Bereits im Vorjahr hat die Zentralstelle Patientenverfügung des Humanistischen Verbandes Deutschlands die damals schon parlamentarisch verabschiedete automatische medizinische Notfallvertretung durch Ehegatt*innen vorgestellt.
Nach bisher geltendem Recht konnten Eheleute keinerlei Entscheidungen für ihre Partner*innen, wenn diese akut nicht mehr dazu in der Lage waren, über medizinische Vorgehensweisen treffen. Vielmehr mussten sie sich bisher, sofern keine Gesundheitsvollmacht vorlag, in zeitlich und finanziell aufwändigen Verfahren explizit als rechtliche Betreuer*innen bestellen lassen. Problematisch war, dass statistisch gesehen die meisten Menschen intuitiv aber fälschlich davon ausgingen, dass Ehepartner*innen oder gar die nächsten Verwandten im Notfall automatisch zuständig sein dürfen.
Bestehende Vorsorgedokumente bleiben gültig und sinnvoll
Die weitere Geltung von Patientenverfügungen oder Vorsorge-Vollmachten aller Art ist vom neuen Gesetz nicht betroffen. Wurde bereits oder wird in Zukunft eine rechtswirksame Vollmacht erteilt, die den Bereich der Gesundheitssorge einschließt, bleibt deren Wirkung erhalten – das automatische Vertretungsrecht im Notfall mit seinen Einschränkungen (etwa die zeitliche Begrenzung oder ärztliche Bescheinigung) kommt dann nicht zum Tragen.
Das neue Ehegattennotvertretungsrecht ist nachrangig hinsichtlich einer eventuell bereits bestehenden Betreuung und tangiert selbstverständlich nicht die Wirksamkeit einer Patientenverfügung, die auch bei automatischer Notfallvertretung bindend ist. Letztere greift überhaupt nur, wenn der oder die betroffene Partner*in aufgrund von Einwilligungsunfähigkeit (etwa durch Herzinfarkt, Schlaganfall oder unfallbedingtes Koma) akut nicht über die eigene Gesundheitssorge bestimmen kann. Die neue Notfallregelung bezieht sich dann im Wesentlichen auf die notwendige Einwilligung in ärztliche Eingriffe und den Abschluss von entsprechenden Behandlungsverträgen.
Das neue Gesetz ist ein guter Schritt in Richtung der Bedürfnisse von (allerdings nur) in einer ehelichen Gemeinschaft zusammenlebenden Menschen, wenn ein medizinischer Notfall eingetreten ist. Wichtige Bereiche der Gesundheitsversorgung, die außerhalb der Akutsituation liegen, bezieht dieses Gesetz nicht ein, erst recht nicht die individuellen Wünsche der Patient*innen. Es bleibt also bei der Empfehlung, rechtzeitig eine für alle Fälle wirksame Patientenverfügung – optimal wären individuelle Detailregelungen – samt Vollmacht für bevorzugte Vertrauenspersonen abfassen zu lassen.
Warum verspätet und mit Umbenennung der Paragrafen auch zur Patientenverfügung
Die Neuregelung ist erst zum 1. Januar 2023 – ein gutes Jahr nach seiner parlamentarischen Verabschiedung – durch Hinzufügung des Paragrafen 1358 ins Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft getreten. Die Verzögerung ist dem Umstand geschuldet, dass es eine umfassende Neustrukturierung des Betreuungsrechtes im BGB gegeben hat. Die sogenannte rechtliche Betreuung betrifft Erwachsene, die aufgrund einer Krankheit oder Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können. So befinden sich aktuell im BGB neue Bestimmungen über eine Betreuerbestellung, die Führung und Vergütung der Betreuung sowie die Aufgaben der Betreuungsgerichte.
In einer Presseerklärung vom 29. Dezember 2022 hat Bundesjustizminister Marco Buschmann dazu erklärt: "Ich freue mich, dass das neue Betreuungsrecht nun in Kraft tritt. … Im Mittelpunkt des neuen Betreuungsrechts stehen die Wünsche der Betroffenen. … Das neue Recht legt außerdem fest, welche persönlichen und fachlichen Voraussetzungen berufliche Betreuerinnen und Betreuer mitbringen müssen. Und es stärkt eine tragende Säule des Betreuungssystems: die Betreuungsvereine." Das neue Betreuungsrecht soll, so Buschmann weiter, die Selbstbestimmung unterstützungsbedürftiger Menschen stärken und damit den Vorgaben von Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung tragen.
Die umfassende Neufassung im BGB sollte verständlicherweise aus einem Guss erfolgen. Denn in Folge der entsprechenden Reform ist es durchgängig zu einer neuen Nummerierung auch der bestehenden Paragrafen gekommen. So steht die bisherige Regelung zur Patientenverfügung nunmehr im Paragrafen 1827 BGB neu (statt wie bisher im § 1901a alt) und Paragrafen 1828 BGB neu (statt wie bisher im § 1901b alt). Dies ist nicht uninteressant zu wissen, wenn zukünftig nach dem (inhaltlich so fortbestehenden) Gesetzestext zu Bestimmungen in Bezug auf die Patientenverfügung gesucht wird.
Wer es noch genauer wissen möchte
Die Anforderungen an eine Vorsorgevollmacht für bestimmte gesundheitliche Angelegenheiten befinden sich nunmehr im Paragrafen 1820 Absatz 2 BGB neu. Dort heißt es wie eh und je, dass die schriftliche Vollmacht eine Bestimmung zur Unterbringung mit freiheitsentziehender Wirkung oder zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen gegen den Willen eines einwilligungsunfähig gewordenen Patienten umfassen muss, um auch für diese Fälle gültig zu sein. Das ist in bisherigen Vorsorgedokumenten durch Nennung des Paragrafen 1906 geregelt, so auch in den Gesundheitsvollmachten des Humanistischen Verbandes. Diese behalten jedoch, da ja nur aufgrund der alten BGB-Fassung mit dem Vorläuferparagrafen nummeriert, selbstverständlich ihre volle Wirkung.
Eine kleine Änderung gibt es aber schon: Dort musste bisher gesetzeskonform der Zusatz "sofern zu meinem Wohl erforderlich" stehen. Diese normierte Erforderlichkeits-Voraussetzung war schon immer als zu schwammig kritisiert worden, zumal sie gegen den natürlichen Willen des Betroffenen auch missbräuchlich interpretiert werden konnte. Sie ist nunmehr entfallen. Damit darf der Hinweis auf das "Wohl" des Betroffenen, welches eine Unterbringung legitimieren sollte, nunmehr in den Gesundheitsvollmachten fehlen.
Die bisherigen Bestimmungen (bei schwerer psychischer Erkrankung) zu freiheitsentziehender Unterbringung und zu einschränkenden Maßnahmen wie zum Beispiel durch Bettgitter (alt § 1906 BGB) sind zukünftig in Paragraf 1831 BGB neu und zu ärztliche Zwangsmaßnahmen in Paragraf 1832 BGB neu zu finden. Aus dem Paragrafen 1904 BGB alt ist Paragraf 1829 BGB neu geworden. Die Anforderung an Vorsorgevollmachten, die Befugnis zu den genannten Maßnahmen konkret zu formulieren, sind bezüglich aller entsprechenden Paragrafen in Paragraf 1820 Absatz 2 BGB neu nummeriert worden.
Erstveröffentlichung auf der Website der Zentralstelle Patientenverfügung.
2 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Selbstbestimmtes Leben und Ableben ist für mich und auch für alle Menschen in meiner Altersklasse, natürlich von immenser Bedeutung.
Da muss eine eindeutige Rechtssprechung erfolgen zu Gunsten der Menschen, egal welchen Alters diese sind. Es gibt ja auch Situationen, welche schon für junge Menschen
unerträgliches Leid bedeuten können.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass der Langjährige Lebenspartner auch die Betreuung für den anderen Partner zugesprochen bekommt, ohne jegliche amtliche Hürden.
Müssen denn alle privaten Angelegenheiten durch Gesetze und Paragraphen reguliert werden?
Diese Anmaßungen gehören auf den Müllhaufen, wie so viele überflüssige Gesetze auch,
diese dienen nur der Rechtfertigung unseres aufgeblähten Verwaltungsapparats.
Das Volk (Demos) ist nur dazu da diesen Apparat zu finanzieren, eine reale Demokratie
sieht anders aus.
Dieses Verhalten der Ämter verdanken wir den Kirchen affinen Politik im Lande, eine Trennung von Staat und Kirche steht leider NUR auf dem Papier und ist seit der Weimarer Republik zwar gefordert, aber NIE realisiert geworden.