Neue Wege gegen die Desinformation im Netz

Wie kann Impfkommunikation gelingen?

Corona und kein Ende: 11.561 Neuinfektionen meldeten die Gesundheitsämter am Mittwoch, die bundesweite 7-Tage-Inzidenz lag gestern bei 61,3. Um die vierte Welle doch noch zu brechen, müssten laut Robert Koch-Institut mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen und mehr als 90 Prozent der Menschen über 60 geimpft sein. Doch von diesen Quoten ist Deutschland noch weit entfernt. Aktuell verfügen nur 49.408.641 Menschen in Deutschland über eine vollständige Corona-Impfung (Stand: 25. August 2021). Das sind gerade einmal 59,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Was kann man also tun?

Manch einer kommt angesichts des schleppenden Impffortschritts auf verzweifelte Ideen. So schlug Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor, die Impfkampagne durch drastische Werbung zu forcieren, etwa indem zusammen mit der Impfeinladung Warnungen wie "Corona tötet!" verschickt werden.

Mit Aufbruchstimmung versucht es dagegen eine 25 Millionen Euro teure Kampagne der Bundesregierung, die unter dem Hashtag "ÄrmelHoch" durch Plakate, Spots und Print-Anzeigen in mehreren Sprachen die bisher Unentschlossenen für die Impfung gewinnen will. Wie das Bundesgesundheitsministerium dem hpd mitteilte, soll außerdem ein Video im Fernsehen und bei mehreren Streamingdiensten Lust machen, sich das Leben zurückzuholen. Bereits zuvor hatten Promis wie Günther Jauch und Uschi Glas für den Piks geworben.

Emotionale Bilder, bekannte Gesichter und eine vertraute Schlagermelodie: Fast sieht es aus, als hätten die Organisatoren alles richtig gemacht. Doch Fachleute wie die Analystin Hannah Winter vom Institute for Strategic Dialogue (ISD) bescheinigen der Aktion eine ernüchternde Erfolgsbilanz. Zwar hätten immerhin 57 Prozent die Kampagne im Monat zuvor in irgendeiner Form wahrgenommen – nur: Auf die Impfbereitschaft der Ungeimpften hätte sie "wohl keinerlei Effekt", so Winter im ZDF-Magazin "frontal" am 27. Juli.

Nicht zuletzt deshalb, weil das Misstrauen gegenüber der Impfung sich über ganz andere Medien verbreitet, wie Winter und ihr Team in ihrem ausführlichen Bericht zeigen. Als Desinformations-Schleudern haben sie die Sozialen Medien identifiziert. Sie beobachteten, wie Telegram-Kanäle mit Falschinformationen über Impfungen zwischen April 2020 und April 2021 einen Leserzuwachs von bis zu 471 Prozent verzeichneten, bei einigen Instagram-Kanälen waren es 189 Prozent und auf Facebook immerhin noch 21 Prozent.

Die Inhalte sind immer die gleichen: Von angeblichen Gesundheitsschäden und Todesfällen durch die Covid-Impfung ist da die Rede, Fachleute werden diskreditiert und Verschwörungsmythen verbreitet. All dies geschieht in einer familiären Atmosphäre, die bei Usern nachweislich das Vertrauen in das Gelesene erhöht. Hinzu kommt, dass eine solche Filterblase die Informationen jeglicher Pro-Impf-Kampagnen abschirmt, auch wenn sie in demselben Medium geschaltet werden.

Als Maßnahmen für eine gelungene Impfkommunikation empfiehlt die ISD-Studie unter anderem den Einbezug persönlicher Ansprechpartner, darunter Hausärzte und -ärztinnen sowie VertreterInnen anderer medizinischer Berufe und lokale Promis – Punkte, die auch das Gesundheitsministerium auf Anfrage ausdrücklich in seiner Kampagne betont. Individuelle Kommunikation anstelle virtueller Echokammern.

Wie sich auf diese Weise und in Kombination mit der guten alten Briefpost lokale Erfolge erzielen lassen, zeigt jetzt ein Versuch im hessischen Bad Nauheim, durchgeführt von einem Forscherteam der Zeppelin Universität (Friedrichshafen), der Universität Mannheim und der US-amerikanischen Georgetown University. Der Trick: Statt einer Drohkulisse à la Altmaier verwendeten sie in ihrem Brief eine persönliche Ansprache und erzeugten so ein Gefühl von stärkerer Identifikation und Verantwortung, auch "psychologische Eigentümerschaft" genannt.

Die Impfeinladung, die alle etwa 27.000 Impfberechtigten der Stadt im Mai im Briefkasten vorfanden, war unterschrieben vom Bürgermeister und den Chefs zweier großer Gesundheitseinrichtungen vor Ort. Doch bei der einen Hälfte der Briefe handelte es sich um ein allgemein formuliertes Schreiben, die andere war eine persönliche Einladung zu "Ihrer Impfung". Und siehe da: Unter den persönlich Angesprochenen war das Impfinteresse um 39 Prozent höher. Übertragen auf ganz Deutschland könnten auf diese Weise bis zu 2,8 Millionen zusätzliche Impfinteressierte gewonnen werden, hoffen die Autoren der Studie.

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