Suizidhilfe-Verbot in Österreich: Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof

Die Situation ist eines modernen Staates unwürdig

Morgen findet am Verfassungsgerichtshof in Wien eine Verhandlung über die im Auftrag des Vereins DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben durch die Wiener Anwaltskanzlei "Ethos.legal" eingereichte Verfassungsklage gegen das Suizidhilfe-Verbot in Österreich statt. Die Verhandlung soll der weiteren Klärung der Rechtslage und der Erörterung diverser Fragen dienen. DIGNITAS wird der Verhandlung beiwohnen.

Im Mai 2019 beauftragte der Verein DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben (kurz: "DIGNITAS") den österreichischen Rechtsanwalt Mag. Dr. Wolfram Proksch von der Wiener Anwaltskanzlei "Ethos.legal", eine Klage beim österreichischen Verfassungsgerichtshof einzureichen. Ziel des Vorstoßes ist die Prüfung durch das Verfassungsgericht, ob die gegenwärtigen Strafrechtsbestimmungen bezüglich der Suizidhilfe verfassungskonform sind, und dass die von einer Mehrheit der österreichischen Bürgerinnen und Bürger gewünschte Entscheidungsfreiheit bezüglich ihres eigenen Lebensendes real wird. Gleichzeitig wurde beim Verfassungsgericht ein sogenanntes Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg beantragt, damit dieser Stellung zur Frage der Vereinbarkeit der bestehenden Bestimmungen mit der Rechtslage in der Europäischen Union be-zieht.

Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof

Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat im Zuge des Verfahrens eine mündliche Verhandlung anberaumt, die der weiteren Klärung der Rechtssache dienen soll. In dieser Verhandlung sollen diverse juristische Fragen erörtert werden bezüglich der Regelung des Paragrafen 78 des österreichischen Strafgesetzbuches (öStGB), also des Verbots der Suizidhilfe. Die aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) ist nicht Teil der Verhandlung. Neben dem Rechtsvertreter der Kläger werden auch Vertreter der Österreichischen Gesellschaft für ein Humanes Lebensende (ÖGHL) sowie des Initianten des Verfahrens, DIGNITAS, zugegen sein.

Die Rechtslage in Österreich

Die Republik Österreich kennt eines der rigorosesten Verbots-Systeme gegen die Selbstbestimmung bezüglich des eigenen Lebensendes. Paragraf 78 öStGB, der sich zur "Mitwirkung am Selbstmord" äußert, lautet: "Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen." Darüber hinaus sieht das öStGB in Paragraf 64 Absatz 1 Ziffer 7 vor, dass Paragraf 78 auch dann Anwendung findet, wenn die "Tat" im Ausland stattfindet, also zum Beispiel in der Schweiz, wo Suizidhilfe seit Jahrzehnten grundsätzlich nicht strafbar ist. Diese Bestimmung kann zur Folge haben, dass die Strafbehörde ein Strafverfahren gegen eine Person in Österreich einleitet, wenn sie erfährt, dass diese – wenn sie Österreicher ist und in Österreich wohnt – einem anderen Österreicher, der in Österreich gewohnt hat, behilflich war, zu DIGNITAS in der Schweiz zu fahren, um dort sein Leiden und Leben selbstbestimmt, legal, ärztlich unterstützt und professionell begleitet beenden zu können.

Widerspruch zu den Menschenrechten

Die Freiheit, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes zu bestimmen, ist ein vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2011 erklärtes Selbstbestimmungsrecht. Seither ist dieser Grundsatz in diversen weiteren von DIGNITAS initiierten oder unterstützten Rechtsverfahren in Deutschland, Italien und Kanada bestätigt und weiterentwickelt worden. Die österreichische Rechtslage beachtet dieses Recht (noch) nicht. Sie zwingt so Bürgerinnen und Bürger, entweder ihr Leiden für einige Zeit zu erdulden, sich für einen harten und mehrheitlich zum Scheitern verurteilten Suizidversuch zu entscheiden oder aber in die Schweiz zu reisen.

Diese Situation ist eines modernen, demokratischen Staates im Herzen Europas unwürdig.

Hinweis: Der hpd wird über die Verhandlung berichten.

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