BERLIN. (hpd) Vor wenigen Tagen erst hat das Parlament von Deutschlands nördlichstem Bundesland entschieden, dass “Gott” nicht in der Landesverfassung erwähnt werden soll. Zwei Anträge, die einen Gottesbezug in die Präambel der Verfassung aufnehmen wollten (“…in Verantwortung vor Gott und den Menschen…”), fanden bei weitem nicht die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit. Wer jedoch geglaubt haben sollte, damit wäre diese skurrile Angelegenheit aus der Welt, hat sich allerdings getäuscht.
Katholische Kleriker wollen mobilmachen
Problematisch aber bleibt einiges: nicht nur, dass etwa die Hälfte der Abgeordneten des Landtags der Meinung sind, im 21. Jahrhundert müsse Gott in die Verfassung aufgenommen werden - nachdem das Land zwischen Nord- und Ostsee seit 1949 ohne diese Metapher ausgekommen ist; klerikale Kreise wollen zudem das Abstimmungsergebnis auf keinen Fall akzeptieren.
Hatte zunächst der Grünen-Abgeordnete Andreas Tietze, Präses der evangelischen Nordkirchen-Synode, nur davon gesprochen, dass “draußen” kein Verständnis für die Parlamentsentscheidung herrsche, so sind es nun die Funktionäre des (katholischen) Erzbistums Hamburg, die mobil machen wollen: Sie planen eine Volksinitiative, um den Landtag zu einer erneuten Befassung mit dem Thema zu veranlassen. Als potentielle Unterstützer sehen sie die sechs Prozent katholischen Einwohner Schleswig-Holsteins, dazu die einige tausend orthodox-konservativen Muslime und die kleinen jüdischen Gemeinden, wie der Erzbistumssprecher Nielen mitgeteilt hat. Eine bloße Interessenpolitik von Religionsvereinigungen wird deutlich.
Das Abstimmungsergebnis gegen den Gottesbezug bewertet der katholische leitende Administrator Ansgar Thim, (kommissarischer Leiter des Erzbistums Hamburg), als “höchst bedenklich”.
Bündnis religiöser Hardliner geplant (Katholiken, Muslime und Evangelikale)
Eine rein katholische Initiative soll es also nicht werden, ein solches Vorgehen wäre angesichts der katholischen Minderheitenposition, selbst wenn man noch die “Bündnispartner” der Islamgemeinden dazurechnet, doch reiner Irrsinn.
Die katholischen Hardliner hoffen vielmehr auf die 53 Prozent Landeseinwohner, die nominell der evangelischen Kirche angehören. Auch wenn die evangelische Landeskirche zunächst die Unterstützung der (katholisch-muslimischen) Volksinitiative abgelehnt hatte, aber immerhin eine “intensive gesellschaftliche Debatte” ankündigte, so war doch damit zu rechnen, dass Evangelikale und einzelne Kirchenfunktionäre sich der geplanten Kampagne anschließen werden.
Jetzt ist die Kirchenführung umgeschwenkt und schließt sich den Katholiken an. Der grüne Verkehrspolitiker und Präses der evangelischen Synode Tietze hat zwischenzeitlich ein “intelligenteres” Vorgehen vorgeschlagen: Nicht die Kirchen sollten die Initiative ergreifen, sondern “die Bürger”, die dann von den kirchlichen Funktionären “unterstützt” werden könnten.
Zumindest der Anschein einer Bewegung aus der Mitte der Bevölkerung soll erweckt werden – vermutlich hält der Abgeordnete und Kirchenlobbyist dies für eine zeitgemäße Form religiöser Propaganda und Aktion. Manchem Beobachter der gespenstigen Szenerie im Küstenland kommt bei diesen Planungen das Diktum des Walter Ulbricht 1945 in den Sinn: “Es muss alles demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.” So oder ähnlich jedenfalls scheint die Denke der Kirchenfunktionäre und –lobbyisten zu funktionieren.
Die bisherigen Äußerungen der katholischen Schrittmacher der Angelegenheit zeigen deutlich: Ein Schulterschluss katholischer Funktionäre mit den konservativ-orthodoxen Muslimen und evangelischen Konservativen sowie Evangelikalen ist in Aussicht genommen worden.
Kirchenfunktionäre wollen gesellschaftlichen Unfrieden provozieren
Als ob Schleswig-Holstein nicht andere Probleme hätte, als sich mit einer reinen Ideologie-Kampagne auseinanderzusetzen - als ob es in der Welt nicht genug Unfrieden und Unruhe gäbe wegen der ideologischen Hervorbringungen religiöser Kräfte und ihrer Hass- und Todeskultur. Ein Blick nach Afrika und Asien, vor allem in den Nahen Osten sollte genügen, um die inhumanen Folgen religiös begründeter Überheblichkeit wahrzunehmen. So etwas braucht, auch nicht in der “milderen” Form eines Kulturkampfes, Deutschland nicht.
Wer solche Kampagnen, wie jetzt im deutschen Norden, propagiert und initiiert, will provozieren, will die Gesellschaft spalten, nimmt Unfrieden und Auseinandersetzungen bewusst in Kauf - akzeptiert das friedensstiftende hohe Gut der Säkularität der deutschen Gesellschaft nicht. Wer den “lieben Gott” in der Verfassung haben will, grenzt bewusst diejenigen aus, die nicht an ihn glauben oder ihn vor dem Missbrauch durch sein irdisches “Bodenpersonal”, als schräges Verfassungssymbol, bewahren wollen.
Die säkulare Gesellschaft muss sich derartigen Entwicklungen in aller Eindeutigkeit widersetzen. Den Figuren, die im Geiste vergangener Jahrhunderte verhaftet sind, darf das Feld nicht überlassen werden.
Mehrheiten für Kirchenideologie nicht vorhanden
Bereits vor zehn Jahren betrug der Anteil der Konfessionsfreien an der Einwohnerschaft etwa 31 Prozent; bekannt ist, dass – überall in Deutschland - ein Großteil der nominell (noch) Konfessionsgebundenen die ideologischen Annahmen der Kirchenführungen nicht mehr akzeptiert.
Eine Mehrheit in der Bevölkerung für die Annahme der Existenz eines “Gottes”, vor dem es etwas zu verantworten gäbe, und dessen Aufnahme in die Verfassung, existiert ganz offensichtlich nicht. Das dürfte auch den in Schleswig-Holstein agierenden Gottesanhängern bekannt sein – umso irritierender ist es, dass sie rücksichtslos, auf Biegen und Brechen, ihre religiösen Sonderwünsche durchzusetzen trachten – und hierbei die Spaltung der Gesellschaft in Kauf nehmen.
Auch in der Auseinandersetzung um die Präambel der Landesverfassung Schleswig-Holstein zeigt sich: Je höher der Anteil der Konfessionslosen in Deutschland steigt und je mehr die ideologische Deutungsmacht der christlichen Großkirchen zurückgeht, um so heftiger wollen Kleriker und religiöse Kräfte noch versuchen, Pflöcke einzuschlagen, ihre “Duftmarken” hinterlassen.
Die Rückzugsgefechte sind wohl stets die heftigsten.
Daran sollten sie gehindert werden, daran müssen sie gehindert werden – um des gesellschaftlichen Friedens willen.
Nachtrag 1: Eine derzeit offene Frage ist, ob der SPD-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Torsten Albig, die katholisch-islamische Kampagne unterstützen wird? Noch im Sommer dieses Jahres hatte er bekundet, eine Verfassung ohne Gott sei für ihn “unvorstellbar”.
Nachtrag 2: Äußerungen des grünen Verkehrspolitikers Tietze, der eine Demutsformel für sein politisches Handeln benötigt, Äußerungen, die man verstehen kann oder wohl eher nicht: “Ohne Gottesbezug gäbe es keine Demutsformel. Und das ist für uns der entscheidende Aspekt. Wir verstehen uns nicht in erster Linie als Christen, sondern bewusst als Abgeordnete, die demokratische Entscheidungen zu treffen haben unter der Fragestellung: Stehen diese nur im Kontext der eigenen Verantwortung, oder gibt es auch Entscheidungen, die auf eine transzendente Ebene abzielen? Und da sagen wir: Diese transzendente Ebene nennen wir Gott. Wir haben also die Bandbreite erweitert. Die Demutsformel soll in der Verfassung aufgenommen werden, der allgemeine Bezug zum religiösen, philosophischen und humanistischen Erbe wird sie hoffentlich konsensfähig machen.”
12 Kommentare
Kommentare
Mustrum am Permanenter Link
Herr Tietze unterliegt hier offensichtlich einem Interessenskonflikt.
Wobei mir die Grundlage der Diskussion nicht einleuchten will. Das Grundgesetz ist eindeutig. Man könnte viele Paragraphen anführen, die einen Gottesbezug in der Landesverfassung von SH nicht zulassen.
Viel eher vermisse ich eine Diskussion über die Tatsache, dass "Gott" immer noch Bestandteil viele Landesverfassungen ist. Von den ganzen anderen Verflechtungen von Kirche und Staat einmal abgesehen. Hier ist noch viel Arbeit zu leisten, die ich mir auch von Politikern wünschen würde.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Da kratzt wohl jemand seine letzten Anhänger zusammen? Es muss schlimm stehen um die Kirchen, wenn sie zu solch albernen - demokratische Entscheidungen nicht akzeptierenden - Maßnahmen glauben greifen zu müssen.
Jo am Permanenter Link
"Stehen diese nur im Kontext der eigenen Verantwortung, oder gibt es auch Entscheidungen, die auf eine transzendente Ebene abzielen? Und da sagen wir: Diese transzendente Ebene nennen wir Gott. "
Wenn Kirchenfunktionäre schon so einen New-Age-Kram reden und damit die theologische Grundlage der Kirche aufgeben, ist die Kirche wohl im Sinkflug oder wird sich weiter drastisch verändern.
Veronika am Permanenter Link
Na ja, von einem "Zusammenkratzen der letzten Anhänger" würde ich hier nicht sprechen.
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Fazit: Sprachen lernen und bevor es so weit kommt auswandern. Tschechien und Frankreich werden sich noch Unabhängigkeit bewahren können, wenngleich auch dort sehr extrem Boden für das Religiöse, die Kath. Kirche eingefordert wird.
Wer kennt www.woranglauben.de? Also einen grösseren Schwachsinn hatte ich vorher noch nie gekannt. Die Ratzinger-Ära wirkt scheinbar noch nach, wobei ich denke, dass der im Gästehaus wohnende Papa Franz eben nur Gast des immer noch strippenziehenden Papa Ratz.... ist.
Fred FRENZEL am Permanenter Link
Mathematisch korrekt & überflüssig wäre diese Floskel:
"...vor (0,1,>1) Gott..." (>1 für HINDU!)
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Bündnis religiöser Hardliner geplant (Katholiken, Muslime und Evangelikale)". Das ist lachhaft.
Das funktioniert hier in Mittel-EU genauso wenig wie im Nahen Osten.
valtental am Permanenter Link
"Problematisch aber bleibt einiges: ... klerikale Kreise wollen zudem das Abstimmungsergebnis auf keinen Fall akzeptieren."
Sehr geehrter Herr Otte, Ihr Beitrag kritisiert zu recht das leider vorhandene Potenzial der Religionen für Unfrieden in der Welt. Er steht m.E. aber in einem grundsätzlichen Konflikt zu unserer demokratisch verfassten Gesellschaft, speziell ihren demokratischen Mitwirkungsmöglicheiten. Es ist keinesfalls "problematisch", sondern verfassungsmäßig verbrieftes Recht, wenn Bürger versuchen per Volksinitiative eine Parlamentsentscheidung anzufechten. Und dieses Recht besteht wertfrei, also unabhängig vom Inhalt einer solchen Volksinitiative. Wer sagt: "Daran (an ihren Rückzugsgefechten) sollten sie (die Religiösen) gehindert werden, daran müssen sie gehindert werden – um des gesellschaftlichen Friedens willen.", kann als Demokrat den Inhalt, aber nicht das Ergreifen eines direktdemokratischen Verfahrens kritisieren. (Meines Wissens wurden im Sinne von mehr Bürgerbeteiligung mit Verabschiedung der neuen Verfassung sogar die Quoren der Volkgesetzgebung abgesenkt.) Nichtreligiöse müssen als Demokraten einer etwaigen Volkinitiative inhaltlich begegnen und sich dem Abstimmungskampf stellen, auch wenn man das Thema für längst überholt hält. Ich verweise auf das Ergebnis der multikonfessionellen Berliner Volksinitiative Pro-Reli, die kläglich gescheitert ist. Berliner Religiösen dürfte seit dem klar sein, dass sie für religiöse Themen bei Bürgerentscheiden kaum mehr auf Erfolg hoffen können. Gerade dadurch haben sie in Fragen der öffentlichen Deutungshoheit massiv eingebüßt, weil das extrem negative Abstimmungverhältnis den religiösen Forderungen eindeutig widersprach. Eine Volksinitiatve in Schl-Hol. für einen Gottesbezug sollte deshalb nicht mit Verweis auf eine Stiftung von Unfrieden diskreditiert werden, sondern als willkommen Auseinandersetzung über religiöse Deutungshoheit angenommen werden.
Bei aller berechtigten Religionskritik sollten Humanisten als Demokraten die Ergreifung demokratischer Mitbestimmungsrechte immer begrüßen, auch wenn es den Aufwand von Gegenenergien erfordert.
H. P. Kause am Permanenter Link
Das mag sein, dass Ihre Argumentation nicht ganz ungerechtfertigt ist.
valtental am Permanenter Link
Ja, man kann es natürlich als "Riesenfrechheit" betrachten, wenn Religiöse die Demokratie und das Volk meist erst bei einer drohenden Beschneidung ihrer Privilegien bzw.
Joachim Datko am Permanenter Link
Vorab: Es gibt keinen Gott, es gibt keine Götter -- Ist es nicht das gute Recht eine Volksinitiative zu starten?
Roland Fakler am Permanenter Link
Ich finde auch Heinzelmännchen, Kobolde und vor allem der Teufel sollten in unserer Verfassung beschworen werden. Man darf sich sonst nicht über hereinbrechende Katastrophen, Hungersnöte und Krankheiten wundern.
Wolfgang am Permanenter Link
Es ist doch pervers, wenn ein imaginärer Gott in einer Verfassung geschützt werden soll von Gläubigen, die sich ihren Glauben doch nur so zurecht biegen, wie er ihnen am besten in den eigenen Kram passt.
Geheiligt sei die Scheinheiligkeit, Amen.