Reserveantibiotika können in der Tierhaltung weiter eingesetzt werden

Antibiotika sind die wichtigste Allzweckwaffe der Medizin und heilen zahlreiche Krankheiten. Durch zu häufigen und laxen Einsatz bei Mensch und Tier verlieren die Präparate jedoch ihre Wirksamkeit, da Bakterien Resistenzen ausbilden. Eine geplante Gesetzesnovelle des Landwirtschaftsministeriums hat nicht vor, an dieser Lage etwas zu ändern. Man wartet auf die EU-Regelung, die bis 2022 kommen soll.

Derzeit dreht sich alles in Medien und Politik um das Corona-Virus, von Ratschlägen, wie man das eigene Ansteckungsrisiko senkt bis zu Veranstaltungsabsagen und Quarantänemaßnahmen, um die Ausbreitung zu verringern. Man nimmt die Situation sehr ernst und will die Bevölkerung schützen. An anderen Stellen vermisst man ein so entschiedenes Vorgehen in Gesundheitsfragen jedoch: Ein seit Jahren bekanntes Problem sind Antibiotikaresistenzen. Bakterien, die immun werden gegen unsere medizinische Allzweckwaffe, die Blasenentzündung ebenso heilt wie Tuberkulose.

Was Antibiotikaresistenzen bedeuten und wie sie sich bilden, darüber berichtete die Ärztin Natalie Grams vergangenen Herbst. Sie nannte sie "eines der ernstesten Probleme der heutigen Medizin": "Die WHO geht schon heute von jährlich weltweit 700.000 Todesfällen infolge von Antibiotikaresistenzen aus. Sie rechnet damit, dass sich diese Zahl im Jahr 2050 bis auf zehn Millionen erhöhen wird, wenn die aktuellen Forschungsanstrengungen vergebens bleiben", heißt es im Artikel.

Bakterien können demnach beispielsweise Resistenzen entwickeln, wenn Patienten ihre Antibiotika-Therapie frühzeitig beenden oder abgelaufene Medikamente einnehmen, die nur noch eingeschränkt wirksam sind. Aber auch in der Tierindustrie können sich Resistenzen bilden, da dort Antibiotika prophylaktisch ins Futter gemischt werden, um Krankheiten vorzubeugen, die sich in der Massentierhaltung rasant verbreiten würden. Häufig verschriebene sogenannte "Breitbandantibiotika", die gegen eine Vielzahl von Krankheitserregern eingesetzt werden können, wirken deshalb teilweise nicht mehr.

Auf der anderen Seite haben sich multiresistente Keime entwickelt, die gegen die gängigen Antibiotika-Präparate immun sind. Gegen sie helfen nur noch Reserveantibiotika, doch auch sie werden in der Tierhaltung eingesetzt. Somit besteht die Gefahr, dass sich auch gegen die letzten einsetzbaren Mittel Resistenzen entwickeln.

Mitte Februar wurde diesbezüglich ein Entwurf für eine Novelle des Arzneimittelgesetzes vorgelegt, über den NDR und Süddeutsche Zeitung (SZ) berichteten, der jedoch kaum Veränderungen bringt.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium beruft sich auf geplante neue EU-Regelungen ab dem Jahr 2022: Dann soll zum Beispiel eine Liste mit Reserveantibiotika erstellt werden, die nur bei Menschen gegeben werden dürfen. Erst danach soll eine Reform des Tierarzneimittelrechts folgen. Ein Komplettverbot von Reserveantibiotika in der Tierhaltung sei allerdings unmöglich, "da es der Tierschutz gebietet, dass wir kranke Tiere im Notfall auch mit diesen Wirkstoffen behandeln, wenn es keine andere Behandlungsmöglichkeit gibt", zitiert der NDR das Ministerium auf Tagesschau.de.

Außerdem soll es spätestens 2022 neue Vorgaben zur Erfassung der Antibiotikavergabe bei allen Tierarten auf EU-Ebene geben. Bisher muss diese in Deutschland lediglich bei einer Mindestanzahl bestimmter Nutztiere jedes halbe Jahr gemeldet werden. Dies gilt seit 2014 für Rinder, Schweine, Hühner und Puten, die als Fleischproduzenten gehalten werden. Bei der Gewinnung von Eiern und Milch müssen keine Angaben gemacht werden. Laut eines Evaluierungsberichts habe dies zwar zu einer Verringerung des Antibiotikaeinsatzes insgesamt geführt, bei den verschiedenen Tierarten fielen die Ergebnisse jedoch unterschiedlich aus.

Vor allem bei Geflügel werden weiterhin Reservepräparate eingesetzt, ihr Anteil liegt dort laut SZ bei 40 Prozent. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) appellierte an die Halter, diesen von sich aus zu senken. Der Verband Deutsche Geflügelwirtschaft verwies darauf, dass über Einsatz und Menge von Antibiotika die Tierärzte entschieden, schreibt die Zeitung. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Tierärzte im Gegensatz zu Humanmedizinern Medikamente selbst vertreiben und daran verdienen.

Die Neuerungen der nun geplanten Gesetzesnovelle sind eher kosmetischer Natur: Demnach sollen Bauern jetzt auch melden, wenn sie keine Antibiotika gegeben haben. Auf die Angaben hat als Neuerung auch das Bundesinstitut für Risikobewertung Zugriff. Eine andere Neuerung erscheint eher wie ein Schritt in die Gegenrichtung: Nämlich sollen Arzneimittel, die mehr als einen Wirkstoff beinhalten, künftig nur noch als ein einziger gezählt werden. Bislang wurden sie doppelt gerechnet. Man wolle den Erfassungsaufwand der Tierhalter senken und die Datengrundlage verbessern, hieß es dazu von einer Ministeriumssprecherin.

Letztlich gilt: Nicht nur beim allgemeinen Tierwohl, auch beim Einsatz von Antibiotika ist eine generelle Verbesserung der Haltungsbedingungen das A und O. Nur wenn die Tiere weniger dicht zusammengepfercht werden und an die frische Luft dürfen, ermöglicht das einen besseren Gesundheitszustand, der den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika unnötig macht.

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