Ecuador: Verfassungsgericht fordert Ausnahmen für Abtreibungsverbot

Das oberste Gericht des südamerikanischen Staates Ecuador hat vergangenen Mittwoch Teile der Abtreibungsgesetzgebung für verfassungswidrig erklärt. Dass durch eine Vergewaltigung gezeugte Kinder nicht abgetrieben werden dürfen, sei nicht mit den Grundrechten der Ecuadorianer:innen vereinbar. Der frisch gewählte, konservative Präsident Guillermo Lasso hat bereits angekündigt, das Urteil zu respektieren. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Lasso über dieses Lippenbekenntnis hinausgeht, ist er doch Mitglied der streng katholischen Vereinigung Opus Dei.

"Lasst uns zu Gott beten, dass Abtreibung in unserem Land nicht genehmigt wird. Es ist Mord", twitterte María de Lourdes Alcívar, die Frau des designierten Präsidenten Guillermo Lasso, nur wenige Stunden vor der historischen Entscheidung. Wie zu erwarten war, hat jedoch keine Gottheit beim Verfassungsgericht interveniert und so können alle gebärfähigen Ecuadorianer:innen erleichtert sein, dass sie künftig nicht mehr im Gefängnis landen, wenn sie ein Kind abtreiben, das ihnen per Vergewaltigung oktroyiert wurde.

"Grüne Welle"

Sicherlich ein ausschlaggebender Faktor für das Gericht dürfte die Tatsache gewesen sein, dass Sexualverbrechen in Ecuador an der Tagesordnung sind: Offiziell werden mehrere Tausend Fälle pro Jahr gemeldet – die Tatsache jedoch, dass jährlich etwa 2.000 Mädchen unter 14 Jahren ein Kind zur Welt bringen, lässt auf gigantische Dunkelziffern schließen.

Die sogenannte "Grüne Welle", eine feministische Bewegung, die ihren Namen den in Grüntöne gehüllten Demonstrierenden verdankt, ist damit auch in Ecuador angekommen. Anfang des Jahres hat Argentinien die Abtreibungsgesetzgebung liberalisiert, Chile und Kolumbien könnten dem argentinischen Vorbild folgen (der hpd berichtete).

Religion und Realität

Bis 2014 waren in Ecuador, in dem 80 Prozent der Bevölkerung dem Katholizismus angehören und "das tägliche Leben und der Glaube Hand in Hand gehen", Schwangerschaftsabbrüche generell verboten. Seitdem ist, falls das Leben der Mutter in Gefahr ist oder eine geistig beeinträchtigte Frau vergewaltigt und geschwängert wurde, eine Abtreibung rechtlich zulässig – in allen anderen Fällen drohen bis zu drei Jahre Haft.

Nicht nur auf dem Papier, auch in der Praxis verfolgt der ecuadorianische Staat abtreibende Frauen mittlerweile mit zunehmender Härte. Zwischen 2009 und 2014 seien lediglich 40 Fälle unerlaubter Abtreibung zur Anzeige gekommen, zwischen 2015 und Januar 2019 waren es 378, berichtet das Nachrichtenportal Reuters unter Berufung auf eine ecuadorianische Nichtregierungsorganisation.

Die Folge: inhaftierte Frauen, deren einziges "Verbrechen" es war, einen Fötus nicht austragen zu wollen. Im Zeitraum zwischen 2004 und 2014 sind jährlich fast 40.000 Abtreibungen in Ecuador durchgeführt worden, die Dunkelziffer dürfte ebenfalls beachtlich sein. Das katholische Moralgefüge und die Realität klaffen damit weit auseinander.

Guillermo Lasso

Noch im vergangenen Jahr hatte den ehemaligen Banker Guillermo Lasso keiner so recht als potentiellen Präsidenten auf dem Schirm, hatte er doch bereits die letzten zwei Wahlen in den Sand gesetzt. Doch vergangenen Monat gewann er  überraschend gegen den linken Kandidaten Andrés Arauz, welcher sich bereits als Wahlsieger wähnte.

Lasso ist in Ecuador kein Unbekannter: 1999 wurde er zum ersten und einzigen "Superminister" ernannt – beauftragt mit der Bekämpfung der ecuadorianischen Wirtschaftskrise. Einige Jahre später gründete er die rechtskonservative Partei "CREO" (deutsch: "ich glaube"). Er ist Mitglied des weltweit tätigen, streng katholischen Bündnisses Opus Dei, welches mit Slogans wie "Die Evangelisierung unserer Gesellschaft geht zu langsam voran" gegen den Malmstrom des Zeitgeists anzupaddeln versucht.

Von Lasso dürfte folglich keine aktive Unterstützung in Sachen reproduktiver Frauenrechte zu erwarten sein. In einem Offenen Brief beteuerte er allerdings seinen Respekt vor der Entscheidung des Gerichts: "Die Unabhängigkeit der Gewalten und die säkulare Natur des Staates sind unverhandelbare Prinzipien", schreibt Lasso darin.

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