Bilanz des "Kinderschutz-Gipfels"

Aus dem Vatikan nichts Neues

Die Konferenz zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals ist zu Ende. Die Erwartungen waren groß, das mediale Interesse auch. Aber am Ende stehen doch nur wieder Relativierungen, Absichtserklärungen und Ankündigungen des Papstes. Jetzt hagelt es Kritik, nicht nur von den Opfern.

"Nach 4 Tagen Anti-Missbrauchsgipfel: Hier die Liste mit den konkreten Maßnahmen, wie die katholische Kirche zukünftig sexuellen Missbrauch verhindern will", postete das Satire-Magazin Extra 3 auf Facebook. Wer denkt, dass sein Endgerät das zugehörige Bild nicht richtig anzeigt – nein, es gehört so. Es ist ein weißes Blatt Papier. Ein Nichts. So lassen sie sich zusammenfassen, die konkreten Ergebnisse, die Papst Franziskus noch zu Beginn der Missbrauchskonferenz angemahnt hatte. Die drei Tage im Vatikan standen unter den Überschriften "Verantwortung", "Rechenschaftspflicht" und "Transparenz". Es trafen sich die Vertreter aller Bischofskonferenzen weltweit, dazu kamen Ordensvertreter und Experten. Sogar zehn Frauen sollen dabei gewesen sein.

Wer nicht eingeladen war, waren die Opfer. "Die Opfer stören (…), man möchte lieber unter sich bleiben", sagte Matthias Katsch von der Betroffenenorganisation "Eckiger Tisch" schon am Donnerstagabend im heute journal. Er sprach von einer Angst vor dem Kontrollverlust bei den Organisatoren. Missbrauchsopfer aus aller Welt hatten sich zu einer Art "Gegengipfel" in Rom versammelt, ihre Abschlussveranstaltung war der "March to Zero" am Sonntag. Sie zogen zur Engelsburg, um für "Null Toleranz" gegenüber Missbrauchstätern zu demonstrieren.

Immer schärfere Worte findet der Papst in seiner viel kritisierten Abschlussrede einerseits: Da ist der Vergleich mit "heidnischen Menschenopfern", die Bezeichnung von Missbrauchstätern als "Menschenschinder" und dem Missbrauch als Brutalität, die man aus dem Leib der Menschheit herausreißen müsse. Andererseits hat sich das Schuldbewusstsein immer noch nicht überall durchgesetzt: "Bischöfe aus Afrika und Asien haben eingewandt, in ihren Ländern gäbe es zahlreiche Formen von Missbrauch, angefangen bei Kindersoldaten und Kinderarbeit. Sie  nehmen die Aufmerksamkeit für sexuellen Missbrauch in der Kirche als Obsession wahr", sagte Mark Coleridge, Erzbischof von Brisbane (Australien) in derselben Ausgabe des heute journals.

Auch Franziskus neigt zu Relativierungen: "Unsere Arbeit hat uns dazu geführt, einmal mehr anzuerkennen, dass das schwere Übel des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen leider in allen Kulturen und Gesellschaften ein geschichtlich verbreitetes Phänomen ist. (…) Wer Missbrauch begeht, das heißt Gewalt (körperlich, sexuell oder psychisch) anwendet, sind vor allem Eltern, Verwandte, die Partner von Kinderbräuten, Trainer und Erzieher." An anderer Stelle betont er zwar, die weltweite Verbreitung dieses Übels bestätige wie schwerwiegend es für unsere Gesellschaften sei, schmälere aber nicht seine Abscheulichkeit innerhalb der Kirche. Innerhalb der Kirche sei Missbrauch noch schwerwiegender und skandalöser, weil er "im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ihrer ethischen Glaubwürdigkeit" stehe. Doch insgesamt sieht das Oberhaupt der katholischen Kirche den Missbrauch als "Geheimnis des Bösen", für das es keine ausreichenden Erklärungen gebe. "Die gottgeweihte Person, die von Gott auserwählt wurde, um die Seelen zum Heil zu führen, lässt sich von ihrer menschlichen Schwäche oder ihrer Krankheit versklaven und wird so zu einem Werkzeug Satans."

Insgesamt versucht der Papst den kirchlichen Missbrauch in ein globales Gesamtbild des Missstands einzubetten, das alles von minderjährigen Prostituierten über unterernährte bis zu abgetriebenen Kindern umfasst. Er zitiert Studien, philosophiert darüber, wie sich die Opfer fühlen und was die Ursachen für den Missbrauch sein könnten. Er lenkt ab vom eigenen Problem und verkehrt den Versuch, den metaphorischen Brand in seiner Kirche kleinzuhalten, in eine Vorreiterrolle für Kinderrechte weltweit. "Die Rede des Papstes ist der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderung anzugehen", schrieb Matthias Katsch dazu. Die Opferverbände hatten sich unter anderem gewünscht, dass Missbrauchstäter oder -vertuscher konsequent ihren Klerikerstatus verlieren.

Thomas Schüller, Direktor des Instituts für Kanonisches Recht der Universität Münster, nannte Franziskus‘ Abschlussrede "ein Fiasko" und "eine vertane Chance". Sie sei ein "routiniertes und uninspiriertes Abspulen von Selbstverständlichkeiten" gewesen. "Es ist das Ende des Pontifikats in dem Sinne, dass Franziskus nicht als Reformpapst in die Geschichte eingehen wird, sondern als Bewahrer."

Und die angekündigten Maßnahmen? In seiner Abschlussrede spricht der Pontifex von den "geistlichen Maßnahmen" Demütigung, Selbstanklage, Gebet, Buße – "Das ist die einzige Weise, um den Geist des Bösen zu besiegen. So hat ihn Jesus besiegt." "Das Ziel der Kirche wird also sein, den missbrauchten, ausgebeuteten und vergessenen Minderjährigen, wo auch immer sie sich befinden, zuzuhören, sie zu bewahren, zu schützen und zu betreuen." Blumig formulierte Absichtserklärungen und Ankündigungen, was ungefähr passieren müsste – konkreter wird es auch danach nicht mehr. Eine Abschaffung des Zölibats wird es natürlich nicht geben. Im Gegenteil spricht der "Heilige Vater" davon, die Ausbildung im Priesterseminar müsse "die Tugend der Keuschheit miteinschließen".

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, nahm den "Vertreter Gottes auf Erden" in Schutz: Man könne nicht erwarten, dass auf einem solchen Treffen ein rasch zusammengestellter Maßnahmenkatalog verabschiedet werde. Und bezogen auf die Rede: "Ich kann nicht erkennen, dass das nur qualmiges, nebulöses Gerede war."

Erfreulich war der enorme mediale Druck, der während der Konferenz in Rom allgegenwärtig war. Was Papst Franziskus in seiner Abschlussrede zu einem Seitenhieb verleitete: Die Kirche müsse sich über alle "ideologischen Polemiken" und "journalistischen Kalküle" erheben, die das von den Opfern erlebte "instrumentalisieren" würden – Wenn man das hört, ist man geneigt zu denken, dass der Pontifex das eigentliche Problem nicht im Missbrauch selbst, sondern in dessen Bekanntwerden durch die Medien sieht. Er spricht von einem "Gerechtigkeitswahn, der von den Schuldgefühlen aufgrund der vergangenen Fehler und dem Druck der medialen Welt hervorgerufen" werde. Was das sein soll, ein "Gerechtigkeitswahn", wie Gerechtigkeit in einem Zusammenhang mit einem Wahn stehen kann und wie der Wunsch nach Gerechtigkeit etwas Schlechtes sein kann, erklärt der Inhaber der ewigen Wahrheit nicht.