Kommentar

Homo oeconomicus vs. ökonologische Revolution

Die Klimadebatte ist in aller Munde – und das ist gut so, auch wenn sie mitunter bizarre Formen annimmt. Insgesamt scheint sie damit die Problematik ins Bewusstsein zu rücken und die Frage aufzuwerfen, ob (und, wenn ja, wie) es da eine mögliche Lösung gibt. Eine kommentierende Skizze eines denkbaren Auswegs von Hans Trutnau.

Vorweg

Dies habe ich über die letzten Tage seit Dezember ’19 zu "Papier" gebracht; vorher resignierte ich schon fast (wie offenbar der Klimatologe Mojib Latif, der auf einer Fridays-for-Future-Demo ausrief: "Ich bin gescheitert!"). Zu der Fast-Resignation trug nicht unerheblich die "Debatte" im hpd bei. Aber sie hatte als Gutes, dass dadurch die Klimadiskussion thematisiert wurde – und dies mich, auch durch die Lektüre von Philipp Möllers Buch "Isch geh Bundestag", zu weiterer Recherche und zum Nachdenken brachte, was ich im Ergebnis wie folgt zusammenfassen möchte. Ich hoffe, das wird nicht zu lang; es soll nur eine Skizze werden.

Vorweg, ich persönlich halte Fridays for Future (FFF) absolut nicht für (auch nur irgendwie) religiös, gar oxymoronisch für säkularreligiös, sondern für evidenzgetrieben und sogar für notwendig; im negativsten Sinn für einen Fanclub mit ein paar kritikwürdigen, aber durchaus üblichen Randerscheinungen ("Weltuntergang", "Wozu noch rechnen lernen" und Ähnliches), die gerne hinterfragt werden sollen.

Ebenso vorweg – auch ich habe "keine Angst" mehr; aber, anders als Philipp Möller, nicht in dem Sinn, dass ich annähme, das bestehende System würde es schon schaffen, sondern in dem Sinn, dass ich, egal wie die Sache ausgeht, den Ausgang in 20 oder mehr Jahren wohl nicht mehr erleben werde. Bis dahin habe ich so gut wie möglich vorgesorgt und mich so weit wie möglich eingeschränkt; ich habe unnötige Biozide aus Bad und Küche ausgemistet, fliege nur noch innerhalb Europas (Ziel: maximal 2 mal pro Jahr; ich flog mal beruflich 1 Jahr lang alle 2–3 Wochen in die USA …), will mir noch eine Wohnung finanzieren, esse weniger Fleisch und habe mir ein E-Auto bestellt (Ich weiß, ist auch nicht "ohne", aber der (inzwischen bekanntermaßen Falsch-) Aussage, das müsse "doch 14 (oder 17?) Jahre fahren, bevor es klimaneutral fährt", begegne ich immer gerne mit der Gegenfrage, wie lange denn ein Benzin- oder Dieselverbrenner fahren muss, bis er klimaneutral fährt – da herrscht nach einem "Ähmm" immer sehr schnell Ruhe.) Dies soll nur heißen (und ist auch nur so zu lesen), dass auch ich wie jeder andere Mitmensch ein Teil dieses Systems bin und alle meine persönlichen Maßnahmen alleine nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind – was die Hardcore-Variante der nachfolgend erläuterten Subspezies looteriensis et litteriensis nach dem St.-Florian-Prinzip aber sicher sofort einfordert (weil es deren eigenen Spielraum vergrößert).

Ich habe zwar keine Angst mehr, aber ich will auch nicht resignieren.

Prognose

Meine Prognose ist, das bestehende System wird es nicht, kann es nicht schaffen. Warum nicht? Zwei Gründe (a & b) nachfolgend mehr als nur skizziert:

(a) Weil das bestehende System dazu nicht geeignet ist. Das Wirtschaftssystem ist seit der 1990er Wende praktisch global kapitalistisch – und menschengemacht. Nun ist die Spezies Homo sapiens spätestens seit dem Sesshaftwerden evolviert – auch genetisch, aber hauptsächlich kulturell ('memetisch') –, meist zu einem auf Nutzen bedachten Homo oeconomicus. Es hat sich besonders über die letzten Jahrhunderte mehrheitlich eine Homo oeconomicus-Unterart herausgebildet, die ich Homo oeconomicus subspecies looteriensis et litteriensis (kurz subsp. l&l) nennen möchte (von to loot, englisch für plündern, und to litter, englisch für müllend): Wo immer diese Subspezies seit spätestens 1500 "AD" auftauchte, hat sie (auch dank religiöser Meme wie "Seid fruchtbar und mehret euch und macht euch die Erde untertan") bedenkenlos ihre irdischen Ressourcen geplündert und ihre Umwelt systematisch vermüllt. Letzteres über die Zeit exponentiell zunehmend. Plastik, zum Beispiel, ist inzwischen global in marinen Sandsedimenten zu finden, selbst wasserlösliche, das heißt unsichtbare, Kunststoffe global in Meerwasser. Ich spreche von einer ubiquitären, irreversiblen Breitbandintoxikation; ablesbar an dem ebenso globalen Artensterben, dessen Tempo die natürliche Rate um ein Vielfaches übertrifft. Nicht erst heutzutage gilt die Maxime höher, schneller, weiter und mehr – jedes Jahr mehr Flüge, ein neues Smartphone und vor allem Spaß; was kaputt ist, wirf weg: Tretmühle Wachstum und Konsum! Sicher gab es diversen Fortschritt, wie Hans Rosling feststellt (doch auch er weiß am Ende, ab circa Minute 40 in "Don't panic" nicht so recht weiter), – aber um den horrenden Preis der Ausplünderung und der Vermüllung, den Rosling leider genauso wenig anspricht wie einen möglichen Ausweg aus der Misere – außer, dass er sagt, die reichen Länder (aber wer denn dort?) müssten vorangehen!

Einen mehr als nur kleinen Hoffnungsschimmer sehe ich am Horizont mit der subsp. oecologicus, auch und gerade in FFF und deren wissenschaftlicher Unterstützung; das heißt nicht nur ökonomisch (vor allem "Wachstum") und nicht nur ökologisch (im angeblichen "Einklang mit der Natur"), sondern beides wechselseitig, sozusagen 'endosymbiontisch', miteinander verschmolzen:

Es muss sich ökonomisch rechnen (das heißt finanzierbar sein), ökologisch nachhaltig zu wirtschaften!

(b) Weil das bestehende System es bisher nicht geschafft hat. Die Klimadaten liegen seit 40 Jahren auf dem Tisch, so Mojib Latif, "aber passiert ist nichts". Ich sage nicht nichts, aber viel zu wenig; dieses System schafft es noch nicht einmal, ein allgemeines Autobahn-Tempolimit in Deutschland durchzusetzen! Mit den sinngemäßen Worten von Felix Finkbeiner (22 Jahre) wurde in den nur letzten 30 Jahren der CO2-Level der Atmosphäre von 350 um 65 auf 415 vppm erhöht, genauso viel wie in den fast 200 Jahren (!) vorher seit Beginn der Industrialisierung von 285 auf 350 vppm, vgl. Keelingkurve seit Industrialisierung.

Die Keeling-Kurve

Die Keeling-Kurve mit den Messwerten des atmosphärischen Gehalts an Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre, gemessen am Mauna Loa (1958–2019)

Keeling-Kurve. Urheber: Von Delorme - Eigenes Werk. Data from Dr. Pieter Tans, NOAA/ESRL and Dr. Ralph Keeling, Scripps Institution of Oceanography., CC BY-SA 4.0

Insgesamt wurden seit der Industrialisierung größenordnungsmäßig circa 600 Gigatonnen C (entspricht 109 Tonnen fossiler Kohlenstoff) verbrannt, entsprechend gut zwei Teratonnen CO2 (enstpricht 1012 Tonnen Kohlenstoffdioxid) freigesetzt; das korreliert nicht nur auffällig mit dem, sondern ist auch die evidente Ursache für den gut eine Teratonne CO2-Massenanstieg in der Atmosphäre auf deutlich über 600 mppm, die anderen circa 50 Prozent sind in CO2-Senken (Hydrosphäre, Biosphäre, Carbonat-Verwitterung) absorbiert (die Daten und auch das Verhältnis Volumen-/Massen-Anteil, das heißt vppm/mppm, habe ich unter anderem aus Luft-Zusammensetzung und Auswirkungen fossiler Energie zusammengestellt; nebenbei, die Teratonne CO2 mag sich viel anhören, aber die Gesamtmasse der Atmosphäre liegt bei gut fünf Petatonnen, das heißt mehr als 5.000 mal höher). Der Anstieg spiegelt sich mustergültig in den faktischen Messwerten der Keeling-Kurve (scripps-Link siehe oben, seit 1958), die im gleitenden Mittelwert seit Jahrzehnten nur einen, ungebrochenen Trend kennt – nach oben; er mag seit den 1990ern durch die Erneuerbaren Energien abgeschwächt sein, aber er geht nach oben. Er würde selbst dann weiter nach oben gehen, wenn die CO2-Emissionen sofort konstant gehalten würden (weil auch dann circa 50 Prozent davon in der Luft landen). Letztere müssen, um sich dem vorindustriellen Wert auch nur anzunähern, aber möglichst kurzfristig runter (siehe auch die Links in Future Scenarios).

Und genau das nehme ich dem System nicht ab. Selbst der EU Green Deal von Ursula von der Leyen "verspricht" so etwas nur bis 2050 – und überlässt damit dann die Umsetzung und Kontrolle den heutigen FFF-Demonstranten!

Das System will das meines Erachtens auch gar nicht; denn sonst würden die entsprechenden, entscheidenden Parteien von dem gleichsinnig konditionierten Homo oeconomicus subsp. l&l (der keinen Verzicht will bzw. der, wie Philipp Möller auf S. 41 schreibt, "nicht zu Ende denken kann oder will") nicht gewählt werden. Ich zumindest kenne keine Partei, die einen generellen Verzicht in ihrem Programm aufführt; damit ist nicht nur persönliche Einschränkung gemeint; denn jeglicher Aufwand, zum Beispiel der gigantische finanzielle Aufwand für ein Klimawandel-Stopp-Programm, bedeutet zumindest übergangsweise für 1–2 Generationen unweigerlich Verzicht, weil diese Gelder erst einmal aufgebracht werden müssen und dann nicht für andere Dinge zur Verfügung stehen – bevor sich diese Investitionen durch den (unten in "Eine neue Wirtschaft" vorgestellten) kostenlosen 'Brennstoff' Sonne als return on investment auszahlen.

Das heißt notabene: Das System muss geändert werden!

Die gegenwärtigen klimatischen unprecedented events (= beispiellose Ereignisse) benötigen unprecedented actions – und das gelingt nur geeint mit breiter Mehrheit, nicht gespalten; das ist in der Tat beispiellos.

Mit "System" meine ich, wenn das nicht schon klar war, das Politik-Wirtschaftssystem, nicht das Gesellschaftssystem per se, basierend auf dem Grundgesetz. Letzteres ist im Prinzip gut (ich bin Verfassungspatriot und hatte sogar mal als Referendar auf die FDGO geschworen …), aber es ist durchaus verbesserungswürdig. Das Grundgesetz ist nicht sakrosankt, es beinhaltet ja Möglichkeiten zur Änderung und wurde auch diverse Male geändert (siehe unten). Und vor allem schreibt das Grundgesetz keine Wirtschaftsform vor. Es sichert in Artikel 14 zwar Eigentum, aber dieses kann gegen "Entschädigung" enteignet werden, und: Eigentum "verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Es dient nur nicht – und nicht nur bei uns nicht; meines Erachtens ist das menschliche Dasein inzwischen, sichtbar an dessen aktuellem Zustand, durch eine nie dagewesene Entfremdung von seinem Sein, von seiner Lebensgrundlage gekennzeichnet.

"Die Menschheit muss ihre Wirtschaftsweise ändern", wie Michael Schmidt-Salomon in seinem Klimaneutral-Artikel im hpd schreibt. Das hat einige, zum Teil gravierende Implikationen.