Gestern hat die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) eine Neufassung des kirchlichen Arbeitsrechts beschlossen. Es bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Regierung ihr Ziel der Angleichung des kirchlichen Arbeitsrechts an das "weltliche" Arbeitsrecht trotzdem weiter verfolgen wird. Denn es sollte der Staat sein, der die Hoheit über die Ausgestaltung des Arbeitsrechts hat, und nicht die Kirche. Ein Kommentar von hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.
Die christlichen Kirchen und ihre Sozialkonzerne sind mit rund 1,8 Millionen Beschäftigten in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem Staat. Und ihnen wird staatlicherseits die Ausgestaltung umfangreicher arbeitsrechtlicher Sonderregelungen zugestanden wie zum Beispiel das Streikverbot für Mitarbeiter oder deren Kündbarkeit aufgrund von Verstößen gegen christliche Moralvorstellungen im Privatleben.
Besonders die katholische Kirche war aufgrund ihrer besonders antiquierten Moralvorstellungen immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Wer der beliebten Leiterin eines Kindergartens kündigt, weil sie in einer lesbischen Beziehung lebt, oder einem Chefarzt, der nach einer Scheidung wieder heiratet, ruft im 21. Jahrhundert bei einem Großteil der Gesellschaft einfach nur empörtes Kopfschütteln hervor.
Seine Wurzeln hat das kirchliche Arbeitsrecht in Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung von 1919, der für Religionsgesellschaften ein eigenes Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" vorsah. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieser Artikel ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen (Art. 140 GG) und durch kirchenfreundliche Politik und ebensolche höchstrichterliche Rechtsprechung zu einem "Selbstbestimmungsrecht" der Kirchen ausgebaut, für das eben nicht mehr die "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" galten. Jedem anderen Arbeitgeber würde die diskriminierende Kündigung eines Mitarbeiters aufgrund seiner sexuellen Orientierung vom Arbeitsgericht um die Ohren gehauen werden, nicht jedoch der katholischen Kirche.
Gestern nun hat die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) "mit der erforderlichen Mehrheit eine Neufassung des Kirchlichen Arbeitsrechts in Form der 'Grundordnung des kirchlichen Dienstes' als Empfehlung für die deutschen (Erz-)Bistümer beschlossen". Die wichtige Botschaft der neuen Grundordnung laut Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz: "Der Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegt keinen rechtlichen Bewertungen und entzieht sich dem Zugriff des Dienstgebers. Diese rechtlich unantastbare Zone erfasst insbesondere das Beziehungsleben und die Intimsphäre".
Das bedeutet konkret, dass nun alle Mitarbeiter "unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrem Alter, ihrer Behinderung, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform Repräsentantinnen und Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche sein, solange sie eine positive Grundhaltung und Offenheit gegenüber der Botschaft des Evangeliums mitbringen, den christlichen Charakter der Einrichtung achten und dazu beitragen, ihn im eigenen Aufgabenfeld zur Geltung zu bringen".
Zwei Ausnahmen gibt es allerdings. Zum einen gelten besondere kirchliche Anforderungen weiterhin für Ordensleute und Kleriker. Zum anderen bleiben der Austritt aus der katholischen Kirche sowie "eine kirchenfeindliche Betätigung" ein Einstellungshindernis oder Kündigungsgrund, während die Religionszugehörigkeit selbst nur noch dann ein Kriterium bei der Einstellung sein soll, wenn sie für die jeweilige Position erforderlich ist.
So erfreulich diese katholische Kehrtwende in Bezug auf das kirchliche Arbeitsrecht ist, so sehr stellt sich die Frage, warum es nach vielen Jahren massiver Kritik an dem kirchlichen Sonderrecht ausgerechnet jetzt zu dieser erstaunlichen Kehrtwende kommt. Haben die beschlussfassenden kirchlichen Würdenträger eingesehen, dass die rigide Durchsetzung ihrer antiquierten Moralvorstellungen dem bereits angeschlagenen Image der katholischen Kirche weiteren Schaden zufügt? Oder könnte es etwas damit zu tun haben, dass mehr und mehr klar wurde, dass das kirchliche Arbeitsrecht ohnehin keine Zukunft mehr hat?
So ist im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung vereinbart, dass das kirchliche Arbeitsrecht auf den Prüfstand gestellt und dem übrigen Arbeitsrecht angeglichen werden soll. Auch der Europäische Gerichtshof hat Kündigungen aufgrund der Moral-Klauseln des katholischen Arbeitsrechts in den vergangenen Jahren mehrfach als nicht rechtens beurteilt. Und zu guter Letzt haben Mitte des Monats kirchliche Mitarbeitervertreter aus ganz Deutschland eine Resolution verabschiedet, in der die Bundesregierung dazu aufgefordert wird, die Privilegien der Kirchen beim Arbeitsrecht zu beseitigen.
Es zeigt sich erneut, dass Kirchen (und andere Relgionsgesellschaften) einmal gewonnene Macht nie freiwillig abgeben, sondern nur unter Druck. Auch die bereits in den Vorjahren erfolgten halbherzigen Anpassungen des kirchlichen Arbeitsrechts in der katholischen Kirche geschahen mehr oder weniger durch den Zwang der Realität. Denn gutes Personal für Sozialeinrichtungen ist Mangelware geworden – da drückte man dann auch gern mal ein Auge zu und verkniff sich das Durchsetzen der eigenen Moralvorstellungen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung ihr Ziel der Angleichung des kirchlichen Arbeitsrechts an das "weltliche" Arbeitsrecht auch nach dem gestrigen Beschluss der katholischen Kirchenfunktionäre weiter verfolgen wird. Denn die Schieflage besteht weiterhin. Es kann und darf nicht Sache der Kirchen sein, ihr Arbeitsrecht in einem Akt der freiwilligen Selbstverpflichtung und im ihr selbst genehmen Maße zu reformieren – oder diese Reformen wieder zurückzunehmen, wenn es ihr beliebt. Es ist Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass auch Mitarbeiter der Kirchen endlich den Schutz eines Arbeitsrechts genießen können, das sich "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" bewegt.
7 Kommentare
Kommentare
Klaus Bernd am Permanenter Link
Für die Rhein-Main-Donau-Achse der fundamentalistischen Bischöfe Deutschlands bleibt genügend Spielraum, um die Angst vor Kündigung am Leben zu erhalten.
Bemerkenswert, das Eingeständnis von Erzbischof Heiner Koch und Generalvikar Manfred Kollig, dass man es mit einer „Kirche MIT Angst“ zu tun hat, und nur einen (kleinen) Beitrag auf dem Weg zu einer „Kirche OHNE Angst“ tun will.
Die „Angleichung“ von kirchlichem und weltlichem Arbeitsrecht ist nur zu erreichen, wenn das kirchliche Arbeitsrecht ersatzlos gestrichen wird.
Walter Otte am Permanenter Link
Nun, die Frage, warum die Änderungen im römisch-katholischen Kirchlichen Arbeitsrecht gerade jetzt kommen, ist mehr als berechtigt.
Nicht übersehen werden sollte, dass mit der Neugestaltung "Grundordnung" auch politischer Druck aus dem Kessel genommen wird. Die im Artikel erwähnte Koalitionsvereinbarung - auf Drängen der SPD zu einem Prüfauftrag herabgestuft - wird jetzt - so werden wir es bald von Hubertus Heil und Co. hören, nicht mehr nötig sein, ist doch alles jetzt innerkirchlich geregelt. Dass diese unvollständigen Regelungen nicht den Vorstellungen der Mitarbeitervertretungen, der Gewerkschaften und auf der politischen Ebene von Bündnis 90 / Die Grünen zur grundlegenden Reform des Kirchlichen Arbeitsrechts entsprechen, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber werden diese Kräfte stark genug sein, eine vom Gesetzgeber geregelte Reform durchzusetzen. Noch sind nicht alle Messen gesungen, so dass noch Hoffnung besteht. Klar ist: im Schlafwagen kommt man nicht zu einer Reform des Kirchlichen Arbeitsrecht. Da sind enorme Anstrengungen erforderlich - jetzt erst recht. Oder bleibt nur der Weg über die Rechtsprechung?
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Da sich aber die Kirchen eigenmächtig über den Staat gestellt haben und als letzte Instanz
verstehen, wird die Demokratie es schwer haben sich durchzusetzen, zumindest solange
Dieses anmaßende Geschwür ist ein weltweites Problem, da überall dort, wo Glaubensunterwerfung gefordert wird keine vernünftige Politik zum Wohle der Bevölkerung
gemacht werden kann und ein Großteil des Bruttosozialproduktes an die Erfinder des Glaubens fließt, obwohl diese unproduktiv sind.
Johannes Moser am Permanenter Link
Toll, dass die Arbeitgeber der Caritas homosexuelle Pflegekräfte nicht mehr entlassen dürfen.
Johannes Moser
wolfgang am Permanenter Link
Sie warten doch schon seit 2000 Jahren auf die Widerkunft. Glauben Sie wirklich, das es mit dem Arbeitsrecht schneller geht????
Carsten Ramsel am Permanenter Link
<em>Der heutige Beschluss der Vollversammlung des VDD hat empfehlenden Charakter; um Rechtswirksamkeit zu entfalten, muss er in den einzelnen (Erz-)Bistümern in diözesanes Recht umgesetzt werden.</em> (<
Es ist also nichts mehr als eine Absichtserklärung.
Ulla Bonnekoh am Permanenter Link
Interessante Entwicklung, der Verzicht auf Diskriminierung wegen der privaten Lebensgestaltung, des Beziehungslebens und des Intimbereiches. Das ist sicherlich zu begrüßen.