Kommentar

Satire als Aufklärung

Dass Satire alles darf, gehört spätestens seit Tucholsky zur Allgemeinbildung. Dass sie derzeit jedoch auch so einiges muss, weil Politik und Presse schwächeln, ist erschreckend. Sonneborn, Böhmermann und Co. werden so zu Lichtgestalten der Aufklärung, die man sich eigentlich an anderer Stelle wünschen würde.

Mitte April sorgte Jan Böhmermann in Österreich für Empörung. In einem Video-Grußwort während der Verleihung des österreichischen Fernsehpreises Romy erklärte der Satiriker seine Nicht-Anwesenheit damit, dass er gerade betrunken und zugekokst mit FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchen-Villa auf Ibiza sitze und über die Übernahme der Kronen-Zeitung verhandle. Böhmermann wurde für diesen Auftritt gerügt. Betrunkene FPÖler, die mit russischen Oligarchen über die Übernahme der einflussreichsten österreichischen Boulevard-Zeitung verhandeln – da sei die Satire doch wohl etwas zu weit gegangen, meinte man. Wie man heute weiß, handelte es sich bei der vermeintlich zu weit gegangenen Satire jedoch um nichts anderes als eine Beschreibung der Realität. Wenige Wochen nach Böhmermanns Statement stürzte das sogenannte Ibiza-Video die österreichische Regierung in ihre aktuelle Krise.

Früher war es die selbst gewählte Aufgabe der Satiriker, der Gesellschaft den berühmten Zerrspiegel vors Gesicht zu halten: Unschöne Wahrheiten vergrößert dargestellt wie verstopfte Poren. Immer mit einer Prise Humor gewürzt, um das verzerrte Spiegelbild leichter erträglich zu machen. Kathartische Wirkung des Lachens inklusive. Doch seit geraumer Zeit findet in der satirischen Landschaft Deutschlands eine bemerkenswerte Entwicklung statt. Statt Zerrspiegeln nutzt die Satire heute einfaches Spiegelglas. Die Verzerrungen, die im Spiegel zu sehen sind, sind jene der Realität.   

Über diese realen Verzerrungen aufzuklären und sie anzuprangern, wäre eigentlich Aufgabe der Presse, sie zu beseitigen, Aufgabe der Politik. Doch Presse- und Volksvertreter nehmen heute diese Aufgaben in zunehmend geringer werdendem Umfang wahr. Investigative Recherchen wollen sich immer weniger Redaktionen und Verlage leisten und immer weniger Politiker sind bereit, durch einen aufrechten Gang während der Amtszeit ihre After-Politik-Karriere in der Wirtschaft zu gefährden. Vielleicht empfinden es Satiriker deshalb zunehmend als ihre Aufgabe, aufklärerisch tätig zu werden. Natürlich war das Anliegen des Satirikers schon immer die Aufklärung seines Publikums über unangenehme Wahrheiten. Doch die Aufklärungsarbeit heutiger Satiriker hat eine neue Dimension angenommen.

Exemplarisch zu studieren ist die neue Dimension satirischer Aufklärungsarbeit an der ZDF-Kabarett-Sendung Die Anstalt. In jeder Folge sezieren die Macher brisante politische Themen. Sei es die Verfilzung von Politik und Wirtschaft oder der Irrsinn der gegenwärtigen Klimapolitik. Aus jeder der Recherchen, die den einzelnen Folgen zugrunde liegen, könnte problemlos eine seriöse journalistische Fernsehdokumentation entstehen. Doch für diese gibt es bekanntlich immer weniger Sendeplätze. So präsentieren die Macher der Anstalt ihre knallharte Aufklärungsarbeit – auch zwecks leichterer Verdaulichkeit bei Publikum und Senderhierarchie – garniert mit humorigem Topping im Rahmen einer Satiresendung.

Auch in der Politik scheint es zunehmend die vermeintliche Spaßpartei Die PARTEI um den Satiriker Martin Sonneborn zu sein, die den Finger in aufklärerischer Absicht tief in klaffende Wunden steckt. Wunden, die von den meisten etablierten Parteien einfach zynisch weggelächelt werden. Während selbige im Europawahlkampf die Öffentlichkeit mit nichtssagenden Schönwetter-Wahlwerbespots berieseln, ist es ausgerechnet die 'Spaßpartei' Die PARTEI, die den Wählern brutale Wahrheiten in einem Wahlspot ungeschönt vor den Bug haut: Den Todeskampf eines ertrinkenden Jungen im Mittelmeer. Die Abbildung der Realität. Verursacht durch die gegenwärtige EU-Politik.

Ein unangenehmes Thema, das nicht nur von den meisten Parteien in den Hintergrund gedrängt wird, sondern weitgehend auch von den Medien. Ertrinkende Menschen sind unappetitlich und könnten Medien-Konsumenten beunruhigen. Da machen Private und zunehmend leider auch Öffentlich-Rechtliche lieber Dudelfunk und Gewinnspiele für die Quote. Mit einem knappen Nachrichten-Lendenschurz und wohldosierten Betroffenheits-Talks, um sich ja nicht den Vorwurf zu großer Seichtheit einzuhandeln.

Eine Entwicklung mit Konsequenzen. Als das eingangs erwähnte Ibiza-Video öffentlich wurde, das die Skrupellosigkeit führender FPÖ-Politiker dokumentiert, ging niemand davon aus, dass das Video Ergebnis einer journalistischen Undercover-Aktion war oder von einem FPÖ-Gegner aus den Reihen der politischen Parteien stamme könnte. Der Verdacht fiel auf Jan Böhmermann. Nicht nur wegen seiner Äußerungen während der Preisverleihungen im Monat zuvor, sondern weil man eine solche Aufklärungsarbeit heute offenbar vor allem einem Satiriker zutraut. Dass Böhmermanns Sprecher betonte, der Satiriker habe den Inhalt des Videos  – wie andere auch – lediglich schon vor der Veröffentlichung gekannt, konnte entsprechende Verschwörungstheorien nicht zum Verstummen bringen.

Wenn die Gesellschaft so weit ist, dass sie Satirikern mehr zutraut als Politik und Presse, dann ist etwas faul im Staate. Und wenn Journalisten ihre Texte mit zurechtgestutzten Literaturzitaten beenden, um ihren Gedanken Nachdruck zu verleihen, dann ist dieses Etwas bereits gewaltig am Müffeln.