Podiumsdiskussion mit den führenden deutschen Strafrechtlern

Wird Sterbehilfe zur Straftat?

BERLIN. (hpd) Am gestrigen Dienstag war das Who-Is-Who der deutschen Strafrechtsexperten in Berlin versammelt und diskutierte über die juristischen Hintergründe der Sterbehilfe, die derzeit von Politikern um den Gesundheitsminister Gröhe unter Strafe gestellt werden soll.

Ein solch hochkarätig besetztes Podium hatte das Auditorium des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums in der Humboldt-Universität Berlin vermutlich noch nie. Geleitet von Prof. Dr. phil. Dr. jur. Eric Hilgendorf diskutierten Prof. Dr. jur. utr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof und Vorsitzender des 2. Strafsenats, Prof. em. Dr. jur. Rolf Dietrich Herzberg, der sich bereits in der Beschneidungsdebatte engagierte und über Probleme der Willensfreiheit und der strafrechtlichen Schuld forscht. Auch Prof. Dr. jur. Reinhard Merkel, Mitglied im Deutschen Ethikrat, unterstützte die kinderschützenden Positionen in der Beschneidungsdebatte; er forscht zu Bioethik und Medizinstrafrecht sowie rechtsethischen Fragen der Neurowissenschaften. Prof. Dr. jur Frank Salinger arbeitet u.a. auch im Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer und befasst sich mit Fragen des Wirtschaftsstrafrechts, Umweltstrafrechts, Medizinstrafrechts, des Strafprozessrechts und der Rechtsphilosophie. Prof. Dr. jur. Torsten Verrel war 2006 Gutachter des Deutschen Juristentages zum Thema “Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung” und ist stellvertretender Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer.

Bereits in den Eingangsreferaten der Juristen wurde deutlich, dass es aus juristischer Sicht keinerlei Begründung für eine Kriminalisierung der Sterbehilfe gibt. "Die enormen Fortschritte in der medizinischen Technik haben dazu geführt, dass menschliches Leben weit über das früher Mögliche verlängert werden kann." Mit diesem Satz begann Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf seinen einleitenden Vortrag. Er wies darauf hin, dass diese Lebensverlängerung nicht immer auch im Sinne des Patienten sind. "Die damit angedeuteten Fragen einer Sterbehilfe sind im Spannungsfeld von Selbstbestimmung einerseits und dem Schutz des menschlichen Lebens andererseits zu diskutieren." In Folge machte er noch einmal die Unterschiede der Sterbehilfemöglichkeiten deutlich, die sich aus den geltenden Rechtsvorschriften ergeben und wies auf die Stellungnahme der 141 deutschen Strafrechtsleherinnen und Strafrechtslehrer zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe hin.

"Sterbehilfe ist ein tabuisierter Begriff mit vielfach unklarem Inhalt" stellte Prof. Dr. Thomas Fischer fest, "die herkömmliche Abgrenzung zwischen 'passiver', 'indirekter' und 'aktiver' Sterbehilfe beschreiben die tatsächlichen Zustände nicht treffend."
Er wies auf die "eklatante Divergenz" hin, die zwischen der Meinung einer umfassenden Bevölkerungsmehrheit besteht und der "öffentlichen Meinung des politischen Apparats".

Prof. Dr. Rolf Dietrich Herzberg machte deutlich, dass es in der aktuellen juristischen Diskussion nicht so sehr darum gehen sollte, ob es sich bei der Suizidassistenz "um eine bloße Anstiftung bzw. Beihilfe zum Suizid oder um eine Tötung auf Verlangen" handelt. Vielmehr müsse darüber nachgedacht werden, was es bedeutet, dass "der Sterbewillige für seinen Tod allein verantwortlich" sein soll. Hier sollte die Gesellschaft den Mut aufbringen, auch darüber zu reden, ob und in wie weit es selbstverantwortlich ist, wenn der Sterbewillige die (tätige) Hilfe eines Dritten beanspruchen möchte, weil er selbst nicht mehr in der (körperlichen) Lage ist, ein lebensbeendendes Mittel zu sich zu nehmen. "Soll das Unrecht einer 'Straftat gegen das Leben' davon abhängen, welchen Hintergrund für die Sterbehilfe der Helfer hat?" fragt Prof. Dr. Herzberg weiter. Es sei juristisch unerheblich, "ob es sich um eine 'gewerbsmäßige', 'geschäftsmäßige' oder 'organisierte' Leistung handelt.” Die rechtlichen Konsequenzen sind die gleichen. Sein Eindruck sei jedoch, dass sich die derzeitige Debatte gerade um diesen Punkt drehe.

Auch für Prof. Dr. Reinhard Merkel ist die derzeitige Debatte über ein strafgesetzliches Verbot der Sterbehilfe "insgesamt verfehlt". Wenn überhaupt - doch dazu braucht man keinen Rückgriff auf das Strafrecht - könne man darüber diskutieren, welche Aufgaben und Grenzen organisierter Sterbehilfe zukommen würden. Hier gäbe es möglicherweise Gefährdungen des "Rechtsguts Leben", "wenn sie organisiert und/oder kommerziell betrieben wird und davon eine Tendenz zur Unterstützung nicht-autonomer Suizide begünstigt würde." Allerdings spricht dafür wenig; die wenigen vorliegenden empirischen Daten zeigen eher das Gegenteil auf. "Zulässig und im Sinne einer primären Suizidprophylaxe wünschenswert ist jedenfalls die Möglichkeit einer ärztlichen Hilfe zum Suizid."

Auch Prof. Dr. Frank Salinger und Prof. Dr. Torsten Verrel wiesen darauf hin, dass aus gutem Grunde seit 150 Jahren der freiverantwortliche Suizid in Deutschland straffrei sind. "Mit dieser tiefverwurzelten Tradition bricht, wer die organisierte Freitodbegleitung durch Sterbehilfevereine unter Strafe stellt. … Statt neuer Strafvorschriften brauchen Sterbehilfevereine Rechtssicherheit, sollten Pflege, Palliativmedizin, Hospize und Suizidprävention gefördert werden sowie schließlich der ärztlich assistierte Suizid ausdrücklich gesetzlich freigegeben werden." Prof. Verrel schloss sich dem an und ergänzte: "Es gibt auch bei einer guten palliativmedizinischen Versorgung nachvollziehbare Sterbewünsche." Weiter wies er darauf hin, dass ein Missbrauch des Strafrechts drohe, wenn religiöse Anschauungen "über die Unverfügbarkeit des Lebens" das Recht bestimmen würden.

In der anschließenden Diskussion, in die auch das zahlreiche Publikum einbezogen wurde, wurden die Eingangs-Statements vertieft. Prof. Dr. Reinhard Merkel wies dabei noch einmal darauf hin, dass, wenn Suizid und Freitodhilfe nicht strafbar sind, höchstens das Geld-Nehmen für "Dienstleistungen" im Bereich der Sterbehilfe strafbar sein könnte. Das jedoch ließe sich außerhalb des Strafrechts regeln.

Für Prof. Dr. Thomas Fischer war vor allem der Widerspruch zwischen dem Willen der Bevölkerung und dem der Politiker, "die uns wie unmündige Kinder behandeln", diskussionswürdig. Er wies selbstkritisch darauf hin, dass die diskutierten juristischen Probleme der Mehrheit der Bevölkerung gleichgültig sein dürften. "Wir haben es mit einer Bewegung des Rollback zu tun - aus nicht ganz klar nachvollziehbaren Gründen würde von einigen Politikern versucht werden, Positionen einzunehmen, die voraufklärerisch sind." "Das Leben richtet sich nicht nach dem Strafrecht" sagte er weiter, sondern "das Strafrecht muss sich nach dem Leben richten." Denn die 100.000 Suizidversuche pro Jahr werden nicht aufhören, wenn sich ein Gesetz ändert. Diesen Menschen ist zu allererst zu helfen.

Prof. Dr. Torsten Verrel wies darauf hin, dass die geplanten Gesetzesentwürfe, die sowohl Ärzten und Vereinen die Suizidassistenz verbieten wollen, eine große Gefahr in sich bergen. Denn kein Suizidwilliger könnte dann vertrauensvoll mit seinem Arzt reden, ohne diesen in Gefahr zu bringen. Für ihn ist klar, dass das Betäubungsmittelgesetz im Sinne einer Entkriminalisierung überarbeitet werden muss.

Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf ergänzte die Frage, weshalb es ein Problem sei, die Freitodhilfe unter Strafe zu stellen: Denn dadurch würden auch andere lebensverkürzende Maßnahmen unter Strafe geraten können. Erinnert sei hier an die terminale Sedierung eines Patienten, die Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen (auch durch eine entsprechende Patientenverfügung). Er sieht die Gefahr, dass ein geplantes Verbot der Suizidassistenz eine Klagewelle nach sich ziehen würde.

Prof. Dr. Frank Salinger wies noch einmal darauf hin, dass die gesamte Diskussion juristisch müssig sei, da es dabei um den freiverantwortlichen Suizid gehe. Möglicherweise sei die Frage, wann und in welchem Umfang jemand freiverantwortlich ist, zu diskutieren. Das beträfe all die, die derzeit als unmündig bezeichnet werden oder aber aufgrund fortschreitender Demenz nicht mehr selbst entscheiden können. Er sagte: "Schauen Sie in die Geschichte. Nur Diktaturen und Religionen verboten den Freitod. Sie wollen das Recht auf das Leben der Menschen vollständig kontrollieren!"

Da im Publikum auch einige Bundestagsabgeordnete waren, wurde ausführlich darüber diskutiert, welche Politik angemessen sei. Eine Lösung konnte von den Juristen nicht angeboten werden; nur die Bitte an die Politik, das liberale deutsche System nicht zu verändern. "Schaffen Sie Bedingungen, damit die Ärztekammer ihre Blockadepolitik aufgibt. Immerhin sind rund 30 Prozent der Ärzte bereit, betroffene Menschen in einen sauberen Tod zu begleiten."

Gefordert wurde zudem, dass Grundlage für einen solch gravierenden Eingriff in das deutsche Strafrechtssystem empirische Forschungen sein sollten. Doch diese gibt es aufgrund der Tabuisierung von allem, was mit Tod und Sterben zu tun hat, in Deutschland nicht. Ein Besucher aus der Schweiz, der dort für Exit tätig ist, berichtete, dass die schweizer Sterbehilfeorganisation Besuch von Abgeordneten vieler Länder bekommt. "Selbst aus dem australischen Unterhaus kamen Abgeordnete. Nur aus Deutschland noch nicht einer. Hier macht sich offenbar niemand die Mühe, sich vor einer Entscheidung zu informieren."