Kein "päpstliches Geheimnis" bei Missbrauchsfällen mehr

Ein "epochaler Schritt"?

Als "epochalen Schritt" betitelte der Erzbischof von Malta die päpstliche Entscheidung. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch: So grundlegend ist die Veränderung dann doch nicht, auch wenn jetzt niemand mehr zum Schweigen verpflichtet werden darf. Man will die Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden verbessern, mehr aber auch nicht.

Dass bei der katholischen Kirche unterhalb der Schwelle des Epischen nicht viel läuft, ist ja nichts Neues. Außerdem mag es Charles Scicluna, Erzbischof von Malta und päpstlicher Sonderermittler zum Thema Missbrauch, in der mittelalterlichen Filterblase des Vatikan vielleicht tatsächlich so vorkommen, wenn er die Abschaffung des "päpstlichen Geheimnisses" als "epochalen Schritt" bezeichnet.

Doch was bedeutet dies konkret? Laut VaticanNews gibt es zwei Verfügungen von Papst Franziskus zum Thema: Zum einen wird bei Vorfällen von (sexueller) Gewalt, die im Zusammenhang mit Autoritätsmissbrauch stehen, sowie bei Kindesmissbrauch und Kinderpornographie die strenge Geheimhaltungsnorm, die das "päpstliche Geheimnis" darstellt, außer Kraft gesetzt. Dies gilt auch bezogen auf nicht erfolgte Meldungen oder Vertuschungen.

Die zweite stuft die Bestimmungen für Kinderpornographie herauf: Nun zählen Besitz und Weitergabe von Material zu den "graviora delicta", den schwersten Vergehen, welche die Glaubenskongregation ahndet, wenn die darin vorkommenden Personen jünger als 18 Jahre sind. Bisher galt eine Altersgrenze von 14 Jahren.

So "epochal" hört sich die Veränderung bei einem genaueren Blick dann aber doch nicht an: "Die Informationen in Missbrauchsfällen werden weiterhin so behandelt, dass 'der gute Ruf, das Ansehen und die Privatsphäre' der Beteiligten gewahrt bleibe, wie das Kirchenrecht das vorsehe", zitiert VaticanNews eine der päpstlichen Anordnungen. Auch werde das "päpstliche Geheimnis" nicht direkt abgeschafft, sondern eher auf das Niveau eines Amtsgeheimnisses herabgestuft.

Dadurch dürften Ermittlungen und eine etwaige bestehende staatliche Anzeigepflicht aber nicht behindert werden, erklärte Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), gegenüber dem hpd. "Weder die Person, die einen Verdacht anzeigt, noch das mutmaßliche Opfer und etwaige Zeugen dürfen durch eine Schweigepflicht gebunden werden." Für die DBK ändere sich durch die Erlasse des Papstes jedoch nichts, da sie – wie auch die deutschen Diözesen – seit langem mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeite. Zu der Frage, ob auch der Vatikan künftig aktiv mit der weltlichen Strafverfolgung kooperieren werde, konnte Kopp nichts sagen.

Hier scheint es nämlich so, als wolle man die Angelegenheiten auch in Zukunft möglichst über das Kirchenrecht regeln. Der Missbrauchsbeauftragte der DBK, Bischof Stephan Ackermann, sprach laut katholisch.de am Dienstag von einer "verbesserten Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden" – das hört sich so an, als begreife sich die katholische Kirche trotz allem und nach wie vor als autonomes Rechtsgebiet, das sich nun zwar dazu herablässt, sich den profanen Behörden gegenüber nicht mehr vollends zu verschließen, aber ihnen dennoch nicht die Hoheit über die Strafverfolgung überlassen will. Der zu Beginn erwähnte maltesische Erzbischof und Missbrauchs-Sonderermittler verdeutlichte diese Auffassung in einem Interview mit VaticanNews mit folgenden Worten: "Bistümer, die über Unterlagen verfügen, sind nicht mehr an das 'päpstliche Geheimnis' gebunden und können darum beschließen, wenn das sinnvoll erscheint, den Behörden eine Kopie der Akten zu übermitteln."

Dennoch sei die Abschaffung "ein wichtiger Schritt", sagte Matthias Katsch von der Opfervereinigung "Eckiger Tisch" den ZDF-heute-Nachrichten. Die Kirche signalisiere den Opfern damit, dass sie bereit sei, sie, ihre Geschichte und ihr Recht auf Aufarbeitung anzuerkennen. "Aber jetzt müssen wir natürlich sehen, wie das umgesetzt wird." Die Kirche habe jetzt keine Ausrede mehr, die Akten von Ermittlungsverfahren nicht mit staatlichen Stellen zu teilen oder die Archive nicht für die Aufarbeitung zu öffnen, ergänzte er im Morgenmagazin, dafür hätten Betroffenenvertreter jahrelang gekämpft.

Einen Tag nach der Veröffentlichung der päpstlichen Verfügungen gab die Deutsche Bischofskonferenz gestern bekannt, einen Betroffenenbeirat einrichten zu wollen. Mit dieser Maßnahme wolle man die Sicht der Betroffenen bei Prävention, Intervention und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch verstärkt einbeziehen, heißt es in einer Presseerklärung. Noch bis zum 7. Februar können sich Betroffene, Angehörige und Betreuer melden, die an einer Mitarbeit interessiert sind.

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