Kommentar zum Katholikentag 2022

Es reicht mit der staatlichen Kirchenkuschelei!

Am Katholikentag in Stuttgart nahmen nur 27.000 Menschen teil – ein drastischer Einbruch der Besucherzahlen. Dafür erreichte die Pro-Kopf-Förderung der Teilnehmer aus öffentlichen Geldern einen Rekord von 217 Euro. Mit insgesamt 4,35 Millionen Euro finanzierte der Steuerzahler das Kirchenfest. Kritikern der massiven öffentlichen Finanzierung des Events sowie der zähen Aufarbeitung des katholischen Missbrauchsskandals wurde ihre Kritik während des Katholikentags hingegen durch die Behörden massiv erschwert. 

Stellen Sie sich vor, der Verband der Schnitzelfreunde will in einer deutschen Großstadt ein Sommerfest veranstalten. Egal wie man zum Schnitzelessen steht, ob man es vielleicht nicht mehr für zeitgemäß hält, ob man fleischfreie Schnitzelalternativen bevorzugt oder sowieso eher zur Frikadelle tendiert – niemand würde den Schnitzelfreunden wohl ihr innerstädtisches Sommerfest ernsthaft untersagen wollen oder können. Merkwürdig wird es jedoch, wenn dieses Schnitzelfest, auf dem Schnitzelfreunde sich gegenseitig versichern, wie toll Schnitzelessen ist, während sie nebenbei zaghaft über Reformen beim Schnitzelessen diskutieren, mit über 4 Millionen Euro aus Steuergeldern gesponsert wird. Und zwar mit dem Argument, dass Schnitzelessen vielen Menschen wichtig sei, während auch andere Dinge vielen Menschen wichtig sind, ohne dass deren Feste mit horrenden Summen aus öffentlichen Töpfen finanziert würden. Noch merkwürdiger wird es, wenn Kritiker der öffentlichen Finanzierung des Schnitzelfestes während des Festes nicht sichtbar demonstrieren dürfen, sondern einen Versammlungsort fernab vom Festgeschehen zugewiesen bekommen. Und das noch dazu durch eine Behörde, die einen studierten Schnitzelmacher zum Chef hat, der gleichzeitig Schnitzelbeauftragter der Stadt ist. Keine Frage: Dieser Schnitzel-Skandal würde Medien und Justiz intensiv beschäftigen. Nicht jedoch, wenn es statt ums Schnitzel um die katholische Kirche geht.

Tatsächlich haben sich diese Schnitzel-Ereignisse jüngst genau so zugetragen auf dem Katholikentag in Stuttgart. Über 10 Millionen Euro hat das Kirchenfest gekostet, 4,35 Millionen Euro davon – und damit etwa 40 Prozent der Gesamtkosten – aus öffentlichen Geldern. Von den Veranstaltern wurde den öffentlichen Geldgebern die Finanzierung mit den üblichen Argumenten schmackhaft gemacht: Der vermeintlichen gesamtgesellschaftlichen Relevanz des Katholikentags und den klingenden Kassen für Gastronomie und Touristik durch den Zustrom von Katholikentagsbesuchern. Jedoch: Die Besucher strömten nicht. Nach rund 90.000 Teilnehmern des letzten Katholikentags 2018 in Münster nahmen magere 27.000 Menschen am Katholikentag in Stuttgart teil – rund 7.000 davon Mitwirkende mit Umsonst-Karten. Die öffentliche Hand hat demnach jede gekaufte Karte mit 217 Euro gefördert. 

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Screenshot der ZDF-Übertragung des Abschlussgottesdienstes am 29.05.2022 in Stuttgart. An den beiden Hauptevents des Katholikentags, dem Eröffnungs- und dem Abschlussgottesdienst, nahmen diesmal laut offizieller Angaben nur 9.000 bzw. 6.000 Besucher teil. 

Die Veranstalter schieben die maue Teilnahme vor allem auf die noch immer herrschende Corona-Vorsicht. Doch angesichts explodierender Kirchenaustrittszahlen und Aufständen der Gläubigen gegen die mangelhafte kirchliche Aufarbeitung des Missbrauchsskandals sowie versagte kirchliche Reformen liegt der Verdacht nahe, dass viele Katholiken von ihrer Kirche einfach die Schnauze voll haben. So voll, dass sie nicht mal mehr Lust haben, das Spiel von Gruppenbindung, religiöser Selbstvergewisserung und moderater, doch umgehend versickernder Kritik mitzuspielen, aus dem Kirchentage üblicherweise bestehen. So wurden die völlig überdimensionierten gigantischen Bühnen, die in der Stadt aufgebaut waren, mit den nur wenigen Besuchern davor letztlich auch zu einem Sinnbild für das Schwinden der gesellschaftlichen Verankerung der Kirchen in der Gesellschaft bei gleichzeitig aufgeblähtem Anspruch auf gesellschaftliche Mitsprache ihrer Funktionäre.

Nichtsdestotrotz marschierte auch diesmal wieder die Politprominenz bei dem Kirchenfest auf und überschlug sich – aktuelle Zahlen zur Relevanz der Religion in der Gesellschaft ignorierend – wieder einmal damit, den Kirchen das Händchen zu halten. "Unsere Gesellschaft braucht eine starke Kirche, die relevant ist", sagte Frank-Walter Steinmeier, der bereits in der Vergangenheit mit ähnlichen Aussagen auffiel. Was die Welt nicht brauche, so Steinmeier in Anlehnung an ein Synodenzitat, sei eine Verdoppelung ihrer "säkularen Glücksversprechen". Eine unfassbare Anbiederung des Bundespräsidenten der säkularen Bundesrepublik Deutschland an die Kirchen, die jedoch widerspiegelt, mit welchen Samthandschuhen Kirchen in diesem Land nach wie vor angefasst werden. Am skandalösesten ist hierbei momentan wohl das staatliche Versagen bei der Verfolgung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche, den die Staatsanwaltschaften lieber erst mal den Kirchen selbst überlassen.  

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Den Kritikern wurde ein Versammlungsort im innerstädtischen Nirgendwo abseits der Kirchentagsgeschehnisse und Laufwege zugewiesen. © Das 11. Gebot

Es gibt und gab also viel zu kritisieren rund um die katholische Kirche im Allgemeinen und den jüngsten Katholikentag im Besonderen. Allerdings waren Kritiker nicht gern gesehen auf diesem Katholikentag und bekamen dies auch deutlich zu spüren. Wie bei jedem Kirchentag der vergangenen Jahre wollten Kirchenkritiker der Giordano-Bruno-Stiftung auch diesmal mit der Aktion "Das 11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen" auf dem Katholikentag demonstrieren – ebenso wie Missbrauchsopfer, die mit dem "Hängemattenbischof" auf die schleppende Aufarbeitung des Missbrauchsskandals hinweisen wollten. Als Versammlungsort hatten sie den geräumigen und gut sichtbaren Platz vor dem Kunstmuseum beantragt. Dieser wurde ihnen jedoch versagt mit dem Hinweis auf Sicherheitsbedenken und die Notwendigkeit des Freihaltens von Rettungswegen. Stattdessen wurde ihnen ein Versammlungsort jenseits des Katholikentagsgeschehens und jenseits aller Laufwege zugewiesen, an der Seite des Landesmuseums Württemberg in der Nähe der Dixi-Klos.

Hieran sind einige Dinge äußerst bemerkenswert: Erstens ist der Chef der Behörde, die für das Ausstellen der Genehmigung zuständig war, nicht nur studierter katholischer Theologe, sondern zudem Religionsbeauftragter der Stadt Stuttgart. Zweitens war der beantragte, jedoch nicht genehmigte Versammlungsort genau jener, an dem die Aktionsgruppe mit ihrer überlebensgroßen Moses-Figur bereits 2015 während des wesentlich stärker frequentierten Evangelischen Kirchentags in Stuttgart ohne Probleme demonstriert hatte. Und drittens schien es die Ordnungsbehörden nicht im Geringsten zu stören, dass jener Platz, der angeblich dringend als Rettungsweg freizuhalten war, ständig von wechselnden außer-katholischen Attraktionen versperrt wurde. Neben Blumenständen pikanterweise auch von einem Promotion-Anhänger der Polizei zur Nachwuchsrekrutierung samt Kfz, wie Bilder des 11. Gebots bei Twitter zeigen. Natürlich riefen die Kritiker angesichts ihrer Platzierung im innerstädtischen Nirgendwo die zuständigen Gerichte an. Doch die folgten – wie schon in anderen Kirchentagsstädten – der vorgeschobenen Argumentation der Versammlungsbehörde, dass es Sicherheitsbedenken gäbe. Und diese seien im Eilverfahren nun einmal nicht zu klären.

Ob man angesichts dieser Umstände als Nicht-Religiöser das Gefühl haben kann, dass staatliche Stellen mit der Kirche zu sehr kuscheln? Oh ja, kann man. Und man kann auch verdammt wütend darüber sein. Es ist an der Zeit, die staatliche Kirchenkuschelei endlich zu beenden und die Kirchen wie jeden anderen gesellschaftlichen Akteur zu behandeln. Nicht schlechter, aber eben auch nicht besser als den Verband der Schnitzelfreunde.

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