. Ich hätte natürlich gleich ausführlicher schreiben sollen.

Hier nun Details zu meiner Position:

Es ist nicht zutreffend, dass ich dasselbe Steuermodell, wie es das für Kirchen gibt, auch für Moscheen befürworte.

Ziel unserer Bemühungen muss sein, dass alle von den islamischen Gemeinden benötigten Mittel in Zukunft von den Mitgliedern selbst aufgebracht werden. So kann der Einfluss von ausländischen Geldgebern auf die Gemeinden in unserem Land verringert werden.

Dies im Rahmen einer tatsächlichen Steuer (identisch zur Kirchensteuer) zu organisieren und dazu die aktuellen Islamverbände zu Körperschaften öffentlichen Rechts zu erklären lehne ich ab. Das würde den Bock zum Gärtner machen.

Es gilt, einen gangbaren Weg zwischen dem Konstrukt eines Staatskirchenrechts und der derzeitigen Praxis einer Auslandsfinanzierung der großen Moscheeverbände zu finden – noch dazu, wo sich eine eindeutige, aber schweigende Mehrheit der Muslime in unserem Land durch diese Verbände gar nicht vertreten fühlt.

Es kann dies auf unterschiedliche Weise geschehen. Die Idee einer "Steuer", mit der Mitglieder der eigenen Religion unterstützt werden, ist Muslimen aber ohnehin nicht fremd: So ist eine der fünf Säulen des Islam die Zakat (soziale Pflichtabgabe), welche 2,5 % des ruhenden netto-Kapitalvermögens beträgt. Die Zakat ist eine unumstrittene religiöse Pflicht und muss beachtet werden.

Muslime sollten also selbstverantwortlich für sich und ihre Gemeinden handeln und finanziell auf eigenen Beinen stehen. So können sie sich einerseits von der Dominanz der Islamverbände lösen und ihre Mitglieder andererseits vor aus dem Ausland finanzierter Agitation schützen."