Interview

Die Wissenschaft und das Übernatürliche

Martin Mahner leitet nicht nur das Zentrum für Wissenschaft und kritisches Denken der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), als Wissenschaftsphilosoph beschäftigt er sich darüber hinaus mit den philosophischen Grundlagen von Forschung. Der hpd sprach mit ihm über sein aktuelles Buch "Naturalismus" und über die Probleme, das Übernatürliche zu erforschen.

hpd: Herr Mahner, Sie haben ein Buch über Naturalismus geschrieben. Nun gibt es bereits viele Bücher zu dem Thema, sodass sich als erstes die Frage aufdrängt, was es dazu wohl Neues zu sagen gibt.

Martin Mahner: In der Tat geht es mir nicht darum, erneut zusammenzufassen, warum der Naturalismus so toll ist und warum man daher Naturalist sein sollte. Es geht vielmehr um die speziellere Frage des Verhältnisses von Naturalismus und Wissenschaft. Genauer: um das Verhältnis nicht nur zu den Naturwissenschaften, sondern darüber hinaus zu den empirischen Wissenschaften oder Realwissenschaften allgemein. Ich bin nämlich oft mit der These konfrontiert worden, diese seien allein durch ihre Methode definiert, der man folgen müsse, wohin sie auch führen möge. Theoretisch könnte dieser Weg auch in den Supranaturalismus führen. Das geht sogar so weit, dass einige meinen, es könne sogar eine Wissenschaft des Supranaturalen geben.

Wenn Wissenschaft ergebnisoffen sein soll, wo ist das Problem? Und macht nicht die GWUP, für die Sie tätig sind, bei ihren Psi-Tests mit angeblich paranormal Begabten genau dasselbe?

Das müssen wir etwas aufdröseln. Die Methodenthese halte ich für falsch. Damit wir überhaupt mit empirischen Methoden wie Messung oder Experiment Daten bzw. Belege gewinnen können, muss die Welt bereits bestimmte Eigenschaften aufweisen. Dazu gehören unter anderem gesetzmäßiges Verhalten, Kausalität und die Nichtexistenz geistiger oder übernatürlicher Manipulationsmöglichkeiten. Stellen wir uns vor, es wimmelte auf der Welt von geistigen Kräften oder supranaturalen Wesenheiten. Warum würden die unsere Messungen und Experimente ungestört lassen? Theoretisch könnten diese auch unser Denken manipulieren. Wir schließen aber immer stillschweigend aus, dass so etwas passiert. Und die einfachste Annahme ist nun einmal die, dass solche Entitäten gar nicht existieren.

Würde es nicht genügen, nur anzunehmen, dass solche Entitäten nicht in die wissenschaftliche Empirie eingreifen?

Im Grunde ja, doch das wäre eine Ad-hoc-Annahme. Wenn man sagt, etwas greift nicht in die wissenschaftliche Empirie ein, geht man zunächst von der Existenz dieses Etwas aus. Aber warum sollte man ohne Not von der Existenz von etwas ausgehen, das dann ohnehin nicht mit uns interagiert? In der Wissenschaft geht man bei ungeklärten Existenzfragen immer von der Nullhypothese der Nichtexistenz aus. Wenn jemand meint, der Yeti existiere, muss er oder sie den Beweis dafür erbringen.

Wenn man die naturalistische Annahme der Nichtexistenz von Supranaturalem voraussetzen muss, um überhaupt empirische Methoden sinnvoll anwenden zu können, erscheint es paradox, die Existenz von Übernatürlichem wissenschaftlich untersuchen zu wollen.

Das ist es in der Tat. Aber nur auf den ersten Blick. Wie sich diese scheinbare Paradoxie auflöst, verrate ich hier aber nicht, denn das ist ein langer Argumentationsgang. Außerdem würde ich eine der Pointen im Buch vorwegnehmen. Und, um auf die Frage nach den Psi-Tests der GWUP zurückzukommen, so diskutiere ich unter anderem, ob dort wirklich Übernatürliches getestet wird und warum Übernatürliches nicht gleich Übernatürliches ist.

Der Untertitel Ihres Buches lautet "Die Metaphysik der Wissenschaft". Auch das erscheint merkwürdig, denn der Naturalismus wird ja in der Regel als weit entfernt von Metaphysik gesehen.

Gewiss soll der Untertitel etwas provozieren. Metaphysik wird landläufig gern mit Herumgeschwurbel über "Höheres" oder gleich ganz mit Religion gleichgesetzt. In der Philosophie ist Metaphysik jedoch nur die Disziplin, die sich mit der Grundbeschaffenheit der Welt auseinandersetzt. Dazu gehört heute in aller Regel nichts Supranaturales mehr. Auch Materialismus und Naturalismus sind daher Metaphysiken im philosophischen Sinne. Des Weiteren gehört zur Metaphysik auch die Frage, wie eine Welt beschaffen sein muss, damit in ihr überhaupt Erkenntnis möglich ist. Das nennt man Voraussetzungsmetaphysik.

Das klingt nach den "Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis" und damit nach Metaphysik im Sinne Kants.

Auch hier muss ich wieder antworten: Auf den ersten Blick, ja. Nun können Naturalisten aber natürlich keine Kantische Antwort geben, denn nichts läge ihnen ferner als dessen transzendentaler Idealismus. Wie der naturalistische Metaphysiker das Problem löst, auf eine kantische Frage eine nicht-kantische Antwort zu geben, möchte ich an dieser Stelle wiederum nicht verraten.

Die Realwissenschaften müssen also von einer naturalistischen Metaphysik ausgehen, um überhaupt empirische Erkenntnis gewinnen zu können. Wie stellt sich dann das vieldiskutierte Verhältnis von Wissenschaft und Religion dar?

Das hängt davon ab, was man unter "Religion" verstehen will. Insofern Religion an den Supranaturalismus gebunden ist – was für die meisten relevanten Religionen zutrifft –, kann man zeigen, dass beide sowohl metaphysisch inkompatibel sind als auch hinsichtlich ihrer normativ-erkenntnistheoretischen Grundannahmen, das heißt ihrer Methodologie. Man muss also letztlich sagen: Religiöse Wissenschaftler haben offenbar die metaphysischen und methodologischen Grundlagen beider Bereiche nicht konsequent durchdacht.

Ihr Buch legt sich also nicht nur mit Supranaturalisten an, sondern auch mit denjenigen Naturalisten, die meinen, Wissenschaft sei metaphysikfrei zu betreiben?

Das ist das Los des Skeptikers, der nicht nur nach außen hin Kritik übt, sondern auch im eigenen Haus schauen sollte, wo noch Klärungsbedarf besteht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Martin Mahner: Naturalismus – Die Metaphysik der Wissenschaft

Alibri-Verlag 2018, 237 Seiten, 18 Euro