Einen Monat lang gab es ein "Demokratie-Camp" am Brandenburger Tor, organisiert von russischen Oppositionellen. Am letzten Wochenende erhielt die Aktion Unterstützung durch einen Karnevals-Mottowagen von Jacques Tilly.
Normalerweise sind die weltberühmten Mottowagen des Düsseldorfer Karnevalswagenbauers Jacques Tilly "Eintagsfliegen": Schon am Tag nach dem Rosenmontagsumzug werden sie üblicherweise wieder abgerissen. Die Figur, die zeigt, wie der inhaftierte russische Oppositionelle Alexei Nawalny dem Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, einen Judo-Tritt zwischen die Beine versetzt, gibt es allerdings noch. Als die erst seit Februar bestehende Initiative Freies Russland NRW sie in den Medien sah, riefen Vertreter direkt bei Tilly an und sagten: "den brauchen wir", erinnert sich der Künstler.
Bereits zwei Mal wurde der Wagen seitdem in Düsseldorf auf Veranstaltungen gegen Putin und für Nawalny eingesetzt. Am Samstag war er nun vor dem Brandenburger Tor zu Gast zum Abschluss des "Demokratie-Camps", das russische Aktivisten einen Monat lang am Platz des 18. März aufgeschlagen hatten. Oppositionelle sprachen dort auf der Bühne und es gab Livestreams mit internationalen Experten, Politikern, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Musikern und Künstlern zu verschiedenen Themen, "wo das Putin-Regime Einfluss nimmt", sagte Yuri Nikitin von Freies Russland NRW dem hpd. Auch er war am letzten Wochenende mit dabei, zusammen mit der Figur, deren Bedeutung er so beschreibt: "Sie zeigt die Auseinandersetzung zwischen Putin und der Opposition; er wollte die Opposition und Nawalny nie anerkennen und hat ihn nie beim Namen genannt, immer nur 'Charité-Patienten' oder den 'Beschuldigten', obwohl er natürlich schon durch seine Unterdrückung beweist, dass er die Opposition sehr wohl sieht und Angst vor Massen-Protesten hat."
"Die Initiative für das Camp erfolgte spontan und kommt direkt aus der Seele der russischsprachigen Diaspora", erklärt Nikitin weiter. Doch nicht alle sind damit einverstanden: über den gesamten Protestzeitraum habe es immer wieder Verbalangriffe von "Putin-Verstehern" gegeben, die die Demonstranten als "Verräter" bezeichneten. Am gestrigen letzten Tag der Aktion gab es sogar einen körperlichen Angriff, den die Polizei abwehren musste, so Yuri Nikitin.
Freies Russland NRW fordert unter anderem Sanktionen "gegen Vertreter des Putin-Regimes und deren Unterstützer" und die "Überprüfung der Medienaktivitäten russischsprachiger, insbesondere staatlicher Medien in Deutschland". Außerdem tritt die Initiative für die sofortige Freilassung von Alexei Nawalny ein und solidarisiert sich mit allen politischen Gefangenen. Das Camp sei jedoch keine Demonstration gegen Russland, "es ist eine Demonstration gegen Putins Regime".
6 Kommentare
Kommentare
Christian Meißner am Permanenter Link
Es freut mich immer wieder, zu sehen, dass es doch einige Menschen auf der Welt gibt, die Karl Popper und seine Texte ernst nehmen!
Paradoxerweise gilt dabei: Humor ist Pflicht!
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Lupenreiner Judo-Tritt!
Hans Trutnau am Permanenter Link
Wurde Putin einst von Kanzler Schröder nicht als "lupenreiner Demokrat" eingeschätzt?
S/ Wie kann (und darf) dann nur so unverschämt gegen ihn demonstriert werden? \S
maik am Permanenter Link
Wenn Navalny die "Opposition" in Russland ist, dann ist die Opposition in Deutschland wohl Herr Hildmann.
HolgerT am Permanenter Link
So sehr ich J.Tilly's Arbeiten schätze, hier hat er wohl etwas nicht berücksichtigt:
Andererseits: Navalny's Organisation (FBK) hat Anfang des Jahres eine Liste mit Namen hochrangiger russ. Regierungsangestellter und Wirtschaftsbosse an den Präsidenten der USA geschickt, mit der Aufforderung, gegen diese Personen Sanktion einzuleiten. Rechtlich gesehen hat Navalny also ein ausländische Macht aufgerufen, gegen die inländische Macht seines Landes vorzugehen. Das wäre umgedreht auch in Deutschland eine Straftat, nämlich mindestens Landesverrat. Kein Wunder, dass die russ. Gerichtsbarkeit gegen ihn und seine Organisation vorgeht.
Zweitens: Während seines kürzlichen Aufenthaltes in Deutschland zwecks Genesung hat er ja nicht in der Charite in Berlin gelegen sondern in einem netten Häuschen in Bayern. Ist auch viel geeigneter, um Instruktionen zu bekommen. Als er dann in Moskau wieder einsitzen musste, hat dann eben seine Frau die Anweisungen hier entgegengenommen (War flugs kurz danach in D).
Und bei aller berechtigten Kritik an Putin und seinen Leuten: Putin ist momentan der einzige Garant, dass das Riesenreich Russland nicht auseinanderfällt und damit Kernwaffen unkontrolliert in die Hände von irgendwelchen Idioten und potentiellen Terroristen im Lande fallen. Das ist keine Verschwörungstheorie. Kann man nachlesen in Memoiren ehemaliger hochrangiger Regierungsmitarbeiter früherer russ Regierungen(z.B. Nikolai Leonow - ehemaliger stellv. Chef der Auslandsaufklärung des KGB).
Und zu guter letzt: Wer wirklich wissen will, warum sich Russland so verhält, wie es sich verhält, sollte mal Zbigniew Brzezinski: "The American Century" lesen. Die USA haben eine langfristige Strategie zur Sicherung ihrer globalen Herrschaft, und Russland lässt sich darauf nicht ein.
Schließlich hat kein Land dieser Welt irgendeinen Anspruch oder gar Recht, gegenüber welchen Ländern auch immer, eine Führungsrolle für sich zu reklamieren.
Alexander am Permanenter Link
Da sich unsere "Qualitätszeitungen" bei der Berichterstattung so auffällig lückenhaft zeigen, möchte ich auf einen Artikel in einem Boulevardblatt hinweisen:
'Rassistisch, rechtsradikal, homophob? Nawalny: Die dunklen Seiten des „Kremlkritikers“'
https://www.mopo.de/news/politik-wirtschaft/rassistisch--rechtsradikal--homophob--nawalny--die-dunklen-seiten-des--kremlkritikers--37373234
Wenn *das* die Grünen wüssten! ;-> (Oder Herr Tilly)
Und währenddessen sitzt jemand, der entscheidend dazu beigetragen hat Kriegsverbrechen aufzudecken ("Collateral Murder"! Schon mal gehört?), immer noch in wertewestlicher Kerkerhaft, ohne dass die breite Öffentlichkeit Anteil nimmt!