Liveübertragung von Gottesdienst mit Kardinal Woelki sorgt im WDR für Unmut

Trotz schwindender Mitgliederzahlen sind Kirchen und Religionsgemeinschaften weiterhin prominent im Programm öffentlich-rechtlicher Sender vertreten. Für besondere Missstimmung sorgt nun die WDR-Liveübertragung eines Gottesdienstes mit dem Kölner Kardinal Woelki, der wegen seines Umgangs mit dem kirchlichen Missbrauchsskandal in der Kritik steht.

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten für ein großes deutsches Zeitungsunternehmen und die Chefredaktion beschließt, einem Mann – gegen den schwere Vorwürfe im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern erhoben werden – eine ganze Zeitungsseite zur Verfügung zu stellen. Darauf darf er, ganz ohne redaktionelles Lektorat und inhaltliche Überprüfung, äußerst fragwürdige Rituale praktizieren und sich als spiritueller Lebensberater gerieren.

Stellen Sie sich außerdem vor, dass der Mann, gegen den die Vorwürfe erhoben werden, der Arbeitgeber der Ehefrau eines wichtigen Redaktionsleiters der Zeitung ist.

Stellen Sie sich weiterhin vor, dass ein Mitarbeiter der Zeitung einen redaktionell vorformulierten Text verfassen soll, der den fragwürdigen Artikel des Mannes erklären und damit gewissermaßen einleiten soll. Als der Mitarbeiter sich weigert, seinen Namen unter diesen Text zu setzen, wird er von seinen aktuellen Aufgaben entbunden.

Wenn Sie es tatsächlich schaffen, sich all das vorzustellen, haben Sie einen ungefähren Eindruck davon, wie es in diesen Tagen beim WDR in Köln zugeht.

Es ist also keine Zeitung, sondern der größte deutsche Sender, der unsere Vorstellungskraft derart herausfordert und aus dem uns diese Geschichte zugetragen wurde:

Am heutigen 6. Januar überträgt der WDR ab 10 Uhr auf seinem fünften Radioprogramm den Gottesdienst aus dem Kölner Dom. Die Liveübertragung des Festhochamts am Dreikönigstag hat eine jahrelange Tradition. Dass in diesem Jahr ausgerechnet Kardinal Woelki die katholische Zeremonie leitet und die Predigt hält, ist laut vertraulicher Quellen für viele Menschen im WDR schwer zu ertragen. Denn die Vorwürfe gegen den Erzbischof sind seit Wochen Teil der journalistischen Arbeit und jeder weiß, dass er einen inzwischen verstorbenen und des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Geistlichen geschützt haben soll. Und auch, dass Woelki ein Gutachten dazu zurückhält und ein zweites in Auftrag gegeben hat.

Und so ist zu erfahren, dass es nicht nur für die kritischen Journalisten und Journalistinnen im WDR kaum nachvollziehbar ist, dass die Anstalt vor diesem Mann scheinbar auf die Knie geht. In der Ankündigung zu dem Gottesdienst und der Übertragung findet sich kein kritisches Wort zu Woelki. Auf der WDR-Website darf der angeschlagene Kirchenmann sogar kommentarlos eine Einladung aussprechen.

Insider berichten, dass das Ganze auf viele wirkt, wie völlig aus der Zeit gefallen. Die Frage, warum der öffentlich-rechtliche WDR den Schulterschluss sucht mit der katholischen Kirche, die zunehmend an Bedeutung verliert, lässt viele ratlos zurück. Warum diese kleinlaute Haltung des großen Senders vor der schrumpfenden Kirche?

"Wir übertragen den Gottesdienst, aber nur, wenn er nicht von Woelki gehalten wird!" – zumindest so eine Ansage hätten sich viele gewünscht. Dass sie nicht gemacht wurde, wird den Legitimationsdruck und den Vertrauensverlust in Glaubwürdigkeit und kritische Berichterstattung sicher vergrößern, befürchten derzeit viele. Auch mit Blick auf die alles andere als saubere Trennung von Sender und Kirche. Eine Personalie macht das besonders deutlich. Eine Personalie, die wohl selbst in einer Schülerzeitung die Compliance-Ampel auf Rot springen ließe.

Theo Dierkes, Leiter der Hörfunk-Redaktion Religion und Kirche im WDR, ist verheiratet mit Petra Dierkes, die als Hauptabteilungsleiterin im Erzbistum Köln für die Hauptabteilung Seelsorge verantwortlich ist. Ihr direkter Vorgesetzter ist Generalvikar Hofmann, Stellvertreter des Erzbischofs Woelki. Die Eheleute Dierkes sind auch schon mal gemeinsame Gastgeber in der katholischen Eventszene.

Das alles sind keine Geheimnisse im verklüngelten Köln und so berichten besorgte WDR-Mitarbeitende, dass man sich fragt, wie der Journalist Theo kritisch und objektiv berichten kann über die Vorgänge im Erzbistum, in dem seine Frau Petra eine Führungsposition bekleidet.

Wie gesagt, gäbe es eine Compliance-Ampel, sie wäre Rot.

Und dann ist da noch eine Geschichte, die uns Insider zugetragen haben: Einem freien Moderator wurde aufgetragen, eine vom WDR vorformulierte Ankündigung vor der Liveübertragung  zu verlesen. Als er sich weigerte, das zu tun, wurde ihm die vereinbarte Sendung entzogen und diese neu besetzt.

Dass der WDR bedingungslos Platz schafft für katholische Missionierung, dazu noch durch den derzeit umstrittensten Katholiken im Lande, sorgt für frustriertes Kopfschütteln auf den langen Fluren im Sender. Der bittere Scherz, dass WDR für "Woelki darf reden" steht, macht die Runde.

Die Sorge, dass der WDR durch seine unkritische Kooperation mit der katholischen Kirche sein ohnehin schon veritables Legitimationsproblem verschärft, ist bei vielen Beschäftigten groß. Einige erzählen aber auch, dass es körperlich schmerzt, dass sie – quasi durch eine Dienstanweisung am heutigen Tag – einer Institution so nah kommen müssen, die sie eigentlich verabscheuen für ihre halbherzige und scheinheilige Aufarbeitung ihrer unfassbaren Missbrauchsgeschichte.

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