Kommentar

Homo oeconomicus vs. ökonologische Revolution

Wo stehen wir? Und wie könnte es weitergehen?

Die Entfremdung ist so weit fortgeschritten, dass entsprechend konditionierte Mitmenschen bedenkenlos für ebenso konditionierte Parteien und ihre Protagonisten stimmen (mir fällt da speziell, aber leider nicht nur, die FDP unter Wachstums-Rösler ein) – und offensichtlich nicht einmal bemerken, wofür sie stimmen.

Ralf König bringt das in seinem Cartoonband "Stehaufmännchen" auf S. 184 f. sehr treffend zum Ausdruck:

"Keine Hoffnung?"
"Nein."
"Homo sapiens, der […] vernünftige Mensch, rennt sehenden Auges in den Untergang!"
"Ja."

Hans Rosling bringt es am Ende des oben genannten Videos eigentlich ganz gut auf den Punkt, wer gefragt ist: Die reichsten Länder müssen vorangehen. Aber er drückt sich meines Erachtens um die naheliegende Frage: "Wer" denn in diesen reichen Ländern?

Schauen wir uns an, welche die reichsten Länder sind, dann sehen wir aut Staatsausgaben die sechs Länder USA, China, Japan, Deutschland, Frankreich und UK mit in summa circa 13 Billionen US-Dollar vorneweg: Staatsausgaben weltweit.

Aber wer in diesen Ländern?

Schauen wir uns laut Vermögensverteilung etwas näher an, wie die Vermögensverhältnisse (konservativ) verteilt sind:

0,001 Prozent kontrollieren 30 Prozent (16,7 Billionen US-Dollar) des Weltvermögens, 0,01 Prozent darunter kontrollieren 19 Prozent (10,7 Billionen US-Dollar) des Weltvermögens, 0,1 Prozent darunter kontrollieren 32 Prozent (17,4 Billionen US-Dollar) des Weltvermögens; also 0,111 Prozent der Weltbevölkerung (das heißt circa 9 Millionen Menschen) kontrollieren circa 80 Prozent des Weltvermögens; das heißt knapp 99,9 Prozent kontrollieren lediglich 20 Prozent des Weltvermögens.

Wir leben quasi in einem modernen Feudalsystem, das sich durch seine Struktur förmlich selbst erhält – was sicher näher erläutert werden müsste (und könnte), diese Skizze aber sprengen würde. Das frühere aristokratische Feudalsystem wurde unter anderem durch die Französische Revolution überwunden. Heute existiert nur (fast) keine Leibeigenschaft mehr, aber die feudale Konzentration der Finanzmittel hat sich eher verschärft.

Wer also sollte vorangehen? Sollten nicht die neun Millionen genannten Menschen in den reichsten Ländern vorangehen? Und zwar nicht nur mit symbolischen Spenden (Beispiel George Soros?), die die "Offene Gesellschaft" fördern sollen, aber dennoch Einfluss sichern?

Was benötigt ein Mensch an Vermögen, um sich sein Überleben abzusichern?

Kaum über eine Million Dollar, Euro oder entsprechende Werte in anderen Währungen! Eher weniger.

Ich bin mir sicher, machte man eine Volksabstimmung darüber, ob, wer viel hat, viel abgeben sollte und, wer sehr viel hat, sehr viel abgeben sollte – dann wäre die Zustimmung dafür eine absolute Dreiviertelmehrheit oder mehr.

Ich sehe schon: Neiddebatte. Aber das ist keine solche. Auch keine Gleichmacherei, sondern eine Fairmacherei; und immerhin bliebe bis auf Weiteres ein Anreiz unterhalb der einen Million, diese zu erreichen.

99,9 Prozent sind die ABSOLUTE Mehrheit; nicht nur eine Zweidrittel- oder Dreiviertel-, sondern eine 999/1000-Mehrheit – die sich dessen nur noch nicht bewusst ist; zu viele dieser Mehrheit sind noch auf die oben genannten subsp. l&l konditioniert.

Wir benötigen einen System-Wechsel ("We need a system change", wie das bei Naomi Klein anklingt; Link siehe unten). – "Die Grenzen des Wachstums" (vom Club of Rome) sind seit fast 50 Jahren bekannt, werden aber nicht nur von der Politik (fast) geflissentlich ignoriert.

Die Preisfrage ist, ob dies auf herkömmlichen Weg in 'unserer' Demokratie realisierbar wäre. Definitiv nicht. Das würde bedeuten, dass sich dieses System selbst abschafft. Und das wird voraussichtlich nicht passieren. Es sei denn …

Szenarien

Mir schweben (in Fortsetzung von Hans Rosling) drei Szenarien vor:

  1. Weiter so – wahrscheinlich, fährt aber unweigerlich an die Wand mit unabsehbaren Folgen bis hin zu globalen Völkerwanderungen, nationalen Abschottungen inklusive Schießen auf Flüchtlinge, Bürgerkriege etc., im allergünstigen Fall führt dies zum 3. Szenario.
  2. Partikulare Änderungen – vor dem Systemhintergrund am wahrscheinlichsten – werden scheitern, weil sie nicht ausreichen und sich das System nicht selbst abschaffen will, könnten im Szenario 1. münden, im günstigen Fall zu 3. führen.
  3. Ökonomisch-ökologische Revolution – bisher unwahrscheinlich, weil sich das quasi-feudale System mit allen Mitteln, mit Zähnen und Klauen bis hin mit scharfer Munition vor der Entmachtung wehren wird, aber meines Erachtens am notwendigsten.

Was könnte getan werden?

Umverteilung (vgl. Sahra Wagenknecht, zum Beispiel am Ende von Philipp Möllers Buch zitiert) zur Finanzierung des Wirtschaftsumbaus, wie unten näher erläutert. Mit so viel Kreislaufwirtschaft wie möglich (Stichwort: "Cradle to Cradle", C2C). (Aus-)Bildung mit Förderung ökologischer Lernprozesse. Säkularisierung, damit endlich das unheilige "Seit fruchtbar …" überwunden wird.

Forderungen dazu könnten sein:

Exponentiell-progressive Besteuerung von Vermögen, Erbschaften, Finanztransaktionen und Ähnliches, so dass ein individuelles Vermögen auf 1 Million Dollar gedeckelt ist.
Streichung der Armee-Etats zugunsten der Ausbildungs-Etats; Umwidmung sämtlicher staatlich finanzierter öffentlicher Schulen in bekenntnisfreie Schulen in Deutschland.
Speziell in Deutschland eine komplette Streichung sämtlicher Subventionen von Religionen; Schließung der 'Kirchenbüros' in Berlin und den Landeshauptstädten (zumindest Verbot der Weiterreichung von Gesetzentwürfen an diese Büros zwecks 'Kommentierung'); transparente Lobby-Kontrolle; endlich mehr direkte Demokratie.
Bevölkerungsreduktion; aber wie? Und wie wird dann die Rente gesichert? Vielleicht durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen; vgl. Utopien für Realisten?
Verbot von Massentierhaltung.
Gebot von Auf- statt Abholzung.
Verbot von General-Bioziden und ähnlichen Umwelt-Vermüllern.
Verbot von innerdeutschen Flügen?
In dem Aufwasch wäre an der Zeit, was vor 30 Jahren sträflich unterlassen wurde – eine Grundgesetz-Totalrevision: ohne Gottesbezug, aber mit dem Recht auf "Letzte Hilfe" und einer generellen Ächtung genitaler Verstümmelung von Kindern und vielem anderen mehr (zum Beispiel Bertolt Brechts Kinderhymne nach der Melodie der Ode an die Freude als Nationalhymne!); und dann lege man eine solche Verfassung dem Volk (mit einem Wahlrecht ab 14 Jahren) zur Abstimmung vor!

Eine neue Wirtschaft

Vor allem aber, was getan werden könnte, muss die gegenwärtige Kohlenstoff-Wirtschaft durch eine dezentrale Solar/Wasserstoff-(H2-)Wirtschaft ersetzt werden – nicht nur die Energie-, sondern die Gesamtwirtschaft inklusive der Schwerindustrie. Natürlich gibt es da Argumente bezüglich der Ineffizienz … Aber vor dem Hintergrund des nachfolgend erläuterten "10.000 mal mehr Energie ist da als benötigt" ist dies völlig irrelevant; weswegen ich diesen Teil trotz der Länge nicht in die Anmerkungen verschiebe:

Wasserstoff als durch Erneuerbare Energien, zum Beispiel Solarstrom, mittels Elektrolyse aus Wasser erzeugter Energieträger ist (wissenschaftlich und technisch) machbar; aber das wird so richtig teuer (und dürfte im günstigsten Fall auch mindestens eine Dekade dauern) – von der dazu notwendigen internationalen Zusammenarbeit (nicht nur mit Ungarn, Tschechien und Polen) einmal ganz abgesehen. Es ist meines Erachtens jedoch die einzige tragfähige, nachhaltige Alternative.

Warum dezentral und nicht in zentralen Solarfarmen in Afrika oder Asien?

Weil man (a) nicht von einer örtlich und funktional zentralen Abhängigkeit (Öl) in die nächste stolpern sollte.

Weil (b) eine dezentrale Solarenergienutzung auch in unseren Breiten möglich ist (gegenüber senkrechtem Sonneneinfall ist selbst bei einem Einfallswinkel von nur 30 Grad die Energieeinstrahlung lediglich halbiert). Der leider viel zu früh verstorbene (und immer wieder als "Spinner" bezeichnete!) Hermann Scheer hat das bis zum Erbrechen gepredigt.

Je nach Quelle sind Werte zu finden, dass die auf der Erde eingestrahlte Sonnenenergie 5.000 bis 15.000 mal so hoch ist wie der globale Energieverbrauch; sagen wir, gemittelt 10.000 mal. Das ist schon fast nicht mehr vorstellbar. Ich vergleiche das immer anschaulich so: Im globalen Durchschnitt entsprach vor wenigen Jahren der Energieverbrauch pro Kopf einem Äquivalent von 4 Tonnen CO2 – anschaulich als vier Zentimeter ausgedrückt. Wir bekommen aber 10.000 mal mehr Energie; das entspricht 40.000 Zentimetern = 400 Metern. Vier Zentimeter im Vergleich zur Höhe der eingestürzten World-Trade-Center-Türme; das macht plastisch klar, dass wir praktisch in Energie schwimmen! Sie muss 'nur' eingefangen und gespeichert werden. Letzteres geht probat durch Konvertierung in synthetisches Erdgas, das im vorhandenen Gasnetz problemloser als Wasserstoff gespeichert werden kann ("power-to-gas", vgl. Anmerkung unten) und wieder verstromt werden kann; selbst das dabei entstehende CO2 kann wieder re-methanisiert werden. All diese Zwischenschritte kosten zwar Effizienz, sind aber bei den besagten 10.000 mal mehr eben irrelevant.

Für Transportzwecke (außer elektrifizierter Schiene): Brennstoffzellen! Optimiert und global; und mit Akku als Zwischenspeicher. Das geht! Wird aber gewichtsmäßig richtig schwer und nochmals teurer.

Es geht ja nicht nur um Energiegewinnung zum Zweck des Heizens etc., sondern auch um Ersatz der Kohle zum Beispiel im Verhüttungswesen. Aber auch dort ist ein Umdenken im Gange: Eisenerz-Verhüttung mit Wasserstoff; Wasserstoff ist ein probates Reduktionsmittel für oxidische metallhaltige Erze. Aber genau hier stoppe ich mit Chemie (nichts anderes wäre es!); nähere Infos können nachgeschlagen werden.

Kurz – es gibt diese Alternative!

Nun hat Ursula von der Leyen gerade ihren etwas lückenhaften 'Green Deal' vorgestellt (immerhin ein guter Anfang!) und dafür 1.000.000.000.000 Euro (1 Billion Euro; aus dem EU-Steuersäckel!) veranschlagt, was meines Erachtens um den Faktor 10 zu niedrig ist (das ist lediglich meine Schätzung). Auf jeden Fall insgesamt eine Generationenaufgabe.

Parallel zu der neuen Wirtschaft:

Schnellstmöglich raus aus der Kohle; aus der Braunkohle sofort; Steinkohle-Kraftwerke für Notfälle.
Sofortige Wiederauflage eines Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit massivster staatlicher Erneuerbare-Energien-Förderung.
Und auf gar keinen Fall wieder in die extra-vermüllenden Atomkraftwerke einsteigen!
Das sind keine plakativen, sondern zentrale Forderungen.
Vieles deckt sich mit den FFF-Forderungen.

Die heutigen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden hieran hauptsächlich arbeiten – eine schier unglaubliche Aufgabe! Aber es tut gut zu hören, dass sie das vorhaben. Zwei Interviews mögen das zeigen. Luisa Neubauer mit Michael Krons als Interviewer, bei dem ich dank seiner unmöglichen Forderung ('Sie müssen/wollen doch alle mitnehmen …') ich nicht so ruhig geblieben wäre. Und Kira Geadah und Felix Finkbeiner mit einem empathischen, auffällig unaufgeregten Peter Schneeberger als Interviewer, wo ich gern dabei gewesen wäre.

Die dritte bequeme Unwahrheit von 'John' Schellnhuber (2013) lautet: "Es gibt gefährlichen Klimawandel, aber der Kampf dagegen ist längst verloren." Dieser Abschnitt 'Eine neue Wirtschaft' sollte zeigen, dass der Kampf um eine Decarbonisierung unserer Wirtschaftsweise noch nicht verloren ist.