Letzte Hilfe

BERLIN. (hpd) Die Sterbehilfe-Debatte nimmt langsam Fahrt auf. Auch der hpd berichtet in den letzten Wochen verstärkt über dieses Thema. Nun ist ein Buch erschienen, das dieser Debatte einen säkularen und humanistischen Blick beifügen wird. Uwe-Christian Arnold hat (gemeinsam mit Michael Schmidt-Salomon) das Buch “Letzte Hilfe” veröffentlicht.

“Ich habe den Krebs früher als übermächtigen Feind betrachtet, gegen den ich keine Chance hatte. Jetzt aber weiß ich, dass ich aus diesem Duell als Siegerin hervor­gehen werde. Denn entweder werde ich gesund – oder aber ich beende mein Leben, bevor der Krebs mich erledigt. Sie glauben nicht, was das für eine Erleichterung ist!” sagt eine Patientin von Christian-Uwe Arnold auf Seite 171. Und mir scheint, als wäre dieses Zitat die Kern­aussage des gesamten Buches.

Denn einzig der Betroffene selbst kann einschätzen, ob ihm sein eigenes Leben noch lebens­wert erscheint. Es sei wichtig, sich immer wieder ins Bewusst­sein zu rufen, dass es in einem freiheit­lichen, demokratischen Rechts­staat nur eine moralische Instanz gibt, die über Leben und Tod bestimmen kann – und das ist nicht der Arzt, sondern der betroffene Mensch selbst. Die, die das Recht auf Leben mit einer Pflicht zum Leben verwechseln, dürfen gern über sich selbst bestimmen; aber nicht über andere. Diesen Vorwurf machen Arnold und Schmidt-Salomon vor allem konservativen Politikern, die “partout nicht hinnehmen wollen, dass schwerst­kranke Menschen von ihrem Selbst­bestimmungs­recht Gebrauch machen und ihr Leiden mit ärztlicher Hilfe verkürzen.”

Doch schon bei ebendiesen Verteidigern des “gottgegebenen” Lebens bröckelt die Front - der Fall des Nikolaus Schneider beweist das deutlich. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die Ärzte­schaft selbst, wie Arnold berichtet. Kaum ein Arzt ist bereit, zu ertragen, was er seinen Patienten zumutet. Er klagt seine Kollegen deshalb deutlich an: “Ich halte dies für eine schlimme elitäre Anmaßung, die im diametralen Wider­spruch zu allem steht, was man sinn­voller­weise unter dem Begriff ‘ärzt­liches Berufs­ethos’ fassen kann. Um es in aller gebotenen Klar­heit zu formulieren: Es ist aus meiner Sicht im höchsten Maße unethisch, wenn Ärzte ihren schwerst­leidenden Patienten jenen Not­ausgang ver­sperren, den sie für sich selbst bedenken­los in Anspruch nehmen!” (S. 38)

Bereits im Vorwort des Buches heißt es: “Es ist, wie ich finde, eine durch nichts zu recht­fertigende Schande, dass Ärzte ihre Patienten gerade dann im Stich lassen, wenn sie Hilfe am dringendsten benötigen!” Arnold sieht darin “Feigheit vor dem Patienten, die mit dem ärztlichen Berufs­ethos nicht in Ein­klang zu bringen ist.” Anfänglich mag man über den scharfen Ton irritiert sein, der zum Aus­druck kommt, wenn er schreibt: “Ich klage die verfasste deutsche Ärzte­schaft in diesem Zusammen­hang der fort­gesetzten unter­lassenen Hilfe­leistung an.” (S. 10) Aller­dings erklärt sich diese Wut, die aus Verzweiflung und vermeint­liche Macht­losigkeit gespeist wird, im Verlaufe des Buches.

Das Buch beginnt mit der Schilderung eines Einzel­falls, der exemplarisch aufzeigt, weshalb sich Uwe-Christian Arnold dafür entschieden hat, Menschen nicht nur beim Sterben hilf­reich zu unter­stützen, sondern auch, weshalb er sich öffentlich dazu bekennt, diese Hilfe inzwischen rund 300 mal gegeben zu haben. Gerade auch diese sehr warmen, menschlich nahen Berichte machen das Buch so lesenswert. Auch wenn Aus­flüge in die Theorie des Rechts und der Medizin oft nicht ausbleiben können, um das Thema umfassend zu beschreiben; es sind die Menschen, deren Leid sein Handeln und Berichten bestimmen. So wird die “Letzte Hilfe” etwas sehr Menschliches, etwas Hoch­anständiges.

Er zeigt die Verlogen­heit und aber auch die Unsicher­heit auf, in der Ärzte oft agieren (müssen); aber auch, wie leicht sich einige von ihnen vor Karren spannen lassen, die ihnen wohl selbst nicht bewusst sind. So berichtet er von Palliativ­medizinern, die keine Probleme damit haben, Menschen zu betreuen, die durch den Verzicht auf Flüssig­keit und Nahrung sterben wollen (Kaum bekannt ist: “Selbst­bestimmtes Sterben durch die Ver­weigerung der Auf­nahme von Nahrung und Flüssig­keit ist heute eine durch­aus verbreitete gesellschaft­liche Praxis.” (S. 32)) - sich auf der anderen Seite aber vehement gegen den ärztlich begleiteten Suizid aus­sprechen. "Natürlich würden sie selbst in solchen Fällen auch nicht von ‘Suizid­begleitung’, sondern von ‘Sterbe­begleitung’ sprechen, aber dies ändert nichts an den Tatsachen: Wer Menschen betreut, die durch Nahrungs- und Flüssigkeits­verzicht sterben wollen, leistet nun einmal ‘Suizid­begleitung’ – ob ihm dies gefällt oder nicht! (S. 34)

Eine in der Debatte um Sterbehilfe wichtige Frage betrifft auch die Begriffe, mit denen versucht wird, eine mehr oder weniger deutliche (rechtliche) Differen­zierung vorzunehmen. Arnold/Schmidt-Salomon schreiben: “Traue keinem Politiker, Mediziner, Theologen oder Philosophen, der in der Debatte noch immer unreflektiert die Begriffe ‘aktive’, ‘passive’ oder ‘indirekte Sterbe­hilfe’ bzw. ‘Euthanasie’ ver­wendet! Denn entweder hat er a) die rechts- philosophische Debatte der letzten zehn Jahre komplett ver­schlafen (mangelnde Sach­kenntnis), oder aber er benutzt diese unzu­länglichen Begriffe b) aus politischem oder welt­anschaulichem Kalkül, um sein Publikum hinters Licht zu führen (Demagogie). (S. 73) Sie ver­weisen auf die vom Ethik­rat bereits 2006 vorge­schlagenen Begriffe, ”mit deren Hilfe ‘Handlungen, die sich mittel­bar oder unmittel­bar auf den Prozess des Sterbens und den Eintritt des Todes aus­wirken’, präziser gefasst werden können.“
Nach einigen Erklärungen kommen sie zum Schluss: ”Damit stehen uns für die Sterbe­hilfe-Debatte vier mehr oder weniger präzise Begriffe zur Verfügung: 1. Sterbe­begleitung, 2. Unter­lassung oder Abbruch lebens­verlängernder Maß­nahmen  (kurz: Behandlungs­abbruch oder -unter­lassung), 3. Beihilfe zum Suizid sowie 4. Tötung auf Verlangen."

Nur die letztgenannte, die aktive “Tötung auf Ver­langen” ist im Straf­gesetz­buch (§ 216) aus­drücklich verboten. Hin­gegen ist die palliative Sterbe­begleitung juristisch völlig un­problematisch. Auch der zweite Punkt der oben aufgeführten Liste ist mittler­weile durch das “Patienten­verfügungs­gesetz” (§ 1901a BGB) hin­reichend legitimiert.

Arnold setzt sich auch mit dem immer wieder gehörten Vorwurf auseinander, Ärzte, die Beihilfe zum Suizid geben, würden sich als “Herren über Leben und Tod” sehen. Er antwortet auf diesen Vor­wurf: “Er würde viel­mehr als ’Herrscher über Leben und Tod’ agieren, wenn er den frei­verant­wortlichen Willen des Patienten nicht beachten würde! Es ist wichtig, sich immer wieder ins Bewusst­sein zu rufen, dass es in einem frei­heitlichen, demokratischen Rechts­staat nur eine moralische Instanz gibt, die über Leben und Tod bestimmen kann – und das ist nicht der Arzt, sondern der betroffene Mensch selbst.” (S. 104) Ähnlich regierte auch die schweizerische Ärztin und Sterbe­helferin Dr. Erika Preisig im Film “Notausgang” (auf den auch im Buch eingegangen wird). Sie sagt dort, dass sich Ärzte diese Frage auch immer dann stellen müssten, wenn sie einen Menschen, der zum Beispiel einen Herz­infarkt hatte, ins Leben zurückholt. “Damit pfuschen wir Ärzte Gott auch immer ins Geschäft.”

Im weiteren Buch werden ähnliche Vorwürfe, die von konservativer Seite immer wieder kommen, ent­kräftet. Schon allein deshalb lohnt das Lesen des Buches: Man bekommt viele Argumente an die Hand, um in solchen Diskussionen bestehen zu können.

Ein Argument mag noch heraus­gegriffen werden: “Öffnen wir mit einer Legitimierung der ärztlichen Suizid­bei­hilfe die Schleusen für eine ‘Ent­solidarisierung der Gesell­schaft’, wie der in der Sterbe­hilfe­debatte stark präsente katholische Philosoph Robert Spaemann meint? Ist die Suizid­beihilfe der erste Schritt hin zu einer ‘Zivilisation des Todes’, die in absehbarer Zeit das ‘sozial­verträgliche Früh­ableben’ alter, kranker oder behinderter Menschen propagieren wird, um auf diese Weise ‘un­nötige Kosten’ einzu­sparen?” Das widerlegt Arnold muster­gültig, indem er anhand wissen­schaftlicher Studien aus dem US-Bundes­staat Oregon genau das Gegen­teil nach­weisen kann.