Gießen

Stadtbusse werben für umstrittene Schwangerenberatung

Wenn ÄrztInnen über Schwangerschaftsabbrüche informieren, gilt das als Werbung und ist gesetzlich verboten. Nun sorgt eine (tatsächliche) Werbekampagne auf Gießener Stadtbussen für Aufsehen: Die Evangelische Allianz will die umstrittene Beratungsorganisation "Pro Femina", die versucht, Frauen von der Abtreibung abzubringen, damit bekannter machen. Und das nicht zufällig in der Stadt, in der Kristina Hänel ihre Praxis führt.

"In der Diskussion um Paragraph 219a wollen wir einen positiven Beitrag leisten", verkündet die Evangelische Allianz Gießen, ein Zusammenschluss aus evangelikalen und Freikirchen, auf ihrer Website. Und der ist, auf drei Bussen der Stadtwerke für "Pro Femina" zu werben, und das fünf Monate lang. Die Beratungsstelle, deren Name wohl nicht zufällig Deutschlands größter Familienplanungsorganisation "Pro Familia" zum Verwechseln ähnlich klingt, ist im Gegensatz zu ihr keine staatlich anerkannte Beratungsstelle und stellt keine "Beratungsscheine" aus, die man vorlegen muss, wenn man einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen will. Das liegt daran, dass "Pro Femina" nicht neutral und ergebnisoffen berät, sondern Frauen von einer Abtreibung abbringen will. Oder, wie es die Organisation selbst beschreibt: Das Ziel sei, "eine belastbare Alternative zu einer Abtreibung zu erarbeiten". In einer aufwändigen Recherche inklusive Selbstversuch konnte BuzzFeedNews nachweisen, dass Frauen im Gespräch bewusst im Dunkeln gelassen werden über die Tatsache, dass "Pro Femina" keine Beratungsscheine ausstellt. Die verdeckte Reporterin beobachtete einen tendenziösen Gesprächsverlauf, auch mit manipulativen Methoden.

Medical Students for Choice (MSFC) Berlin, die sich für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und ihre Integration in die Ausbildung von Ärzten einsetzen, schreiben dazu auf Twitter an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): "Wie kann es sein, dass Aufklärung zum Schwangerschaftsabbruch seitens Ärzt*innen als 'Werbung' klassifiziert wird und verboten ist, aber wenn christlich-fundamentalistische 'Beratungsstellen' mit ihrer überlebensgroßen Werbung die Bevölkerung bewusst für dumm verkaufen wollen, sich niemand in der Union und der Bundesregierung darüber aufregt?" Kristina Hänel ergänzt: "Es geht nicht nur um Werbung, sondern um bewusste Irreführung von Frauen, die in die Beratungsstellen gelockt werden und nicht wissen, dass sie dort keine Bescheinigung ausgestellt bekommen. Woanders wird so etwas verboten und Frauen geschützt. Nicht in Deutschland." Die Allgemeinärztin, die auf ihrer Internetseite nach wie vor über von ihr durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche informiert, wurde durch ihre – mittlerweile aufgehobene – Verurteilung wegen angeblicher Werbung dafür zur Galionsfigur, um Paragraph 219a StGB zu Fall zu bringen. Sie ist der Grund, warum die Busse mit der "Pro Femina"-Werbung in Gießen fahren, denn dort praktiziert sie. Seit kurzem herrscht in Hessen ein Demonstrationsverbot vor Schwangerenkonfliktberatungsstellen, Arztpraxen und Kliniken. Das war nötig geworden, weil selbsternannte Lebensschützer immer wieder betend und singend in direkter Umgebung vor entsprechenden Einrichtungen demonstriert und Patientinnen mit sogenannten "Gehsteigberatungen" bedrängt hatten.

Dies griff auch der Kreisvorstand Gießen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) in einer Pressemitteilung auf: Diese Werbung sei umso empörender in einer Stadt, deren Parlament sich gerade parteienübergreifend – bei Enthaltung der AfD – für eine entsprechende Schutzzone ausgesprochen habe. "Die DKP fordert den Magistrat der Stadt Gießen als 100-prozentige Gesellschafterin der Stadtwerke Gießen sowie von Mit.Bus auf, die Werbeflächen nicht zur fundamentalistischen Propaganda missbrauchen zu lassen." Daraufhin gab die Stadträtin und Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke Gießen (SWG), Astrid Eibelshäuser (SPD), bekannt, dass die Vertragslage "im Hinblick auf die Möglichkeit der vorzeitigen Vertragsauflösung" geprüft werde. Ina Weller, Sprecherin der SWG, bestätigte diese Aussage, wie der Gießener Anzeiger berichtet: "Wir lassen den Vertrag derzeit juristisch prüfen." Jedoch könnten Mietanfragen für Werbung, die offensichtlich weder anstößig noch gesetzeswidrig sei, nicht ohne Weiteres abgelehnt werden, so Weller in der taz.