Kirchenaustritte in Köln: Schneller, als die IT erlaubt

Die Stadt Köln erlebt einen beispiellosen Exodus von Gläubigen, befeuert vom geheimniskrämerischen Umgang des umstrittenen Kardinals Rainer Maria Woelki mit einem Gutachten zum Kindesmissbrauch im Bistum. Obwohl die Justizverwaltung die Anzahl an Terminen für den Kirchenaustritt seit Januar mehr als verdoppelt hat, rauchte vergangenen Freitag der Terminvergabeserver ab – wegen zu großen Interesses.

Es ist viel zu tun am Amtsgericht in Köln. Zum einen sorgt die Corona-Pandemie für eine angespannte Finanzlage in den Privathaushalten, was vielerorts zur Frage führt, ob der durchaus gesalzene Mitgliedsbeitrag bei den beiden großen Kirchen sich überhaupt noch lohnt. Deutschlands größtes Bistum hat aber auch mit einem notorisch schweigsamen Kardinal zu kämpfen, der erst ein Gutachten zum Kindesmissbrauch in Auftrag gibt, dieses dann aber – selbst zum Unmut der beauftragten Anwaltskanzlei – partout nicht veröffentlichen will.

In der Folge sah sich die Justizverwaltung der Stadt Köln gezwungen, ein Online-Terminvergabesystem für Kirchenaustritte anzubieten, bevor das nach Konfessionsfreiheit dürstende Volk noch das Amtsgericht stürmt. 600 Slots wurden im Dezember angeboten, bereits im Januar wurden diese auf 1.000 aufgestockt.

Doch das reichte immer noch nicht. Mitte Februar kündigte die Verwaltung dann an, dass mindestens im März und April 1.500 Termine monatlich gebucht werden könnten. Freigeschaltet werden sollten diese am 19. Februar, um Punkt 10 Uhr. Als wäre John Lennons Kadaver aus dem Grab emporgestiegen und hätte ein allerletztes Konzert der Beatles angekündigt, stürzten sich die Menschen zu Tausenden auf die Termine.

Wer nun das ein oder andere über die IT in deutschen Amtsstuben weiß, den wird das Resultat nicht überraschen: Binnen Sekunden nach der Freischaltung brach das gesamte System zusammen. 5.000 gleichzeitige Anfragen waren genug, den städtischen Server in die Knie zu zwingen, erklärte ein Sprecher des Amtsgerichts. Im Jahr 2021 ist das für einen staatlichen Dienst einfach nur blamabel; von der offenkundig völlig an der Realität vorbeigehenden Bedarfsermittlung wollen wir gar nicht erst anfangen.

Wirft man nämlich einen Blick auf die Entwicklung der Kirchenaustrittszahlen, sticht sofort ins Auge, dass sich seit Mitte der 2010er Jahre irgendetwas geändert hat. Mäanderten die Austrittsquoten zwischen 1990 und 2010 konstant irgendwo zwischen 0,4 und 0,7 Prozent der Mitglieder umher, kennen sie seitdem eigentlich nur eine Tendenz: aufwärts.

Bildet man die Zahlen auf einem Graphen ab, erwecken sie seit Mitte der 2010er Jahre den Eindruck einer Exponentialfunktion. Ob sich tatsächlich eine exponentielle Wachstumsdynamik einstellt, ist zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nur Messweinsatzleserei.

Ein Faktor allerdings spräche dafür: Die katholische Austrittsquote liegt historisch fast immer bei plus-minus 70 Prozent der evangelischen Austrittsquote. Seit Mitte der 2010er Jahre aber macht die katholische Quote rasant Boden gut. Da die katholische Kirche die größere von beiden ist, könnte das der Katalysator sein, der die Austrittswelle zu einem "Austrittstsunami" macht.


Hinweis der Redaktion (26.02.2021): In einer vorherigen Version dieses Artikels wurde fälschlicherweise die Stadtverwaltung für die Serverausfälle verantwortlich gemacht. Kirchenaustritte in Nordrhein-Westfalen werden allerdings von der Justizverwaltung abgewickelt, verantwortlich für die Bereitstellung der Serverkapazitäten ist der Landesbetrieb IT.NRW.

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