Sobald in der Kommunalpolitik der Begriff "regionalwirtschaftlicher Effekt" auftaucht, ist in der Regel davon auszugehen, dass es sich um eine unsinnige Millionenausgabe einer Kommune handelt, die zumindest finanzpolitisch nicht anders zu rechtfertigen ist. Die Klassiker dabei sind Kongress- und Messehallen, Bahnhöfe oder defizitäre Regionalflughäfen. Oder eben die von der öffentlichen Hand hochsubventionierten Kirchentage. Die Realisierung dieser Prestige- und Leuchtturmprojekte dient dann eher dem persönlichen Ego oder der persönlichen Religionszugehörigkeit der Kommunalpolitiker*innen als der Allgemeinheit.
In der Stadt Dortmund, in der fast jedes dritte Kind von Sozialleistungen leben muss und die mit 2,67 Milliarden Euro verschuldet ist und sich auch noch einen defizitären Regionalflughafen leistet, hat nun der SPD-Oberbürgermeisterkandidat für die Kommunalwahl des kommenden Jahres, Thomas Westphal, in seiner aktuellen Funktion als Leiter der Wirtschaftsförderung Dortmund den Begriff "regionalwirtschaftlicher Effekt" für die rund 3,717 Millionen Euro Zuschüsse für fünf Tage Evangelischer Kirchentag im Sommer 2019 bemüht.
Stolze 15 Millionen Euro hoch wäre laut Thomas Westphal dieser regionalwirtschaftliche Effekt des Kirchentags gewesen. Für seine Milchmädchenrechnung hat er zwei Zahlen aus einer offensichtlich nicht repräsentativen Onlineumfrage unter Kirchentagsbesuchern addiert und mit einer weiteren Zahl, der angeblichen Teilnehmerzahl, die letztlich von den Kirchentagbetreibern reichlich willkürlich festgesetzt wurde, multipliziert. Die beiden addierten Zahlen, die angeblichen täglichen Ausgaben eines Kirchentagsbesuchers sowie die Kosten der Übernachtungen basieren nur auf einer für Manipulationen anfälligen Onlineumfrage der Wirtschaftsförderung und des kommunalen Kirchentagbüros unter Kirchentagsbesucher*innen, denen ja letztlich auch klar ist, was von ihnen erwartet wird. Letztlich haben sowohl die kommunalen Stellen als auch die Kirchentagsbesucher*innen als Nutznießer*innen der kommunalen Millionensubventionen ein großes Interesse an dem Nachweis, dass die Kirchentagsubventionen angeblich wirtschaftlich sind.
Schließlich sollen auch vergangene und zukünftige Kirchentagsubventionen gerechtfertigt werden. Daher sind diese Berechnungen mit äußerster Vorsicht zu bewerten. Eine Studie der Kirchentagsbetreiber geht übrigens, welch Überraschung, von noch höheren Werten aus.
Völlig unbeachtet bei der Milchmädchenrechnung der Dortmunder Wirtschaftsförderung blieben auch die massiven Umsatzeinbrüche des Dortmunder Innenstadteinzelhandels, da die Hauptverkehrsader der Innenstadt, der Ostwall, komplett für Gottesdienste, die obendrein auch noch sehr schlecht besucht waren, gesperrt wurde. Eine Marktforschungsstudie zum Evangelischen Kirchentag 2009 in Bremen ging von Umsatzeinbrüchen für den Innenstadteinzelhandel von 40 Prozent aus – ohne Straßensperrungen.
Ebenso unberücksichtigt sind Verdrängungseffekte, wenn die normalen Dortmunder an den Restauranttischen des Alten Markts bei bestem Sommerwetter durch Kirchentagsbesucher verdrängt wurden und der Wirt daher nur einen anderen, aber keinen höheren Umsatz hatte.
Letztlich stellt sich ja auch die Frage, welchen dauerhaften Effekt hätten die Kirchentagsubventionen gehabt, wenn diese nicht in ein fünftägiges Glaubensfest, sondern in die Infrastruktur der Stadt oder im sozialen Bereich investiert worden wären? Dann hätten die Dortmunder*innen jedenfalls über Jahre und Jahrzehnte etwas von den Millionen gehabt.
Stellt man dann noch diesem angeblichen regionalwirtschaftlichen Effekt nicht nur den kommunalen Kirchentagszuschuss von 3,717 Millionen Euro entgegen, sondern auch noch die Zuschüsse des Landes Nordrhein-Westfalen und die des Bundes von insgesamt 4 Millionen Euro und die 2 Millionen Euro, die von den Kirchentagsbetreibern euphemistisch "Projektmittel" genannt werden und ebenfalls aus öffentlichen Quellen stammen, relativiert sich der fromme Wunsch des Wirtschaftsförderers und der Kirchentagbetreiber bezüglich der Wirtschaftlichkeit weiter erheblich.
Berücksichtigt man dann auch noch die an die Kirchentagbetreiber gezahlten Sponsorengelder der kommunalen Unternehmen DSW21, EDG-Dortmund und der Sparkasse Dortmund, die ja letztlich die jährliche Gewinnausschüttung an die Stadt Dortmund reduzieren, wird immer deutlicher, wer hier was bezahlt.
Weiter geht es mit den Zuwendungen einer Reihe von Konzernen wie die tief im Abgasskandal verstrickte Daimler-Benz AG an den Kirchentag, die ja wieder die von den Konzernen zu zahlenden Steuern reduzieren. Aus welchen Quellen letztlich die kirchlichen Beiträge zum Kirchentag stammen und wie diese steuerlich von der Allgemeinheit mitfinanziert werden, ist ebenso unklar wie die wirtschaftlichen Verflechtungen der drei nebeneinander existierenden Kirchentagvereine.
Klar ist aber, dass hier eine extrem reiche religiöse Gesellschaft, die im Jahre 2018 ein Rekordergebnis an Kirchensteuern in Höhe von 5,79 Milliarden Euro verzeichnete und im selben Jahr nur noch einen Bevölkerungsanteil von 25,4 Prozent hatte, sich ihr fünftägiges, millionenteures Glaubensfest von der Allgemeinheit hat bezahlen lassen.
Siehe dazu auch:
- Evangelischer Kirchentag in Dortmund beginnt: Millionen für den Kirchentag
- Das Millionengrab der Kirchentagsfördergelder
- Kirchentag war teurer als erwartet
17 Kommentare
Kommentare
Stefan Dewald am Permanenter Link
Ich habe mal den Kirchentag 2016 finanziell grob mit Wacken verglichen: https://lachsdressur.de/katholikentag-2016-im-vergleich-zu-wacken/
Rene Goeckel am Permanenter Link
Ein relativ unbekannter Skandal ist, dass auch die "Aktion Mensch" die Kirchentage regelmäßig mit 6stelligen Beträgen allimentiert.
Junius am Permanenter Link
Kein Zweifel, aber ein Beleg wäre hilfreich.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wenn das stimmt ist die Sauerei der Kirchen noch größer als eh schon, ist das belegbar?
Rene Goeckel am Permanenter Link
Ja sicher, das findet man sogar auf der Seite von Aktion Mensch. Ich habe das auch mit AM. und dem Ev. Kirchentag diskutiert. Der EK. argumentierte das mit behindertengerechten Toiletten.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Hier der link: https://www.aktion-mensch.de/ueber-uns/jahresbericht/jahresbericht_2013/aktivieren/kirchentag.html
Rene Goeckel am Permanenter Link
Und ein Textauszug von der Seite: Auch im Jahr 2013 – wie in den Jahren zuvor – hat die Aktion Mensch dieses Engagement gefördert: Mit 220.000 Euro unterstützte sie die notwendigen Einrichtungen, die barrierefreien Zu
Manfred Schleyer am Permanenter Link
"Denn wer hat, dem wird gegeben" sprach Jesus. Nachzulesen in den Evangelien des Matthäus 13,12 und 25,29 und Markus 4,25 und Lukas 8,18 und 19,26.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Langsam schlägt meine Antipathie gegen die Kirchen in "heilige" Wut um.
Sind wir diesen Machenschaften wirklich hilflos ausgeliefert, oder finden wir Wege diese zu unterbinden!
Rene Goeckel am Permanenter Link
Wir sind ausgeliefert.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Hallo Rene Goeckel, wer Kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren.
Machen Sie sich das bitte auch zu Ihrem Motto.
A.S. am Permanenter Link
Nein! Man kann die Menschen über die Geldgier der Kirchen und die Machtgier der Priester aufklären. Langfristig ändert das was.
A.S. am Permanenter Link
Politiker kaufen sich die Propaganda-Unterstützung der Kirchen. Wen wundert das? Doch nur die bisher Naiven.
Das passiert in anderen Weltregionen mit anderen Religionen genau so.
Rene Goeckel am Permanenter Link
So sehe ich das auch. Mir ist ein Licht aufgegangen, als ich vor vielen Jahren eine Pfingstprozession in Sizilien sah.
Ein Klischee wie im Kino. Da kam einfach zusammen, was zusammengehört.
Und sehr viel anders ist es bei uns im Prinzip auch nicht. Daher mein Pessimismus. Der Krakenarm unseres Parasiten reicht bis in den Gerichtssaal, wie man ja an dem Kirchensteuer-Prozess in Berlin sehen konnte, in dem die Richter ein Baby für geschäftsfähig erklärt haben.
Und was ist aus den Anzeigen geworden, die bei den zuständigen Staatsanwaaltschaften der 27 Diözesen eingegangen sind?
Nicht, Null, Nada.
Ich könnte stundenlang weiterschreiben, aber es bringt nicht mehr als mit Wattebällchen um sich zu werfen.
Der Parasit hatte Jahrhunderte um sich einzunisten. Jetzt ist er resistent.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Was muß noch alles an Schweinereien der Kirchen ans Tageslicht kommen, bevor wir auf die Strassen gehen und gegen diese Betrüger, welche sich hinter einen erfundenen Gott verstecken, ein eindeutiges Signal zur Abschaf
Diese verschwenden für Nichts und Wiedernichts unser hart erarbeitetes Volksvermögen
für ihren Luxus und ihre Bequemlichkeit und vergreifen sich ungeniert an unseren Kindern
welche dann ihr Leben lang darunter leiden müssen.
Ausserdem verhindern diese scheinheiligen Lügner über die Gesetzgebung, dass die Menschen selbstbestimmt in Freiheit leben können.
Das ist Glaubensdiktatur in Reinkultur.
A.S. am Permanenter Link
Solange sich die Humanisten nicht auf die Straße trauen und nur in irgendwelchen Konferenzsälen herumdrücken, wird sich sicher nichts ändern.
Immerhin gibt es ja alle 10 Jahre eine Buskampagne.
Kann man das nicht zur Dauereinrichtung machen, z.B. als private Kleinbus-Kampagne? Viele säkulare Bullis statt ein spektakulärer Doppeldecker?
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Das wäre doch schon mal ein Anfang, wir sind einfach zu leise und in unserer Atheistenblase isoliert.