Rezension

Vom Frausein jenseits der Fortpflanzung

Ja, es gibt sie: die Frauen die einfach keine Kinder wollen, und das ganz ohne Störung. In früheren Zeiten und in anderen Ländern der Welt hatten und haben diese Menschen oft keine Wahl, hierzulande ist es heute möglich, dieses selbstbestimmte Lebensmodell zu wählen. Doch die Gesellschaft tut sich noch immer schwer damit. Über die Gründe für ihre freiwillige Kinderlosigkeit und die Ursache und Formen der Stigmatisierung von Menschen, die sich gegen Nachkommen entscheiden, hat Nadine Pungs ein Buch geschrieben.

Frauen, die in einem gewissen Alter keine Kinder haben, kennen sie, diese übergriffigen Fragen, die einem gestellt werden, von Verwandten auf der Familienfeier oder flüchtig Bekannten, denen man nach Jahren mal wieder über den Weg läuft. Fragen, gern gefolgt von belehrenden, warnenden bis gehässigen Bemerkungen, die eigentlich zu persönlich, ja intim für Small Talk sind. Nadine Pungs hat sie im ersten Kapitel ihres Buches aufgelistet, unkommentiert, die ganze Palette, von "Du weißt nicht, was du verpasst", über "Willst du deine Familie nicht erhalten" bis "Wer soll denn unsere Rente bezahlen". Die Autorin will dem auf den Grund gehen, warum es gesellschaftlich akzeptiert zu sein scheint, solche Fragen zu stellen, weil gemeint wird, dass die Reproduktion kein privates, sondern ein öffentliches Anliegen sei. Kinderlosigkeit habe allerdings viele Ursachen, "die sowohl der Staat als auch die Bevölkerung nicht zu bewerten haben".

Die persönliche Entscheidung der Schriftstellerin, kinderfrei zu leben, bringt sie dem Leser mittels biographischer Elemente nahe, die zwischen die theoretischen Abschnitte eingeflochten sind; mitunter zwar etwas sprunghaft und manchmal unzusammenhängend, dafür mit wohltuend unerhörten Formulierungen (ein Kind "öffnet den Mund wie das Tor zur Unterwelt und fängt an zu kreischen"); die biographischen Exkurse veranschaulichen die Fragestellungen, denen Pungs kulturhistorisch, soziologisch wie naturwissenschaftlich auf den Grund geht.

Ein zentraler Aspekt ist – wie sollte es anders sein – das Patriarchat. Woher kommt diese Unterdrückung der größten "Minderheit" der Welt, deren Sexualität Väter und Ehemänner unter Kontrolle halten wollen? Woher die Angst der Männer vor eigenständigen Frauen? Wann und warum wurde die Frau zur Gebärmaschine, zum Ackerland? Religionen haben dazu einen beträchtlichen Teil beigetragen. Auch der Mutterinstinkt sei "eine Räuberpistole des Patriarchats, um den öffentlichen Raum weiberfrei zu halten". Gleichzeitig sei der Frau "die Verantwortung für das Gemeinwesen an den Busen gehängt" worden. "Und der Schritt von Verantwortung zur Schuld ist kein großer."

Die Zweitrangigkeit der Frau kommt jedoch nicht nur auf der brutal unterdrückenden Ebene daher, sondern auch in Form anderer Bewertungsmaßstäbe, darin, dass Frauen nicht ernst genommen werden und insgesamt die Ausnahme von der Regel darstellen, die der Mann verkörpert. Das Buch regt zum Nachdenken und Reflektieren darüber an, und plötzlich fällt es einem auf, wenn in den Nachrichten über den "Frauenfußball" berichtet wird. Doch Frauen machen mit, indem sie die ihnen auferlegten Stereotype perpetuieren. Auch beim "Mutterschaftsfundamentalismus" ist das so.

Einen angeborenen Kinderwunsch gibt es nicht

Dass Beruf und Nachwuchs nach wie vor schwer zu vereinbaren sind, ist nichts Neues. In der Geschichte wie heute haben erfolgreiche Frauen häufig keine Kinder – und mussten beziehungsweise müssen sich dazu einiges anhören. Kommen sie jedoch dem gesellschaftlichen Paradigma nach, bleibt es dann häufig auch bei der Mutterrolle. Und so ist das Genie männlich, während die Mütter in öffentliche Vergessenheit geraten und einfach nicht mehr vorkommen in Kunst und Kultur. Die Autorin arbeitet diese Widersprüche fundiert und mit immer neuen Ansatzpunkten heraus. Sie stellt dem Leser das titelgebende Nichtmuttersein als bewusst so entschiedenen Lebensweg vor, nicht als die verbitternde Sackgasse, als die es sonst fast ausschließlich präsentiert wird. Ein Gegenentwurf zum Mutterglück, das nicht immer ein solches ist und worüber man mittlerweile auch sprechen kann – unter Shitstormgefahr versteht sich. "'Die Natur' [hat] Frauen nicht dazu bestimmt, Mütter zu werden. Sie hat ihnen lediglich die Möglichkeit bereitgestellt", resümiert Nadine Pungs. "Es gibt keinen angeborenen Kinderwunsch."

Buchcover
Buchcover

Immer wieder werden Nachkommenlose als unsolidarische Egoisten bezeichnet. Die Schriftstellerin kontert: "Tatsächlich sind Nachwuchslose weder Sozialschmarotzer noch Solidaritätsverweigerer (…); eine Majorität der Kinderlosen arbeitet schließlich seit Jahren ohne Pause in Vollzeit (…). Kindergärten, Spielplätze, Schulen und Universitäten werden eben auch von Menschen ohne Kinder finanziert." Ein arbeitendes kinderloses Ehepaar zahle doppelt so viel in die öffentlichen Kassen ein wie eine vierköpfige Familie. Und wer jetzt einwenden möchte, dass Kinder ja auch spätere Beitragszahler sind, für den hat sie auch die treffende Antwort parat: "Ob die Nachkommenschaft später Arbeit findet, um die Rentenkasse zu füllen, weiß ja niemand. Nicht jedes Kind gedeiht zum Beitragszahler. Mancher Knirps wird Beamter. Oder gar Abgeordneter."

Woher kommt diese Stigmatisierung der Kinderlosigkeit? Auch hier haben wieder einmal sogenannte heilige Bücher eine unrühmliche Rolle gespielt. Der Talmud bezeichnet Menschen ohne Nachwuchs als "tot bei lebendigem Leibe". In der Bibel wird der Namensvater des Onanierens für sein absichtliches Nichtbefruchten mit dem Tod bestraft. Noch heute sorgen bronzezeitliche Strategien zur Herdenvergrößerung für die empfundene Berechtigung zu gesellschaftlicher und politischer Diskriminierung. Doch es gibt auch Widerstand: "Childfree"-Bewegungen, in denen sich Menschen zusammenfinden, die keine eigenen Kinder haben möchten, bis hin zur Philosophie des "Antinatalismus", der ein Aussterben der Menschheit durch Nicht-Weiter-Vermehrung propagiert – um die Erde zu schützen. Pungs selbst plädiert dafür, dass sich jeder vor der Familiengründung überlegen sollte, ob er oder sie aus sich selbst heraus (!) wirklich Kinder will und stellt gleichzeitig klar, dass ein Leben ohne Nachkommen nie zur Forderung erhoben werden darf. Woran es mangele, seien Vorbilder für die positive Kinderlosigkeit.

Es gibt noch viel zu tun für den Feminismus

Nadine Pungs betrachtet in 59 sehr unterschiedlich – zwischen zwei Zeilen und 13 Seiten – langen Kapiteln auch weitere Aspekte, die untrennbar mit dem Thema Fortpflanzung verbunden sind: die Themen Verhütung und Sterilisation etwa – letztere wird Frauen in der gebärfähigen Phase üblicherweise verwehrt, wenn sie sie wünschen –, die oft verklärten unschönen Seiten von Schwangerschaft, Geburt und Elternsein, vor denen die Schriftstellerin sich fürchtet, oder auch den mitunter schwierigen Weg, einen vorhandenen Kinderwunsch zu erfüllen; auch beim Schwangerschaftsabbruch bezieht die Autorin klar Stellung ("eine Schwangerschaft zu erzwingen ist (…) die größtmögliche Verletzung der körperlichen Selbstbestimmung"). Thematisiert wird außerdem die Entfremdung zwischen Kinderhabenden und Kinderlosen. Auch hierbei begleitet das Buch Pungs und Personen aus ihrem persönlichen Umfeld. Laut einer Studie reagierten Eltern auf gewollt Kinderlose häufig kühl, weil erstere sich in ihrem Lebensmodell nicht bestätigt fühlten.

Nadine Pungs scheut sich nicht, intime eigene Erfahrungen offenzulegen, wie etwa die eigene ungewollte Schwangerschaft, die sie als Annektierung ihres Körpers empfand; ihren Abtreibungstermin erwartete sie "wie eine Gefangene, die auf ihre Freilassung hofft". Wie die allermeisten, die sich dafür entschieden haben, bereut sie den Abbruch entgegen der gesellschaftlichen Erwartung nicht: "Jedes Mal, wenn ich eine Frau einen Kinderwagen schieben sehe, überfällt mich ein Gefühl der Dankbarkeit, dass nicht ich diese Frau bin." Doch äußert sie an anderer Stelle auch Zweifel ob ihrer Entscheidung für ein Leben ohne Fortpflanzung, die sie trotz allem hat: Detailliert und liebevoll beschreibt sie, wie sie sich das Muttersein vorstellt und beweist damit, dass sie dem durchaus Raum gegeben hat, ihre Haltung also weder dogmatisch noch unbesonnen ist. Und sie empfindet Respekt und Hochachtung für die Leistung von Müttern, wie sie auch schreibt. "Mutterschaft ist eine Transformation des Ichs, ein neuer Raum, ein gestalterischer Prozess, den ich nie erleben werde."

"Ich erachte es als falsch, Lebensmodelle gegeneinander auszuspielen, die gleichrangig nebeneinanderstehen sollten." In Zeiten von Diversität und allerorten geforderter Solidarität eigentlich etwas, das jeder unterschreiben können sollte. Für kinderlose Frauen gilt dies nicht. Dass es im Jahr 2022 noch immer Mut dazu braucht, sich gegen den gesellschaftlichen Strom zu stellen, wenn frau sich bewusst und ohne medizinische Indikation gegen Kinder entscheidet, und man darüber auch heute noch ein Buch schreiben kann, zeigt, dass die Emanzipation keineswegs abgeschlossen ist – auch in diesem Bereich nicht –, und dass es noch viel zu tun gibt für den Feminismus. Denn: "Die Freiheit der Frau ist ein Seismograf für die Freiheit der Gesellschaft."

Nadine Pungs: Nichtmuttersein – Von der Entscheidung, ohne Kinder zu leben, München 2022, Piper Verlag, 240 Seiten, 18 Euro

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