Diese Aussage stammt nicht etwa aus einer internen Anweisung der türkischen Religionsbehörde Diyanet (DITIB ist der deutsche Ableger) oder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen) – das Bundesverfassungsgericht hat 1987 die Rechtslage des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen in Deutschland klargestellt.
Wenn es um den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen geht, ist keine demokratische Partei, die im Bundestag vertreten ist, darum verlegen, zu beteuern, dass der Unterricht der Persönlichkeitsentwicklung und Selbstreflexion dient und selbstverständlich weltanschaulich neutral gestaltet sei. So zitiert die EKD einige Politiker zum Thema "Religion an öffentlichen Schulen":
"Ich halte den Beitrag der Religion für politisches Handeln in modernen Gesellschaften für völlig unverzichtbar." (Norbert Lammert, CDU)
"Wenn von der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates die Rede ist, dann darf der Staat nicht selber parteiisch sein, sondern er muss den Schülern und Familien die freie Wahl zwischen gleichberechtigten Angeboten der unterschiedlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften einräumen." (Wolfgang Thierse, SPD)
"Dass der Religionsunterricht in der DDR nicht angeboten wurde, betrachte ich als einen Fehler." (Lothar Bisky, Die Linke)
Wir werden für dumm verkauft!
Hier das Zitat aus einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG, Beschluss vom 25.02.1987, 1 BvR 47/84):
"Es ist keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln ist seine Aufgabe […]. Dafür, wie dies zu geschehen hat, sind grundsätzlich die Vorstellungen der Kirchen über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung maßgeblich. Ändert sich deren Verständnis vom Religionsunterricht, muß der religiös neutrale Staat dies hinnehmen." (Hervorhebung durch die Redaktion)
In dem Verfahren ging es um die Beschwerde der Eltern zweier Töchter, die Mitglieder der katholischen Kirche waren, jedoch am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen wollten. Dieses wurde ihnen nach Meinung des Gerichtes zu Recht versagt. (Der vollständige Beschlusstext findet sich hier)
Nun ist dies alles nicht überraschend, wenn man die Verankerung des Religionsunterrichts im deutschen Rechtssystem etwas genauer betrachtet. Der Missionsbefehl zieht sich dabei vom Grundgesetz über die Schulgesetze bis in die Lehrpläne, Schulbücher und Lehrerausbildungen durch. Durch den Beschluss des BVerfG erhielt dieser auch noch die Segnung der dritten Säule der Gewaltenteilung.
In Deutschland gibt es keine bekenntnisfreien Schulen
Wie eng sich das Gericht an den Interessen der christlichen Kirchenkonzerne (deren Stellungnahmen sind im Beschluss aufgeführt) anlehnt, wird auch daran deutlich, dass der Pflichtcharakter des Unterrichts mehrfach herausgestellt wird. Zwar wird die Abmeldemöglichkeit erwähnt, jedoch "vergisst" das Gericht die Regelung in Artikel 7 Absatz 3 Satz 1 GG, wonach der Unterricht in bekenntnisfreien Schulen nicht erteilt werden muss. Dass es diese Schulform in Deutschland gar nicht gibt, ist unter anderem der Ignoranz in Politik und Rechtsprechung gegenüber konfessionsfreien Menschen zu verdanken.
Liest man den Beschlusstext, so erinnert dieser zum Teil an die dunkelsten Zeiten des Bundesverfassungsgerichtes, als zum Beispiel die Strafbarkeit homosexueller Handlungen zwischen Männern trotz der Ungleichbehandlung gegenüber lesbischen sexuellen Kontakten für mit dem Grundgesetz vereinbar befunden wurde (Urteil vom 10.5.1957, Az. 1 BvR 550/52).
Ein üblerer Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralität – wenn man von der Realität in islamischen Gottesstaaten absieht – als die Missachtung des Rechts von Kindern auf rationale und evidenzbasierte Bildung zugunsten von irrationalen und mit den Werten der Offenen Gesellschaft inkompatiblen Glaubensvorstellungen ist kaum vorstellbar.
Auf diesem gut bestellten Feld machen sich nunmehr auch islamische Verbände breit, die mit Demokratie und Rechtsstaat noch viel weniger etwas am Hut haben als die Vertreter des Christentums. Das Institut für Weltanschauungsrecht stellt dazu ernüchternd fest: "Eine weitere Grundsatzentscheidung zum RU (Religionsunterricht, d. Red.) ist derzeit nicht zu erwarten."
Hier noch ein paar Kostproben aus dem Beschluss:
"Seine Ausrichtung an den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession ist der unveränderliche Rahmen, den die Verfassung vorgibt. Innerhalb dieses Rahmens können die Religionsgemeinschaften ihre pädagogischen Vorstellungen über Inhalt und Ziel des Religionsunterrichts entwickeln, …"
"Die geordnete Teilnahme von Schülern einer anderen Konfession am Religionsunterricht ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich, solange der Unterricht dadurch nicht seine besondere Prägung als konfessionell gebundene Veranstaltung verliert. Die Entscheidung über die Zulassung solcher Schüler steht jedoch den Religionsgemeinschaften zu."
"Dem religiös-weltanschaulich neutralen Staat steht keine Entscheidung darüber zu, ob diese Grundsätze 'angemessen' sind."
Aktuell wird in Deutschland aufgrund der Energiekrise über Sparmaßnahmen in Milliardenhöhe nachgedacht. Ein Ansatz wäre die sofortige Abschaffung des konfessionsgebundenen Religionsunterrichtes und die Beendigung der Ausbildung von Theologen an Hochschulen mit staatlicher Finanzierung.
11 Kommentare
Kommentare
Anne N. Nerede am Permanenter Link
Ich glaub' es nicht. Ich fall' vom Unglauben ab.
Roland Weber am Permanenter Link
Eine sehr lange Vorrede mit einem überraschenden Schlusssatz!
Allerdings erschließt sich seine Logik nicht ohne weiteres. Wenn man schon Religion überhaupt mit Energiesparen in Zusammenhang bringt, dann doch wohl eher, dass die Kirchen einen Heizzuschuss für ihre Kirchen erhalten. Diese sind ja durchweg energieeffizient gebaut.
Aber was soll denn das sein: „gemeinsamer Religionsunterricht“? Entweder geht man das Thema geschichtlich an – was in heutiger Zeit aber als wenig bildungsfördernd anzusehen wäre - oder man bemüht sich um die angeblichen positiven Inhalte der Religionen und wendet sich konsequent und ausschließlich Ethik oder Philosophie zu.
Wie der Autor richtig erkennt, ist Religion bekanntlich keine wissenschaftlich untermauerte, sondern eine aufgrund traditioneller Vorstellungen erworbenen Sichtweise und Lebenseinstellung. Und diese Sichtweisen sind schon zwischen evangelischen Christen und Katholiken ziemlich unterschiedlich. Vorrang des Papstes, Heilige und Reliquien dürften Themen sein, die sofort einen Unterschied deutlich machen und deshalb nicht gemeinsam vermittelt werden können. Wenn nur gar Religion auch aufgrund der Lehren eines Mohammed dazukommt, dürfte es endgültig mit Gemeinsamkeiten vorbei sein. Zudem ist es ja nicht so, dass da eine Seite die andere ruhig ihre Glaubensüberzeugung vortragen oder gar als wesentlich erklären dürfte, sondern ein eigener Glaube verpflichtet quasi sofort zum Widerspruch und (Ab-)Streiten.
Man kann es drehen, wie man will, entweder vermittelt man Ethik unter den angeblich gemeinsamen humanen Aspekten der jeweiligen Religionen und lässt sämtlich Unterschiede außen vor – oder man entschließt sich endlich, Religionsunterricht aus den Schulen zu verlagern. Das wäre zweifellos für den Staat und die örtliche Kommune die günstigste Lösungen. Aber wenn derartige Gedanken überhaupt in intellektueller Reichweite der verantwortlichen Politiker lägen, gäbe es im Bereich zwischen Staat und Kirche längst andere Verhältnisse.
Ein Blick in der – immerhin überwundene – Vergangenheit ist zwar nett, aber zu mehr als zum Träumen lädt sie wohl kaum ein. Vor allem: Auf uns und zwangsläufig auch auf untere Politker kommen demnächst ganz andere Probleme zu, als dass man hier einen „Neustart“ erwarten könnte.
So unterschiedlich die Religionen auch sein mögen, die obrigkeitshörige Grundhaltung, die alle Religionen vermitteln, gefällt offensichtlich den allermeisten Politikern.
wolfgang am Permanenter Link
Und weil fast alle Politiker ihr "So wahr mir Gott helfe" herunterleiern, wähle ich keinen einzigen. Denn ich behaupte auch, kaum ein Politiker kennt seine Bibel von vorne bis hinten.
Die Hälfte der Bevölkerung glaubt nicht mehr an den Weihnachtsmann aber trotzdem wird weiter staatlich verordnet, sie haben zu glauben. Wenn die hohen Herren gegen die Kopftücher Front machen, sollten sie erst einmal in ihrer eigenen Kirche kehren.
Roland Fakler am Permanenter Link
Wenn in einem Gebäude in drei verschiedenen Räumen drei verschiedene Wahrheiten gelehrt werden, kann das nur ein Irrenhaus, aber keine Schule sein.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Ein schöner Beitrag, der daran erinnert, dass in früheren Jahren die Bundesrepublik eindeutig ein Kirchenstaat war, was Deutschland im Grunde genommen immer noch ist.
Ist diese fehlende religiös-weltanschauliche Neutralität unseres Staates nun als Verstoß gegen den Geist der Verfassung zu werten (GG Art. 140: Es gibt keine Staatskirche) oder als notwendiger Kompromiss in einer pluralistischen Gesellschaft im Sinne einer angeblich »legitimen Interessenverschränkung« anzusehen, wie es so schön heißt? Können und wollen die höchsten darüber zu befindenden Richter unbefangen und neutral sein, wenn sie in der übergroßen Mehrheit parteiorientiert und überzeugte Christen sind und deshalb ja auch so von Bundestag und den Ländern, in denen (die Kirchenparteien) CDU/CSU und SPD in dieser Frage tonangebend sind, ausgewählt wurden?
Wie religiös neutral konnte damals ein Bundesverfassungsgericht sein, das sich über Jahre regelmäßig mit Kirchenvertretern im Arbeitskreis »Foyer Kirche und Recht« unter Ausschluss der Öffentlichkeit traf? In einem offenen Brief der Giordano-Bruno-Stiftung vom 20.01.2011 an die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts sah man die richterliche Unabhängigkeit gefährdet, weil über den erwähnten Arbeitskreis regelmäßig Arbeitsgespräche z. B. zwischen Bundesverfassungsgericht und den beiden Kirchen stattfanden. Und was ist davon zu halten, dass acht Bundesverfassungsrichter im Laufe der Jahre mit höchsten päpstlichen Orden für Verdienste um die katholische Kirche dekoriert wurden? Die Dekorierten gehören fast alle dem Zweiten Senat an, der für Kirchenfragen zuständig ist.
Geradezu symbolhaft für die Nähe des Bundesverfassungsgerichts zur Kirche war anlässlich des Papstbesuchs in Deutschland im September 2011 der Empfang(!) der 16 Richter durch den Papst im Freiburger Priesterseminar. Sie verbeugten sich vor dem Repräsentanten einer autokratischen Institution, die im Laufe ihrer 2000-jährigen Geschichte Millionen von Menschen durch Folterbänke und Scheiterhaufen ihre »Wahrheit« aufgezwungen hatte.
Die vergleichsweise liberale Einstellung unter dem damaligen Vorsitzenden Voßkuhle dürfte unter dem jetzigen Vorsitzenden, von Frau Merkel seinerzeit geschickt ins Amt gehievt, keine Fortsetzung finden.
SG aus E am Permanenter Link
hpd: "Wir werden für dumm verkauft!" – Werden wir nicht. Die zitierten Personen haben nur eine andere Meinung als der Autor. Der konfessionelle Religionsunterricht hat seine Freunde und seine Feinde.
hpd: "die Missachtung des Rechts von Kindern auf rationale und evidenzbasierte Bildung zugunsten von irrationalen und mit den Werten der Offenen Gesellschaft inkompatiblen Glaubensvorstellungen"
Ich denke auch, Viele haben falsche Vorstellungen vom geforderten gemeinsamen Ethikunterricht. Dass Religion im Allgemeinen und der Islam im Besonderen mit den Werten der Offenen Gesellschaft nicht vereinbar sei, ist eine Aussage, die m.E. im weltanschaulich-religös neutralen Staat so nicht gelehrt werden dürfte. Gemäß Beutelsbacher Konsens sind kontroverse Themen auch kontrovers darzustellen. Im Ethikunterricht wäre also zu diskutieren, ob obige Aussage zutrifft oder nicht, wer so etwas warum so sagt und was damit bezweckt werden soll.
David Z am Permanenter Link
"Dass Religion im Allgemeinen und der Islam im Besonderen mit den Werten der Offenen Gesellschaft nicht vereinbar sei, ist eine Aussage, die m.E.
Warum nicht? Darf man "Mein Kampf" bzw den Nationalsozialismus oder Faschismus auch nicht als unvereinbar mit der Offenen Gesellschaft bezeichnen?
G. Hantke am Permanenter Link
Juristen und Politiker liefern nach Bedarf so ziemlich jedes gewünschte Ergebnis. Und das ist wohl auch so gewollt, denn sonst man könnte ja gegensteuern.
Andererseits haben wohl gerade die obersten Gerichte – im Gegensatz zu vielen Politikern- eine positive Entwicklung im Sinne von Rechtsstaatlichkeit durchlaufen und Entgleisungen der Gesetzgebung nur allzu oft schon einen (nachträglichen) Riegel vorgeschoben
A.S. am Permanenter Link
Das BVerfG-Urteil von 1987 muss man wohl im Kontext der von Kanzler Kohl verordneten "geistig-moralischen Wende" sehen. Volle Kraft zurück zur Kirchenhörigkeit hieß es damals.
Im Rückblick beruhigend ist, dass es wohl nichts genutzt hat. Immer mehr Menschen verlassen die Kirchen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Tja, lieber Ingo; so war das hienieden in der K(irchen)RD - und so ist es leider fast immer noch. Die Abschaffung des RU ist jedoch wegen seines recht hohen Verfassungsrangs unwahrscheinlich.
Natürlich unausgesprochen, versteht sich.
wolfgang am Permanenter Link
Wir leben alle unter dem gleichen Himmel aber nicht alle haben den gleichen Horizont.
Konrad Adenauer
Und wenn die Angst nicht wär, gäb's keine Kirche mehr.
Woflgang Schäfer