Bundestag stimmt für Reform von § 219a StGB

§ 219a StGB: Eine Reform, die keine ist

Gestern passierte die umstrittene Reform des Strafrechtsparagraphen 219a den Bundestag. Laut Erklärung der Regierungsparteien sollte die Neufassung des Paragraphen dafür sorgen, dass Informationen über Schwangerschaftsabbrüche verbessert werden. Doch das ist nicht der Fall. Experten halten § 219a StGB für verfassungswidrig.

"Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" – so die Überschrift des bisher gültigen §219a StGB. Doch der Paragraph verbietet nicht nur Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch, dass Ärzte und Ärztinnen – beispielsweise auf ihren Webseiten – darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, welche Methoden des Abbruchs sie durchführen und wie diese funktionieren.

Lange Zeit interessierte sich kaum jemand für diesen Paragraphen, der während des Dritten Reichs aus bevölkerungspolitischen Interessen in die Strafgesetzgebung aufgenommen wurde. Doch Mitte der 2000er Jahre entdeckten Abtreibungsgegner den Paragraphen für sich und durchforsten seitdem das Internet nach Ärztinnen und Ärzten, die auf ihren Webseiten über Schwangerschaftsabbrüche informieren, um sie anzuzeigen.

Als im November 2017 die Gießener Ärztin Kristina Hänel nach § 219a StGB verurteilt wurde, löste dies eine neue gesellschaftliche Debatte um die Abtreibung aus. Schnell war sich mit den Abgeordneten von SPD, Grünen, Linken und FDP eine Mehrheit der Politiker und Politikerinnen im Bundestag darüber einig, dass § 219a StGB ein nicht mehr zeitgemäßes Relikt sei und baldmöglichst abgeschafft werden müsse.

Doch dann kam die Große Koalition. Da die CDU/CSU – übrigens ebenso wie die AfD – strikt gegen eine Abschaffung von § 219a StGB war, brachte dies auch die klare Haltung der SPD für eine Abschaffung des Paragraphen ins Wanken. Um den Koalitionsfrieden nicht zu gefährden, erarbeiteten CDU/CSU und SPD einen Reformvorschlag zur Änderung von § 219a StGB. Mit 371 Ja-Stimmen zu 277 Nein-Stimmen sowie vier Enthaltungen wurde diese Reform nach erneuten heftigen Debatten nun gestern vom Bundestag angenommen.  

Dass diese Reform von § 219a StGB eine Farce ist, darüber sind sich viele Experten und Expertinnen aus den verschiedensten Fachbereichen einig. Denn obwohl der Reformvorschlag die positiv klingende Überschrift "Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch" trug, sorgt die Reform eben genau für diese verbesserte Information nicht. Frauenärztinnen und -ärzten soll es nach Ergänzung des Paragraphen um einen neuen, vierten Absatz zwar nun erlaubt sein, auf ihrer Webseite zu erwähnen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, jedoch nicht, welche Arten des Abbruchs sie anbieten oder wie diese funktionieren. Für diese Informationen darf auf der Arztwebseite lediglich ein Link zu übergeordneten offiziellen Stellen vorhanden sein, die über verschiede Arten des Schwangerschaftsabbruchs informieren und über die Listen von Ärztinnen und Ärzten erhältlich sein sollen, die jeweils bestimmte Verfahren des Schwangerschaftsabbruchs anwenden.

Diese Regelung ist nicht nur unter lebenspraktischen Aspekten vollkommener Blödsinn. Sie setzt auch Frauen, die sich über einen Schwangerschaftsabbruch informieren wollen, neben der Zwangsberatung weiteren unnötigen Schikanen aus. Auch für Ärztinnen und Ärzte schafft sie keine echte Rechtssicherheit. Schon die telefonische Nachfrage einer Patientin, welche Formen des Schwangerschaftsabbruchs in einer Praxis angeboten werden, könnte eine strafrechtliche Tretmine darstellen. Das Wichtigste jedoch: Auch juristisch ist die nun durch die Stimmen der Regierungsparteien abgesegnete Reform von § 219a StGB Unsinn:

"Wer (…) rechtmäßig auf etwas deuten darf, auf dem 'X' steht, darf selbstverständlich auch dazu sagen, dass dort 'X' steht. Dieses Aussprechen 'X' als kriminell zu markieren, während das Hinweisen auf 'X' als rechtmäßig, ja als förderlich für einen Gesetzeszweck behandelt wird, ist verfassungsrechtlich nicht legitimierbar."

So formulierte es der Rechtsphilosoph und Strafrechtler Prof. Reinhard Merkel in seiner Stellungsnahme für den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am 18.02.2019.

Bedauerlich an dieser Reform, die keine ist, ist vieles:

- Dass die Mehrheit der Bevölkerung und ihrer Volksvertreter im Bundestag eigentlich für eine Abschaffung von § 219a ist, aber trotzdem nichts geschieht, weil der SPD der Erhalt des Koalitionsfriedens wichtiger ist als der Wille des Volkes.

- Dass beim Reformverfahren erneut – wie so oft bei Gesetzgebungsverfahren – Religionsvertreter in einem Ausmaß gehört wurden, das die gesellschaftliche Verankerung von Religion nicht mehr angemessen widerspiegelt: Von den 18 Stellungnahmen zur Reform von §219a StGB, die bis zum 4. Februar beim Justizministerium eingereicht wurden, stammen sechs von kirchlichen und kirchennahen Vereinigungen, drei von Juristen und juristischen Vereinigungen, drei von Vereinigungen, die für Frauenrechte und Schwangerschaftsberatung stehen, zwei von Ärztevereinigungen und vier von gesamtgesellschaftlichen Akteuren wie Gewerkschaften. Die Mehrheit dieser Stellungnahmen plädierte für eine Abschaffung des §219a.

- Dass auf den Webseiten von Ärztinnen und Ärzten weiterhin keine seriösen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche angeboten werden dürfen, Abtreibungsgegner hingegen das Internet mit falschen und unseriösen Informationen zu dem Thema fluten dürfen. Denn Werbung, die sich gegen Schwangerschaftsabbrüche richtet, ist nach § 219a StGB nicht verboten.

- Dass der Geist des Gesetzgebers von 1933 weiter wirkt, der das Gesetz erließ, weil er Frauen für so willensschwach hielt, dass sie durch leicht zugängliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche überhaupt erst zu Abtreibungen animiert werden.

- Dass sich durch die anhaltende Rechtsunsicherheit immer weniger Ärztinnen und Ärzte bereit erklären werden, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, so dass Frauen für einen Abbruch weite Wege auf sich nehmen müssen.

Doch wenigstens einen positiven Aspekt hat diese Reform: Die Neufassung von § 219a StGB ist juristisch so hanebüchen, dass es sicher nicht lange dauern wird, bis das Gesetz auch in seiner Neufassung vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.